Malta: Die Bastion des Katholizismus garantiert keinen Kindersegen mehr

Trost Auch wenn in diesem EU-Land die Geburtenrate immer weiter sinkt, gibt es doch einen Hoffnungsschimmer. Mit dem 67-jährigen Kurienkardinal Mario Grech hat Malta einen Anwärter auf die Nachfolge von Papst Franziskus
Ausgabe 17/2024
Eine Statue des Heiligtum Ta' Pinu auf der Insel Gozo in Malta
Eine Statue des Heiligtum Ta' Pinu auf der Insel Gozo in Malta

Foto: Imago/Pond5Images

Im Vorjahr kamen in Malta nur 1,08 Neugeborene auf eine Frau. Noch weniger Kinder wurden auf der kleineren Insel des Malta-Archipels geboren, dem ländlicheren Gozo. Viele überrascht das: Ist das Eiland nicht eine Bastion des Kindersegen garantierenden Katholizismus? Stellt Gozo mit dem 67-jährigen Kurienkardinal Mario Grech nicht einen Anwärter auf die Nachfolge von Papst Franziskus? Gozo, das sind „Bauernhäuser“, die in der Immobilienwerbung komischerweise mit Pool aufwarten. Als ein Maximum an ausgestellter Heiligkeit bilden sandfarbene Kirchenkuppeln in der sanft gewellten Landschaft die markantesten Erhebungen. In der Hauptstadt Victoria/Rabat frühstücke ich in einer italienischen Bar. Die Gäste haben ihre Sorgen. Sein Hündchen sei „dauernd wütend“, raspelt ein Italiener. „Unseres ist genauso!“, schwärmt ein maltesisches Turtelpaar.

Wie Schmetterlinge

Im vierten Stock eines Business-Gebäudes rechnet mir Daniel Borg die derzeitige Herausforderung vor: Die Zahl ausländischer Arbeitskräfte habe sich seit 2011 verneunfacht. Der CEO der Handelskammer Gozo plädiert „holistisch“ für Integration und Familiennachzug. Maltas Politik nennt der zweifache Vater „kinderfreundlich“. Erst nach und nach schält sich heraus, dass Nachmittagsbetreuung nur in Städten existiert und der Schulbus noch kostenpflichtig war, als Borgs heute 18-jähriges Kind heranwuchs.

Kardinal Grech wurde 1957 in Qala geboren, einem ruhigen Gozo-Dorf mit Malta-Blick. In der goldsatten Kirche, in der Scheitelkäppchen verstorbener Bischöfe wie Schmetterlinge ausgestellt sind, dient der gozitanische Priester Charles. Auf meine Frage, ob die Ursache für die fehlenden Kinder nicht in einem Glaubensverlust zu suchen wäre, antwortet er zunächst mit „Nein“. Der Kirchenbesuch in Qala liegt „noch bei 45 Prozent“. Der Pfarrer führt „elf Prozent Unfruchtbarkeit“ an, dann die Anspruchskultur des Westens: „Kinder brauchen ein Tablet.“ Dafür kämen jetzt Leute anderer Kulturen rein, sagt er schulterzuckend, der Islam habe kein Problem mit Kindern. Er selbst predige noch manchmal fürs Kinderkriegen, „die Kirche sagt das aber kaum noch“.

Die erst 1978 geweihte Kirche von Xewkija besuche ich, weil Xewkija 2005 Gozos mieseste Geburtenrate erzielte. Das überrascht, haben die Xewkijer doch eigenhändig die viertgrößte Kirchenkuppel Europas hingestellt. Gut, zu sehen gibt es in der Kuppel nichts. Zwei Dörflerinnen putzen Holz und Glas vor einer Jesus-Statue, die ein Kreuz aus echten Baumstämmen schleppt. Vor der Kuppel spricht eine 80-Jährige alle Eintretenden an: „Eine Gabe von drei Euro für den Lift zur Kuppel hinauf wüssten wir zu schätzen.“ Der damalige Bischof sei gegen den Riesenbau gewesen, erzählt die Xewkijerin, „nebenan in Għajnsielem brauchten sie 50 Jahre für ihre Kirche, wir aber waren in 20 Jahren fertig“. Auf meine Frage antwortet sie: „Die Kirche hat früher die Leute zum Kinderkriegen gezwungen, indem sie ihnen eingetrichtert hat, Verweigerung ist Sünde.“ Eine der Putzerinnen stürzt aus der Weite des Raums auf mich zu: „Die Frauen waren früher zu Hause, jetzt müssen sie arbeiten gehen. Außerdem haben sie Hunde und Katzen lieber.“

Das Dorf, in dem Kardinal Grech aufwuchs, heißt Kerċem. Das Haus der Grechs ist am Bischofswappen „In fractione panis“ zu erkennen. Alles atmet Heiligkeit: Die Nachbarhäuser heißen „Madonna“, „St. Mary“ oder „Mount Carmel“, sogar die Red-Bull-Tafel in der Kneipe wird mit einer Strahlenkranz-Madonna geheiligt. 58 Minuten vor der Montagabendmesse gehen die Türen der Kirche auf. Der Küster hat mit dem Kardinal die Schulbank gedrückt und hält ihn für papabile, „weil er sehr diplomatisch ist“. Die Gozitaner dagegen seien „selbstsüchtig, money, money, money“. Am Ende sagt der Freund des möglichen Papstes von morgen: „Wir haben Gott verlassen, und Gott hat uns verlassen.“ Wenn er Grech im Juli wiedersieht, will er ihm das sagen.

Serie Europa Transit Regelmäßig berichtet Martin Leidenfrost über nahe und fernab gelegene Orte in Europa

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