Ein zu gutes Image?

Woodrow Wilson Die Princeton-Universität entfernt Woodrow Wilsons Namen von einer Fakultät. Dies gibt Anlass, seine Person neu zu beleuchten

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Woodrow Wilson
Woodrow Wilson

Foto: Hulton Archive/Getty Images

Am Samstag, den 27. Juni dieses Jahres, gab die renommierte Princeton University, gelegen in der Stadt Princeton im US-Bundesstaat New Jersey, bekannt, den Namen Woodrow Wilsons, des ehemaligen Präsidenten der Jahre 1913 - 1921, von ihrer Public Policy School zu entfernen und das Institut umzubenennen. Es soll fortan Princeton School of Public and International Affairs heißen. Nachdem ein entsprechender Schritt vom Aufsichtsrat der Universität im Jahre 2016 noch verweigert wurde, wurde die Frage einer Umbenennung im Zuge der Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus - ausgelöst durch den gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd - erneut virulent. Die Entscheidung zur Namensänderung, angestoßen von Studenten des Instituts, begründet Princetons Präsident Christopher L. Eisgruber nun mit Wilsons rassistischem Gedankengut und rassistischer Politik, die ihn als Namensgeber untragbar erscheinen lassen.

Woodrow Wilson scheint in den USA überwiegend positiv in Erinnerung zu sein. Historiker und Politikwissenschaftler bewerten seine Präsidentschaft regelmäßig als eine der besseren in der Geschichte der Vereinigten Staaten. So belegte Wilson beispielsweise im C-SPAN Survey on Presidential Leadership, einer Umfrage unter 91 Historikern, die im Jahr 2017 zum dritten Mal durchgeführt wurde, den 11. Platz (Abraham Lincoln besetzte den ersten, James Buchanan den letzten Platz). In einer Umfrage aus dem Jahr 2014, durchgeführt von dem Thinktank Brookings Institution, unter mehreren hundert Politikwissenschaftlern, landete Woodrow Wilson auf Platz 10 (Abraham Lincoln wiederrum auf dem ersten, James Buchanan auf dem letzten Platz). Der Entschluss der Princeton University gibt nun Anlass, Wilsons Person und Präsidentschaft neu zu bewerten und die Frage aufzuwerfen, ob sein durchaus positives Image gerechtfertigt ist.

Thomas Woodrow Wilson wurde am 28. Dezember 1856 in Staunton, einer Kleinstadt mit damals etwa 4.000 Einwohnern, gelegen im Nordwesten des Bundesstaates Virginia, geboren. Seine Eltern, Joseph Ruggles Wilson (1822-1903), ein presbyterianischer Pfarrer und Janet Woodrow (1830-1903), waren erst ein Jahr zuvor nach Staunton gezogen, als Joseph dort ein Priesteramt zugewiesen bekam. Die Sklaverei war in den 1850er und 1860er Jahren in Staunton fest verankert und Versklavte machten einen Bevölkerungsanteil von etwa 20% aus. Auch die Presbyterian Church in Staunton, der Joseph Wilson vorstand, machte von Sklavenarbeit Gebrauch, indem sie Sklaven für Haushaltsdienste anmietete, vermutlich um den neuen Pfarrer zu umhegen und um ihn vom Bleiben zu überzeugen. Dennoch hielt es die Familie nicht lange in Staunton und noch im zweiten Lebensjahr des kleinen „Thommy“ - ein Spitzname, der sich bis zu College Zeiten hielt - erfolgte der Umzug nach Augusta, Georgia, wo Joseph wiederrum ein Priesteramt übertragen wurde. Augusta war zu jener Zeit mit rund 12.000 Einwohnern etwa drei mal so groß wie Staunton, wobei der Sklavenanteil hier gar 50% ausmachte. In Augusta verortet Wilson später auch seine erste Kindheitserinnerung: In einer Rede, gehalten 1909 in Chicago, berichtet er davon, im Alter von 4 Jahren eine Person zufällig mitgehört zu haben, die im Vorbeigehen über die Wahl Abraham Lincolns zum Präsidenten geschimpft und vorausgesagt hatte, dass es Krieg geben würde. Der Sezessionskrieg stand kurz bevor und die Wilsons schlugen sich auf die Seite der Confederacy. Joseph rechtfertigte in seinen Predigten die Institution der Sklaverei unter Hinweisen auf die Bibel - die die Sklaverei nicht verbieten würde, sodass auch der Mensch dies nicht tun könne - und beteiligte sich an der Gründung der Southern Presbyterian Church of the United States, nachdem südliche Presbyterianer sich von nördlichen getrennt hatten - auch um der Union nicht die Treue schwören zu müssen. Der kleine Thommy wuchs mithin in einer Umgebung auf, in der Sklaverei nicht nur Normalität war, sondern auch moralisch gerechtfertigt wurde. Rassistisches Gedankengut wurde ihm also mehr oder weniger in die Wiege gelegt.

Nachdem sich zunächst abzeichnete, dass Woodrow es seinem Vater gleichtun und sich für ein Leben als Priester entscheiden würde, studierte er schließlich doch Philosophie und Geschichte an der Princeton University und im Anschluss daran Rechtswissenschaften an der University of Virginia School of Law. Den Anwaltsberuf ließ er allerdings nach nur einem Jahr praktizierender Tätigkeit in Atlanta, Georgia wieder hinter sich, entschloss sich, an die Universität zurückzukehren und schrieb sich für einen Promotionsstudiengang in Politischer Wissenschaft an der Johns Hopkins University in Baltimore, Maryland ein. Dort erwarb er im Jahr 1886 einen Doktortitel mit der Arbeit Congressional Government: A Study in American Politics, in der er eine Reformation des präsidentiellen Regierungssystems hin zu einem parlamentarischen System anregte, um den in der Verfassung angelegten Mangel einer entscheidungsstarken, durchsetzungsfähigen Institution auszugleichen. Nur wenige Jahre später, im Jahr 1889, erschien mit The State die wohl bedeutendste Schrift Wilsons. Hier argumentierte er, dass die Regierung für das Allgemeinwohl zu sorgen hätte, etwa indem sie Kinderarbeit verbietet oder aber dafür sorgt, dass Frauen nur in solchen Berufen beschäftigt werden, die sich nicht abträglich auf ihre Gesundheit auswirken.

Nachdem Wilson nun dank seiner publizistischen Tätigkeit kein Unbekannter mehr war, sondern sich durchaus einen gewissen Namen erarbeitet hatte - seine Arbeit Congressional Government wurde besonders gut aufgenommen und von einem Kritiker gar als beste verfassungspolitische Studie seit den von James Madison und Alexander Hamilton verfassten Federalist Papers beschrieben - wurde er im Jahr 1890 zunächst auf einen Lehrstuhl für Politische Ökonomie und Öffentliches Recht an der Princeton University berufen und im Jahr 1902 schließlich zu deren Präsidenten ernannt. Erwähnenswert scheint, dass auf Wilsons ausdrücklichen Wunsch und wohl gegen den Willen seiner Ehefrau, der afroamerikanische Bürgerrechtler Booker T. Washington an den Feierlichkeiten der Amtseinführung teilnahm. In seiner neunen Position als Präsident führte Wilson eine nahezu vollständige Neuorientierung der Universität durch, die damals noch nicht die Exzellenzuniversität war, die sie heute ist. Die Zulassungsvoraussetzungen für Studenten wurden verschärft und, um die Lehrqualität zu verbessern, sämtliche Professoren, die keine graduate degrees (Magister/Master Titel) vorweisen konnten, entlassen und die frei gewordenen Stellen neu besetzt. Wilson begründete außerdem das sogenannte preceptorial system, wonach preceptors mit studentischen Kleingruppen - zusätzlich zu den regulären Vorlesungen - den Stoff erarbeiten.

Neben diesen durchaus achtbaren Erfolgen existiert allerdings auch eine Schattenseite aus Wilsons Zeit in Princeton. Zum Jahrhundertwechsel begannen die anderen sieben Ivy League Universitäten (Brown University, Columbia University, Cornell University, Dartmouth College, Harvard University, University of Pennsylvania und die Yale University), schwarze Studenten aufzunehmen. Anders - unter Führung Woodrow Wilsons - die Princeton University, wo Schwarze weder auf dem Campus noch in der Studentenschaft erwünscht waren. Wilson riet einem interessierten Afroamerikaner mit der Begründung, es sei „unratsam für farbige Menschen, in Princeton zu studieren“, explizit davon ab, sich zu bewerben. Er rechtfertige seine Haltung mit dem Argument, er sei lediglich bemüht, die friedliche Atmosphäre in Princeton unter weißen Studenten aufrechtzuerhalten. Das Erbe dieser Politik ist wohl, dass erst im Jahr 1948 die erste schwarze Person einen Abschluss an der Princeton University erwarb.

