Sie hatte Mut

Biografie Ernst Piper erzählt von Rosa Luxemburgs Verwobenheit ins Netz der Geschichte
Ausgabe 02/2019

Wohin geht man, wenn man blitzgescheit ist und die Welt verändern will? Nach Berlin natürlich. Nur ist das nicht immer eine gute Idee. „Ich bin unmenschlich erschöpft und hasse Berlin und die Deutschen schon so, dass ich sie umbringen könnte“, schreibt Rosa Luxemburg bereits nach dem ersten Tag der Wohnungssuche in Berlin, die ja heute noch schwierig sein soll. Da ist sie 27 Jahre alt und verheiratet, wenn auch nur zum Schein. Die 1871 in Zamosz in Russisch-Polen Geborene bekam durch die Heirat mit dem Schriftsetzer Gustav Lübeck die deutsche Staatsbürgerschaft, was auch die Voraussetzung für den Umzug nach Berlin war.

Nicht weniger abenteuerlich als die Scheinehe war zuvor schon ihre Übersiedlung von Warschau nach Zürich gewesen: Dorthin hatte sich die gerade einmal Siebzehnjährige schmuggeln lassen, um ein Universitätsstudium aufzunehmen. Luxemburg, die ein halbes Dutzend Sprachen beherrschte und vierzehn ihrer Fächer mit Bestnote abschloss (die restlichen Fächer wurden mit „sehr gut“ benotet), hatte in Zürich Kommilitoninnen, die sich wie ein Who’s who weiblicher Geistesgeschichte lesen: Neben Schriftstellerin Ricarda Huch und Psychoanalytikerin Lou Andreas-Salomé studierte mit ihr auch Juristin und Feministin Anita Augspurg. Noch war Zürich eine der wenigen Universitäten, die Studentinnen zuließen. Hier promovierte die junge Polin mit einer Arbeit über die Geschichte des Industriekapitalismus in Polen mit summa cum laude.

Rosa Luxemburgs Leben wirkt wie ein Knotenpunkt im Netz der politischen Entwicklungen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Ernst Piper hat nun mit seiner Biografie ein detail- und faktenreiches Werk über diese so brillante Intellektuelle vorgelegt. Im Zentrum stehen der proletarische Klassenkampf, Internationalismus, Pazifismus, Juden- und Frauenemanzipation.

Luxemburg, die gerade einmal 1,46 Meter maß, scheute nie davor zurück, sich mit Größen anzulegen: Bekannt ist ihre Kritik an Lenin, kaum bekannt ist, dass schon die dreizehnjährige Rosa den deutschen Kaiser in einem Gedicht adressierte und kritisierte. Die Frau hatte Mut.

Auch mehrere Gefängnisaufenthalte brachten sie nicht zum Verstummen. Noch während des ersten wegen der „Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze und Anordnungen der Obrigkeit“ im Jahr 1914 verfasste sie ein schmales Büchlein mit dem Titel Die Krise der Sozialdemokratie, das sie unter dem Pseudonym „Junius“ publizierte. Die sogenannte Junius-Broschüre klagte den Sündenfall der Sozialdemokratie, die Zustimmung zu den Kriegskrediten am 4. August 1914, an. Damit nämlich entpuppten sich alle kriegskritischen Töne vonseiten der Partei als reine Lippenbekenntnisse: Sie waren eine Entscheidung für Nationalismus und gegen internationale Solidarität.

Ein in Berlin kursierender Handzettel, der Arbeiter am 1. Mai 1916 zur Antikriegskundgebung aufrief, führte zur erneuten Verhaftung Luxemburgs. Sie wurde ins Polizeigefängnis am Berliner Alexanderplatz verbracht und blieb dort für Wochen, in denen sie, die ohnehin zierlich war, abmagerte und ergraute.

Rosa Luxemburg und ihr politischer Gefährte Karl Liebknecht waren somit nicht nur rechten Kreisen ein Dorn im Auge. Innerhalb der Sozialdemokratie trieben sie eine Spaltung voran, die letztlich zur Gründung der KPD führte. Aber nicht nur die politische Agitation machte Luxemburg zur Zielscheibe des Hasses, sondern auch Antisemitismus: Sie wurde zum Gegenstand offen antisemitischer Karikaturen. Im Umgang mit Luxemburg als linker Intellektueller und Jüdin fand sich nationalsozialistische Politik präfiguriert.

