Der Elvis braucht sein Obst

Zurückbleiben Blumen wollen gegossen, Hamster gefüttert, Briefkästen geleert werden. Eine muss es ja machen ...
Ausgabe 24/2018
Irgendjemand muss sich ja kümmern, während die anderen sich über die Welt verstreuen
Irgendjemand muss sich ja kümmern, während die anderen sich über die Welt verstreuen

Foto: Photothek/Imago

Zeig mir, wie du wohnst und ich sage dir, wer du bist. Schaut man sich bei mir um, sieht man hauchzarte Geschirrtücher aus Japan, Tablettendöschen aus Indien, Holzlöffel mit Zebramuster aus Südafrika, eine Schneekugel mit Maradona und der Hand Gottes, leuchtend bunte Lederelefanten aus Thailand und eine große Auswahl an Schwarz- und Grünteesorten.

Was sagt das über mich? Ich mag keinen Tee und Backpackerin war ich nur ein einziges Mal, seitdem ist klar, ich leide nicht an Fernweh und habe Flugangst. Hätte ich ein Ferienhaus in der Provence, würde ich da hinfahren, und zwar jedes Jahr. Mein Umfeld reagiert auf meine Vorstellung vom perfekten Urlaub ungefähr wie auf ein Bekenntnis zu All-Inclusive auf Malle. Was sich in meiner Wohnung stapelt, sind die Dankeschön-Geschenke von Freunden oder Freunden von Freunden. Irgendjemand muss sich ja kümmern, während die anderen sich über die Welt verstreuen.

Mittlerweile bin ich Profi, Tiere in Glaskästen sind ein Ausschlusskriterium. Wer einmal ein Wohnzimmer betreten hat, in dem lauter mehr oder weniger verendete Fische auf dem Boden gestrandet sind, weiß warum. Inzwischen habe ich eine Checkliste parat, wenn es um die Betreuung von Haustieren geht. Vom Alter, über Vorerkrankungen, Medikamente, Allergien, Hitzeempfindlichkeit bis zum Lieblingsspielzeug ist alles dabei. Sobald man die Ferienpflege für ein Tier zusagt, weiß man, dass man sich auch um die Menschen kümmern muss.Mails, die daran erinnern, dass Hamster Elvis zwischendurch frisches Obst und Gemüse braucht, beantworten sich leicht. Heikel wird es, wenn das Fell plötzlich nicht mehr glänzt und der Blick trübe wird. Schlägt man Alarm und bringt damit die Urlauber um die wohlverdiente Erholung?

Die Bindehautentzündung des Zwergkaninchens kann man erst einmal verschweigen, auch wenn es zubeißt, während man ungeschickt mit Augentropfen hantiert. Aber was ist, wenn die chronische Niereninsuffizienz des Katers plötzlich zum Ernstfall wird? Klar, man gibt Bescheid, aber erwähnt man den besorgten Blick der Tierärztin oder schlägt man besser zuversichtliche Töne an? Mit den Gedankentiraden, die einen in solchen Momenten beschäftigen, könnte man locker die Sitzung zum Thema Dilemma im Ethikseminar bestreiten. Der Kater der Freundin hat ihre Rückkehr noch erlebt, aber seitdem gibt es die Checkliste. Das Leeren von Briefkästen ist auch nicht so banal, wie es klingt. Zum Beispiel, wenn man sich darum kümmern muss, dass im Mietstreit mit der Hausverwaltung Fristen eingehalten werden müssen, trotz der anderen Zeitzone, in der sich die Freunde gerade aufhalten. Oder wenn eine aufgelöste Freundin anruft, der das Portemonnaie geklaut wurde. Da wartet man zusammen auf das Eintreffen der neuen Kreditkarte und den PIN-Code, damit ihre Reise weitergehen kann. Pflanzengießen ist da noch die leichteste Übung – theoretisch. Betreut man in einem Hitzesommer bei 40 Grad fünf Wohnungen, weiß man, was man getan hat. Schlimm war das Hochbeet auf dem Tempelhofer Feld, die Freunde hatten vom Urban Gardening geschwärmt, vor den Laufwegen mit der Gießkanne und dem Beetnachbarn, einem notorischen Besserwisser hat mich keiner gewarnt. Darüber habe ich mich dann tatsächlich auch mal beschwert. Über meinen Mangel an „Erlebnisorientierung“ spotten die Freunde seitdem kaum noch, stattdessen lobt man meine Ökobilanz. Vor allem jetzt, wo die Reisezeit beginnt.

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