Nachdem es aufgrund immer weitreichenderer Reformansätze Wilsons - beispielsweise wollte er exklusive Studentenclubs verbieten, um das Leben auf dem Campus zu demokratisieren - zu Zerwürfnissen mit dem Dekan der Graduiertenfakultät Andrew F. West - ironischerweise der einzige Professor ohne graduate degree, der die Säuberung aus Wilsons Anfangszeit in Princeton überlebt hatte - und der Studentenschaft kam, trat Wilson am 20. Oktober des Jahres 1910 zurück. Eine Auszeit gönnte sich Wilson allerdings nicht. Vielmehr wurde er bereits weniger als ein Monat später, am 8. November, als Kandidat der Demokratischen Partei - die damals in den Südstaaten absolut vorherrschte und der sich der Südstaatler Wilson deshalb fast schon naturgemäß angehörig fühlte - zum Gouverneur des Bundesstaates New Jersey gewählt. Wilson errang fast 54% der Stimmen und besiegte so den Kandidaten der Republikaner Vivien M. Lewis. Aus dem Nichts heraus kam Wilsons Wechsel in die Politik allerdings nicht, signalisierte er einflussreichen Demokraten doch bereits 1908 sein Interesse an einer Kandidatur um die Präsidentschaft. Hoffnungen auch nur als Kandidat der Demokraten aufgestellt zu werden, machte sich Wilson nicht, doch ging es ihm wohl hauptsächlich darum, seinen Hut in den Ring zu werfen. Darauf kamen die konservativ gesinnten Anführer der Demokraten in New Jersey nun im Jahr 1910 zurück und entschieden sich dazu, Wilson als Kandidaten für die anstehende Gouverneurswahl zu unterstützen - unter anderem mit dem Hintergedanken den politisch unerfahrenen Wilson in seiner Amtsführung leicht manipulieren und steuern zu können. Diese Hoffnung bewahrheitete sich aber nicht: Wilson machte mit einer progressiven Politik über die Grenzen von New Jersey hinweg auf sich aufmerksam. So konnte er mithilfe seiner Verbündeten in der Legislative die sogenannte Geran Bill durchsetzen, die es für Parteien verbindlich machte, zur innerparteilichen Kandidatenauswahl für Wahlämter, Vorwahlen durchzuführen - was die Macht derjenigen untergrub, die mithalfen, Wilson ins Gouverneursamt zu hieven. Als weitere legislative Erfolge während Wilsons Amtszeit zu nennen wären die Verabschiedung von Gesetzen zur Einschränkung von Kinderarbeit sowie zur Aufbesserung der Arbeitsbedingungen von Fabrikarbeitern. In Wilsons Politik als Gouverneur von New Jersey spiegelt sich also seine zuvor in seiner Schrift The State zugrunde gelegte Forderung nach einer verbesserten öffentlichen Wohlfahrt wider.

Die progressive Bewegung, die im Zuge von Industrialisierung und Landflucht entstand und deren Grundgedanke es war, dass die Regierungen sich stärker einbringen müssen in Angelegenheiten, die zu groß für den Einzelnen sind, gewann in den 1910er Jahren in beiden großen Parteien an Aufwind, sodass es Wilson nicht wirklich schadete, sich mit den konservativen Bossen der Demokraten in New Jersey zerstritten zu haben. Vielmehr gewann Wilson dank seiner Reformen im gesamten Bundesgebiet an Popularität, sodass er sich bald als aussichtsreicher Kandidat für die anstehenden Präsidentschaftswahlen im Jahre 1912 herauskristallisierte. Als Favorit für die Nominierung der Demokraten galt allerdings der damalige Speaker of the House of Representatives Champ Clark aus Missouri. So konnte Clark auf der Democratic Convention, abgehalten vom 25. Juni bis zum 2. Juli 1912 in Baltimore, Maryland, auch die ersten Wahlgänge für sich entscheiden, scheiterte jedoch stets am Zweidrittelerfordernis. Erst als der einflussreiche William Jennings Bryan, Präsidentschaftskandidat der Demokraten der Jahre 1896, 1900 und 1908 und Anführer des progressiven Flügels der Demokraten, seine Verbindungen spielen ließ, drehte sich der Wind zugunsten Wilsons, der bereits kurz davor war aufzugeben und eine Rede verlesen zu lassen, in der er seine Niederlage bekannt geben würde. Mit Bryans Unterstützung, die vermutlich auch mit der Zusage eines Kabinettspostens zusammenhängt - Bryan würde nach der Wahl zum Außenminister ernannt werden - gelang es Wilson schließlich im 46. Wahlgang die erforderliche Mehrheit und damit die Nominierung der Demokraten zu gewinnen.

Die vom 18. bis zum 22. Juni in Chicago, Illinois abgehaltene Republican National Convention verlief nicht weniger turbulent - was Wilson letzten Endes zu Gute kommen sollte. Der Amtsinhaber, William Howard Taft, der unter seinem Vorgänger Theodore Roosevelt als Verteidigungsminister diente und von Roosevelt persönlich als Nachfolger auserkoren und 1908 ins Amt gewählt wurde, versäumte es, die progressive Politik Roosevelts fortzusetzen, vielmehr biederte er sich mehr und mehr dem konservativen Flügel der Partei an. Dies verärgerte den progressiven Flügel der Republikaner, dem es sodann gelang, TR davon zu überzeugen, sich selbst erneut zur Wahl zu stellen und seinen Freund Taft herauszufordern. Taft konnte sich jedoch auf der Convention durchsetzen und wurde von den Republikanern als Präsidentschaftskandidat nominiert. Roosevelt und seine Anhänger waren allerdings überzeugt, die Nominierung Tafts sei nicht korrekt zustande gekommen - einige von ihnen verließen die Convention sogar noch vor dem entscheidenden Wahlgang - und beschlossen, sich von der Republican Party abzuspalten, gründeten die Progressive Party und stellten Theodore Roosevelt als ihren Präsidentschaftskandidaten auf. Viele Republikaner folgten ihnen in die neu gegründete Partei, sodass es zu einer Zersplitterung der Republican Party und ihrer Wählerschaft kam.

Wilson sah sich mithin zwei wesentlichen Herausforderern gegenüber, letztlich profitierte er allerdings von der Spaltung der Republikaner in zwei verfeindete Lager. Die am 5. November 1912 abgehaltenen Präsidentschaftswahlen konnte er deutlich für sich entscheiden: Wilson gewann in 40 Staaten, Roosevelt in sechs und Taft nur in zwei, sodass er 435 electoral votes auf sich vereinigen und damit die Hürde der erforderlichen 266 electoral votes mühelos nehmen konnte - wobei er jedoch nur knapp 42% des popular vote erhielt. Somit wurde mit Wilson zum ersten Mal seit 1897 ein Demokrat und zum ersten Mal seitdem Zachary Taylor 1848 die Wahl gewonnen hatte ein Southerner Präsident. Die Republikaner mussten demgegenüber ihre schlimmste Niederlage in der Geschichte ihrer Partei hinnehmen. Auch bei den zugleich abgehaltenen Kongresswahlen konnten die Demokraten gute Ergebnisse erzielen und Wilson somit Mehrheiten in beiden Kammern sichern.

Wilsons Wahlkampf und sein innenpolitisches Programm, welches er innerhalb seiner ersten Amtszeit auch durchzusetzen wusste, stand unter dem Schlagwort „The New Freedom“. Er setzte damit seine progressive Politik fort, ging allerdings nicht so weit, wie es Theodore Roosevelt in seinem Wahlprogramm unter dem Motto „The New Nationalism“ gefordert hatte. Dennoch gelangen Wilson beachtliche Erfolge, wie etwa die Einführung einer progressiven Einkommenssteuer für Einkommen ab $ 3.000, die Absenkung der Grundzölle von 40% auf 25 %, die Begründung des Federal Reserve System, welches das Banken- und Geldwesen einer Kontrollinstanz unterwarf und künftige Finanzkrisen eindämmen sollte, sowie die Einführung der Federal Trade Commission, um die Großindustrie im Hinblick auf Wettbewerbspraktiken zu überwachen und um so Konsumenten zu schützen. Auch in arbeitsrechtlicher Hinsicht konnten unter Wilsons Ägide Fortschritte erreicht werden. So gelang es Wilson mittels Verabschiedung des Adamson Acts, welcher den 8-Stunden Tag für Eisenbahnarbeiter einführte, einen bundesweiten Streik abzuwenden und erstmalig die täglichen Arbeitsstunden von Angestellten im Privatsektor zu regulieren. Außerdem nominierte Wilson 1916 - durchaus im Widerspruch zu einem damals innerhalb der protestantischen Elite ausgeprägten Antisemitismus - mit Louis D. Brandeis den ersten jüdischen Richter für den Supreme Court. Des Weiteren unterstützte Wilson die Frauenwahlrechtsbewegung und überzeugte den Kongress den 19. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten zu verabschieden, welcher besagt, dass das Wahlrecht der Bürger der Vereinigten Staaten weder von den Vereinigten Staaten oder von den Einzelstaaten aufgrund des Geschlechts beschränkt oder versagt werden darf. Dies ändert freilich nichts daran, dass bis zum Voting Rights Act of 1965, verabschiedet unter der Ägide Lyndon B. Johnsons, Wahlrechtsdiskriminierungen aufgrund von Rasse in vielen Einzelstaaten praktiziert wurden.