Nach den Januaraufständen 1919 mit dem Ziel der Verhinderung der Wahl zur Nationalversammlung wurden Liebknecht und Luxemburg zu Hassfiguren, Hunderte Soldaten fahndeten im Regierungsauftrag nach beiden. Trotz der Gefahr blieb Luxemburg in Berlin. Militärs führten sie schließlich unter den geifernden Schreien Schaulustiger ab und erschossen sie.

Der Prozess war eine Schande

Luxemburgs abscheuliche Ermordung in der Nacht vom 15. auf den 16. Januar 1919 machte aus ihr eine unsterbliche Symbolfigur. Dass man unter den Augen auch der SPD-Regierenden ein unsägliches Schmierentheater vor Gericht abhielt und die Verantwortlichen für ihren Tod nie zur Rechenschaft gezogen wurden, gehört zu den bittersten und empörendsten Aspekten ihrer Geschichte. Sie wurde von Klaus Gietinger in seiner mit akribischem Eifer recherchierten Darstellung Eine Leiche im Landwehrkanal. Die Ermordung Rosa Luxemburgs umfassend aufgearbeitet, die der Nautilus-Verlag im September letzten Jahres in einer überarbeiteten Ausgabe wieder aufgelegt hat.

Man kann Luxemburgs Biografie auf viele Arten erzählen: als Geschichte einer hochbegabten Frau, die vom Botanikstudium zur Ökonomie und Rechtswissenschaft wechselt, weil es das prädestinierte Betätigungsfeld einer Frau mit wachem Verstand und starkem Gerechtigkeitsempfinden ist. Als Geschichte der politischen Agitatorin, die weder Parteibürokratin noch Schreibtischtheoretikerin war; der liebenden, vielleicht von bürgerlicher Familienidylle träumenden, der stets rastlos publizierenden („Vorwärts“ ist nicht nur Parteiblatt und Publikationsstätte, auch Lebensmotto), der frühen Führungsriege der KPD angehörenden Intellektuellen, schließlich: der Inhaftierten, der Ermordeten.

Piper entscheidet sich für einen nüchternen Zugang zu diesem Leben. Seine Arbeit profitiert im Gegensatz zu früheren Biografien auch davon, dass Luxemburgs gesammelte Schriften nunmehr nahezu vollständig ediert vorliegen. Wer sich Luxemburg in ihrer Verwobenheit ins Netz der Geschichte nähern möchte, der wird in dieser materialgesättigten Biografie mit umfangreichem Anhang, Bibliografie und Namensregister sicherlich fündig. Allerdings ist der Text so dicht, dass er bisweilen mit Fakten erschlägt, wie ja das 830-Seiten-Buch selbst gewichtig wie ein Ziegelstein ist.

Zu kurz kommt dabei die Psychologie, auch das Anekdotische, das eine Biografie offenkundig auch ausmacht; bisweilen wirkt die so schillernde Figur Rosa Luxemburg etwas papieren. Für die Einfühlung bietet Piper den Lesern immerhin Auszüge aus den so zahlreichen Briefen einer der größten Briefeschreiberinnen des 20. Jahrhunderts. Wer etwas mehr von der emotionalen und psychischen Verfasstheit Luxemburgs erfahren möchte, dem seien ihre Briefe als Lektüre wärmstens empfohlen (lesen Sie hierzu auch Lutz Taufers Essay auf der nächsten Seite).

Etwas schließlich vom Leben und Empfinden dieser zähen Frau ist auch in einer eher ungewöhnlichen Form aufbewahrt: in Luxemburgs Herbarien aus der Gefängniszeit. In Buchform sind sie, ebenso wie die Schriften und Briefe, im Dietz-Verlag Berlin erschienen.

Info

Rosa Luxemburg: Ein Leben Ernst Piper Blessing 2018, 832 S., 32 €

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Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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