Kaum ein Text, der nicht die Parlamentarier für ihr Weglaufen vor der Verantwortung anklagen würde. "Sachzwänge" ist einer der verhasstesten Begriffe. Wie auch das Wort "Domestizierung" mehrfach auftaucht. "So werden Regierungen zu Kolonialverwaltungen transnationaler Unternehmen" - schreibt Hermann Scheer (Freitag 43/99). Was für ihn einen Defekt der parlamentarischen Demokratie anzeigt, ist für Jutta Ditfurth die Erfüllung ihrer Funktion:"In einer kapitalistischen Gesellschaft handelt jede Regierung im Interesse der stärksten und modernsten Fraktion(en) des Kapitals" (43/99). Hermann Scheer sieht die "Wiederbelebung der parlamentarischen Demokratie ... nur durch Inanspruchnahme des demokratischen Mandats" (mit "gestaltungsbewußter Konfliktbereitschaft gegenüber nicht demokratisch legitimierten Kräften"). Und ihn bestätigt der langjährige FDP-Abgeordnete Burkhard Hirsch (48/99), der die notwendige Zivilcourage gegen Fraktionsdruck beschreibt.. Jutta Ditfurth hingegen baut auf die soziale Gegenmacht (die derzeit fehlende). Deren Aufgabe wäre zuerst pure Notwehr gegen die Zumutungen des Kapitals, das von der ungeheuren Arbeitsproduktivität absolut profitiere und die Parteien domestiziert habe. Im besten Falle aber, meint die Autorin, könne sich aus der sozialen Gegenmacht auch die soziale Revolution entwickeln, die das kapitalistische System überwindet.
Als dritter Schreiber in der Debatte sucht Wolfgang Michal (44/99) an weiteren Orten nach Kräften zur Belebung der Demokratie: Sie basiere nicht nur auf dem Parlamentarismus, da seien noch die zwei anderen "Wachtürme", die Medien und die Universitäten. Politiker, Journalisten, Wissenschaftler "kämpfen mit den gleichen Problemen der Mitbestimmung". Diesem "zentralen Zauberwort eines rot-grünen Aufbruchs" will er seine Bedeutung zurückgeben.
Stefanie Christmann spricht es krass aus: sie erhoffe "nichts mehr für die Demokratie von den Parteien" (46/99). Deren angemaßte Hauptrolle, das Fehlen von Plebisziten, die Fünf-Prozent-Klausel und der Fraktionszwang seien Ursachen für den Stillstand. Den Parteien müsse Konkurrenz um Parlamentssitze geschaffen werden, Exekutive und Legislative seien zu entkoppeln, darin läge ein Ansatz zur Lösung.
Aus der unmittelbaren politisch-parlamentarischen Praxis bei Bündnis 90/Die Grünen schrieben Wolfgang Ullmann (47/99), Sylvia Kotting-Uhl (50/99) und Judith Demba, die die Partei verlassen hat (50/99). Tiefes Bedauern klingt an, dass eine Parteiführung im Zuge der Anpassung die spezifische Rolle als "Anti-Parteien-Partei" (Wolfgang Ullmann) aufgibt, alle Vorteile also über Bord wirft, mit quälenden Strukturreform-Debatten auf den Bonus gegenüber traditionellen Parteien verzichtet und die Erfahrung des Zentralen Runden Tischs der DDR nicht verarbeitet. Die in fast allen Beiträgen beschworene außerparlamentarische Opposition hat Michael Jäger genauer betrachtet (51/99): nicht als Aktion auf der Straße, sondern als Aktivität, die von den oft geschmähten Institutionen ausgehe. Und so empfiehlt er die altvertrauten Gewerkschaften und die Kirchen als neue Stütz pfeiler für Parlamentarier, die oppositionelle Politik durchsetzen wollen.
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