Man muss Wilson als „konservativen Progressiven“ bezeichnen, betrachtet man etwa die Postulate von Theodore Roosevelt und seiner Progressive Party, die Wilson nicht in seine Politik aufnahm. So etwa die Forderungen nach einem Mindestlohn für Frauen, einem allgemeinen 8-Stunden Arbeitstag, einem Sozialversicherungssystem, einem nationalen Gesundheitswesen sowie nach einer Erbschaftssteuer. Wilsons vergleichsweise zögerliches Vorgehen stand freilich im Einklang mit seiner - in The State geäußerten - Ansicht, „in der Politik könne etwas radikal Neues nicht gefahrlos erprobt werden“, erforderlich sei vielmehr „langsamer und schrittweiser“ Wandel.

Einen Schatten auf Wilsons legislative Erfolge wirft seine Einstellung bezüglich Rassentrennung (segregation). Wilson berief ausgesprochene Rassisten in sein Kabinett; so wurde etwa Albert S. Burleson, der zuvor seinen Heimatstaat Texas im House of Represantatives vertreten hatte, zum Postmaster General ernannt. Burleson schlug nur wenige Monate nach dem Amtsantritt der neuen Regierung in einer Kabinettssitzung vor, die Rassentrennung in der Bahnpost einzuführen, um „untragbaren“ Zuständen abzuhelfen - die rassenübergreifende, gemeinsame Nutzung von Toiletten, Handtüchern und Trinkgläsern; Wilson ließ ihn gewähren. Andere Kabinettsmitglieder, vor allem Treasury Secretary William McAdoo, folgten Burleson und drängten Wilson, die Rassentrennung in der gesamten Regierung wiedereinzuführen, die in der Reconstruction Era, der Zeit nach dem Bürgerkrieg, abgeschafft worden war. So kam es, dass bereits Ende 1913 weiße und schwarze Regierungsangestellte in einigen Ministerien und Dienststellen des Federal Government getrennte Toiletten und Speisesäle benutzen mussten und auch an ihren Arbeitsplätzen separiert wurden. Ferner verloren viele Schwarze ihre Jobs gänzlich oder wurden nur noch für einfache Arbeiten eingesetzt. Des Weiteren mussten alle Bewerber ab 1914 Lichtbilder mit ihrer Bewerbung einreichen.

Anfangs bestand Ungewissheit darüber, inwieweit Wilson im Bilde war, gab es doch von seiner Seite keinen executive order, welcher die Rassentrennung angeordnet hätte. Auch wenn es nicht so scheint, als wäre Wilson der Vorkämpfer um die Einführung der Richtlinien gewesen, so schien er sie doch zumindest mitgetragen zu haben. Deutlich wurde seine Sichtweise, als er von Anführern der schwarzen Bürgerrechtsbewegung wegen der Rassentrennungspolitik herausgefordert und attackiert wurde. So wurde Wilson etwa von seinem Freund und Unterstützer Oswald Garrison Villard, der an der Gründung der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP), einer schwarzen Bürgerrechtsorganisation, beteiligt war, in einem Brief offen gefragt, ob er sich der fortschreitenden segregation in den Regierungsbehörden und den damit einhergehenden Gefahren bewusst sei. Wilson verteidigte in seinem Antwortbrief die Rassentrennungspolitik und behauptete, diese gehe zu Gunsten der weißen wie der schwarzen Angestellten, indem Spannungen zwischen den Rassen abgebaut und Schwarze so vor Diskriminierung geschützt werden.

Dass Wilson also keine bösen Absichten verfolgte, mag man für glaubhaft halten oder nicht. Afroamerikaner hatten freilich nicht das Gefühl, die Rassentrennung würde zu ihrem Vorteil gereichen, sondern ihre Entwicklung vielmehr einschränken. Sie trugen vor, dass schwarze Angestellte ausnahmslos minderwertige Räume und Toiletten zugewiesen bekamen und Anfeindungen von weißer Seite eher zu- als abnahmen. Insbesondere William Monroe Trotter - damals ein bekannter Bürgerrechtsaktivist und vor der Wahl ein Unterstützer Wilsons, dem Wilsons in einer persönlichen Unterhaltung im Jahr 1912 auch zugesagt hatte, sich als Präsident für Gerechtigkeit für alle Amerikanern einsetzen zu wollen - fühlte sich von Wilson hintergangen. Er begehrte eine erneute Zusammenkunft mit Wilson - eine Unterredung im Herbst 1913 führte trotz Versprechungen von Wilsons Seite zu nichts - und wurde schließlich am 12. November 1914 mit einigen seiner Kollegen im Oval Office empfangen. Trotter versuchte Wilson zu erklären, dass die Rassentrennungspolitik demütigend für Schwarze sei, doch Wilson beharrte auf seiner Position und rechtfertigte die Politik erneut als eine Begünstigung von Afroamerikanern. Eine hitzige Debatte entbrannte nachdem Trotter Wilson darauf hinwies, die „New Freedom“ Politik gelte lediglich weißen Amerikanern, Schwarze müssen demgegenüber eine „new slavery“ ertragen. Nachdem Trotter Wilson dazu aufforderte, gemeinsam eine Lösung zu erarbeiten - auch im Interesse Wilsons, hätten er, Trotter, und andere schwarze Bürgerrechtsaktivisten ihn doch im Wahlkampf unterstützt - wurde Wilsons zornig und fühlte sich erpresst. Das Meeting wurde abgebrochen und Trotter und seine Kollegen wurden hinausgebeten. Anzumerken ist allerdings, dass Wilson sein Verhalten kurze Zeit später bereits bereute und seinem Secretary of the Navy, Josephus Daniels, gestand, sich wie ein „Trottel“ verhalten zu haben, als er die Delegation hinauswies. Dass er im selben Gespräch aber anmerkte, ein gezügelteres Vorgehen seinerseits hätte dafür gesorgt, dass „niemand von der Angelegenheit erfahren hätte“, zeigt, dass er wohl vor allem seine Gereiztheit bereute, nicht aber die Tatsache, dass er die Rassentrennungspolitik verteidigt hatte.

Nur drei Monate später zeigte Wilson im East Room des White House in privater Runde den Film The Birth of a Nation, der den Ku-Klux-Klan als eine heroische Organisation, Afroamerikaner demgegenüber als beschränkt portraitiert. Wilson soll angeblich die Handlung als der Wahrheit entsprechend beschrieben haben („all so terribly true“). Die Authentizität dieses Zitates ist allerdings umstritten. Fakt ist demgegenüber, dass Wilson das Wesen des Filmes nicht gekannt hatte, als er einwilligte, ihn im White House zu präsentieren. Der Film basiert auf einem Roman von Thomas Dixon, einem Kommilitonen Wilsons aus John Hopkins - Zeiten, der ihn bat, den Film zu zeigen, um dessen Bekanntheitsgrad zu steigern, ohne Wilson aber die Substanz des Streifens mitzuteilen.

Wilsons Außenpolitik ist unter dem Schlagwort „Wilsonianism“ in die Geschichte eingegangen. Die Grundgedanken, auf denen seine außenpolitischen Visionen basierten, waren die Forderungen nach der Selbstbestimmung der Völker, nach Ausbreitung von Demokratie und Kapitalismus sowie nach der Einführung eines Systems kollektiver Sicherheit. Dabei hielt Wilson die Vereinigten Staaten für auserwählt, diese Postulate in die Welt zu tragen und durchzusetzen. Wilson prophezeite bereits in seiner Arbeit Congressional Government, dass infolge des Aufstiegs der USA im internationalen Vergleich amerikanische Präsidenten sich nicht mehr auf die Innenpolitik beschränken werden können. Dennoch vertraute er kurz nach seiner Wahl einem ehemaligen Kollegen aus Princeton an, es für eine „Ironie des Schicksals“ zu halten, falls er sich in seiner Amtszeit vorwiegend mit außenpolitischen Fragestellungen würde beschäftigen müssen.

