Lothar in Amerika

SPORTPLATZ FAZ

Was über Lothar Matthäus zu sagen war, wurde gesagt. "Wie eine ganze Generation nur Helmut Kohl als Kanzler kannte, wurde auch eine gesamte Fußball-Generation mit Matthäus sozialisiert", schreibt die FAZ. "Auch, wenn sich die Welt in seiner Zeit grundlegend änderte, Nationen und Nationalmannschaften vom Spielfeld der Geschichte verschwanden und andere hinzukamen: Am Anstoßpunkt stand immer Matthäus. Gerade der Blick, geradeaus die Sprache." Wie meist, so hat die FAZ auch in diesem Fall Recht. Kohl und Matthäus hatten ihren Karrierehöhepunkt 1990. Der eine lief in die DDR ein, machte Versprechungen und gewann gleich zwei Wahlen: die zur Volkskammer und die zum Bundestag. Der andere lief auf das jugoslawische Tor zu, hatte beim Weltmeisterschaftsspiel in Italien (4:1) den wahrscheinlich besten Auftritt, den der Fußballer Lothar Matthäus je hatte, und traf gleich zwei Mal.

Jugoslawien gibt's nicht mehr, zumindest nicht mehr in der Form, in der es sich damals dem Lothar entgegenstellte, und die DDR soll ja auch verschwunden sein.

Lothar aber, den man ob seiner unbeholfenen Art zu sprechen gern verspottete, wurde 1990 Weltmeister, Weltfußballer des Jahres und Weltstar dank eines Vertrages bei Inter Mailand, wohin er schon 1987 gewechselt war, als Helmut Kohl gerade seine zweite Bundestagswahl gewann.

Helmut Kohl, auch er wegen Figur, Kopfform und leicht lispelnder Aussprache gern Gegenstand von Spott, wurde nach 1990 Vereinigungskanzler und Staatsmann, wie man in der Politik Weltstars nennt.

Die glorreiche Vergangenheit dieser deutschen Helden ist nun vorbei. Kohls Scheitern wird auf den Politikseiten der Zeitungen verhandelt, doch die Botschaft, dass dieses Scheitern Ausdruck einer viel größeren Krise ist als bloß der des Parteienstaates, wird erst offenbar, schaut man sich Lothar Matthäus an und liest über sein Schicksal auf dem "Sportplatz" des Freitag, der sich neuerdings im Ressort "Alltag" findet. Das ist richtig und passend, denn Lothars Zukunft in Amerika ist nicht weniger als die Krise des Alltagslebens.

Fußballerisch, das ist andernorts schon genügend ausgeführt worden, droht Matthäus die Tristesse: Die "New York/New Jersey MetroStars" sind das schlechteste Team der ohnehin nicht so hoch angesehenen US-Major League Soccer. Obendrein war Matthäus davon ausgegangen, dass er in New York spielen werde, doch nur aus Imagegründen haben die Teammanager auch den Namen der Metropole in den Clubnamen aufgenommen. Die MetroStars spielen eigentlich in New Jersey, dem Bundesstaat, der New York nach Westen und Süden umgibt, und New Jersey verhält sich zu New York wie Brandenburg zu Berlin, wie Cottbus zu Kreuzberg.

Matthäus wohnt jetzt in New York, genauer: in Manhattan. Was er da soll, überlegt er sich gerade im Moment selber, während ihm seine neue Freundin Maren, 22-jährige Tochter eines Prominenten-Sportarztes, hart an der Nervigkeitsgrenze vorschwärmt, wie super und toll und scharf und spitzenmäßig und echt klasse hier alles sei.

Ins Museum gehen, hat er sich vorgenommen, denn seine Maren studiert ja Kunstgeschichte, und im Museum war er noch nie. Will Matthäus ein Jahr lang täglich ins Museum? Da wird's sogar in New York knapp an Bildern.

Doch einer wie Matthäus hat keine Ahnung, was man sonst mit dem Leben veranstalten könnte, wenn man grade keine kurzen Hosen anhat und über den Fußballplatz hoppelt.

In Lothar Matthäus offenbart sich das, was jeder Rentner kennt, nur früher: Sinnstiftend war der Beruf, danach kommt Leere, oder, was aufs Gleiche hinausläuft, der Versuch, mal ganz was Tolles zu machen, etwas, für das man nun wahrlich nicht geschaffen ist.

Einen gescheiterten Ausflug ins Mondäne hat Matthäus ja schon hinter sich. Da war er mit der Fernsehmoderatorin Lolita Morena verheiratet. Als die sich von ihm trennte und er ein Fernsehteam durch das Haus führte, aus dem sie gerade ausgezogen war, wies die Reporterin auf ein Regal, in dem französische Bücher standen. Ob die ihm gehörten, fragte sie, und Matthäus raffte für seine Antwort, dass dies Lolitas Bücher seien, alles zusammen, was an Weltstar in ihm steckt: "Ein Lothar Matthäus spricht kein Französisch."

Das, aufs Englische bezogen, kann er demnächst auch erzählen, wenn ihn jemand fragt, ob das etwa seine Guggenheim-Kataloge seien.

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