Dorothy ist Bestatterin, aus Leidenschaft, könnte man sagen, und sie und ihr Kollege Archie liefern soeben einen Sarg am Friedhof ab, da passiert das Unglaubliche: Ein Polizeiwagen verfolgt einen Wagen bis auf das Gelände des Friedhofs, der Flüchtige verunfallt und verstirbt noch an Ort und Stelle. Kurze Wege, würde der Zyniker sagen. Der einzige Überlebende im Auto ist ein einäugiger Hund, dessen sich Dorothy annimmt.
Auch das Schicksal des jungen Mannes am Steuer lässt sie nicht los, weswegen sie sich auf die Suche nach der Identität des Toten begibt. Dorothy ist nämlich nicht nur Bestatterin, sondern auch Privatdetektivin. Eine praktische Mischung, denn die Leichen, die auf der Bestatterinnen-Wanne landen, bergen bisweilen Geheimnisse, denen d
e, denen die jung gebliebene Frau in ihren 70ern nachgehen kann. Wenn Dorothy keine Leute beschattet oder bestattet, gibt sie Schlagzeugunterricht. Leider verschwindet ihre liebste Schlagzeugschülerin ebenso plötzlich, wie der junge Mann auf dem Friedhof auftaucht.Das ist die turbulente Exposition von Doug Johnstones Kriminalroman Eingefroren, dem zweiten Roman um seine matriarchale Dreifaltigkeit, denn Dorothy ist nicht allein. Ihre Tochter Jenny und ihre Enkelin Hannah stehen ihr bei den Ermittlungen bei. Im ersten Teil der Krimireihe, Eingeäschert, hatten die drei den Mordfall an Hannahs schwangerer Freundin zu klären und obendrein Dorothys verstorbenen Ehemann, wenn schon nicht unter die Erde zu bringen, so doch in alle Winde zu verstreuen. Zum großen Entsetzen aller stellte sich Hannahs Vater als der Mörder heraus, der daraufhin versuchte, auch ihre Mutter und Großmutter zu ermorden. Nun müssen sie sich erneut mit Hannahs Vater herumschlagen, buchstäblich.Jede der drei Frauen muss sich ohnehin multiplen Problemen und Krisen widmen – man kennt das aus der Wirklichkeit. Summa summarum ist das viel Plot, aber Johnstone lässt sich Zeit bei der Entfaltung der Neben- und Nebennebenstränge. Dorothy geht zwei Fällen gleichzeitig nach, während Jenny bei der Überwindung der Vergangenheit mit ihrem Ex-Mann ins Straucheln gerät.Hannah hat eine Geliebte, muss sich psychiatrisch behandeln lassen und unterhält sich gerne über Quantenphysik und den Tod des Universums, vielleicht in Form eines „big chills“ (dem Kältetod). Kaum zu glauben, aber wahr: Ihre Katze heißt Schrödinger, und das Gedankenexperiment um die Katze, die tot und nicht tot ist, liefert dem Roman ein wiederkehrendes Motiv (Johnstone übrigens hat Physik studiert). Gibt es Quantenselbstmord? Vielleicht ja, vielleicht nein, aber schon bald wird sich ein äußerst seltsamer Selbstmord ereignen.Die Todesart dürfte eingefleischte Agatha-Christie-Leser aufhorchen lassen: Ein Mann hat sich mit Zyanid das Leben genommen. Zyanid war Christies Lieblingsgift – freilich nur in ihren Büchern. Es taugt für groteske Todesszenen. Übrigens heißt es im Text einmal, man sei hier doch nicht in Christies Poirot. Das nicht, dafür knüpft Dorothy an die Figur der Miss Marplean. Deren Stärke ist bekanntermaßen, dass jedermann sie unterschätzt. Man hält sie eben nur für ein altes Klatschweib. Dorothy ist etwas cooler als Marple, sie hört auch schon mal My Chemical Romance, aber das Prinzip bleibt dasselbe.Während sich Krimifans an „hard-boiled detectives“ – geschiedenen Gelegenheitstrinkern bis Schwerstalkoholikern – einigermaßen sattgelesen haben dürften, ist Johnstones Ermittlerinnen-Trio sehr frisch und sehr anders. Ein wenig mehr individuelle Charakterisierung hätten die drei Damen durchaus erfahren dürfen. Vor allem sprachlich kann man die drei Generationen kaum unterscheiden, was insbesondere bei Hannah, der Angehörigen der Gen Z, sehr überrascht.Archie denkt, er sei totDer Roman profitiert allerdings davon, dass er in Edinburgh spielt, dieser Stadt, die wie aus der Schauerromantik entstiegen scheint mit ihren rußgeschwärzten georgianischen Häusern. Das Drogenmilieu, dem der mysteriöse Tote vom Friedhof angehörte, kennt man aus Irvine Welshs Kultroman Trainspotting. Auch er wird als intertextuelle Referenz im Text erwähnt – der Roman ist sich seiner selbst also sehr bewusst. Das Figurenensemble liefert weitere morbide Details: Dorothys Bestatterkollege Archie denkt, er selbst sei bereits tot. Er leidet am Cotard-Syndrom, im Englischen auch das Walking Corpse Syndrome genannt.Johnstones Krimi ist ein Schmöker, mit dem man reichlich unterhaltsame Lesezeit verbringen kann, den man allerdings zwischendurch nicht allzu lange aus der Hand legen sollte – sonst könnte einem die Erinnerung an die vielen Handlungsstränge und Figuren schnell entgleiten. Er ist weder ein Whodunit noch ein Whydunit. Es stellt sich eher die Frage: What ever happened? Um das herauszufinden, muss der Leser Johnstone über vierhundert Seiten und durch verhedderte Erzählstränge folgen.Dass der Krimi dauerhaft die „suspension of disbelief“ herausfordert (wie viele Mordfälle können realistischerweise in einem engen Kreis von Menschen innerhalb kürzester Zeit auftreten?), hat er mit den bereits erwähnten Agatha-Christie-Romanen gemein: Auch in Miss Marples St Mary Mead gab es erstaunlich viele Tote. Am Ende begreift man, dass Johnstone die Erwartung an den Krimi schlichtweg bricht. Es geht nicht um die Lösung der Fälle, sondern um die tragische Erkenntnis, dass alle Familien Leichen im Keller liegen haben.Placeholder infobox-1