Ich bin geschüttelt, nicht gerührt

James Bond 007 SPECTRE: Im neuen Bond-Film wird die Demontage der eigenen Marke und der eigenen Stilmittel um einen Gang zurück geschaltet. Grund zur Begeisterung gibt es aber nicht.

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Ein Rückblick auf die lange Serie der James-Bond-Filme

Seit den ersten Filmen war James Bond ein kultivierter, stilvoller und charmanter Mann von Welt. Er kannte die Frauen, die Kunst und die Reglen des Glücksspiels, erkannte alle Weine und Champagner einschließlich Jahrgang und Gefälle des betreffenden Weinberges am Geschmack. Sein besonderes Erkennungsmerkmal war auch in gefährlichen Situationen sein besonderer, lockerer und leicht schwarzer Humor.

Zu den unverzichtbaren Stilmitteln gehörten fast von Anfang an ein Flirt mit Miss Moneypenny, etwas Knatsch mit dem Geheimdienstchef „M“, ein Rundgang durch die Waffen- und Effektwerkstatt von „Q“, ein späterer Einsatz von aufgerüsteten Waffen, Füllfederhalter, Aktenkoffern und Fahrzeugen, der Vodka Martini – geschüttelt, nicht gerührt!, die Flasche Bollinger-Champagner sowie – nicht zuletzt sondern ganz am Anfang - die unverkennbare Eingangsszene mit dem Kreis, der im Bild von links nach rechts wandert, als subjektiver Blick durch einen Pistolenlauf wieder zurück kommt – James Bond schießt und von oben kommt es rot.

Im Lauf der Zeit

Lois Maxwell (Miss Moneypenny) und Desmond Llewelyn („Q“) starben 1985 bzw. 1999 und wurden durch eine namentlich nicht bekannte und nicht erwähnenswerte Jungblondine und das Monty-Python-Urgestein John Cleese als „R“ ausgewechelt. Zu Zeiten von Pierce Brosnan wurden beide Charaktere ersatzlos in den Ruhestand geschickt.

Die Neo-Bonds mit Daniel Craig

Schon in Daniel Craig´s Agenteneinstand CASINO ROYAL fiel auf, dass einige der ursprünglichen Stilmittel nicht mehr vorhanden waren sondern sogar ins Gegenteil umgekehrt wurden:

  • Das Erkennungszeichen mit dem wandernden Kreis und dem Pistolenlauf fehlte am Anfang und wurde an den Schluss des Films vor den Abspann gestellt.
    Das passt nicht.
  • Im Casino Royal bestellt Bond einen Vodka Martini. Der Barkeeper fragt „Geschüttelt oder gerührt?“ - Antwort Bond: “Sehe ich aus, als ob mich das interessiert?“
    Das geht überhaupt nicht. Das ist ein Verrat an der eigenen Idee und eine Brüskierung vieler James-Bond-Filme.
  • SKYFALL: Immerhin werden Miss Moneypenny und „Q“ wieder eingeführt. „Q“ übergibt Bond dessen neue Dienstwaffe. „Ist das alles?“ – „Was erwarten Sie? Explodierende Kugelschreiber?“
    Das ist zwar ein origineller Dialog, aber im Vergleich zu den alten Klassikern funktioniert die Szene einfach nicht.

Zwar werden Miss Moneypenny und Waffen- und Elektronikexperte „Q“ wieder eingeführt, sind aber teilweise sehr gewöhnungsbedürftig für langjährige Fans. Miss Moneypenny wird von der farbigen Darstellerin Naomi Harris gespielt, was für niemanden ein Problem sein sollte und „Q“ spielt Ben Winshaw als jugendlichen Nerd; da sehnt man sich an den alten mürrischen Brummbär von vor 20 Jahren zurück.
Dass diese Beiden und auch Geheimdienstchef „M“ – inzwischen Ralph Fiennes - nicht nur Schreibtisch- bzw. Labortäter sind sondern verantwortungsvollere Rollen haben ist ausnahmsweise eine Neuerung, die ich ausdrücklich begrüße. Auch, dass die so genannten Bond-Girls keine devoten Modellpuppen sondern selbstbewusste Frauen sind, ist für mich sehr reizvoll und ist eine sinnvolle Neuerung im Zeichen der Zeit.

Der größte Nachteil ist die Neuausrichtung des Charakters James Bond, den Craig als humorlosen und stillosen Banausen spielt. Das möchte ich Daniel Craig nicht unbedingt zum Vorwurf machen, da ich nicht genau weiß ob und in welchem Umfang er selbst für die Neuausrichtung verantwortlich ist oder die verantwortlichen Drehbuchautoren; immerhin wird Craig in SSPECTRE als Co-Produzent genannt.

