Ich ist ein Kaiser

Alltag 2 Sportplatz

Ein Tag im Leben des Franz B. Morgens hat der Kaiser, wie die B.Z. berichtet, eine Ahnung zum Ticketverkauf bei der Fußball-WM 2006: "Wir müssen viele enttäuschen". Derweil wird bekannt, dass Beckenbauer am Wochenende Gast der traditionellen Weißwurstparty beim Stanglwirt in Kitzbühel sein wird. Die Neuß-Grevenbroicher Zeitung berichtet unterdessen, dass auf der Karnevalssitzung der KG Blau-Weiß Büderich gefordert wurde, wenn Deutschland nicht genug Kinder habe, dann sollten Boris Becker und Franz Beckenbauer auf Tournee geschickt werden. Davon unberührt teilt das ZDF mit, dass bei einem Benefizspiel der deutschen Fußballnationalmannschaft gegen die besten ausländischen Bundesligaprofis zugunsten der Flutopfer Franz Beckenbauer an der Seite von Johannes B. Kerner als Analytiker auftreten wird. Die Stiftung Deutsche Sporthilfe lässt indes verlauten, dass bei ihrem Ball des Sports Horst Köhler, Franz Beckenbauer und Otto Schily als Stargäste erwartet werden. Die Leipziger Volkszeitung berichtet just an diesem Tag, dass in Auerbachs Keller nicht nur "Nikita Chruschtschow, Walter Ulbricht und Erich Honecker" verkehrten, sondern auch "Franz Beckenbauer und Karel Gott".

Während Gott singt, muss der Kaiser arbeiten. ER ist ja nicht nur Präsident des FC Bayern München, Präsident des Organisationskomitees der Fußball-WM 2006, Vizepräsident des Deutschen Fußballbundes, Präsident der Franz-Beckenbauer-Stiftung und Werbeträger für nicht so recht auseinander zu haltende Mobilfunkanbieter.

Vor allem ist Franz Beckenbauer berühmt. Und das ist anstrengend. Was Jenny Elvers oder Nadja Abd el Farrag nur phasenweise schaffen, ist bei Beckenbauer Alltag: Dauerpräsenz in der Bild-Zeitung an mindestens sechs Tagen in der Woche, meistens auf Seite eins, meistens über dem Knick.

Gerüchte besagen, dass der Kaiser gegenwärtig an seinen Erinnerungen arbeitet beziehungsweise arbeiten lässt. Es wird seine sechste Autobiografie, und, was der Kaiser darstellt oder zu sein beliebt, wird darin sehr deutlich. Dirigent im Mittelfeld heißt sein erstes autobiografisches Werk, vorgelegt 1966. Da war Beckenbauer 21 Jahre alt und eigentlich kein Dirigent im Mittelfeld, aber dem selbstbewussten Mann in kurzen Hosen war klar, was er werden will. "Franz Beckenbauer ergeht es wohl nicht anders als jedem anderen Fußballspieler", parlierte er dort schon in dritter Person über sich, eine kleine Übung in höfischer Bescheidenheit. 1972 legte er Halbzeit - eine sportliche Zwischenbilanz vor, und 1977 gelang ihm der erste ganz große Wurf auf dem Biografiemarkt: Einer wie ich. Der grandiose Titel wurde nur noch von Ich (1992) übertroffen. Wie anders sollte das Buch heißen? "Ich ist ein Anderer", wusste Rimbaud, und wer ist schon, wenn wir die Sprache mal ein wenig beugen dürfen, am andersten als Beckenbauer?

Die Selbstverständlichkeit, mit der ihn die gesamte deutsche Öffentlichkeit, auch die Minorität, die ihm gegenüber kritisch eingestellt ist, als "Kaiser" anspricht, deutet darauf hin, dass sein Verhältnis zur Welt ein ganz und gar entrücktes ist. Einer wie Ich, also Beckenbauer, steht in keinem Austauschverhältnis zur bürgerlichen Gesellschaft, ist schon gar kein Teil dieser.

Der Kaiser ist ein ganz und gar undeutsches Glückskind, dem scheinbar aller Erfolg zufällt, wo ihn sich andere erarbeiten müssen. Die Öffentlichkeit nennt ihn eine "Lichtgestalt" (Marcel Reif et al.) und verleiht ihm in einem Umfang, den nicht mal Horst Köhler genießt, die Lizenz zum Dummschwätzen.

Der Kaiser hat seine Kolumne in der Bild, der Kaiser analysiert im ZDF die Spiele, wie sie ihm auf den Schirm kommen, der Kaiser spielt mit elegantem Schwung für jeden denkbaren guten Zweck seine Golfrunden, und der Kaiser berichtet in Interviews vom späten Vaterglück und seinem Wunsch als Pflanze wiedergeboren zu werden. "Der Grund war nicht die Ursache, sondern der Auslöser", sagt der Kaiser bei solchen Auftritten, und wenn er ein Fußballspiel analysieren soll, läuft so etwas aus seinem Mund: "Am Spielstand wird sich nicht mehr viel ändern, es sei denn es schießt einer ein Tor."

Franz Beckenbauer, der im Herbst diesen Jahres 60 wird, wozu die Festwochen oder -monate wohl bald eröffnet werden, ist ein Beispiel, wie sich Subjekt und Substanz in der entwickelten bürgerlichen Gesellschaft getrennt haben. Von ihm erwartet niemand etwas, das wenigstens ansatzweise substanziell wäre. Aber man lässt ihn agieren, denn irgendwie gehört er ja zum Bestand dieser Republik.



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