Wahrscheinlich ist es gut, dass fast zehn Jahre vergangen sind zwischen der Idee für den Roman Feinde und seiner Veröffentlichung. Weil sich Wut und Ohnmacht nicht unvermittelt in Worte verwandelt haben, sondern Susanne Saygin eine Form gefunden hat, eine Geschichte zu erzählen, die zwar auf persönlichen Erfahrungen fußt, aber darüber weit hinausgeht.
In Feinde erzählt Saygin von dem Deutschtürken Can, ein guter Polizist und einer von den wenigen, die ihr soziales Gewissen nicht gegen eine Dienstmarke eingetauscht haben – auch wenn er zum Zynismus neigt. Can untersucht einen brutalen Doppelmord im Roma-Milieu, und seine Ermittlungen führen ihn bald auf die Spur des Kölner Baulöwen Christof Nolden und sein europaweites Netz von Fußball-Ultras. Doch der Fall hat auch persönliche Dimensionen. Cans Geliebte Marie, eine linke Aktivistin, die vor Kurzem von Unbekannten erschlagen wurde, scheint ebenso darin verwickelt zu sein wie Cans Mitbewohnerin Isa, die früher für Nolden arbeitete.
Dass Saygins Roman ein Debüt ist, merkt man nur dadurch, dass sie ein bisschen zu viel will, zu viele Informationen hineinpackt. Ansonsten ist Feinde ein makelloser Thriller, gerade weil er sich um die Konventionen des Genres nicht wirklich schert. Und weil in der düster-brutalen Story von Gewalt und Mord, Korruption und Klüngel eine wundersame Liebesgeschichte versteckt ist, die ganz ohne Kitsch auskommt.
Das gilt auch für den Umgang Saygins mit ihrem Thema, der Ausbeutung von sozial Benachteiligten, ob auf dem Schrottstrich, dem Arbeitsstrich oder einfach nur auf dem Strich. Nie verliert sie ihren kühlen, fast schon analytischen Blick, sie verfällt weder in Sozialromantik noch in schroffen Naturalismus. Und Saygin bietet keinen billigen Ausweg aus den Strukturen. Can wird nicht die Welt retten. Eigentlich nicht einmal sich selbst.
Feinde eignet sich als Gegengift zu den kreuzbiederen Tatort-Filmen aus Köln mit den hauptberuflich betroffenen Helden Ballauf und Schenk. In Saygins Welt schert sich niemand um politische Korrektheit, Can ist der „Vorzeigekanacke“, seine Chefin Simone die „Kampflesbe“. Sie versuchen einfach, das Richtige zu tun. Auch wenn es immer schwerer wird, zu verstehen, was das ist.
der Freitag: Frau Saygin, Sie hatten die Idee für Ihren Roman bereits vor fast zehn Jahren, als Sie noch in Köln lebten. Was war der Auslöser?
Susanne Saygin: Mein damaliger Freund und ich lebten in Köln Neuehrenfeld, einem Niemandsland zwischen zwei Kölner Arbeitervierteln, Nippes und Ehrenfeld, geprägt durch den Schlachthof und zwei Großbordelle, und immer wieder ein erster Ankunftsort für Migranten. Im Sommer 2009 zogen etwa 250 bulgarische Roma im Nachbarhaus ein, das bis dahin ein privates Studentenwohnheim für etwa 80 Personen war.
Zur Person
Susanne Saygin, Jahrgang 1967, ist promovierte Historikerin und arbeitet in Berlin, wo sie seit 2010 auch lebt. Ihr Debüt Feinde (Heyne, 352 S., 12,99 €) spielt größtenteils in Köln. Die Stadt war rund 20 Jahre ihr Zuhause
Wie war das möglich?
Der Hausverwalter vermittelte die Wohnungen ohne das Wissen der Eigentümer. Die Miete hat er größtenteils vom Hausmeister in bar kassieren lassen und nur teilweise an die Eigentümer weitergegeben.
Wie hat sich Ihr Leben dadurch verändert?
Durch die massive Überbelegung war in kürzester Zeit das ganze Umfeld des Hauses total vermüllt – der Hausmüll lag teilweise hüfthoch neben den Tonnen, Ratten liefen herum. Im Hinterhof des Hauses wurden ständig, auch nachts, Autos getunt, es lief unglaublich laute Musik, direkt vor unserer Haustür entstand ein Arbeiterstrich, wo es oft zu Auseinandersetzungen und Schlägereien kam ...
