Sie ist Gegenstand von Kontrolle und Reglement, doch avancierte sie auf dem Feld des Politischen zum Symbol für Befreiung: die Brust. Sie wird eingeengt, sogar juristisch reglementiert, sie ist ein politisches Körperteil. Als solches betrachtet sie die Kunsthistorikerin Anja Zimmermann. Ihr Buch Brust ist ein faszinierender Abriss der Geschichte des Busens und seiner kulturellen Rezeption. Etwa als Körperteil, das wie kein anderes für Erotik steht, wobei das erotische Spiel auf der Dialektik von Sichtbarem und Unsichtbarem beruht.
Zimmermann zeichnet detailliert die Darstellungsgeschichte des Busens nach. So erscheinen in Malerei und Plastik die immer gleichen Brustformen: Sie sind klein, fest, aufrecht. Weil der erotische Busen halbkreisförmig sein muss und mit ger
6;rmig sein muss und mit geradezu militärischer Strenge zu stehen hat, sind Busenerotik und weibliche Jugend eng verknüpft.Diese Brüste stehen im Kontrast zu Steinzeitdarstellungen, die üppige, schwere Brüste zeigen. Man denke an die Venus von Willendorf. Mit dem Busen als Symbol für Fruchtbarkeit sind wir auch beim Stillen angekommen. Steht das Stillen in der Gegenwart für den biopolitischen Fokus auf kindliche Gesundheit (Abwehrkräfte!) und Mutter-Kind-Bindung, galt es im 18. und 19. Jahrhundert als Akt der kindlichen Kulturalisation schlechthin, sollte das Kind mit der Muttermilch doch die (hoffentlich vorhandenen) bürgerlichen Tugenden der Mutter aufsaugen. Der Busen steht und fällt mit dem Stillen, buchstäblich: Gott bewahre, dass der Busen nach dem Stillen hängt. Allein die Aufregung um die Straffheit dieses Körperteils verdeutlicht, dass es sich beim Busen um eine Art Herrensignifikanten (oder soll man sagen: Damensignifikanten?) handelt.Wie politisch der Busen ist, zeigt sich, wo er oder die Kleidungsstücke, die ihn bedecken, zum Protestfeld avancieren. Natürlich kommt Zimmermann auf die feministische Protestgruppierung Femen zu sprechen; deren spektakuläre Aktionen sind beinahe wieder vergessen, weil sich das politische Erregungspotenzial des nackten Busens rasch erschöpft. Zumal Kritik laut wurde (und Zimmermann wiederholt sie), dass Femen eng entlang der Vorstellungen von Normschönheit (jung, straff, weiß) operiert und patriarchale Weiblichkeitsvorstellungen reproduziert.Ein wenig anders verhält es sich mit den Studentinnen, die im Jahr 1969 das legendäre Busenattentat auf Theodor W. Adorno verübten. Der berühmte Philosoph soll über den Anblick der Brüste in Tränen ausgebrochen sein. Der Busen als Attentäter, das ist eine gänzlich neue Geschichte.Nicht weniger interessant sind Reiseberichte des 19. Jahrhunderts, die Wundersames über laktierende Männer zu berichten wissen. Der Mann, der Milch fließen lässt, verkörpert in solchen Reiseberichten eine Kultur des Unmännlichen, in der die Männer zu Frauen werden (eben ganz im Gegensatz zum „Abendland“, wo die Geschlechterverhältnisse im Lot sind).„Echte“, gute, weibliche BrustGerade die anatomische Ähnlichkeit zwischen männlicher und weiblicher Brust macht es nötig, zu definieren, wie eine „echte“, gute, weibliche Brust auszusehen hat. Sie muss in zwei Richtungen abgegrenzt werden: von der Männerbrust, die flach und breit ist, und von der nicht-weißen Brust. Die angeblich riesigen Brüste afrikanischer Frauen, dargestellt in zahlreichen rassistischen Körperklassifizierungen des 19. und 20. Jahrhunderts, stehen für die Abwesenheit von weißer Sittlichkeit, sie sind natürlicher Exzess, aber – so lässt sich von der Art der Darstellung ableiten – ebenso Gegenstand (sic!) von Faszination und erotischer Fantasie. Tatsächlich wäre an dieser Stelle der Blick auf die Gegenwart interessant gewesen. Etwa die Art und Weise, wie schwarze Rapperinnen (beispielsweise Cardi B und Nicki Minaj) sich selbst fetischisieren. Kann man das als Befreiung lesen? Als radikale Freiheit in der Aneignung des Blickes der anderen? Überhaupt fehlt bei Zimmermann der Blick auf die Bildwelten der jüngsten Gegenwart, die Filter-Technologien der Social-Media-Welten etwa, die ganz neue Möglichkeiten der Busenmanipulation bieten. Dafür gibt es jedoch einen Blick in die Geschichte der plastischen Chirurgie. Mit Erstaunen liest man bei Zimmermann, dass die erste Brustverkleinerung bereits 1897 stattfand. Tatsächlich bleiben Brustverkleinerungen zu Beginn der plastischen Chirurgie der Standard.Apropos gefällig. Es heißt ja, man solle ein Buch nicht nach seinem Cover beurteilen. Aber in diesem Falle sticht doch ins Auge, wie sehr das Cover hinter dem Inhalt des Buches zurückfällt. Gezeigt wird der Torso einer jungen Frau, die Brüste sind straff und fest. Der Körper ist mit einem Ornament überzogen, das wie das Ergebnis einer Projektion anmutet. Die Hand, die auf Höhe des Schambereichs liegt, ist ebenso abgeschnitten wie der Kopf (an dessen Stelle der Name der Autorin auftaucht), wobei der Kopf selbst ohne diese Bildbeschneidung unsichtbar wäre, da er im Schatten liegt. Das Bild reproduziert all das, was Zimmermann für den Busen konstatiert, sogar in der Körperhaltung ist noch die klassische Venus pudica lesbar. Ob dieses Bild nun aber als Synopsis des Inhalts lesbar ist oder eher als Beleg dafür, dass Sex (i. e. weibliche, weiße Brust) verkauft, muss der Leserin überlassen bleiben.Placeholder infobox-1