DDR-Kunst ist eine sperrige Angelegenheit, jedenfalls könnte man das meinen, wenn man die kunsthistorischen Debatten betrachtet, die mit beinahe atomuhrpünktlicher Regelmäßigkeit in den Feuilletons aufkommen. Vergangenes Jahr erst war es im Rahmen des „sächsischen Bilderstreits“ zu einem medial ausgetragenen „High-Noon-Showdown“ (FAZ) gekommen. Der Dresdner Kunstwissenschaftler Paul Kaiser hatte die Direktorin des Dresdner Albertinums Hilke Wagner öffentlich kritisiert und ihr vorgeworfen, sie habe die DDR-Kunst kurzerhand ins Depot verbannt. Das hänge auch, so Kaiser, mit „kolonialen Attitüden“ vieler westdeutscher Kuratoren zusammen, zu denen auch Wagner gehört.
DDR-Kunst bleibt ein Stein des Anstoßes. F
es Anstoßes. Für die einen, vor allem Bürger der DDR, bedeutet ihr Fehlen in Museen einen kulturellen Verlust. Für die anderen mag die Kunst der DDR mit deren Verschwinden obsolet geworden sein. Im Stillen, fernab von den Kunstmetropolen, überrascht nun das Kunstmuseum Moritzburg in Halle mit einer neu eröffneten Ausstellung. Wege der Moderne. Kunst in der SBZ/DDR 1945 bis 1990, so der Titel der Ausstellung, weist einen Weg in einen erstaunlich unverkrampften Umgang mit den Werken von DDR-Künstlern. Die gerade eröffnete Dauerausstellung versammelt Malerei, Bildhauerei und Kunsthandwerk. Gerade auch in Reflektion der Geschichte des eigenen Hauses, das 1885 als Museum für Kunst und Kunstgewerbe gegründet wurde, trennt man hier nicht zwischen bildender Kunst und Kunsthandwerk. Das Kunsthandwerk wird in Schauvitrinen inmitten der Werke bildender Kunst präsentiert und kann auf diese Art in Dialog mit ihnen treten. Zusammengefasst wird, was zeitlich zusammenfällt – was die üblichen Museumstaxonomien durchaus sprengt. Die Methode ist vielleicht vergleichbar mit Michel Foucaults „Archäologie“, die unterschiedliche Wissensdisziplinen zu einem historischen Zeitpunkt in den Blick nimmt und dabei Bezüge aufdeckt, die bei genealogischer Forschung in den Grenzen eines Feldes verschlossen bleiben.Kein Ort für OstalgieDas Museum macht dabei zur Stärke, was man zunächst ja als Schwäche begreifen könnte: Eine deutsch-deutsche Kunstgeschichte kann an diesem Ort nicht erzählt werden. Die Sammlung besitzt, historisch bedingt, kaum Werke westdeutscher Künstler. Nicht den Versuch zu unternehmen, durch Dauerleihgaben eine gesamtdeutsche Perspektive auf die Jahre zwischen 1945 und 1990 zu eröffnen, sondern sich zu beschränken, erweist sich jedoch als echter Gewinn. So stellt sich die Kunst der DDR in ihrer Vielfalt und ihren Widersprüchen dar.Die Neuordnung der Dauerausstellung in Halle ist nicht etwa eine Reaktion auf den sächsischen Bilderstreit, sie war schon zuvor beschlossene Sache. Und erhält nun eine besondere Relevanz. Ausgerechnet das „kleine“ Halle zeigt Leipzig, Chemnitz und Potsdam, den ostdeutschen Städten mit weit umfangreicheren Sammlungen, wie ein möglicher Umgang mit DDR-Kunst aussehen könnte. Bis die anderen Museen Konzepte und Ausstellungen erarbeiten, hat Halle ein echtes Alleinstellungsmerkmal, ein Aspekt, auf den Direktor Thomas Bauer-Friedrich sehr stolz ist.Er sieht die Ausstellung auch als Bestandteil der Diskussion um ostdeutsche Identität, die positiv begründet werden könnte. Das sei auch vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Diskussionen und Verwerfungen von zentraler Bedeutung, meint er. Werke und Künstler reflektieren Zeitgeschichte, politische Verwerfungen und DDR-Alltag. Ein Mitropa-Kännchen in der Schauvitrine entlockt vielleicht ein Schmunzeln; zugleich kommt in diesem Kontext kein Gefühl der Ostalgie auf. Sichtbar wird in jedem Fall, dass die Kategorie „DDR-Kunst“ nur eine sehr grobe Klammer bildet. Visuell repräsentiert wird diese Klammer auch durch zwei Plastiken im Vorraum zur Ausstellung: Symbolisch öffnet sich ein Raum zwischen Wolfgang Mattheuers Jahrhundertschritt, der berühmten Bronzeplastik aus dem Jahre 1984, und Stocksteif und Wolkenblau: Eine hallesche Figuration von Klaus Völker, die aus Tomatenstöckchen und Zeitungspapier besteht..Gemein haben die gezeigten Künstler oft nur ihre Verortung in einer Zeit-Zone. In der Ausstellung jedenfalls wird sichtbar, dass alle Arbeiten mit der Kunstgeschichte, und zwar nicht nur der deutsch-deutschen, verwoben sind. Alte Meister stellen genauso Bezugspunkte dar, wie (damals) zeitgenössische internationale Kunstströmungen. Dass die Ausstellung solche kunsthistorischen Bezüge vermittelt, statt das Narrativ von