Die Geschichten der Neo-Bonds mit Daniel Craig haben teilweise interessante, realitätsbezogene und hochpolitische Handlungselemente, z.B. die Korruption und Wasserprivatisierung in Südamerika in EIN QUANTUM TROST oder das Thema Überwachung in SPECTRE. Diese aktuellen Bezüge gab es früher schon, z.B.

  • den Kalten Krieg über viele Jahre
  • das Thema Energiekrise mit einem begehrten kleinen Solarernergie-Modul in DER MANN MIT DEM GOLDENEN COLT
  • die Gefahr eines Nuklearkrieges in DER SPION DER MICH LIEBTE

Die Themen wurden in den letzten Jahren allerdings nicht nur als Unterhaltungselement eingeführt sondern deutlicher eingeführt und dann abgewürgt, als es richtig interessant wurde. Das fand ich in beiden Fällen sehr enttäuschend.

Auch die privaten familiären Probleme und die Racheambitionen von Bond halte ich für übertrieben. Der Tod seiner Geliebten in CASINO ROYAL und der in den folgenden Filmen fortgesetzte Rachefeldzug wird von vielen Zuschauer/innen und Kritikern sehr gelobt, ist aber auch nicht neu. Schon vor über 40 Jahren heiratete der nur einmalige Bond George Lazenby sein Bond-Girl (Diana Rigg aus MIT SCHIRM, CHARME UND MELONE – THE AVANGERS), die in der Schlussszene von Dauer-Schurke Ernst Stavro Blofend (hier Telly Savallas) am Beginn der Hochzeitsreise erschossen wurde. Das Publikum akzeptierte weder diesen Schluss noch den Darsteller, der nach nur einem Einsatz den Dienst quittierten musste.

Christoph Waltz als Franz Oberhauser

Christoph Waltz ist ein charismatischer und erstklassiger Schauspieler. Sein Problem ist, dass er nach seiner Oscar-Rolle als durchgeknallter SS-Offizier in Quentin Tarrntino´s INGLOURIOUS BASTERDS immer wieder mit diesem Rollenklischee besetzt wird. Waltz sucht neben einer guten Gage und interessanten Rollen auch die schauspielerische Herausforderungen. Immer für die gleiche Rolle mit anderen Namen und anderen Handlungsorten besetzt zu werden, langweilt ihn sicher. Der Kardinal Richilleu in einer neumodischen Krawallversion von DIE DREI MUSKETIERE langweilt ihn sicher und er gibt sich überhaupt keine Mühe. Er spielt solche Rollen sicher wegen der Gage und, um seinen Bekanntheitsgrad zu halten. Ein Bond ist etwas ganz Besonderes, aber auch hier scheint er sich aufgrund der Rollenbeschreibung nicht viel Mühe zu geben sondern spielt die Standard-Schurkenrolle mit dem sinistren Grinsen im Halbschlaf; und dafür kann ihm niemand einen Vorwurf machen.

In einer Filmkritik auf FILMFUTTER heißt es:

"… nach einem kurzen Auftritt im ersten Filmdrittel, der Zuschauer noch lange auf Waltz’ Rückkehr warten muss und dann ist es auch wieder schnell vorbei. Eine Fliege, die sich immer wieder auf den Projektor während der Vorführung setzte, hatte eine größere Rolle im Film, als Waltz."

In der Theaterverfilmung DER GOTT DES GEMETZELS von Regie-Legende Roman Polanski dagegen sieht man ihm in jeder Einstellung mit jeder Bewegung an, welchen Spaß er an der Rolle hat.

Alle vier Gegenspieler in den Neo-Bonds mit Daniel Craig wurden von erstklassigen Schauspielern gespielt, die aufgrund der jeweiligen Geschichte und der Drehbücher unter ihren Möglichkeiten blieben und teilweise leider sogar schlecht zur Geltung kamen.

  1. Der Däne Mads Mikkelsen – für mich einer der besten lebenden Schauspieler des Universums – kam in CASINO ROYAL noch am besten zur Geltung und ist der Hauptgrund, den Film überhaupt anzusehen.
  2. Der Franzose Mathieu Amalric ist ein sehr talentierter und sehenswerter Schauspieler. Seine Figur in QUANTUM wurde völlig falsch und unzureichend entwickelt, so dass Amalric in dieser uninteressant und fast lächerlich wirkte.
  3. Der Spanier Javier Bardem spielte den Ex-Geheimdienst-Kollegen in SKYFALL leider so affektiert und übertrieben, dass es schon weh tut. Seine ödipale Langzeit-Auseinandersetzung mit Geheimdienstchefin „M“ wirken total daneben.