Der Eintritt dieser Ironie ließ freilich nicht lange auf sich warten und Wilson erhielt schon bald Gelegenheit, die Aufrichtigkeit seiner Forderung nach Demokratisierung unter Beweis zu stellen. Denn im Februar 1913 kam es im benachbarten Mexiko zu einem Staatsstreich des Generals Victoriano Huerta, der den gewählten Präsidenten Francisco Madero zwang, sein Amt niederzulegen und ihn anschließend ermorden ließ. Amerikanische Investoren, die stabile Verhältnisse in Mexiko wünschten, machten Druck auf Wilson, es europäischen Mächten gleichzutun und Huerta diplomatisch anzuerkennen. Wilson stellte sich den Forderungen allerdings entgegen und machte deutlich, allein eine demokratisch gewählte Regierung anerkennen zu wollen. In der Hoffnung, den „Konstitutionalisten“ unter Venustiana Carranza einen nunmehrigen Putsch zu ermöglichen und Huerta zu stürzen, ließ er im Februar 1914 ein zuvor verhängten Waffenembargo aufheben. Nachdem diese Maßnahme allerdings wirkungslos blieb, entschloss sich Wilson zu militärischen Mittel zu greifen. Ein Alibi verschaffte die Inhaftierung zweier Soldaten der U.S. Navy, sowie die anschließende Weigerung der Mexikaner, sich - nach Freilassung der Matrosen - mit einem 21-Schuss-Salut zu entschuldigen. Wilson entsendete die Navy, die Veracruz besetzen und Waffen, die sich auf dem Weg zu dem Küstenort befanden, konfiszieren sollte. Die sich anschließende Konfrontation mit mexikanischen Einheiten führte zu 126 Toten auf Seiten der Mexikaner sowie zu 19 Toten auf Seiten der Amerikaner. Die Intervention der Navy stieß in Mexiko auf lagerübergreifende, einhellige Ablehnung - sogar der von Wilson unterstützte Carranza verlangte den umgehenden Abzug der US-Truppen - woraufhin Wilson von seinen Plänen, die Intervention zu erweitern, Abstand nahm. Historiker bewerten Wilsons Mexiko-Kampagne unterschiedlich. Einerseits wird argumentiert, Wilson habe es an der Schaffung demokratischer Strukturen in Mexiko gelegen, andererseits wird das Engagement als Versuch kritisiert, Mexiko das amerikanische Regierungssystem mit Gewalt aufzunötigen. Jedenfalls dürfte die Intervention ein gewisses Spannungsverhältnis zu Tage gefördert haben, welches zwischen Wilsons Demokratisierungsmission auf der einen Seite und seiner Forderung nach nationaler Selbstbestimmung auf der anderen Seite, besteht.

Nachdem im Juli 1914 in Europa der erste Weltkrieg ausgebrochen war, versuchte Wilson, vor dem Hintergrund des in den USA großgeschriebenen Prinzips der Nonintervention in europäische Auseinandersetzungen, die Neutralität der Vereinigten Staaten zu wahren und sein Land als Vermittler zu positionieren. Letztes Ziel blieb ohne Erfolg; weder die Entente- noch die Mittelmächte waren einer amerikanischen Mediation zugeneigt. Die Absicht, die Vereinigten Staaten aus dem Krieg heraus zu halten, konnte Wilson dagegen zunächst in die Tat umsetzen. Freilich war aber auch dies kein leichtes Unterfangen. Denn es kam zu Konflikten sowohl mit dem Vereinigten Königreich, welches sich zum einen das Recht vorbehielt, neutrale Schiffe auf den Transport von Kontrabande zu untersuchen und sie dabei über mehrere Wochen hinweg in englischen Häfen festzuhalten, und zum anderen eine Seeblockade vor der deutschen Küste in der Nordsee etablierte, welche auch US-amerikanischen Kaufleuten die Möglichkeit nahm, mit Deutschland Handel zu treiben. Für Spannungen mit Deutschland sorgte der von Deutschland geführte U-Boot-Krieg, von dem auch amerikanische Schiffe und amerikanische Passagiere nicht verschont blieben. So wurde etwa am 7. Mai 1915 mit der Lusitania ein Passagierschiff von einem deutschen U-Boot 18km vor der südlichen Küste Irlands versenkt, was zu dem Tod von ca. 1200 Menschen, inklusive 128 Amerikanern, führte. Dies führte zu innenpolitischem Druck auf Wilson, der sich allerdings nicht von seinem Kurs abbringen ließ und lediglich eine Protestnote an Deutschland versendete. Erst als am 24. März 1916 das französische Passagierschiff SS Sussex von einem deutschen U-Boot torpediert und schwer beschädigt wurde, was zum Tod von mindestens 50 Passagieren, darunter vier Amerikanern, führte, drohte Wilson offiziell den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Deutschland an, welches daraufhin zusagte, den U-Boot Krieg einzuschränken und die Regeln der Kriegsführung zu See zu befolgen. Wilson, der in der Zwischenzeit mit einer Wahlkampagne, die unter dem Motto „He kept us out of the war“ stand und die Republikaner und deren Kandidaten Charles E. Hughes als Kriegstreiber bezichtigte, am 7. November 1916 für eine zweite Amtsperiode wiedergewählt wurde, forderte in einer Rede, gehalten am 22. Januar 1917 vor dem U.S. Senate einen „Frieden ohne Sieg“. Um sein Ziel, zuerst formuliert in einer Rede vom 27. Mai 1916, eine „Assoziation der Nationen“, ein System kollektiver Sicherheit, welches das instabile Mächtegleichgewicht ablösen soll, zu erreichen, sei es erforderlich, dass es nicht zu einem Diktatfrieden käme, da ein solcher das Potential besäße, die Besiegten zu demütigen und zu desillusionieren.

Parallel zu der offiziellen Neutralitätspolitik, spielte sich das - unter anderem von Theodore Roosevelt angestoßene - Preparedness Movement ab, welches in der Erwartung eines schlussendlichen Kriegseintritts der USA eine nationale Aufrüstung befürwortete. Wilson ist der Bewegung anfangs skeptisch gegenübergestanden, änderte seine Haltung allerdings nach der Versenkung der Lusitania und unterschrieb im Juni 1916 den National Defense Act, welcher vorsah, die Größe der U.S. Army von 100.000 Mann auf 200.000 zu verdoppeln. Außerdem forderte er, die U.S. Navy über die kommenden zehn Jahre hinweg zur „größten Marine der Welt“ auszubauen und unterschrieb zu diesem Zweck im August 1916 den Naval Act, welcher 500 Mio. Dollar für den Bau von 157 neuen Kriegsschiffen in den nächsten 3 Jahren bereitstellte.

Wilsons Forderung nach einem „Frieden ohne Sieg“ stieß bei den Kriegsparteien auf wenig Resonanz. Im Gegenteil - Deutschland reagierte Ende Januar 1917 mit der Ankündigung der neuerlichen Wiederaufnahme des uneingeschränkten U-Boot-Krieges. Die deutsche Erwägung war, Amerika würde dessen ungeachtet weiterhin einen Kriegseintritt zu vermeiden suchen und sollte es doch dazu kommen, würde man die Alliierten besiegt haben, bevor die USA entscheidend würden intervenieren können. Wilson versuchte tatsächlich zunächst weiterhin den Eintritt der USA in den Krieg abzuwenden und reagierte lediglich mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Erst nachdem am 1. März 1917 das Zimmermann-Telegramm, welches Arthur Zimmermann, der deutsche Staatsekretär des Auswärtigen Amts an Mexiko zu versenden beabsichtigte, aber vom britischen Marinegeheimdienst abgefangen und dekodiert wurde, der amerikanischen Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, begann Wilson seine Politik zu überdenken. Der Inhalt des Telegramms, ein Bündnisangebot Deutschlands an Mexiko inklusive Zusicherung von Unterstützung zur Rückeroberung der ursprünglich mexikanischen Territorien im Bundesgebiet der Vereinigten Staaten , falls die USA in den Krieg eintreten sollten, setzte Wilson unter Zugzwang. Wilson aber zögerte weiter, vermutlich um sein Ziel eines „Friedens ohne Sieg“ nicht preisgeben zu müssen, aber wohl auch mit Rücksicht auf die unterschiedlichen Sympathien innerhalb der Zuwanderergemeinschaften und mithin aus Angst, dass sich das eigene Land spalten würde. Nachdem allerdings im Laufe des Monats drei amerikanische Güterschiffe von deutschen U-Booten attackiert wurden, sprach sich das gesamte Kabinett am 20. März 1917 für einen Kriegseintritt der USA aus und auch Wilson lenkte ein: Am 2. April 1917 trat er an den Kongress heran und ersuchte diesen um eine Kriegserklärung gegen Deutschland, welche am 6. April 1917 mit jeweils großen Mehrheiten von beiden Kammern verabschiedet wurde. In seine Rede vor dem Kongress begründete Wilson seine Entscheidung nicht mit nationalen Interessen, vielmehr trete Amerika deswegen in den Krieg ein, um für den „Weltfrieden“ und die „Befreiung aller Völker“ sowie für die Ausbreitung der Demokratie, als Bedingung eines dauerhaften Friedens, zu kämpfen: „Die Welt muss sicher gemacht werden für die Demokratie“. Er bezichtigte das Deutsche Reich, die Feindseligkeiten initiiert zu haben - ohne aber das deutsche Volk zu beschuldigen - sah jedoch den eigentlichen Grund für den Krieg im überholten System des Mächtegleichgewichts. Damit distanzierte er sich von den imperialistischen Kriegszielen der Entente-Mächte, auf deren Seiten er in den Krieg eintreten würde und suchte auch in terminologischer Hinsicht eine gewisse Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten zu wahren: er wollte die USA nicht als „alliierte“ sondern lediglich als „assoziierte“ Macht tituliert wissen. Der Rest ist Geschichte. Die Vereinigten Staaten entsandten mehr als 2 Mio. Soldaten - darunter 350.000 Afroamerikaner, die in getrennten Einheiten, allerdings unter weißen Offizieren dienten - unter dem Kommando von General John J. Pershing nach Europa und griffen entscheidend zugunsten der Entente-Mächte in das Kriegsgeschehen ein. Als Deutschland sich am 11. November 1918 gezwungen sah, das Waffenstillstandsabkommen von Compiègne, welches das Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen markierte, zu unterzeichnen, sollten 116.000 amerikanische Soldaten gefallen und mehr als 200.000 verwundet worden sein. Allerdings verkürzte die amerikanische Intervention mutmaßlich das Kriegsgeschehen, weshalb wohl mehrere hunderttausende Menschenleben verschont blieben. Hierin ist Wilsons wohl bedeutsamste Leistung zu erblicken.

