Sichtbar zu machen, was in der deutschen Kunstgeschichte verdrängt wurde, ist das große Thema der ostdeutschen Kunstmuseen der letzten Jahre. Nun widmet sich das Museum der bildenden Künste (MdbK) in Leipzig einem weiteren verdrängten Kapitel. Jenen ausländischen Künstlern nämlich, die in den 70er und 80er Jahren in der DDR studierten und zum Teil bis heute in Deutschland leben. Re-Connect. Kunst und Kampf im Bruderland zeigt die Arbeiten von César Olhagaray (*1951, Chile), Getachew Yossef Hagoss (*1957, Äthiopien), Michael Touma (*1956, Israel), Mona Ragy Enayat (*1964, Ägypten), Rimer Cardillo (*1944, Uruguay), Solomon Wija (*1958, Äthiopien), Teresa Casanueva (*1963, Kuba) und Semir Alschausky (*1962, DDR)
Großformatige Abstrakt
;formatige Abstraktionen stehen neben figürlicher Malerei, Malerei neben Collagen und Grafik. Getachew Yossef Hagoss beispielsweise zeigt in seinem Gemälde Das Sklavenschiff eine Figurine, die an eine Beninbronze erinnert und auf einem mit Kriegern bemannten Boot steht; stilistisch ist die Arbeit fest verankert in der Maltradition der Leipziger Schule. Teresa Casanuevas neuere Arbeit Aus der Ebene in die Gerade verweist dagegen auf Bauhaus-Tradition und Klassische Moderne und zeigt Architektur im (symbolisch) luftleeren Raum.In der Überblicksschau „Point of no Return“ fehlten 2019 nicht-deutsche KünstlerDie Künstler eint, dass sie zum Studium in die DDR kamen. Teil der offiziellen Kulturpolitik der DDR war es, die Fortschrittlichkeit des sozialistischen Systems im Ausland zu demonstrieren. Ausländische Studierende einzuladen, schien ein probates Mittel, über den sanften Umweg der Kulturpolitik wirtschaftspolitische Kontakte zu knüpfen. Verfolgte, wie César Olhagaray, der vor der Pinochet-Diktatur in Chile fliehen musste, profitierten von der Aufnahmepolitik; und für viele Studenten aus afrikanischen Ländern versprach das Leben in der DDR im Vergleich zur Heimat größere Freiheiten. Zur selben Zeit warb die DDR im großen Stil Vertragsarbeiter im Ausland an. Frauen und Männer aus Mosambik oder Vietnam schufteten in DDR-Fabriken. Im Vergleich zu den Studierenden an den Kunsthochschulen war ihr Alltag durch die Beschneidung grundlegender Freiheiten geprägt. So versuchte die DDR, das Leben der Vertragsarbeiter bis in die sexuellen Beziehungen hinein zu reglementieren. Diese unterschiedlichen Schicksale will die Ausstellung kontrastieren.Fraglos ist der strukturelle Rassismus der DDR ein wichtiges Thema. Aber die kunsthistorische Einordnung tritt durch diesen Ansatz in den Hintergrund. So wäre gerade angesichts der 2019 im MdbK gezeigten Ausstellung Point of no Return, die einen Überblick über die künstlerische Produktion der DDR vermittelte, die Verortung der eingewanderten Künstler innerhalb dieser Kunstgeschichte interessant gewesen.Die Ausstellung Re-Connect versteht sich durchaus als Antwort auf Point of no Return: Das Kuratorenteam, bestehend aus Sithara Weeratunga und Marcus Andrew Hurttig, kritisiert, dass die Schau von damals nicht-deutsche Künstler radikal ausklammerte. Wie überhaupt die ausländischen Künstler nicht als Teil der so erfolgreichen und weltbekannten Leipziger Schule wahrgenommen werden würden. Nur erfährt man davon, wenn man nicht den Katalog zur Ausstellung studiert, in der Schau selbst nichts. Dass etwa Rimer Cadillo an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig bei Wolfgang Mattheuer studierte und Mona Ragy Enayat durch ebendiesen in ihrer künstlerischen Arbeit bestärkt wurde, weiß nur, wer den Katalog liest. Obendrein benennen viele Künstler im Katalog europäische Meister als Einfluss, was kein Eurozentrismus ist, sondern die Vielfalt der künstlerischen Aneignungsprozesse illustriert.Gerne wüsste man: Wie erlebten diese Künstler die Spätphase der DDR?Etwas verwirrend erscheint zudem, dass die Klammer für die Ausstellung der Künstler zwar Leben und Arbeiten in der DDR ist, aber die allermeisten der gezeigten Arbeiten nicht in der DDR entstanden. Gezeigt wird in den meisten Fällen ein Längsschnitt durch die künstlerische Produktion, wobei in diesem Falle ein Querschnitt interessanter gewesen wäre. Gerne etwa hätte man gewusst, wie die Künstler die Spätphase der DDR erlebten, in der die Kunst der „Einheimischen“ Stillstand, Verfall, kurzum ein moribundes Staatswesen zeigte.Im dritten Thementeil, in dem junge Künstler:innen – Philipp Farra, Phuong Phan, Sarnt Utamachote und Alina Simmelbauer – postmigrantische Perspektiven eröffnen, fokussieren die gezeigten Fotoarbeiten und Installationen vollständig auf Trauma und Verlust.Wollte man es plakativ ausdrücken, so zeigt sich in den Arbeiten der Jüngeren Identität als Ausgangspunkt der künstlerischen Arbeit. Dagegen zeigen die Werke der Älteren eine von Identitätsfragen abstrahierende Werkgeschichte, die sehr viel stärker in kunsthistorischen Bezügen denkt. Etwa Semir Alschauskys Arbeiten, die an den russischen Konstruktivismus des frühen 20. Jahrhunderts erinnern, oder Mona Ragy Enayats Malerei in expressiv-figürlicher Tradition.Die Krux ist, dass die gezeigten Künstler dadurch ganz unbeabsichtigt eine Form des „Othering“ erfahren – also zu den Anderen gemacht werden, anstatt kunsthistorisch integriert. Und doch: Was man hier sieht, das ist ein echter Gewinn, übrigens auch ein großer ästhetischer Genuss.