Christoph Waltz als Franz Oberhauser spielt hier sein Rollenklischee nach Abziehbild. Ihm wird weder zeitlich noch inhaltlich die Möglichkeit gegeben, seine Rolle auszubauen und sein riesiges Potential zu entwickeln. Er kommt in der ersten halben Stunde für einige Minuten vor und dann müssen wir über eine Stunde auf seine Rückkehr warten. Hier wird die Möglichkeit verschenkt, einen Giganten von Bond-Gegenspieler aufzubauen.

Italiens Schauspielstar Monica Belluci, die in vielen Berichten und Trailern als reifes Bond-Girl angekündigt wird, beeindruckt mit ihrem Charisma, kommt im Film aber nur insgesamt sieben oder acht Minuten vor.

Und sonst?

Teilweise wird die Handlung vernachlässigt; die Handlung scheint weniger wichtig zu sein als die zahlreichen Produktplatzierungen. Wurde zu Pierce-Brosnan-Zeiten mal der klassische 007-Dienstwagen - der Aston Martin - gegen einen BMW-Luxuswagen ausgetauscht, trinkt 007 hier Heineken-Bier; der Bierhersteller sponsorte die Produktion mit 40 Millionen Dollar, damit Bond bis auf Weiteres Heineken-Bier trinkt.

Eine echte Qual ist die Filmmusik. Ohne Rücksicht auf das Publikum oder das Tempo der jeweiligen Filmszene werden wir mit einem hyperaktiven Stakkato-Gewummer gepeinigt. Waren die alten klassischen 007-Musiken von Komponist John Barry ein Genuss, ist diese Kakophonie akkustische Körperverletzung.

Mein Fazit:

Ich bin geschüttelt, nicht gerührt.

Ein paar Worte zur Altersfreigabe

Wir sehen in einer Szene wie der Auftragskiller von SPECTRE eine Bestrafung und Tötung ausführt, indem er seinem Opfer die Augen ausdrückt und danach seine blutigen Daumen abwischt. Vor dreißig Jahren wäre so ein Film mit einer solchen Szene indiziert und nicht mehr frei verkäuflich gewesen. Später wird Bond von Oberhauser gefoltert, indem ihm dünne Bohrer ins Gehirn gedreht werden. Das ist nichts für sehr schwache Gemüter. Aber der Mega-Erfolgsfilm der Marke James Bond 007 hat eine Altersfreigabe für 12jährige. Bei einem guten Filmmassaker sage ich durchaus nicht nein, diese Altersfreigabe halte ich allerdings für skandalös.

Wie wird es weiter gehen?

Wenn Sie SPECTRE noch nicht sahen, aber noch sehen wollen und noch nicht die bösen – oder auch nicht – Überraschungen wissen wollen, lesen Sie ab hier nicht weiter. Fest steht, dass wir noch Einiges erleben werden können – aber wollen wir DAS wirklich?
Im blauen Info-Kasten geht es weiter …

Bildquelle: Filmfutter

Wenn Sie SPECTRE noch nicht sahen, aber noch sehen wollen und noch nicht die Überraschungen wissen wollen, lesen Sie ab hier nicht weiter !

Hinter Franz Oberhauser – Christoph Waltz – wurde bereits von Vielen die Reinkarnation des klassischen SPECTRE-Bösewichts Ernst Stavro Blofeld aus mehreren Bond-Filmen der 60ger und 70er Jahre (damals Donald Pleasence, Chalres Gray, Telly Savallas) vermutet. In einem späten Dialog bestätigt es Oberhauser. Oberhauser / Blofeld ist James Bond´s Adoptivbruder. Sein Vater adoptierte den sehr jungen Bond nach dem Tod von dessen Eltern.

Und Bond wird demnächst auch noch Vater. Nach einer längeren Pause in der Filmhandlung setzt sich Bond in der letzten Filmszene nach einem Kurzbesuch in der Geheimdienstzentrale in seine Wagen und wir sehen im Wagen sein Bond-Girl Léa Seydoux kurz mit schwangerem Kugelbauch.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Martin Betzwieser

Personifizierter Ärger über Meinungsmanipulation, Kino- und Kabarattliebhaber

Martin Betzwieser

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