Wirft man einen genaueren Blick auf Wilsons anfänglichen Neutralitätskurs, so stellt sich heraus, dass die behauptete Neutralität nur auf dem Papier bestand. Die Vereinigten Staaten versorgten die Entente-Mächte in den Jahren 1914 - 1917 nicht nur mit Kriegsgerät im Wert von 7 Mrd. Dollar, sondern ließen auch zu, dass ein Teil davon (mehr als 2 Mrd. Dollar) mithilfe von Anleihen US-amerikanischer Banken finanziert wurde (Nebenbei: Deutschland erhielt Kredite in Höhe von lediglich 27 Mio. Dollar). Nachdem Wilson zunächst seinem Außenminister William Jennings Bryan zugestimmt hatte, dass keine Kredite an kriegführende Nationen vergeben werden sollen, weil dies gegen den „Geist wahrer Neutralität“ verstoße, wurde diese Politik bereits im Oktober 1914 wieder aufgegeben. Im Hinblick auf Lieferungen von amerikanischem Kriegsgerät an die Alliierten muss dem damaligen deutschen Botschafter in Washington, Graf Johann Heinrich Bernstorff zugestimmt werden, der in einem Memorandum vom 4. April 1914 kritisierte, dass dies - ungeachtet der hypothetischen Bereitwilligkeit der USA, auch die Mittelmächte mit Waffen zu versorgen, bestünde die britische Blockade nicht - dem Geist wahrer Überparteilichkeit zuwiderläuft und diesem Geist allein ein generelles Waffenembargo entsprechen würde.

Im Hintergrund Wilsons bloß formaler Neutralität könnten, wie der (mittlerweile verstorbene) Historiker und Professor für amerikanische Geschichte an der Columbia University Richard Hofstadter mutmaßte, „ökonomische Notwendigkeiten“ gestanden haben. Die Vereinigten Staaten befanden sich zu Beginn des Weltkriegs im Juli 1914 bereits seit über einem Jahr in einer Rezession; sowohl die Produktion als auch die Realeinkommen sanken seit Januar 1913 ab. Die Bestellungen der Alliierten von Kriegsgerät kurbelten die Wirtschaft allerdings so stark an, dass die Krise bereits Ende 1914 überwunden war. Weite Teile der Gesellschaft konnten einen Nutzen aus der Kriegskonjunktur schlagen. Vor allem mit dem Vereinigten Königreich war ein neuer Absatzmarkt für amerikanische Produkte und Kredite geschaffen worden, was durchaus im Einklang mit Wilsons wirtschaftspolitischen Zielen stand; „Unsere inländischen Märkte reichen nicht länger aus, wir benötigen Absatzmärkte im Ausland“, sagte er im Wahlkampf 1912. Die Konsequenz war freilich eine Verstrickung der Interessen der amerikanischen Hochfinanz und der Entente-Mächte. William Jennings Bryan, der sich, wie ausgeführt, gegen die Vergabe von Krediten an die sich bekriegenden Nationen ausgesprochen hatte, befürchtete, eben eine solche Interessenverstrickung könnte dazu führen, dass Amerika von seinen finanziellen Eliten in den Krieg gedrängt wird. Das nach seinem Vorsitzenden Gerald Nye, einem republikanischen Senator aus North Dakota, benannte „Nye-Committee“ des U.S. Senate untersuchte in den frühen 1930er Jahren den Einfluss der Finanz- und Rüstungsindustrie auf Wilsons Außenpolitik zwischen 1914 und 1918. In den Anhörungen dementierten die Repräsentanten der Wall Street zwar, Druck auf die Regierung ausgeübt zu haben, in den Krieg einzutreten, nach Abschluss der Untersuchungen war jedoch Gerald Nye nicht der einzige, der überzeugt war, dass die Vereinigten Staaten Deutschland den Krieg erklärten und intervenierten, um einen Sieg der Entente sicherzustellen, sodass diese im Anschluss ihre Kredite würde bedienen können.

Trotzdem Wilson an den Patriotismus der Amerikaner appellierte, stand die öffentliche Meinung alles andere als geschlossen hinter seiner Entscheidung, in den Krieg zu ziehen. Dies beweist bereits die vergleichsweise niedrige Anzahl von 73.000 Männern, die sich in den ersten sechs Wochen nach Kriegserklärung freiwillig verpflichteten, für die Vereinigten Staaten in den Krieg zu ziehen. Wilson beabsichtigte anfangs, eine Armee von 1 Mio. Freiwilligen aufzustellen, die geringen Freiwilligenzahlen veranlassten ihn jedoch bereits Mitte Mai 1917 den Selective Service Act zu unterzeichnen, welcher die allgemeine Wehrpflicht für 18- bis 30-Jährige einführte.

Um die isolationistischen Strömungen innerhalb der Bevölkerung zu bekämpfen und um ihre patriotischen Gefühle zu wecken, schuf Wilson mittels executive order am 13. April 1917 das Committee on Public Information und ernannte den Journalisten George Creel zu dessen Chairman. Unter Creels Führung wurde das CPI schnell zu einem omnipräsenten Propagandainstrument: Unter anderem wurden 750.000 Kurzansprachen sogenannter „Four-Minute-Men“ in 5.000 amerikanischen Orten organisiert. Resultat der Propaganda-Kampagne war eine Hysteriesierung der Gesellschaft, die vor allem zum Leidwesen der rund 5,7 Millionen Deutschamerikaner ging, die unter Generalverdacht gestellt und enorm unterdrückt wurden; Straßen, Orte und Firmen mit deutschen Namen wurden umbenannt, Schulen stellten den Deutschunterricht ein, deutschsprachige Bücher wurden aus Bibliotheken entfernt und deutschstämmige Einwanderer verzichteten darauf in der Öffentlichkeit deutsch zu sprechen. Den tragischen Höhepunkt dieser Entwicklung markiert der Lynchmord an dem 30-jährigen deutschen Einwanderer Robert Prager in Collinsville, Illinois. Prager wurde von 200 - 300 Männern zunächst gezwungen, in eine amerikanische Flagge gewickelt durch den Ort zu laufen und zahlreiche Schikanen über sich ergehen zu lassen und wurde schließlich gehängt. 11 Männer wurden angeklagt, aber von den Geschworenen freigesprochen. Wilson konnte sich nicht dazu durchringen, die grassierende Germanophobie öffentlich zu verurteilen; vielmehr fragt sich, ob er nicht vielleicht sogar - indirekt - dazu angestiftet hat, als er in seiner State of the Union Address vom 7. Dezember 1915 von Einwanderern sprach, die „Illoyalität und Anarchie“ verbreiten und deswegen zu „zerschlagen“ seien.