Sind Sie dagegen vorgegangen?
Wir Anwohner starteten eine kleine Initiative, um mit der Stadt ins Gespräch zu kommen, sie davon zu überzeugen, diesen massiven sozialen Brennpunkt zu entschärfen. Wir hatten dann aber das Gefühl, dass die Stadt die Sache bagatellisierte. Man sagte uns, wir sollten Lärmprotokolle erstellen, und den Eigentümern unseres Nachbarhauses empfahl man, einen privaten Security-Dienst anzuheuern. Das alles gipfelte in der Erklärung, wir hätten jetzt EU-Freizügigkeit, das erfordere Toleranz, und wenn wir diese nicht aufbringen könnten, müssten wir wegziehen.
Und was war mit der Polizei?
Es waren täglich Streifenpolizisten vor Ort, und die lieferten gute Arbeit. Aber die haben immer wieder gesagt: Leute, das hier ist ein politisches Problem. Wir können nur an den Symptomen rumdocktern, und ihr seht ja, wie sinnlos das ist.
Wie haben Sie sich dabei gefühlt?
Ich war lange Zeit mit einem für meine Generation und meinen Background vermutlich nicht ungewöhnlichen, eher vage rot-grünen Mindset unterwegs, also: Multikulti = lecker Essen und potenziell interessante Musik = prima, Polizei = (rechte) Bullen, also böse. Dass das keine reflektierte politische Haltung, sondern bestenfalls ein Potpourri aus wenig fundierten Meinungen war, wurde mir erst bewusst, als all diese Frames 2009 im Laufe der Auseinandersetzung mit den Problemen in und mit unserem Nachbarhaus auf den Prüfstand gestellt wurden – und sich als nicht belastbar erwiesen haben.
Was heißt das konkret?
Es gab Momente, wenn ich wieder einmal eine Nacht nicht schlafen konnte, weil nebenan die große Balkantechnoparty stattfand, an denen ich mich bei Gedankengängen rechts der AfD wiedergefunden habe. Das Erschrecken darüber hat bei mir zwar nicht zu einer handlungsorientierten Politisierung, zumindest aber doch zu einer differenzierten Auseinandersetzung mit der Situation und, in der Folge, zur Ausbildung einer klaren Haltung geführt.
Wie würden Sie diese Haltung beschreiben?
In a nutshell und vulgärmarxistisch: Das Hauptproblem, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen, ist die massive ökonomische und soziale Ungleichheit in Deutschland, in der EU, in der Welt. Vermeintliche Konflikte zwischen Biodeutschen und Migranten, Hell- und Dunkeldeutschland, westlicher Aufklärung und Islamismus et cetera verstellen nicht nur den Blick für dieses Problem, sie befeuern vielmehr die Entsolidarisierung unter den Verlierern des Neoliberalismus und spielen damit den Profiteuren ebenjenes Neoliberalismus in die Hände.
Was könnte man tun, um das zu ändern?
Wenn ich für mich derzeit überhaupt Anknüpfungspunkte zu politischem Handeln sehe, dann tatsächlich im Bereich des (linken) Aktivismus, weil ich bei Gruppierungen, wie sie im Buch durch Marie und ihre Freunde repräsentiert werden, am ehesten den Ansatz zu einer übergreifenden und direkt wirksamen Solidarität sehe. Trotzdem bin ich bisher nicht in dieser Form aktiv geworden und werde es wohl auch nicht werden. Einerseits, weil ich den Verdacht nicht loswerde, dass auch in Aktivistenkreisen relativ viel naiv-unreflektierte Ideologie unterwegs ist. Andererseits – und das wiegt schwerer –, weil ich persönlich nahezu reflexartig tiefstes Unbehagen in jeglicher Form von Gruppenzusammenhang empfinde.
Warum haben Sie sich dafür entschieden, einen Roman zu schreiben?
Der erste Impuls war, ein Sachbuch zu schreiben, etwas Journalistisches dazu zu machen. Aber ein Artikel ist schnell vergessen, und das Publikum für Sachbücher über diese Thematik ist sehr klein.