Repression und Widerstand zu wiederholen, wirkt dabei sehr befreiend, obgleich nicht ausgeblendet wird, dass das System Künstler in ihrer Arbeit behinderte oder gar ausbürgerte. Die Schau geht damit einen anderen Weg als etwa Hinter der Maske. Künstler in der DDR im Potsdamer Museum Barbarini. Diese Ausstellung, für die das Kunstmuseum Moritzburg zahlreiche Leihgaben zur Verfügung stellte, fokussierte vor allem auf Akte des Widerstands gegen staatliche Repression. In Halle hingegen glückt die Gratwanderung, den politischen Hintergrund als Folie zugleich sichtbar und unsichtbar zu machen.Die Reaktionen des Publikums seien sehr positiv, sagt Direktor Bauer-Friedrich. Und das gelte nicht nur für ostdeutsche Besucher. Auch viele Westdeutsche seien positiv überrascht, was wohl auch damit zusammenhänge, dass ihr Bild von „DDR-Kunst“ hier revidiert werde. Wer zahlreiche Werke des Sozialistischen Realismus erwartet, wird enttäuscht. Stattdessen gibt es unter anderem Pop-Art von Willy Wolff und Konkrete Kunst von Karl-Heinz Adler zu sehen. Dabei schwingt stets mit, dass einige Künstler über weite Strecken der DDR-Geschichte vom offiziellen Kunstbetrieb der DDR nicht gewürdigt wurden. Aufschlussreich sind hier die Details der Informationen zu den Bildern: Nicht nur deren Entstehungsjahr ist vermerkt, sondern auch das Jahr des Erwerbs. Bei den großen Vier des DDR-Kunstbetriebs – Willi Sitte, Werner Tübke, Wolfgang Mattheuer und Willi Neubert – fallen Entstehungs- und Erwerbungsjahr meist dicht zusammen. Bei Künstlern wie A. R. Penck konnten Werke dagegen erst in den letzten Jahren angekauft werden. Interessant auch, dass einige Werke zeitnah angekauft wurden, dann jedoch für viele Jahre ins Depot wanderten, weil sie den offiziellen DDR-Vorgaben zur Kunst nicht entsprachen.Glücklicherweise werden alle Werke in der Schau gleichberechtigt nebeneinander gezeigt – die Ausstellung trennt also nicht visuell zwischen „staatstragenden“ und „staatsfernen“ Künstlern. Und sie eröffnet auch keine antagonistische Sichtweise. Vielleicht repräsentiert sie in dieser Form eine Perspektive, wie sie sich der Kunsthistoriker Paul Kaiser, der quasi-mephistophelische Streitauslöser, eigentlich wünscht. Es gehe ihm um eine Abkehr von der „Polarisierung zwischen einer staatsaffirmativen und einer staatskritischen Kunst“, sagte er in einer Rede Anfang Dezember. Vielmehr wolle er den Blick auf ein Phänomen lenken, das er als „Landschaft der Mitte“ bezeichnet, in der „als singulärer Nebenweg der Moderne eine unverwechselbare Kunst entstand, die eben nicht ausschließlich mit politischen oder moralischen Kategorien beschreibbar und schon gar nicht mit den Normativen des Sozialistischen Realismus in Übereinstimmung zu bringen ist.“ Kaiser will diese Kunst als „Nachkriegskunst ostdeutscher Prägung“ verstanden wissen. Es gehe ihm „um die Leistungen dreier Generationen ostdeutscher Künstler der Geburtsjahrgänge 1920 bis 1960 und deren Beitrag zur gesamtdeutschen Kunstgeschichte.“Entkrampft euch!Letztlich erscheint die Ausstellung in Halle wie eine Antwort auf diesen Appell. Ihr gelingt die besondere Balance, das Publikum möglichst unvoreingenommen unterschiedlichste Werke betrachten zu lassen und diese zugleich politisch und sozial einzuordnen. Ganz ohne eine solche Einordnung gehe es nicht, meint Thomas Bauer-Friedrich, zumindest gelte das für eine „stehende“ Ausstellung wie diese. Schließlich sei das Museum immer auch ein Ort für Wissensvermittlung. Und trotzdem ist die Ausstellung nicht pädagogisch belehrend. Ob ein Grund für den bisweilen problematischen Umgang mit DDR-Kunst vielleicht auch darin besteht, dass oftmals westdeutsche Kuratoren und Direktoren die Sammlungen und Ausstellungen prägen? Diesen Aspekt dürfe man nicht überschätzen, meint Bauer-Friedrich, ein gebürtiger Dessauer, der in Leipzig Kunstgeschichte studiert hat. Zum einen sei ein frischer Blick auf die Sammlungen von außerhalb oft sogar hilfreich. Zum anderen gebe es ohnehin eine Generation junger Kuratoren und Direktoren, die zwar in der DDR geboren wurden, deren prägende Erfahrungen jedoch in die Zeit nach dem Ende der DDR fallen.Alles gut also im Streit um die DDR-Kunst? Man darf gespannt sein, wie die Kunstöffentlichkeit auf die Ausstellung in Halle reagiert. In jedem Fall weist sie den Weg in einen unverkrampften Umgang mit den Arbeiten von drei Generationen von Künstlern in Ostdeutschland.Placeholder infobox-1
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