Um Konsens innerhalb der Bevölkerung zu erzeugen, griff Wilson allerdings zu noch drastischeren als Propagandamitteln. Am 15. Juni 1917 unterzeichnete er den Espionage Act, welcher unter anderem die Störung des drafts, d.h. der Einberufung zum Militär, sowie die Unterstützung der Feinde unterbinden sollte und entsprechende Verhaltensweisen mit Gefängnisstrafe von bis zu 20 Jahren bedrohte. Ergänzt wurde der Espionage Act im Mai 1918 um den Sedition Act, um ein breiteres Spektrum von Handlungen zu kriminalisieren, namentlich Meinungsäußerungen, die die Regierung der Vereinigten Staaten oder deren Kriegsanstrengungen kritisieren. Wenige Monate nach dem Inkrafttreten des Espionage Acts wurde der Sozialist Charles T. Schenck wegen Verstoßes gegen das Gesetz verhaftet und zu sechs Monaten Gefängnisstrafe verurteilt. Er hatte 15.000 Flugblätter, die sich an draft-fähige Männer wandten und sie unter Hinweis auf den 13. Zusatzartikel der Verfassung, welcher unter anderem die Zwangsarbeit verbietet, dazu aufriefen, sich der Wehrpflicht zu widersetzen, drucken und verteilen lassen. Schenck ging in Berufung und argumentierte, das Gesetz würde gegen den 1. Zusatzartikel der Verfassung, welcher die Meinungsfreiheit garantiert, verstoßen. Der Supreme Court wies die Berufung in einer einstimmigen Entscheidung ab und erklärte den Espionage Act damit für verfassungskonform. Auch Eugene V. Debs, einer der Gründungsmitglieder der Industrial Workers of the World und unter anderem im Jahr 1912 Präsidentschaftskandidat der Socialist Party of America (als es ihm gelang 6% des popular vote zu erhalten) wurde wegen Verstoßes gegen den Espionage Act angeklagt und zu 10 Jahren Haft verurteilt. Unter anderem der folgende Ausschnitt seiner Rede vom 16. Juni 1918 wurde als Behinderung des drafts bewertet und daher für straffällig erachtet: „Kriege wurde im Laufe der Geschichte für Landnahme und Plünderei geführt ... Es war immer die herrschende Klasse, die die Kriege erklärt hat; die Beherrschten waren aber stets diejenigen, die gekämpft haben ... “. Die Verurteilung wurde vom Supreme Court im Jahr 1919 aufrechterhalten und Debs erst im Jahr 1921 von Wilsons Nachfolger Warren G. Harding begnadigt.

Der um den Sedition Act erweiterte Espionage Act gab dem Postmaster General Albert Burleson ferner die Befugnis, die Beförderung von Post zu verweigern, falls dort unter dem Espionage Act strafrechtlich relevante Meinungen geäußert werden. Linke Zeitschriften, wie „Mother Earth“, herausgegeben von der Anarchistin Emma Goldman oder „The Masses“, publiziert von dem (damaligen) Sozilisten Max Eastman, die sich gegen den Krieg oder die Wehrpflicht aussprachen, wurden bisweilen gar nicht mehr zugestellt. Wilson ermahnte Burleson zur Zurückhaltung, ließ ihm aber letztlich freie Hand. Zugutezuhalten ist Wilson allerdings, dass er im Juni 1919 eine Generalamnestie für alle Amerikaner forderte, die sich wegen ihrer Meinungsäußerungen zu Kriegszeiten im Gefängnis befanden; freilich ließ er sich aber von seinem Justizminister A. Mitchell Palmer überzeugen, keine Begnadigungen vorzunehmen.

Wilson trat am 8. Januar 1918 vor den Kongress und stellte in seiner wohl berühmtesten Rede, der sogenannten „Fourteen-Points-Speech“, seine Vorstellung einer Nachkriegsordnung vor. Um künftige Kriege zu vermeiden, sei eine allgemeine Demilitarisierung sowie eine transparente Diplomatie erforderlich. Wirtschaftliche Schranken müssen abgebaut und die Freiheit der Meere gewährleistet werden. Ferner müssten die Mittelmächte ihre Gebietsansprüche in Russland, Belgien, Frankreich und Elsass-Lothringen aufgeben und Rumänien, Serbien und Montenegro räumen. Den Völkern Österreich-Ungarns sowie des Osmanischen Reiches solle eine autonome Entwicklung zugestanden, die Grenzen Italiens entlang ethnischer Linien gezeichnet sowie ein polnischer Staat mit Zugang zur See geschaffen werden. Das Herzstück des 14-Punkte Programms bildete allerdings die Forderung nach der Gründung eines Völkerbundes, welcher die politische Unabhängigkeit und territoriale Unverletzlichkeit seiner Mitgliedstaaten sicherstellen sollte. Wilson machte das 14-Punkte-Programm später zur Grundlage seiner Verhandlungen auf der Pariser Friedenskonferenz, wobei sein Hauptaugenmerk dem Völkerbund galt, den er zum „Grundpfeiler des Programms“ erklärte. Frankreich und Großbritannien verfolgten freilich jeweils ganz andere Ziele. Frankreich, auf der Friedenskonferenz von Premierminister Georges Clemenceau vertreten, ging es primär um finanzielle Reparation sowie um künftige Sicherheit vor deutschem Militarismus. Großbritannien, durch Premierminister David Lloyd George repräsentiert, wollte sein Königreich beisammenhalten, die deutsche Seemacht zerschlagen sehen, gleichzeitig aber eine zu tiefgreifende Abstrafung Deutschlands vermeiden, um die kommerziellen Interessen des britischen Geschäftswesens nicht zu gefährden und um deutschem Revanchismus vorzubeugen. Um den Völkerbund inklusive der eigenen Vorstellungen über dessen Ausgestaltung durchsetzen zu können, musste Wilson somit an einigen Stellen Zugeständnisse machen und Abstriche seines 14-Punkte-Programms hinnehmen; beispielsweise blieb Deutschland entgegen Wilsons ursprünglichen Versprechungen vom Völkerbund ausgeschlossen und auch die Deutschland in wirtschaftlicher Hinsicht aufgelasteten Restriktionen stehen in einem gewissen Spannungsverhältnis zu Wilsons Zielvorstellung einer weltweiten Parität der Handelsbedingungen. Nach mehrmonatigen exklusiven Beratungen der Siegermächte - Wilson verbrachte etwa sechs Monate in Europa und war damit der erste Präsident überhaupt, der Amerika während seiner Amtszeit verließ - wurde im Mai 1919 der fertig ausgearbeitete Vertrag der deutschen Delegation übergeben und am 28. Juni 1919 im Spiegelsaal von Versailles - nach Zustimmung des Reichstags - von Hermann Müller (SPD), dem Reichsaußenminister sowie von Johannes Bell (Zentrum), dem Reichsverkehrsminister unterschrieben. Bei seiner sich kurz darauf anschließenden Abreise zeigt sich Wilson seiner Ehefrau gegenüber nicht unzufrieden mit dem Resultat: „Keiner ist zufrieden. Das lässt mich hoffen, dass wir einen gerechten Frieden gemacht haben.“ Für seine Anstrengungen für die Gründung des Völkerbundes sollte er im den Friedensnobelpreis 1919 erhalten.