Wieso wurde es ein Krimi?
Ich kannte gar nicht so viele Krimis, aber der Bezugspunkt war für mich die Marseille-Trilogie von Jean-Claude Izzo. Mir hat gefallen, wie Izzo seine Heimatstadt porträtiert, man spürt seine Liebe in den Büchern. Er hatte diesen halb verklärenden, halb kritischen Blick, liebte gerade das Schrabbelige. Und er verband Sozialkritik mit Mafiageschichten, hier sehe ich Parallelen zum oft verharmlosten Kölner Klüngel.
Sie schreiben vom „schwabbelig-bleichen Altherrenbauch der Stadt, wo Deals auf den Prunksitzungen der Karnevalsgesellschaften angebahnt und im Puff besiegelt“ werden. Wie mafiös ist der Kölner Klüngel?
Solche Strukturen gibt es in jeder deutschen Großstadt: die Verabredung zu einem gemeinsamen Beutezug. Ist das Korruption, sind das Freundschaftsdienste, wo ist die Grenze? Ich würde es protomafiös nennen. Ich habe keinerlei Belege dafür, dass diese Leute wie Nolden über Leichen gehen, aber ich glaube, die Bereitschaft, zum Vorteil der Beutegemeinschaft etwas herauszuschlagen, was sich zum Nachteil des Gemeinwesens auswirkt, die ist in Köln in manchen Schichten ausgeprägt.
Nolden, der kriminelle Baulöwe, arbeitet eng mit einer Ultra-Bewegung zusammen, der Schutzstaffel Stellwerk. War Ihr Vorbild Neapel, wo Fußballfans die Drecksarbeit für die Camorra machen?
Das hatte ich weniger auf dem Schirm, aber ich habe eine Zeit lang in Rom gelebt, wo die Lazio-Fans stark vertreten waren, überall gab es Graffiti mit Nazisymbolik. Und als ich auf Recherchereise für Feinde in Bulgarien war, ist mir aufgefallen, wie viel SS-Symbolik überall zu sehen war. Das war eher der Hintergrund.
Die Ultras in Ihrem Roman arbeiten eng mit vergleichbaren Gruppierungen in Osteuropa zusammen.
Da bin ich von der tatsächlichen Entwicklung überholt worden. Was ich erfunden habe, spielt sich inzwischen tatsächlich ab. Der FC Köln hat grade das Problem, dass sich Teile der Ultras extrem radikalisieren, mit den deutlich rechtslastigen Ultras vom BVB fraternisieren und Verbindungen nach Osteuropa suchen. Die Gewalttätigkeit nimmt massiv zu. Interessant finde ich, dass Nolden vorgibt, für den wahren, den authentischen Fußball zu stehen. Als ich einmal bei Schalke 04 im Stadion war, fand ich das unfassbar steril und hatte die Idee, dass, wer Leute heute flächendeckend verführen will, das Versprechen von Authentizität geben muss. Das Gefühl, dass alles nur noch Kommerz ist, teilen viele Fußballfans. Ich habe Nolden als jemanden dargestellt, der für Menschen meiner Sozialisation anschlussfähig wäre. Der kommt ja eher als lockerer Typ daher. Und da sehe ich die eigentliche Gefahr: Wenn Populisten zum Beispiel nicht mehr als rechte unangenehme Menschen auftreten, sondern als pseudo-apolitische, auf Authentizität getrimmte nette Leute, die man gern in der Nachbarschaft haben würde.
Sie leben seit 2010 in Berlin. Inwiefern ist Ihr Roman auch eine Liebeserklärung an Ihre frühere Heimat Köln?
Nennen Sie es nostalgisch, oder verklärend, verdichtet und wehmütig: Der Roman ist auch ein Abgesang auf eine Szene, die es mal in Köln gab, die aber inzwischen verschwunden ist. Die Menschen, die damals dabei waren, erkennen sich im Buch oft wieder und springen stark darauf an. Feinde vermittelt die Stimmung, die viele von uns heute zu damals haben.
Sie reden von der Kölner Indie-Szene Mitte, Ende der Achtziger, in der das vor Kurzem eingestellte Magazin „Spex“ identitätsbildend war. Worum ging es da? Unspießige Alternativen zum bürgerlichen Leben?
