Erklärung zur Atom- und Energiedebatte

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Diese Erklärung habe ich nicht nur verfasst, weil ich der atompolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion für Atomenergie bin, sondern auch weil mich dieses Thema seit 25 Jahren mehr als alle anderen geprägt hat. Ich bin als Jugendlicher wegen der Katastrophe in Tschernobyl politisch aktiv geworden und seitdem engagiere ich mich für eine Energiewende und für die erneuerbaren Alternativen zur Atompolitik.


Trotz des Fortschritts zu den vorherigen Positionen von Union und FDP habe ich schwere Bedenken, den Vorlagen der Regierung zu folgen. Ich halte die Vorschläge von Union und FDP zum Atomausstieg und zur Energiepolitik für nicht akzeptabel und kann meiner Fraktion daher nicht empfehlen, diesen zu zustimmen, wenn es keine deutlichen Nachbesserungen gibt. Ich habe deshalb einen Brandbrief an meine Kollegen geschrieben.

Wer zustimmt muss für die dilettantischen Ausstiegspläne die Verantwortung übernhemen. Die SPD hat mit ihrer klaren Position in der Atompolitik bei der Bevölkerung nicht so punkten können wie die Grünen. Mit einer Unterstützung der Regierungspolitik könnte sie aber noch weiter an Zustimmung verlieren. Die politische Situation heute kann man nicht mit der Lage vor Fukushima vergleichen und wir sollten Konsequenzen aus den Debatten der letzten Monate ziehen.

Warum die Plänen der Regierung zum Atomausstieg fehlerhaft und unzureichend sind

- Eine Zustimmung würde die undemokratische übereilte Vorgehensweise der Regierung, die wir immer wieder harsch kritisiert haben, nachträglich legitimieren. Diese will - wie bei der Laufzeitverlängerung vor einigen Monaten - die Gesetze im Schweinsgalopp, ohne angemessene Beteiligung des Parlamentes durchpeitschen. Es wurden unlegitimierte Kommissionen eingerichtet, die den Einfluss des gewählten Parlaments aushebeln, und deren Vorgaben die Beratung und Debatte in den Fachausschüssen ersetzt haben. Dies ist nicht nur undemokratisch, es führt zwangsläufig auch zu vielen handwerklichen Fehlern, die das Vorhaben im Nachhinein belasten und die durch eine sorgfältige Debatte und ausreichend Zeit verhindert werden könnten.


- Es haben genügend angesehene Fachexperten aufgezeigt, dass ein Ausstieg in ca. fünf Jahren möglich ist, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden, ohne ökonomische Nachteile zu befürchten, ohne zusätzlichen Atomstrom - wie immer behauptet wird - importieren zu müssen. So hat beispielsweise die Universität Flensburg nachgewiesen, dass der Spotpreis für Strom trotz der derzeit abgeschalteten AKW nicht angestiegen ist und dass wir keinen zusätzlichen Strom bspw. aus Tschechien importieren mussten. Beides wurde vorher immer wieder heraufbeschworen, ist aber nicht eingetroffen. Die Spanne zwischen 5 und 10 Jahren zeigt, dass der Ausstieg zumindest noch verzögert werden soll.


- Die Versorgungssicherheit ist selbst jetzt nicht gefährdet, obwohl neben den sieben wegen des Moratoriums abgeschalteten AKW noch weitere Reaktoren vom Netz gegangen sind. Zwischenzeitlich waren nur noch vier AKW am Netz – also weniger als nach den Plänen der Regierung selbst 2020 noch laufen sollen. Warum also ein beschleunigter Ausstieg nicht machbar ist, wird niemanden zu erklären sein.


- Die Pläne der Regierung liegen nicht sehr nahe am ehemaligen Ausstiegsbeschluss von Rot-Grün. Beispielsweise soll Grafenrheinfeld jetzt statt 2016 (Rot-Grün) erst 2021, Gundremmingen C + B statt 2015/2016 erst 2021 vom Netz. Hier geht es also nicht nur um ein oder zwei Jahre. Allerdings muss erwähnt werden, dass es bei unserem Ausstiegsbeschluss unter bestimmten Vorausstetzungen möglich war Reststrommengen zu übertragen und es deshalb keinen fixen Ausstiegtermin gab.


