Über die Verhältnisse

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Wir diskutieren in Deutschland gerne lang und breit über Personen wie Thilo Sarrazin oder Erika Steinbach und beschäftigen uns monatelang mit der Kapitänfrage der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft, viele der existentiellen Themen verlieren wir dabei jedoch aus dem Blick: So pflegen wir – ohne groß darüber nachzudenken – bereits seit Jahren ein Konsumverhalten, das unsere natürlichen Ressourcen auf beispiellose Weise verschwendet und die natürlichen Kapazitäten, die die Erde uns zur Verfügung stellt, bei weitem überschreitet.

Ersichtlich wird das Leben über die Verhältnisse am sogenannten „Earth Overshoot Day“ (deutsch: Tag der ökologischen Überschuldung), der jedes Jahr ein Stück weit näher rückt. Mit diesem Tag hat die Menschheit alle Ressourcen, die die Erde für ein Jahr zur Verfügung stellt, bereits verbraucht. Für den Rest des Jahres leben wir alle auf Kosten der Umwelt und der zukünftigen Generationen.

Errechnet wird der „Earth Overshoot Day“ vom Global Footprint Network, einer Umweltforschungsorganisation aus den USA. Jedes Jahr werden die Naturkapazität der Erde und der tatsächliche Verbrauch von Ressourcen miteinander verglichen und so ein Tag berechnet an dem die Kapazität für das jeweilige Jahr aufgebraucht ist. Gemeint sind z.B. Holz, sauberes Wasser, Nahrung und Platz für Müllentsorgung – womit u.a. auch Platz für „Klimamüll“ (d.h. klimaschädliche Treibhausgase) in der Erdatmosphäre gemeint ist.

Das erste Jahr, in dem die Menschen weltweit über ihre Verhältnisse lebten, war 1987. Der „Overshoot Day“ war damals der 19. Dezember. In den letzten beiden Jahren lag der Tag jeweils im September. 2010 war er bereits am 21. August, was aber auch an der Verbesserung der Berechnungsmethode liegt.

Die größte Schuld am „Overshoot“ trägt ein vergleichsweise kleiner Anteil der Menschheit: Denn für 32 Prozent des weltweiten Konsums sind gerade einmal 5 Prozent der Weltbevölkerung verantwortlich. Diese erschreckenden Zahlen gehen aus dem Bericht „Zur Lage der Welt 2010“ hervor, den das Washingtoner Worldwatch-Insitute, Germanwatch und die Heinrich-Böll-Stiftung erarbeitet haben (www.boell.de/publikationen/publikationen-8855.html). Insgesamt wird in dem Bericht deutlich: Würden alle Menschen ein solches Konsumverhalten an den Tag legen wie wir, böte die Erde Platz für 2,1 Milliarden Menschen. Aktuell leben jedoch schon fast 7 Milliarden Menschen auf dem Planeten.

Mit den Symptomen des übermäßigen Konsums und der verantwortungslosen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen haben wir schon heute zu kämpfen: Klimawandel, Luftverschmutzung, Waldverlust, Bodenerosion, Anhäufung von Abfällen und Verunreinigungen – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Wenn wir diesen Prozess stoppen und umkehren möchten, müssen wir unsere aktuelle Lebensweise nicht nur hinterfragen sondern sie radikal ändern. Der Bericht „Zur Lage der Welt 2010“ formuliert es bereits in seinem Titel, er lautet: „Nachhaltigkeit als neuer Lebensstil.“

In Zukunft wird es darum gehen das Konzept der Nachhaltigkeit in allen Lebensbereichen zu verankern: Angefangen beim Welthandel, der Energieerzeugung und Ernährungsgewohnheiten über Siedlungsbau und Stadtplanung bis hin zu sozialen Dienstleistungen und Gesundheitsversorgung. Die Politik müsste eigentlich schon längst richtige Anreize geschaffen haben und eine nachhaltige Lebensweise belohnen und eine nicht nachhaltige gegebenenfalls sanktionieren.

Doch vor allem das sich in den letzten Jahren zuspitzende Klimaproblem führt uns immer wieder die Handlungsunfähigkeit von sowohl nationalen Regierungen als auch internationalen Organisationen vor Augen. Obwohl Jahr für Jahr neue internationale Konferenzen zum Klimaschutz durchgeführt werden, ist es bis jetzt nicht gelungen die Folgen von überzogenem Konsum und exzessiver Nutzung fossiler Ressourcen in den Griff zu bekommen. Wenn die Staatengemeinschaft gegensteuern und ein Totalversagen verhindern will, muss sie endlich zu verbindlichen Lösungen kommen. Daneben ist aber auch die Zivilgesellschaft gefordert: Bei den Menschen überall auf der Welt muss ein Bewusstsein dafür entstehen, wie wir mit unserem Planeten umgehen müssen, um ihn auch für unsere Kinder lebenswert zu halten. Wenn wir nicht endlich lernen mit dem zu leben was uns die Natur zur Verfügung stellt, werden wir alle immer stärker mit den negativen Folgen unseres Handelns zu kämpfen haben.

Dieses Jahr ist der Overshoot-Day unbemerkt an uns vorbeigezogen. Bei allen notwendigen Diskussionen um Integration, Rente mit 67 und anderen Themen, sollten wir die großen zentralen Herausforderungen, wieder ins Zentrum unseres Interesses stellen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
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