Busse in der Kulisse

Symbole Auf dem Neumarkt mahnt ein Kunstwerk gegen Krieg und Zerstörung, und eine Menschenkette teilt die Stadt. Dresden am 13. Februar 2017
Ausgabe 07/2017
Manaf Halbounis Installation „Monument“ auf dem Dresdner Neumarkt
Manaf Halbounis Installation „Monument“ auf dem Dresdner Neumarkt

Foto: epd/Imago

Auf die magische Formel „Dresden = Aleppo“ wurde dieses Jahr das Gedenken an die Bombennacht vom 13. Februar 1945 gebracht. Doch je öfter man dem Gleichnis in den vergangenen Tagen begegnete, desto mehr schien es zu hinken. Zwar teilen Dresden und Aleppo das Schicksal der Zerstörung: Beide sind zu Chiffren für die totale Vernichtung geworden. Die Aleppo-Dresden-Connection gliedert sich damit ein in die Reihe anderer Städte von Coventry bis Guernica. Nicht zufällig sandte das Friedensforschungszentrum in Guernica eine mahnende Grußbotschaft an Dresden. Man teile schließlich die „kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit“. Aber ist das wirklich so?

Richtig ist und bleibt, dass Dresden an der Vergangenheit leidet und nicht aufhören will oder kann, den Bombenangriff zum Dreh- und Angelpunkt der Stadtgeschichte zu machen. All die sinnlosen Opfer. Die schöne Stadt, vernichtet. Elbflorenz verwandelt in eine Ruinenstadt im Osten. Wie Aleppo eben. Nur ist Aleppo das Opfer eines grausamen, nicht enden wollenden Bürger- und Stellvertreterkriegs, Guernica und Coventry wurden Opfer faschistischer Flächenbombardements. Und Dresden? Die Frage der „Rechtmäßigkeit“ der Bombardierung erhitzt auch 72 Jahre später die Gemüter – vor allem die rechten.

In diesem Jahr bringt sie nun zusätzlich Manaf Halbounis Installation Monument auf: drei hoch aufragende Busse auf dem Dresdner Neumarkt, die einer Barrikade aus der Stadt Aleppo nachempfunden sind. Am symbolträchtigen Ort – dem Ort des Wiederaufbaus – sollen sie ein Monument des Friedens sein und an den Krieg erinnern, vor dem keiner die Augen verschließen soll. Nur unterläuft das Monument in mehrerlei Hinsicht diese Intention des Künstlers – übrigens nicht zum Schaden der Aussagekraft der Installation. Denn wenn der Neumarkt in Dresden eines ist, dann die Übertünchung der Wunden der Geschichte. Die Frauenkirche ist ein Monument für einen Wiederaufbau, dessen Ziel die Ausmerzung von Geschichte ist.

Wenn heute gesagt wird, die Frauenkirche stünde symbolisch für die Zerstörung, für Krieg und Versöhnung, dann muss man einwenden: Sie steht symbolisch vor allem für den Wunsch vieler Dresdner nach der Verdrängung des Geschehenen. Als riesiges Trümmerfeld, unfertiges 3-D-Puzzle der Maximalzerstörung lagerten ihre Knochen und Eingeweide jahrzehntelang auf dem Neustädter Markt, dem Stelenfeld des Holocaust-Mahnmals gar nicht so unähnlich. Nun aber steht sie da, in all ihrer Kitschpracht, und rund um den Neumarkt folgte ein Original-Ensemble-Baustein dem anderen. Die Stadt rief: „Wollt ihr die totale Restauration?“ Und die Dresdner schrien: „Ja!“, denn mit jedem scheinbar originalgetreuen Neubau-Nachbau nähert sich die Stadt ihrem (zumindest imaginierten) Vorkriegszustand. Weg die Schrecken des Krieges, weg die Schuldfrage.

Alles relativ entspannt?

Eine Busbarrikade aus einem Kriegsgebiet stört natürlich die Kulisse. Manaf Halbouni gibt sich betont lässig, was die Stimmung gegen sein Werk angeht. Kunst bedeute nun einmal, dass man sich Kritik aussetze. Nur die Sache mit der Fahne, die ärgert ihn selbst. Kurz nach der Eröffnung der Installation tauchte ein Bild auf, das die Fahne einer in Deutschland als Terrororganisation eingestuften Rebellengruppe auf den Bussen zeigte. Halbouni hatte die Busbarrikade zuerst auf einer Fotografie im Guardian gesehen. Dann zeigten ihm auch Freunde das Bild. Alle diese Versionen waren beschnitten. Was fehlte, war die aufgepflanzte Fahne der islamistischen Rebellengruppe Ahrar al-Scham. Was auf den ersten Blick wie der Versuch des Schutzes der Zivilbevölkerung vor Heckenschützen aussieht, könnte also auch eine Maßnahme einer Kriegspartei sein. Oder ist beides wahr?

