„Bis aufs Blut“ von Eli Cranor: Genialer Hillbilly-Irrsinn auf nur 300 Seiten
Krimi Eli Cranor entführt uns in in die Hügel von Arkansas, in den Süden der USA. Wer hier landet, muss bleiben. Der Sound von „Bis aufs Blut“ klingt wie eine Schlägerei beim Football. Mittendrin der Härteste von allen: Billy Lowe
„Bis aufs Blut“ von Eli Cranor spielt in den Ozarks – außerdem spielt Football eine große Rolle
Foto: Tim Warner/Getty Images
Denken Sie vielleicht grade darüber nach, Barbara Kingsolvers aktuell viel diskutierten, pulitzerpreisprämierten Roman Demon Copperhead (der Freitag 12/2024) zu lesen? Dann überlegen Sie noch mal neu. Denn mit Bis aufs Blut von Eli Cranor erscheint dieser Tage ein Buch, das vieles ähnlich macht – Stichworte White Trash, Football, Opioid-Krise, Gewalt –, aber das meiste (noch) besser. Und vor allem: auf nur knapp 300 statt auf mehr als 800 Seiten. Komprimierter Hillbilly-Irrsinn ist das, der in den USA mit dem wichtigsten Krimipreis, dem Edgar, als bestes Debüt ausgezeichnet wurde. Ein Noir, der knietief in Blut und Tränen und Schmerzen watet. Manchmal schwer erträglich, aber unmöglich wegzulegen. Gebannt schauen wir der sich vom ersten Sa
annt schauen wir der sich vom ersten Satz an abzeichnenden Katastrophe zu. Und hinterher sind wir völlig zerschlagen, weil Cranor Sätze schreibt wie Boxhiebe. Kurz, knackig, brutal effektiv.Eli Cranor entführt uns in die Hügel von Arkansas, „die Wahnsinn produzieren wie die Erde in ihrem Inneren Diamanten“. Eine Welt, in der Menschen in verrotteten Trailern dahinvegetieren, mariniert in endlosem Elend, in billigem Bier und Whiskey, vollgepumpt mit Schmerzmitteln. Wir sind im Süden der USA, in Denton, Arkansas, einem Kaff, das sich selbst das „Tor zu den Ozarks“ nennt. Aber wer hier landet, der kann nirgendwo mehr hin. In Denton geht man sonntags noch in die Kirche, der wahre Gottesdienst aber findet an fast jedem verdammten Freitag statt. Dann spielen die Pirates, das lokale Highschool-Footballteam, und für ein paar Stunden vergisst man das jämmerliche Leben im Trailer Park, den Schmerz des Alltags. Die Läden machen zu, sogar der Walmart, eine Armada von Pick-ups säumt das Spielfeld, Bierdosen und Joints machen die Runde, und die Jungs auf dem Feld schlagen sich die Schädel ein. Je härter es zugeht, desto besser.Der Härteste von allen ist Billy Lowe, und auch wenn er nur Runningback ist, ist er doch der Star des Teams, sorgt dafür, dass die Pirates nach Jahren endlich mal wieder in den Play-offs stehen. Da gibt es nur ein Problem: Billy kann sich nicht bremsen, ob auf dem oder abseits des Spielfelds. Nachdem er einen Mitspieler krankenhausreif geschlagen hat, soll er aus dem Team ausgeschlossen werden.Mit Billy steigen wir ein in diesen Roman, jedes zweite Kapitel ist aus seiner Perspektive erzählt. Und gegen Billy ist sogar der Ich-Erzähler aus Demon Copperhead ein echtes Glückskind. In seinem ganz eigenen, von Cornelius Hartz brillant ins Deutsche übertragenen Idiolekt lernen wir Denton kennen, teilen Billys Leben im Trailer mit einer kaputten Mutter und einem brutalen Stiefvater, treffen seinen verwahrlosten Bruder, verstehen seine absolute Hilflosigkeit, auf die er nur eine Antwort kennt: Gewalt.Mit Billys ersten Worten beginnt der Roman seine soghafte Wirkung zu entfalten: „Kann immer noch fühlen, wie es in meinem Nacken brennt. Als Coach mich heute Morgen abgeholt hat, hab ich gesagt, ich hab mir beim Training was aufgeschürft, stimmt aber nicht. War ’ne Zigarette, besser gesagt: So sieht das aus wenn dir einer ’ne brennende Kippe im Nacken ausdrückt.“Als Billys Stiefvater eines Tages tot aufgefunden wird, erweitert sich die Studie einer trostlosen Kleinstadt zu einem Whodunnit, denn Verdächtige gibt es etliche in diesem Roman voller Wut und Hass.Unfassbar intensiv und dichtKeine Aussicht auf Besserung also? Doch, einen Hoffnungsschimmer gibt es. Trent, der neue Footballcoach der Stadt, aus Kalifornien nach Denton gekommen und immer noch ein Außenseiter, nimmt den Jungen in seine Familie auf. Doch die hat selbst massive Probleme, und so droht das gut gemeinte Hilfsangebot in einer Katastrophe zu enden.Eine fremde und seltsame Welt ist es, die Eli Cranor in Bis aufs Blut entwirft. Doch der Autor, der selbst aus Arkansas stammt und Footballprofi und Trainer eines Highschool-Teams war, hat unseren befremdeten Blick in seinen Roman integriert. Die Kapitel, die aus Trents Sicht erzählt werden, sind voller Staunen und voller Ratlosigkeit angesichts einer Situation, die zunehmend außer Kontrolle rast.Man spürt auf jeder Seite dieses unfassbar intensiven und dichten Romans, welche Vorbilder Cranor geprägt haben – Charles Portis, dessen legendärer, gleich zweimal verfilmter Roman True Grit in Sichtweite von Lake Dardanelle spielt, wo Cranor mit seiner Familie in einer Hütte im Wald lebt, der große Larry Brown, der in Büchern wie Fay und Joe den Sound des armen weißen Südens einfing, und mehr als jeder andere Elmore Leonard, der „King of Cool“. Jeden seiner 42 Romane hat Cranor gelesen, manche davon wieder und wieder.Cranor schreibt in der Tradition des Country Noir, Romane, die der Verleger Martin Compart einmal punktgenau als „Sittengemälde aus der amerikanischen Jauchegrube“ beschrieben hat. Hierzulande kennen wir diese Spielart des Kriminalromans seit Daniel Woodrells Winter’s Bone, der wie Bis aufs Blut in den Ozarks spielt, und aus vielen Büchern, die im Polar Verlag erschienen sind, der fantastische Schriftsteller wie David Joy, Eryk Pruitt und Attica Locke (der Freitag 45/2022) entdeckt hat, die sonst wohl kaum eine Chance auf dem deutschen Markt gehabt hätten.Cranor, der diese Autoren natürlich kennt und schätzt, findet seinen ganz eigenen Zugang zum Genre, kreiert seinen ganz eigenen Sound, schafft seine ganz eigene Poesie der Hölle.Placeholder infobox-1
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