Ich bin ’86 aus der rheinischen Provinz nach Köln gekommen, und dort gab es damals einerseits eine ausgeprägte Independent-Musikszene, die auch durch die Spex befeuert wurde, und andererseits eine sehr internationale, vitale Kunstszene. Beide trafen sich bei Vernissagen, bei Konzerten und in ein paar Kneipen fernab jeder Kölsch-Romantik: weiße Räume mit minimalistischer Einrichtung und attraktivem Thekenpersonal, in denen schon mal Gerhard Richter, Mark Dion oder irgendwelche US-Rapper neben Billy Childish am Tresen stehen konnten. Es gab wilde Partys. Ich war damals Anfang zwanzig, und dieses Hedonistische fand ich natürlich total faszinierend.
Den Überbleibseln dieser Szene stellen Sie in „Feinde“ ein alternativ-genossenschaftliches Wohnprojekt entgegen.
Die alternative Szene aus Kölsch-Dakota, die es als Minnesota-Siedlung in Köln tatsächlich gibt, habe ich nur am Rand mitbekommen. Für mich sind solche Projekte eher nichts. Ich finde die Wärme, die das ausstrahlt, von außen betrachtet wunderbar, aber mir wird das schnell zu eng.
Ihr Polizist Can steht zwischen diesen Szenen, reagiert aber wie viele Polizisten in Ihrem Roman eher zynisch, wenn er auf vermeintliches Gutmenschentum stößt. Er ist der Haltung permanenter Betroffenheit, wie sie die Kölner „Tatort“-Kommissare Schenk und Ballauf ausstrahlen, völlig unverdächtig, oder?
Ich finde Betroffenheit peinlich, weil sie so wohlfeil ist und man damit höchstens ausdrückt, dass man das Leid der Welt wahrnimmt, ohne dass das Konsequenzen hat. Mit Betroffenheit ist niemandem geholfen.
Zwischen Ihren Polizisten fallen auch schon mal Worte wie „Sprachpolizei“ oder „Quotenmigrant“. Hatten Sie keine Angst, als politisch unkorrekt wahrgenommen zu werden?
Can und Simone sind beide in Außenseiterpositionen, er ist der Quotenmigrant und sie die Kampflesbe. Es geht mir um die offizielle Sprachpolitik bei der Polizei: So wurde etwa der Begriff „mobile Tätergruppen aus Osteuropa“ eingeführt, um die Stigmatisierung bestimmter Tätergruppen, insbesondere Roma, zu vermeiden – mit dem Effekt, dass die Bezeichnung inzwischen selber stigmatisierend ist. Ich verstehe schon den Impetus zu sagen, man ändert die Sprache, um das Bewusstsein für Ausgrenzung zu wecken. Nur: Das Bewusstsein allein hilft nicht, wenn sich die Haltung der Leute nicht ändert. Und da glaube ich, dass die Strukturen sehr viel hartleibiger sind als die korrekte Sprache. Auf diesen Widerspruch weisen meine Figuren mit ihren flapsigen Sprüchen hin. Hätte ich das nicht gemacht, wäre es doch so ein Schenk/Ballauf-Ding geworden, immer total korrekt.
Bilder des Spezials
Ben Zank wurde 1991 geboren, er lebt in New York City. Mit 18 entdeckte er die Fotografie, als er auf dem Dachboden seiner Großmutter eine Pentax ME Super fand. Eigentlich ist er Journalist, aber oft findet er mit der Fotografie besser zu seiner Sprache. Anzüge, das sind kühle Bilder voll monochromatischer Spannung, die ein diffuses Gefühl von Intrigen, Verlassensein und Ereignis hervorrufen. Die Figuren sind gesichtslos, anonym, ihre Aktionen choreografiert und undurchsichtig. Zank ist inspiriert vom Surrealismus René Magrittes, er verwendet die Symbole der Epoche – einen Hut mit breiter Krempe oder ein Fahrrad. Zu sehen ist eine Noir-Traumlandschaft, die Fragen nach der Art der eingesetzten Symbole aufwirft: Sind sie eine Allegorie? Zank sagt: „Jedes Bild ist ein eigener kleiner Roman, den jeder auf seine Weise lesen kann.“ Mehr Information auf benzank.com
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