Reinhold Messner kann es nicht, Franz Müntefering so wenig wie Michael Jordan oder Will Smith: Sie alle sind Nichtschwimmer. Aber nicht aus einer lebensphilosophischen Überzeugung heraus, wie etwa Nicht-Fleischesser, sondern weil sie nie Schwimmen gelernt haben. Es ist ja eine Frage des Urvertrauens.
Babys etwa paddeln einfach los. Das warme Wasser erinnert sie an ihr geschütztes Biotop im Mutterbauch. Doch dieser Schwimmreflex ist nach spätestens zehn Monaten verschwunden, an seine Stelle tritt die Angst unterzugehen und zu ertrinken. Also muss man Unterricht im Schwimmen nehmen.
Das tun nachweislich immer weniger Menschen. 1913, im Gründungsjahr der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG), konnten 50 Prozent der Deutschen schwimmen, vor 20 Jahren im Schnitt schon etwa 90 Prozent. Seit einer Weile ist dieser Wert der DLRG zufolge stark rückläufig. Nur noch 70 Prozent der Viertklässler können sich heutzutage allein über Wasser halten, und in Hamburg sind es sogar nur noch die Hälfte.
Kein Geld für Sanierung
Dazu passt die Meldung, nach der in Berlin demnächst 14 Frei- und Hallenbäder geschlossen werden sollen, aus rein betriebswirtschaftlichen Motiven: Die Bäder sind marode und hochdefizitär, für die Sanierung fehlt das Geld. Fünf wintertaugliche Freizeitbäder in zentraler Lage, versehen mit Rutsche oder Tauchturm, sollen an ihre Stelle treten. Die Schwimmerquote wird das wohl kaum erhöhen.
Die Frage, wie gut einer schwimmen kann, ist mittlerweile auch von der sozialen Herkunft abhängig. In Hamburg lässt sich das ziemlich genau an den Stadtteilen festmachen. Während in wohlhabenden Gegenden wie Volksdorf oder Blankenese fast 100 Prozent der Schüler bis zum Ende der vierten Klasse schwimmen können, sind es in abgehängten Vierteln wie Wilhelmsburg nur fünf Prozent.
Viele Familien können ihre Kinder nicht in einen privaten Schwimmkurs schicken – für sie ist Schulschwimmen enorm wichtig. Dieses fliegt allerdings immer häufiger aus dem Stundenplan, wie Eltern beklagen. Weil entweder anderer Lernstoff Priorität hat oder eben die nächste Schwimmhalle durch die vielen Schließungen – über 1.100 waren es bundesweit in den vergangenen zehn Jahren – zu weit weg ist. Müssen wir uns also damit abfinden, dass der soziale Riss jetzt auch durchs Schwimmbecken geht? Das wäre fatal. Schwimmen ist eine Kulturtechnik, wie Schreiben oder Lesen. Anders gesagt: Jeder hat ein Recht darauf, sich über Wasser halten zu können.
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