Unmittelbar nachdem Wilson in die USA zurückgekehrt war, begann er eine Kampagne, den Senat - der völkerrechtliche Verträge mit 2/3-Mehrheit ratifizieren muss, damit diese in Kraft treten können - von den Vorzügen des Völkerbundes zu überzeugen. Wilsons Herausforderung bestand darin, dass die Republikaner bei den Senatswahlen 1918 sechs Sitze hinzugewinnen konnten und nun über eine knappe Stimmmehrheit von 49 - 47 Sitzen verfügten, sein Verhältnis zu führenden Republikanern allerdings zerrüttet war, seitdem er beschlossen hatte, nicht einen einzigen ihrer Vertreter zu beten, ihn nach Paris zu den Friedensverhandlungen zu begleiten. Insbesondere Henry Cabot Lodge, ein republikanischer Senator aus Massachusetts, der dem Senatsausschuss für auswärtige Angelegenheiten vorsaß und deshalb in der Position war, die von Wilson ersehnte, zügige Ratifizierung hinauszuzögern, und Wilson waren unversöhnlich. Neben persönliche Animositäten traten politische Differenzen. Im Hintergrund der Debatte standen unterschiedliche Vorstellungen über Amerikas künftige weltpolitische Rolle - Wilsons Internationalismus einerseits, der Isolationismus der Republikaner andererseits. Umstritten war insbesondere Artikel X der Völkerbundsatzung, der die Mitgliedstaaten dazu aufruft, sich im Falle externer Aggressionen gegenseitig Beistand zu leisten. Wilson stellte in Abrede, dass Artikel X die Vereinigten Staaten zwingt, zugunsten anderer Mitgliedstaaten militärisch zu intervenieren, könne der Völkerbund doch allein Empfehlungen an seine Mitglieder herantragen. Lodge und seine Republikaner befürchteten dennoch, Artikel X, in seiner gegenwärtigen Fassung, würde das Recht des Kongresses untergraben, über jeden Militäreinsatz gesondert zu entscheiden und damit die Souveränität der Vereinigten Staaten preisgeben. Lodge befürwortete, die Völkerbundsatzung dahingehend zu modifizieren, dass die Unklarheiten, die Artikel X seiner Ansicht nach aufwirft beseitigt werden und betont wird, dass der Kongress der Vereinigten Staaten sich sein Recht, Kriegserklärungen auszusprechen, vorbehält. Wilson befürchtete allerdings, Lodges Vorschlag würde es erforderlich machen, die Verhandlungen mit anderen Vertragsstaaten wiederaufzunehmen und zeigte sich deshalb wenig kompromissbereit. Er beschloss vielmehr, eine Reise durch die USA anzutreten und sich direkt an das Wahlvolk zu wenden, welches - wenn es nur erst einmal von der Idee des Völkerbundes überzeugt worden war - Druck auf die republikanischen Senatoren ausüben würde, die sich dann gezwungen sähen, den Friedensvertrag inklusive der Völkerbundsatzung vorbehaltslos zu ratifizieren. Wilson machte sich am 3. September 1919 auf den Weg Richtung Westen, hielt in 16 Bundesstaaten 40 Reden, sah sich allerdings bereits am 25. September gezwungen, seine Tour vorzeitig zu beenden, als er nach seiner Rede in Pueblo, Colorado kollabierte. Nachdem Wilson am 2. Oktober 1919 einen Schlaganfall erlitt, war er für mehrere Monate bettlägerig und der Möglichkeit beraubt, weiterhin aktiv in die Auseinandersetzung um den Völkerbund einzugreifen. Der Schlaganfall potenzierte auch Wilsons Starrsinn; von demokratischen Senatoren, die ihn am Krankenbett besuchten, nach einer Strategie für das weitere Vorgehen befragt, beharrte er auf dem Erfordernis der vorbehaltslosen Ratifizierung. Diese erreichte allerdings bei Abstimmungen im Senat weder am 19. November 1919, noch am 19. März 1920 die nötige Mehrheit. Amerikas Beitritt zum Völkerbund war damit passé.

Winston Churchill schrieb in The World Crisis, seinem Bericht über den 1. Weltkrieg, über Woodrow Wilson, dass die „Philanthropie, die er Europa zuteil werden ließ, an der Küste Amerikas Halt machte“. Eine solche Charakterisierung mag übertrieben und beeinflusst sein von Churchills Enttäuschung über Wilsons langen Neutralitätskurs. Allerdings war die amerikanische Gesellschaft seit Wilsons Abreise nach Europa im Dezember 1918 bis hin zur Amtseinführung des neuen Präsidenten Warren G. Harding am 4. März 1921 innenpolitisch tatsächlich relativ führungslos. Schließlich war Wilson zunächst - abgesehen vor einem zweiwöchigen Aufenthalt in den USA im Februar und März - bis zum 8. Juli 1919 im Ausland, nach seiner Rückkehr vertieft in den Kampf um die Ratifizierung und schließlich, nach seinem Schlaganfall, nur noch sehr eingeschränkt arbeitsfähig.

Tragisch ist dies, weil das Land gerade im Jahr 1919 eines starken Anführers bedurft hätte. Dabei war Wilson anfangs noch aktiv in den Entscheidungsprozess eingebunden. Er fasste den Beschluss, auf eine Kommission für eine geordnete Demobilisierung der über mehrere Monate hinweg systematisch mobil gemachten 4 Millionen Truppen zu verzichten, denn die Mehrheit der Republikaner im Senat hätte diese berechtigt, die Mitglieder einer solchen Kommission zu benennen. Die Demobilisierung verlief folgerichtig unbedacht und unstrukturiert. Nachdem ferner kein Programm für die Rückkehr der in der Kriegsindustrie Beschäftigten in reguläre Beschäftigung implementiert wurde, gab es Anfang 1919 plötzlich vier Millionen demobilisierte Soldaten sowie neun Millionen ehemals in der Kriegsindustrie Angestellte, die auf der Suche nach Arbeit waren. Hinzu kommt, dass die informelle Absprache zwischen der Regierung und der American Federation of Labour (AFL) - damals die größte Gewerkschaftsvereinigung in den USA mit über 2 Millionen Mitgliedern - wonach auf Streiks verzichtet würde, solange der Krieg andauert und im Gegenzug der Arbeiterschaft wohlgesinnte Politik gemacht würde, mit Kriegsende nicht aufrechterhalten wurde. So wurden etwa Preisbeschränkungen, die während der Kriegszeit galten, aufgegeben, was zu einem drastischen Anstieg der Lebenshaltungskosten führte. Die Gewerkschaften forderten deshalb unter anderem bessere Bezahlung, Arbeitgeber traten dem jedoch entgegen, was etwa vier Millionen Arbeiter dazu veranlasste im Jahr 1919 insgesamt rund 3.600 mal in Streik zu treten. Da sich neben der AFL auch radikalere Gruppierungen, wie die Industrial Workers of the World (IWW) an den Streiks beteiligten, wuchs verschiedentlich die Angst, dass es sich bei der organisierten Arbeiterschaft um ein Medium des Bolschewismus handelt, um die kommunistische Revolution in die Vereinigten Staaten zu tragen. Nachdem Anfang Februar 1919 ein Generalstreik - ausgelöst von 35.000 Werftarbeitern, die bessere Löhne einforderten - ganz Seattle, Washington für fünf Tage zum Erliegen gebracht hat, der Streik allerdings friedlich verlaufen ist, wurden 39 IWW-Mitglieder als „Rädelsführer der Anarchie“ verhaftet und weggesperrt. Die Presse kommentierte den Streik als von den Bolschewiki eingefädelt und der Bürgermeister von Seattle, Ole Hanson - der 1.000 eigens vereidigten Polizisten den Befehl gab, Personen, die versuchen einen Aufruhr anzustoßen, sofort zu töten - sprach von einer „versuchten Revolution“.

Damit war eine bis in das Jahr 1920 hineinreichende Periode eingeläutet, die unter dem Schlagwort „The First Red Scare“ in die Geschichte eingehen sollte. Besonders der noch nicht abgeklungene, fieberhafte Nationalismus aus Kriegszeiten sowie die nicht weit zurückliegende, kommunistische Oktoberrevolution in Russland 1917, sorgten für ein allgemeines Klima der Angst vor jedweden radikal anmutenden Gedanken. Dieses Klima wurde wohl zusätzlich dadurch befeuert, dass sich von September 1918 bis Mai 1919 13.000 amerikanische Soldaten in Russland befanden und zugunsten der anti-bolschewistischen Kräfte in den Bürgerkrieg eingriffen; Wilson war zunächst äußerst zögerlich, willigte allerdings, gedrängt von Frankreich und Großbritannien, schließlich ein, amerikanische Truppen zu entsenden. Der Stimmung wurde ferner Nahrung gegeben durch die Aktivitäten eines Subkomitees des Justizausschusses des Senats, dem nach seinem Vorsitzenden Lee Slater Overman benannten Overman Committee, das seine Arbeit kurz nach der Ankündigung des Generalstreiks in Seattle aufnahm und den Einfluss der Bolschewiki in den USA untersuchen sollte. Ohne überzeugendes Beweismaterial gesammelt zu haben - verwiesen wurde etwa auf die Tatsache, dass alle drei Gruppierungen eine rote Flagge als ihr Symbol verwenden - lautete das Verdikt des Komitees, dass die Socialist Party of America, die IWW und die Bolschewiki kooperieren und die Nation bedrohen würden. Gewerkschaften und Immigranten seien besonders gefährdet, radikalisiert und vom Bolschewismus beeinflusst zu werden, was neue, verschärfte Gesetze erforderlich machen würde, um die Aktionen dieser Gruppen effektiv einzudämmen.

Das Resultat der aufgeladenen Stimmungslage war zum einen der blutige und daher so genannte „Red Summer“. Afroamerikaner, die Gleichberechtigung und Arbeitnehmerrechte einforderten, wurden verdächtigt, mit dem Bolschewismus zu sympathisieren und auch Wilson schloss sich diesem Verdacht an: In privater Runde teilte er seinem Gesprächspartner im März 1919 mit, in den heimkehrenden schwarzen Kriegsveteranen einen Agenten des Bolschewismus zu erblicken. Die Nervositäten entluden sich in von weißen Mobs initiierten Straßenschlachten, unter anderem auch in Chicago, Illinois und in Washington, D.C., denen über 100 Menschen - die meisten unter ihnen Afroamerikaner - zum Opfer fielen. Die einzige öffentliche Stellungnahme Wilsons zu den Ereignissen des „Red Summer“ gab er während seiner Rundreise durch die USA im September 1919 ab: als Bürger Amerikas empfinde er Scham im Hinblick auf die Rassenunruhen.

