In die Hölle oder ins Museum

Vergangenheitsbewältigung Das Achtundsechziger-Bashing durchzieht sämtliche Diskurse - und ein Bob-Dylan-Hype wird integriert

Go Away You Bomb heißt ein Lied von Bob Dylan, das 1961 aus Protest gegen die Atombombe geschrieben, aber erst jüngst wieder gefunden wurde. Der Überraschungsfund reiht sich ein in einen aktuellen Bob-Dylan-Hype in Deutschland - mit einer Ausstellung seiner Gemälde in Chemnitz, einer Best-off-Sammlung seiner Songs, die nur Dylan heißt, einem neuen Suhrkamp-Band zur Bedeutung seines Werks. Dylan überall.

Das irritiert, gilt doch Dylan als Protestsänger, als Sprachrohr der Achtundsechziger, also jener Generation, die derzeit in diesem Land abgewatscht wird. Gnade, fordert der Spiegel für sie: "Es war nicht alles schlecht". Doch die Ankläger sind unerbittlich. Bild-Chefredakteur Kai Diekmann listet gnadenlos die Verbrechen auf: "Staatsgläubigkeit, kryptosozialistische Versorgungssysteme, Selbsthass, Identitätsverlust". Bundestagspräsident Norbert Lammert entdeckt die Nähe der APO zur RAF. Der ZDF-Fernsehpfarrer Peter Hahne beklagt "das gezielte Kappen kultureller Wurzeln unter dem Deckmantel der Toleranz", und für alle fasst das Sachbuchautorin Eva Herman zusammen: Die Achtundsechziger haben "alles abgeschafft, was gut war".

Was das war, hat Frau Herman ja bereits angedeutet. Herr Hahne dient sich sogar als Zeitzeuge an: "Der Muff von tausend Jahren, raus aus den Talaren", - auf das Gedächtnis von Zeugen ist bekanntlich nie Verlass - "skandierte der Mob auf der Straße", schreibt Hahne über seine Studentenzeit in den Sechzigern. Wer etwas gegen Nazis hat, gilt ihm als Mob.

Nach dem Beitritt der DDR in den Geltungsbereich des Grundgesetzes war allerlei Straf- und Rachebedürfnis mit dem Satz begründet worden, wenn man schon die erste deutsche Diktatur nicht aufgearbeitet habe, müsse man das halt mit der zweiten Diktatur tun, der DDR. Was schon logisch nicht allzu schlüssig wirkt, wird nun an der APO, der westdeutschen Studentenrevolte der Sechziger, erneut ausprobiert. Peter Hahne zum Beispiel ist "erstaunt, in welchen Schlüsselpositionen die damaligen (auch geistigen) Rädelsführer jetzt sitzen". Er meint nicht NS-Schergen, er meint seine Kommilitonen von einst. Kai Diekmann hat diese historische Linie ausgemacht: Erst waren alle für Kaiser Wilhelm, "dann jubelte man Hitler zu", und dann "kamen die Achtundsechziger". Wilhelm Zwo und Hitler sind nicht mehr, aber die Achtundsechziger bestimmten "Asyl- und Hartz-IV-Verfahren, Urteile und Gesetze", schreibt Diekmann. Seine Dreistigkeit markiert die politische Dimension der Debatte: Wer Hartz IV und die Asylpraxis zu lasch findet, hat natürlich Gründe, die letzten 70 Jahre deutscher Geschichte umzuschreiben. Am besten gleich die der ganzen Welt.

Denn die Rebellion war ein internationales Phänomen. Es schwappte "eine Welle der Revolution über alle drei Welten", wie der englische Historiker Eric Hobsbawm schreibt. Sie war eine Warnung, dass die soziale Harmonie des "Goldenen Zeitalters" im Westen nach dem Zweiten Weltkrieg fragil war, jederzeit aufbrechen konnte.

Militanter Protest gegen die Verhältnisse, wie scharf man ihn auch verurteilen mag, war keine individuelle Verirrung, sondern ein soziales Phänomen, für das es Gründe gab.

Doch das wollen selbst die Aktivisten von einst nicht mehr wissen. Der Spiegel hatte gleich 16 von ihnen versammelt, die alle bereit sind, für ihre Sünden zu büßen: Familien haben sie mittlerweile gegründet, den Kapitalismus schätzen gelernt, die Haare abgeschnitten. Wenn sie sich für Achtundsechzig rechtfertigen, klingt es so, wie Eva Herman über die Nazis spricht: Durchgeknallt, aber es war doch nicht alles schlecht.

Die Art, wie man aus Bob Dylan, dem politischen Künstler der früheren Jahrzehnte, der immer noch tourt, ein Stück fürs Museum machen will, sein Leben verfilmt, sein Werk analysiert und verschollene Manuskripte ausstellt - ohne je bemerken zu wollen, dass der wieder aufgefundene Song ein Protestsong war und ist - gibt dieser neuen Vergangenheitsbewältigung den Sound vor: Verdammen oder musealisieren, bleiben darf nichts.

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