Der Alarm geht

AfD Wilhelm Heitmeyer fürchtet, dass das Radikale zur neuen Normalität wird
Ausgabe 47/2018
Deutsche Zustände?
Deutsche Zustände?

Foto: IPON/Imago

Die Karten lagen auf dem Tisch, die Warnungen kamen regelmäßig und sie wurden allzu oft als schriller Alarmismus abgefertigt. Das Wählerpotenzial für die AfD war da, und zwar schon lange bevor sich die Partei gründete. Für den Appell „Wehret den Anfängen“ sei es inzwischen zu spät, stellt der Soziologe Wilhelm Heitmeyer in Autoritäre Versuchungen. Signaturen der Bedrohung nüchtern fest, die Gefahr für die liberale Demokratie und der Angriff auf die offene Gesellschaft sind längst Realität, man kann das zurzeit in Ungarn, Polen oder Italien beobachten. Es gibt nicht viele, die diese These empirisch so eindrucksvoll untermauern können wie Heitmeyer.

Deutsche Zustände hieß die Langzeitstudie, die unter seiner Federführung zwischen 2002 und 2011 veröffentlicht wurde. Mit der AfD als drittstärkster Kraft im Bundestag bekommt das „Deutsch-Sein“ wieder einen bedrohlichen Klang, entsprechend gerät der Geschichtsrevisionismus, den die Partei betreibt, bei Heitmeyer auch nicht zur Randnotiz. Der Gründungsdirektor des Bielefelder Instituts für Gewalt- und Konfliktforschung ist bekannt für präzise Begriffsfindungen, die „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ ist eine davon. Irgendwie sperrig, das waren die ersten Reaktionen von vielen Medienvertretern, als ihnen der Begriff zum ersten Mal in den Deutschen Zuständen begegnete. Ohne ihn hätte man vermutlich wesentlich länger gebraucht, um die Zusammenhänge zwischen sozialer Ungleichheit und der Herausbildung einer Ideologie der Ungleichwertigkeit in den Blick zu bekommen. Das könnte sich nun wiederholen, wenn Heitmeyer im Hinblick auf die AfD vom autoritären Nationalradikalismus spricht, während die Republik über Rechtspopulismus als Phänomen diskutiert. Mit dem Ergebnis, dass dessen Definition immer diffuser erscheint.

Bürgerliche Verrohung

Heitmeyer hingegen läuft bei seiner Beschreibung des autoritären Nationalradikalismus nicht Gefahr, dass die politische Programmatik der AfD zum Nebenschauplatz wird. Und er räumt gründlich mit dem Klischee auf, es handele sich um eine Partei, deren Anhänger vor allem im Prekariat anzutreffen seien. „Rohe Bürgerlichkeit“ ist ebenfalls ein Begriff, den Heitmeyer geprägt hat. Seit dem Beginn der Finanzkrise fällt auf, dass trotz der Umverteilung von unten nach oben in den höheren Einkommensgruppen der Hang zur Entsolidarisierung steigt. Die Ideologie des Leistungsträgers zeigt nachhaltige Wirkung.Zur großen Stärke des Buches gehört die Konzentration auf die ökonomische Entwicklung, den autoritären Kapitalismus und seine Rolle beim Entstehen der marktkonformen Demokratie. Der lang gehegte Glaube an eine wechselseitige Zähmung von Kapitalismus und Demokratie hat sich nicht bestätigt. Heitmeyer spricht von zwei entsicherten Jahrzehnten nach der Jahrtausendwende. Die autoritären Versuchungen interpretiert er als Reaktion auf individuelle und gesellschaftliche Kontrollverluste. Das Versprechen des Wohlfahrtsstaats läuft ins Leere, an dessen Stelle sind die Fragilität der Lebensentwürfe und Abstiegsängste getreten. Die ökonomische Verwertungslogik hat sich inzwischen in sämtliche Bereiche unseres Lebens eingeschrieben. Nützlichkeit, Effizienz, Verwertbarkeit, selbst unsere sozialen Beziehungen folgen solchen kapitalistischen Imperativen.

Die Formel vom Siegeszug des Neoliberalismus bemüht Heitmeyer nicht, vielleicht weil angesichts des Erfolgs der AfD immer stärker liberale Grund- und Freiheitsrechte zur Disposition stehen. Law-and-Order, schärfere Asylgesetze, mehr Spielraum für die Polizei, das ist vor allem bei Konservativen die Strategie gegen die Konkurrenz von rechts. Heitmeyer warnt zu Recht davor, dass man mit solchen Anpassungen zur Normalisierung autoritärer Machtvorstellungen beiträgt. Mehr Demokratie wagen? In Zeiten wie diesen möchte man sich lieber nicht vorstellen, wie ein Volksentscheid über Abschiebungen in Kriegsgebiete, die Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen oder die Herabsetzung der Strafmündigkeit bei Jugendlichen ausgehen würde.

Autoritäre Versuchungen – Signaturen der Bedrohung 1 Wilhelm Heitmeyer edition Suhrkamp 2018, 394 S., 18 €

Jetzt schnell sein!

der Freitag digital im Probeabo - für kurze Zeit nur € 2 für 2 Monate!

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden