Der Tote in Den Haag

Slobodan Milosevic Die mittelmäßige Figur einer schrecklichen Übergangszeit stand vor dem falschen Gericht

Die serbische Gesellschaft hatte sich zu großen Teilen schon von ihm verabschiedet. Es war die westliche, die ihn noch brauchte: Milosevic als Feindbild ließ den Zerfall Jugoslawiens, die Kriege, das Bombardement Serbiens und Montenegros im Frühjahr 1999 befriedigend deuten. Alles schien so plausibel, dass sich weitere Fragen erübrigten, vor allem die prekären nach den westeuropäischen und eben auch deutschen Anteilen an dem Desaster.

Ein Prozess nicht in Den Haag, sondern in Belgrad - wo viele Beteiligte indirekt mit vor Gericht gestanden hätten, ohne die aus dem Westen zu schonen - wäre zur wirklich harten Lektion über den Niedergang eines Landes geworden. Ein solches Tribunal hätte ein Konfliktmuster ans Licht gebracht, das sich seit den neunziger Jahren auch anderswo beobachten lässt: Die völlige Verarmung einer Gesellschaft wird in Kauf genommen, die Opposition ausgeschaltet und ein umstrittenes internationales Embargo zum nationalen Machtausbau genutzt. Es hätte herauskommen können, wie ein Geheimdienst zur Mafia mutieren, die Polizei als Herrschaftsinstrument umgerüstet und eine Hauptstadt durch politische Morde verunsichert werden kann, wie Paramilitärs ein freies Aktionsfeld erhalten. Auch der Verdacht auf besondere Beziehungen zwischen Milosevic und den Amerikanern wäre ausgeräumt oder bestätigt worden. Ob die Kraft zu einem solchen Prozess in Belgrad gereicht hätte, ist ungewiss. Gewünscht wurde er von vielen, auch gefürchtet. In Den Haag hingegen war die Konstellation eine völlig andere: Über allem lag die durchschaubare Absicht, mit Milosevic den Urheber aller Kriege vorzuführen, der ganz allein von sich aus handelte.

Als Milosevic in seinen Regierungsämtern aufstieg, war das Land nach Titos Tod in eine Krise geraten, die Wirtschaft stagnierte, dem IWF war schon ein Teil des finanzpolitischen Regimes übertragen. Es kamen die Jahre, als mit dem Ende der Sowjetunion die bipolare Welt verschwand, in deren Zwischenräumen Jugoslawien seinen Platz gefunden hatte. Ein großes Wettrennen setzte im Osten ein, um Anschluss an den Westen, besonders die EU, zu finden. Das zerriss die jugoslawische Föderation. Die USA als übrig gebliebene Weltmacht betrieben als einziger Staat eine globale Politik und nutzten die Balkankrise. Es gab bis hin zur Linken eigenartige Hemmungen, die amerikanischen Ziele zu entschlüsseln. In dieser Situation hatte Milosevic das Ruder in der Hand und steuerte das Land auf den Abgrund zu, der sich aufgetan hatte.

Den Nationalismus hat er nicht erfunden, doch genutzt. Im Herbst 2000 musste er sich nach einer Wahlniederlage, die er anfangs ignorieren wollte, unter dem Eindruck großer Demonstrationen zurückziehen. Er blieb in Belgrad und wurde im April 2001verhaftet, um vor ein Gericht in Serbien gestellt zu werden. Drei Monate später lieferte ihn der damalige Premier Zoran Djindjic unter starkem internationalen Druck nach Den Haag aus. Es war der Preis, den die Serben zu zahlen hatten, um im Westen wieder als gesprächsfähig zu gelten. Das Stigma der Kriegsschuld wurden sie damit nicht los.

Vor dem Gericht hat Milosevic unerwartet heftig gekämpft, war dabei höchst genau und gut unterrichtet, wechselte vom umständlich respektvollen Ton zum Angriff ("dieses größenwahnsinnige Verfahren") und konnte in vier Prozessjahren einige Punkte der offenbar eilig zusammengeschusterten Anklage demontieren. Die Öffentlichkeit in Deutschland nahm davon kaum Notiz. Ob der Prozess zu einer so fulminanten Verurteilung geführt hätte, wie Chefanklägerin del Ponte hoffte, war nicht mehr sicher. Sie hat mit ihrer ersten Reaktion auf den Tod Milosevics dazu beigetragen, dunklen Verdacht zu wecken: Indem sie einen Selbstmord nicht ausschloss und sofort bedauerte, dass ihr der Fall nun abhanden käme. Ein Wort des Beileids blieb aus.

Dieser Tod in der Zelle fordert nochmals zu einem Urteil über die Geschehnisse in Serbien heraus, auch wenn das schon längst nicht mehr gewollt ist. Gerade weil die Kriege in Jugoslawien so wenig begriffen wurden, nehmen die Gesellschaften Europas die Vorbereitung neuer Kriege vor aller Augen zwar erschrocken, aber zugleich apathisch hin.


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