Ein weiterer Effekt des „Red Scare“ waren die sogenannten „Palmer Raids“, eine Serie von (wenig rechtstaatlichen) Razzien im November 1919 und Januar 1920, dirigiert von Justizminister A. Mitchell Palmer. Fokussiert wurden linksgerichtete Immigranten, da man innerhalb des Justizministeriums davon ausging, diese würden bis zu 90% der Radikalen innerhalb der Vereinigten Staaten ausmachen. Es kam zu 3.000 Festnahmen und 556 Deportationen, außerdem wurden die Hauptquartiere aller bekannten kommunistischen Parteien geschlossen. Da die „Palmer Raids“ in die Zeit nach Wilsons Schlaganfall fallen, ist unklar, inwieweit Wilson im Bilde war. Fest steht allerdings, dass auch er Angst vor dem Bolschewismus hatte und Palmer anwies, Amerika nicht „rot sehen zu lassen“, sprich eine Revolution zu verhindern.

Entgegen dem Rat seines persönlichen Assistenten und Mediziners, Cary T. Grayson, blieb Wilson nach seinem Schlaganfall im Oktober 1919 im Amt, um für seine Vorstellung des Völkerbundes zu kämpfen. Auch nachdem der Senat diese Vorstellung mehrmals abgelehnt hatte, war Wilson nicht bereit aufzugeben, sondern spielte mit dem Gedanken, sich für eine dritte Amtsperiode zur Wahl zu stellen - ein Gedanke, der bis dahin undenkbar gewesen ist, hatte es doch kein Präsident gewagt, gegen George Washingtons Vorbild, die Macht nach zwei Amtsperioden freiwillig aufzugeben, zu verstoßen. Die Parteiführung war allerdings wenig begeistert von der Idee, sodass die Demokraten letztlich James Cox, den damaligen Gouverneur von Ohio, als Präsidentschaftskandidaten nominierten. Wilson sah sich daher gezwungen, sich in das Privatleben zu verabschieden, verblieb allerdings in der Hauptstadt und zog mit seiner Ehefrau in ein Reihenhaus. Ihm sollte allerdings kein langer Ruhestand vergönnt sein. Als er am 3. Februar 1924 im Alter von 67 Jahren verstarb, markierte dies die kürzeste aller präsidialen Pensionen.

Historiker sind sich weitgehend einig, dass Wilsons innenpolitisches Vermächtnis in der „New-Deal“ - Politik Franklin Delano Roosevelts - einer Reihe von wirtschafts- und sozialpolitischen Reformen, wie der Einführung einer Sozialversicherung - sowie in dem „Great-Society“ - Programm Lyndon B. Johnsons, welches die Armut eindämmte und die Bürgerrechte von Afroamerikanern stärkte, zu verorten ist. In einem Brief an Joseph P. Tumulty, der Wilson als Privatsekretär diente, identifiziert FDR seine Reformen sogar ausdrücklich als in der Tradition von Wilsons progressiven Ideen, wenn er schreibt: „Möglicherweise bewegt sich das, was wir tun in Richtung der Verwirklichung seiner [Wilsons] Ideale“. Wilsons Präsidentschaft markiert mithin den Beginn der Entwicklung der Democrats hin zu einer progressiveren Partei.

Wenn es um die Frage geht, welcher Präsident es am besten verstand, mit dem Kongress zusammenzuarbeiten und somit sein Programm durchzusetzen, werden neben Woodrow Wilson ebenfalls häufig allein FDR und LBJ genannt. Beeindruckend ist dies, weil Wilson - abgesehen von seinen 2 Jahren als als Gouverneur von New Jersey und im Gegensatz zu FDR und LBJ - bei seinem Amtsantritt keinerlei politische Erfahrung vorweisen konnte.

Wilsons außenpolitische Hinterlassenschaft - der Wilsonianism - bleibt umstritten. Sein Eintreten für den Völkerbund und damit für ein System kollektiver Sicherheit, das bewaffnete Auseinandersetzungen durch Verhandlung und Vermittlung ersetzten soll, sollte später die Gründung der UNO inspirieren. Die Forderung nach der weltweiten Ausbreitung von Demokratie hat einen gewissen imperialistischen Beiklang - allerdings betonte Wilson, nur dort für Demokratie kämpfen zu wollen „wo die Völker selbst die Demokratie wollen“. Diesem Vorsatz wurde Wilson zwar nicht in Mexiko 1914, dafür aber 1919 in Russland gerecht, als er sich den Überzeugungsversuchen des eigens nach Paris angereisten, damaligen britischen Kriegsministers, Winston Churchill wiedersetzte und beschloss, die amerikanischen Truppen einseitig abzuziehen, da er sich gewahr wurde, letztlich nicht dazu legitimiert zu sein, die Bolschewiki zu stürzen, wenn das russische Volk mehrheitlich hinter ihnen stand. In den frühen 2000er Jahren entbrannte in den USA eine Diskussion darüber, ob George W. Bushs Politik der „humanitären Interventionen“, die sich letztlich als wenig humanitär erwies, in der Tradition des „Wilsonianism“ steht. So behauptete etwa der Journalist Lawrence F. Kaplan, Bush sei der wilsonianistischste Präsident seit Woodrow Wilson selbst und rief Bush dazu auf, im Irak „den Job zu beenden, den Wilson begann“. Der Historiker David Kennedy meinte - mit Blick auf Bushs außenpolitische Ziele der weltweiten Verbreitung von Demokratie und Kapitalismus - Wilson würde in Bush seinen „natürlichen Nachfolger“ erkennen. Diesen Positionen wurde von dem Journalisten John B. Judis entgegengehalten, dass Wilson nicht an unilaterale Aktionen mächtiger Nationen, sondern vielmehr an Kooperation innerhalb kollektiver Sicherheitssysteme glaubte. Die Debatte fördert einen Konflikt zu Tage, der zwischen zwei Prinzipien des „Wilsonianism“ besteht: der Forderung nach Ausbreitung der Demokratie einerseits sowie dem Glauben an internationale Systeme andererseits, verlangt letzteres Prinzip doch im Interesse der friedvollen Konfliktlösung auch die Zusammenarbeit mit nicht-demokratischen Regierungen. Um zu ermitteln, wie Wilson selbst zu diesem Konflikt stand, lässt sich mit dem Historiker und Wilson-Biograph John M. Cooper auf den Gebrauch des Passivs in Wilsons bekanntem Satz „The world must be made safe for democracy“ verweisen. Wilson glaubte nicht an einen zwangsweisen Export der Demokratie, vielmehr ging es ihm lediglich darum, die Voraussetzungen für Völker zu schaffen, sich für eine demokratische Staatsform entscheiden zu können. Damit lässt sich der „Wilsonianism“ wohl letztlich als die Idee beschreiben, dass Völkern, die sich innerhalb ihres Rechts auf Selbstbestimmung für ein demokratisches Zusammenleben aussprechen, mit Hilfe internationaler Organisationen, sprich in multilateralem Handeln, zu helfen ist, diesen Wunsch zu realisieren. George W. Bushs Alleingang im Irak steht dazu in scharfem Kontrast.

John M. Cooper denkt, zwei Dinge würden den Blick der Geschichte auf Woodrow Wilson für immer trüben: seine Rassen- und Bürgerrechtspolitik. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Denn auch wenn Wilson nicht an den Moralvorstellungen des 21. Jahrhunderts gemessen werden darf, so gab es doch bereits zu seinen Lebzeiten Menschen und Gruppen, die im Hinblick auf die Rassenfrage fortschrittlicher dachten als er. Betrachtet man seine Entscheidungen als Präsident von Princeton sowie als Präsident der Vereinigten Staaten, bekommt man den Eindruck, dass er zwar wohl kein white supremacist gewesen sein mag, sich seinen schwarzen Mitbürgern gegenüber allerdings nicht sonderlich verständnisvoll zeigte, deren Anliegen vielmehr als lästig empfand und sich nicht mit ihnen auseinandersetzen wollte. Dies darf allerdings kein Grund für ein undifferenziertes damnatio memoriae sein. Es mag gute Gründe dafür geben, den Namen Woodrow Wilsons von Fakultäten zu entfernen, viel wichtiger ist es allerdings, sich mit seiner Person auseinanderzusetzen und ihn von allen Seiten zu beleuchten. Rundum perfekte Figuren hat die Geschichte nicht zu bieten.

Berg, Manfred: Woodrow Wilson. Amerika und die Neuordnung der Welt (2017)

Clements, Kendrick A.: The Presidency of Woodrow Wilson (1992)

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Cooper, John Milton: Woodrow Wilson. A Biography (2009)

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Zinn, Howard: A People´s History of the United States (2003)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias R.J. Grübl

Student der Rechtswissenschaften an der LMU München

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