- Selbst die Ethikkommission empfiehlt einen schnelleren Ausstieg, weil sie möchte, dass die AKW stufenweise abgeschaltet werden. So würde zwar auch das letzte AKW erst 2021 vom Netz gehen. Es würden aber nicht bis zu sechs Reaktoren bis 2021/22 laufen, sondern die meisten schon vorher abgeschaltet werden. Die von den Ministerpräsidenten eingeforderte sogenannte „Treppe“ entschärft sie Situation, ist aber unzureichend, weil auch dann nur drei weitere Reaktoren bis 2021 vom Netz gehen und sechs Reaktoren noch 10 Jahre in Betrieb blieben. ·


- Es gibt viele ungeklärte Fragen. Wer beispielsweise den Betrieb der AKW beenden will, muss eine juristisch wasserdichte Begründung haben. Die fehlt aber. Der Bericht der Reaktorsicherheitskommission, der deutlich macht, welche AKW besonders ungesichert sind, findet keine Berücksichtigung in der Beschlussvorlage, weil einige besonders gefährdete AKW noch bis Ende 2021 laufen sollen. Es besteht deshalb die Gefahr, dass eine Klage der Betreiber erfolgreich sein könnte und deshalb AKW doch länger laufen dürften oder hohe Entschädigungen vom Bund bezahlt werden müssen.


- Die Situation damals, als wir einen Kompromiss mit den Atomkonzernen schlossen, ist nicht mit der heutigen Lage vergleichbar. Damals war nicht klar wie schnell die Erneuerbaren Energien sich entwickeln. Wir wollten einen einvernehmlichen Kompromiss mit den Atomkonzernen, den diese einseitig aufgekündigt haben. In der Bevölkerung gibt es mittlerweile eine deutliche Mehrheit für einen beschleunigten Ausstieg.Der öffentliche Druck ist so stark, dass die Union zu weiteren Zugeständnissen bereit wäre. Solche erhalten wir aber nur, falls wir auch bereit wären, notfalls gegen die Regierungsvorlage zu stimmen.


- Falls wir zustimmen, muss uns bewusst sein, dass wir bis zur letzten Abschaltung für alle weiteren Vorkommnisse, Diskussionen und Proteste mit in der Verantwortung/Kritik stehen. Dies darf keine Zustimmung prinzipiell verhindern, sollte aber bedacht werden, weil wir dann auch für die schlechte handwerkliche Ausarbeitung der Regierungspläne verantwortlich gemacht werden.

Fürt eine Zustimmung gelten vor allem vier Voraussetzungen:

2.Der Ausstieg muss so gestaltet werden , dass er rechtssicher ist und eventuelle Klagen der Betreiber wirkungslos bleiben. Dies ist bisher nicht der Fall. Die Zeitpunkte für die Abschaltungen der AKW sind teilweise willkürlich gewählt, sie berücksichtigen nicht die Ergebnisse der Reaktor-Sicherheits-Kommission und bieten ein Einfallstor für Klagen, die zu hohen Entschädigungen führen könnte.

3.Auch wenn eine Ausstiegsdatum für jedes AKW festgelegt wird, kann dies nicht zu Abstrichen bei der Sicherheit führen, denn sechs AKW sollen immerhin noch etwa 10 Jahre laufen. Wir schließen uns der Forderung der SPD-BT-Fraktion an, endlich ein Kerntechnischen Regelwerk einzusetzen und eine unabhängige und umfassendere Sicherheitsüberprüfung zu veranlassen.

4.Es darf keine Revisionsklausel geben, die eineVerlängerung der Laufzeit ermöglicht. Allerdings fordern wir für das Jahr 2016 oder 2017 eine Überprüfung an, die feststellen soll, ob der Ausstieg für die letzten sechs AKW beschleunigt werden kann.




Es gibt also zahlreiche Gründe, warum die SPD den Plänen der Regierung ihre Zustimmung verweigern sollte. Es gibt viele erdrückende Argumente, unsere Ablehnung der Öffentlichkeit zu erklären. Es gibt dagegen nur wenige Gründe, der Regierung entgegenzukommen. Selbst wenn die Panikmache mit der fehlenden Versorgungssicherheit doch ernst zu nehmender ist, als uns alle aktuellen Daten aufzeigen, müssen wir sie immer dem gesamten Gefährdungsgrad jedes einzelnen alten Atommeilers gegenüberstellen. Es dürfte doch wohl klar sein, welche Sicherheit uns dann wichtiger sein sollte. Genau deshalb ist jedes Jahr früheren Ausstiegs so wichtig.


Energiepolitik und die Energiewende gehören zu den wichtigsten Themenfelder der Zukunft und wer glaubt, dass nach der Sommerpause die politische Diskussion darüber beendet ist, irrt sich gewaltig. Auch ohne Fukushima würde uns nicht nur das Thema Atom immer häufiger und dringender beschäftigen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
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