Man mag sich vieles vorstellen unter einem Buch, dessen Untertitel Feministin werden lautet. Vielleicht eine praktische Anleitung – oder ein Manifest, das zu feministischem Handeln anleitet. Aber ein Buch wie Im Wir und Jetzt der britisch-indischen Schriftstellerin Priya Basil erwartet man eher nicht. Es ist ein vorsichtig forschendes Buch. Eines, das Fragen stellt, statt Antworten und Imperative zu liefern. Basils Buch sticht aus der Masse der gegenwärtigen Veröffentlichungen zum Thema Feminismus heraus, weil es weniger kämpferisch als vielmehr zärtlich tastend ist. Das klingt nun nach einer reichlich seltsamen Beschreibung für ein Buch. Aber genau so liest es sich.
Mal nimmt Basil ihre eigene Familie, Mutter und Großmutter, in den Blick, mal wendet sie ihren Blick auf ein namenloses Du. Es adressiert ein Gegenüber, die Leser, aber in Teilen auch die Autorin selbst. Basil stellt dem Du unzählige Fragen; diese Fragen sind wie ein Schuh, den man sich anziehen kann oder nicht. Ruckedigu, manchmal ist Blut im Schuh, wenn die Fragen ins Schwarze treffen: „Ist es feministisch, von Männern zu verlangen, mehr Gefühle zu zeigen, es dann aber nicht zu mögen, wenn dein Mann Traurigkeit, Schmerz oder selbst Wut so ausdrückt, wie du es selbst machst – mit Weinen? (…) Ist es feministisch, Unabhängigkeit und finanzielle Selbstständigkeit herbeizusehnen, sich aber auch Schutz zu wünschen, finanzielle Unterstützung, einen Partner, der mehr verdient als du und der alle Rechnungen bezahlt?“ Basil bekennt, dass sie nur deshalb ihren Job in einer Werbeagentur fürs Schreiben aufgeben konnte, weil ihr Mann sie finanziell unterstützte. Auch Feminismus ist nicht frei von Widersprüchen.
Fragen von Nähe und Macht
Gerade in der Erzählung über Mutter (die namenlos bleibt) und Großmutter Mumji kristallisiert sich heraus, dass jedes weibliche Nachdenken über Feminismus immer auch die eigenen Mütter und Großmütter einbezieht. Im Falle von Mutter und Großmutter wird deutlich, dass es keine Solidarität, keine Nähe, ja nicht einmal eine gemeinsame Sprache gibt. Die Großmutter ist laut und präsent, die Mutter schüchtern und zurückgezogen. Die Mutter erträgt die Nähe der Großmutter nicht.
Subtil entwickelt Basil ein wichtiges Motiv für den Text: Solidarität bedeutet Nähe, Berührung. Es geht um Kommunikation, Empathievermögen. Aber was lernen wir für den Feminismus, wenn die Solidarität schon unter Familienangehörigen nicht gelingen kann, wenn Missgunst oder Sprachlosigkeit alle solidarischen Bande kappt?
Basil entwirft ein alternatives Wir, das die familiären Verstrickungen beiseiteschiebt. Gemeinsam mit 38 anderen Frauen arbeitete sie an einer Ausgabe des Magazins Vogue, die im Januar 2020 erschien. Beteiligt waren unter anderem Annika Reich und Monika Rinck. Im Kontext der Reflexion der Arbeit an der Vogue-Ausgabe kann Basil zahlreiche vermeintliche oder echte feministische Widersprüche aufs Tableau heben: Kann die Arbeit in einem Modemagazin, obgleich von 39 Autorinnen, Künstlerinnen, Intellektuellen getragen, jemals eine radikale feministische Praxis sein? Wie verhält es sich mit feministischer Kapitalismuskritik in diesem Umfeld von Luxus? Wie kommen die Frauen vor der Kamera damit zurecht, dass die Frauen hinter der Kamera – die Stylistinnen und Friseurinnen – kein Honorar für ihre Arbeit erhalten? Kann in einer Zeitschrift, die Luxusgüter vermarktet und genau ein Bild von weiblicher Schönheit generiert, irgendetwas Subversives geschehen?
Basil beschreibt aber auch, dass es um mehr als ein Zeitschriftenprojekt geht. Was entstand, war ein komplexes kooperatives Netzwerk, das sich auf Freundschaften und berufliche Verbindungen stützte. Man arbeitete gemeinschaftlich an Visionen, an einem potenziellen „Wir und Jetzt“. Sie nennt die Beziehung der Frauen untereinander „akrobatisch“ – wagemutig und zugleich von großem Vertrauen in die anderen geprägt.
Im Text avanciert die vermeintliche Beschreibung des Fotoshootings für das Cover zu einem imaginären Dialog zwischen den Beteiligten. Die Stimmen der Co-Autorinnen werden überblendet mit Zitaten von Autorinnen wie Judith Butler oder Hannah Arendt, immer wieder geht es um Fragen von Nähe, Macht und des Blicks auf das weibliche Geschlecht. Welch besseres Bild gibt es für den verzerrten Blick auf die Frau, als ein Fotoshooting, in dem der Blick jeder Frau auf sich selbst und die andere wiederum mehrfach durch Kameras gespiegelt und gebrochen wird?
Mehr und mehr begreift man den gesamten Text als ein Fortschreiben eines allgemeinen Gesprächs über den Feminismus. Über seine Widersprüche, die vielfältigen Positionen. „Trotz all seiner Widersprüche und Grenzen hat mir der Feminismus die Möglichkeit einer anderen Art von Kollektiv eröffnet.“ Ein Kollektiv, in dem die partikularen Interessenunterschiede durchaus nicht ausgeblendet werden, in dem es kein naives weibliches „Wir“ gibt, in dem die vermeintlich einfache, universelle Kategorie „Frau“ durch Multiperspektivität und Multivokalität repräsentiert wird. Das Thema der zahlreichen Stimmen erinnert nicht zufällig an Bernardine Evaristos Roman Mädchen, Frau etc., (der Freitag 3/21), wird hier aber mit anderen Mitteln durchgespielt. „Wie sähe ich ohne eure Stimmen aus? Wie fühlte ich mich ohne eure Perspektiven, ohne in sie eintauchen zu können? Wie weit könnte ich meine Gedankenspiele spinnen ohne die Fasern der euren?“
Zeitgenössischer Feminismus ist vor allem das: die Erkenntnis, dass es innerhalb der Bewegung Stimmen und Gegenstimmen, Meinungen und Abwägungen gibt. Ein Ich und Du im Wir.
Info
Im Wir und Jetzt. Feministin werden Priya Basil Beatrice Faßbender (Übers.), Suhrkamp Verlag 2021, 175 S., 14 €
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