Halbouni verweist auf Recherchen der Sächsischen Zeitung und der Bild-Zeitung: „Ihnen zufolge wurden die Busse nicht von der Rebellengruppe aufgebaut. Im Laufe des Krieges haben unterschiedliche Einheiten die Kontrolle über das Gebiet übernommen.“ Eher unfreiwillig ist die Installation nun auch ein Monument für die Komplexität der Kriegssituation in Syrien. Für Manaf Halbouni ist sie aber vor allem ein Symbol für das Leben, das irgendwie weitergeht, auch unter schwersten Bedingungen. Ein Bild der Hoffnung. „Egal, welches Bild man von dieser Straße sieht, es ist immer ein relativ intaktes Straßenleben zu sehen. Es geht um das zivile Leben.“

Bei der Eröffnung der Installation war Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert Anfang Februar ausgebuht und als „Volksverräter“ beschimpft worden. Er erhielt Morddrohungen und wurde unter Polizeischutz gestellt. Hat Halbouni Ähnliches erlebt? „Ich habe in den letzten Tagen eine Reihe von Mails erhalten, darunter waren böse und nette“, sagt er lapidar. Alles relativ entspannt also? Am 13. Februar möchte er sich jedenfalls nicht in der Nähe der Installation mit mir treffen.

Gegen 17.15 Uhr eröffnet Hilbert die zentrale Gedenkveranstaltung rund um die Menschenkette am Neumarkt. Auf der Bühne, die vor den drei Bussen der Installation aufgebaut wurde, stehen Repräsentanten der Stadt und des Landes, darunter Ministerpräsident Stanislaw Tillich und Eva Jähnigen von den Grünen. Hilbert hält eine Rede, die an die Schrecken der Nächte vor 72 Jahren erinnert und mahnt Mitmenschlichkeit an. Es ist eine Standardrede für Gedenktage, womöglich kann man sie in den Rathäusern der Republik aus Automaten ziehen. Hilbert wirkt kraftlos, mitgenommen. Die überschaubare Menge spendet verhaltenen Applaus nach einer peinlichen, zu langen Pause am Ende seiner Rede.

Dann tritt der Rektor der Technischen Universität Dresden, Hans Müller-Steinhagen, ans Mikro, er hat die Menschenkette offiziell angemeldet. Müller-Steinhagen verliert nur wenige Worte, aber er spricht Hilbert Mut zu und verurteilt die Angriffe auf den Oberbürgermeister aufs Schärfste. So etwas sei in einer demokratischen Gesellschaft nicht zu dulden, das sei nicht im Sinne der Dresdner. Nun brandet Beifall auf. Als gäbe es keine Zeit zu verlieren, geht Müller-Steinhagen direkt zur Organisation der Menschenkette über. Man begreift schnell, dass es eine Herausforderung ist, 12.000 Menschen auf vier Kilometern so zu verteilen, dass sie händchenhaltend einen Kreis um die Innenstadt bilden. Menschen tragen Smartphones vor sich her, auf der Suche nach der richtigen Stelle in der Kette oder Freunden, vielleicht spielen sie auch Pokémon Go.

Ich will den Neumarkt schon verlassen, da sehe ich eine kleine Gruppe von Männern am Rand des umzäunten Bereichs stehen. Sie halten ein Schild hoch, darauf steht: „Dresden = Unsere Stadt; Politiker = Fern der Realität leben“. Da Plakate und Banner auf dem Neumarkt nicht gestattet sind, müssen sie abseits stehen. Ich verweile für einen Moment. Sie reden miteinander, mit schweren Zungen und leichtem Lallen; es ist kalt, man muss sich von innen her aufwärmen. Der Geruch von billigem Fusel liegt in der Luft. Sollte man ein fieses Klischee vom gemeinen Pegida-Fußgänger im Kopf haben, dann bestätigen die Männer es auf fast traurige Weise. Einer von ihnen sagt mit zähem sächsischen Dialekt, dass man doch von einer Diktatur in die nächste gewechselt sei. Aber selbst hier, am Rand, bestätigt sich das Bild, das man auch an den vergangenen Tagen haben konnte: Die Lage in der Innenstadt bleibt ruhig. Ich beschließe, zur Augustusbrücke zu laufen.

Es ist nun so kalt, dass meine Fingerspitzen blau gefroren sind, ich möchte am liebsten auch jemanden an die Hand nehmen. Auf der Augustusbrücke angekommen, schaue ich nach links, in Richtung meines Stadtteils Pieschen, ein ehemaliges Arbeiterviertel, das sich mitten im Prozess der Gentrifizierung befindet. Ich schaue nach rechts, in Richtung der Altstadt. Ganz ungewollt, denke ich, teilt die Menschenkette die Stadt. Es ist, als schirmten die Menschen den einen Teil der Stadt von dem anderen ab. Passend dazu wenden einige der Händchenhaltenden ihren Blick gen Innenstadt, in Richtung der Randbezirke. Ich sehe, wie sich manche uneinig sind. Welche Richtung ist die richtige? Ich weiß es auch nicht, ich weiß nur, dass das Symbol mir nicht schlüssig erscheint, weil die Kette den größten Teil der Stadt ausschließt. So steht sie symbolisch für die Teilung zwischen den Engagierten und den Unbeteiligten, zwischen den Hetzern und den Herzen, zwischen rechts und links, zwischen Zentrum und Peripherie.

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Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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