Ossis und Wessis getrennt gegen Hass?

Ost/West & NeoNazis Nichts vermischen! Streitpunkte einfach mal stehen lassen. Und alle gemeinsam gegen Gewalt, Hass und Hetze. Und Wahrnehmungs-Unterschiede aushalten lernen.

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Ihre Freitag-Redaktion

Liebe Jana Hensel ,
Ich kenne Sie als Journalistinnen, deren Artikel ich (fast) immer gerne lese. Irgendwann bin ich auf Facebook mit Ihnen in Verbindung getreten und habe kennengelernt, was ich die Facebook-Seele hinter der Journalistinnen-Seele nennen möchte.
Natürlich ist meine Facebook-Seele noch lange nicht die ganze Seele. Sie bleibt mein Geheimnis, ein Teil davon kennt meine Partnerin/mein Partner oder meine beste Freundin/mein bester Freund. Und dennoch erlebe ich in den kurzen Postings auf Facebook von vielen Menschen noch ein bisschen mehr Zwischentöne als in den Texten, die redigiert auf Papier gedruckt erscheinen.
Liebe Julia Karnick,
Anfang Januar haben Sie sich für ein paar Wochen (auch genervt wegen der kontroversen Flüchtlings-Diskussion) von Facebook zurückgezogen, und als sie zurückgekehrt sind, eigentlich ausgesagt, dass diese Fastenkur gut getan hat.
Ich freue mich das Sie wieder da sind und mich viele Ihrer Anmerkungen, aber auch Fragen zum Nachdenken bringen und bereichern.
Liebe Jana Hensel,
initiiert (im Sinne von Initiation) für die breite Öffentlichkeit als „Zonenkind“, habe ich auch ihre Facebook-Seele hinter der Journalistinnen-Seele als Bereicherung empfunden.
Nun haben auch Sie eine Fastenzeit von Facebook verkündet.
Nun sind wir mitten in der (christlichen) Fastenzeit und ich finde Fasten grundsätzlich etwas ganz tolles entschlackendes, reinigendes, Klarheit schaffendes.

Warum ich diesen Brief schreibe ist, weil Jana nach den Skandalen von Bautzen und Clausnitz nicht nur ihrem neuen Höhepunkt an Empörung Ausdruck verleiht, sondern gleichzeitig die einschlägigen Wessis auffordert nicht immer, mit dem Zeigefinger auf den Osten zu zeigen, sondern ihn lieber zu besuchen.

Und Julia antwortet ihr auf Facebook: was soll ich denn tun? In welches Dorf soll ich denn fahren? Was erwartest Du von mir?
In Bayern würde man jetzt sagen: „nei dappt!" Auf Hochdeutsch: in die Falle getappt.
Was meine ich damit?
Wir alle machen uns Sorgen um den wachsenden Umfang von Gewalt, Hass und verbrecherischer Brandstiftung. Weil ich der tiefen Überzeugung bin, dass nach wie vor die große Mehrheit der Bevölkerung in allen Teilen Deutschlands so denkt wie der Klampfen-Spieler aus Traunstein, der am Mittwoch beim deutschen Vorausscheid des European Song Contest den zweiten Platz belegte (und hier geht es mir nicht um eine Würdigung von Sprache und Melodie, sondern nur um diese eine Zeile aus seinem Lied)“ das hatten wir doch schon einmal!“.
Um diese große gesellschaftliche Mehrheit, die für mich auch die Grundlage für die überwältigende Willkommenskultur ist, zum Schwingen zu bringen, müssen wir alle lernen; hinter diesem wichtigen Ziel Deutschland zu einer No-Go-Area für Brandstifter und Hassprediger zu machen, unsere sonstigen Meinungsverschiedenheiten zurückzustellen.
In einer für mich völlig überraschenden und vorbildlichen Art und Weise haben dass die Mehrheit der feministischen Kommentatorinnen und Aktivistinnen nach den schrecklichen Vorkommnissen der Kölner Silvesternacht getan. Sie haben sich nicht auf das Nebengleis“ besonderer Sexismus marokkanischer und algerischer Männer“ abdrängen lassen, sondern mit dem #ausnahmslos einen Anti-Sexismus, der nur für rassistische Zwecke eingesetzt wird, zurückgewiesen.
Leider vermisse ich diese Haltung bei vielen Linken, die glauben ein gemeinsames Eintreten gegen Hass und Ausländerfeindlichkeit sei nur dann sinnvoll, wenn sie mit Fragen der Sozialpolitik oder gar antikapitalistische Positionen verbunden sei.
Und genauso geht es mir, lieber Jana Hensel, mit der Verquickung des Einstehen für Flüchtlinge und Menschlichkeit, mit dem nun ins vierte Jahrzehnt gehende Gegensatz, dem Riss durch Deutschland, dem Kampf gegen arrogante Wessis oder larmoyante Ossis, gegen die Kapitalisten des Westens oder die Stasis im Osten.
Ich wohne in Wandlitz, und habe gerade erst das Mutmachbuch “ Refugees welcome“ – Geschichte einer gelungenen Integration – so können sie Flüchtlingen helfen – ein Mutmachbuch“ herausgebracht. Wandlitz liegt bekanntlich in Ostdeutschland, für viele ist es Symbol der Politbürosiedlung und auch Insider glauben immer wieder Wandlitz als das Stasi- oder Polizeidorf denunzieren zu müssen.
Ja, wir sind stolz darauf ,dass Wandlitz eine No-Go-Area für Neonazis geworden ist. Das haben wir aber unter anderem auch nur deshalb erreicht, weil wir alle anderen politischen Meinungsverschiedenheiten zurückgestellt haben.
kommst aus dem Osten oder kommst aus dem Westen?
Wie stehst Du zur Gleichberechtigung?
Welche Haltung hast in der Kindererziehung und zu frühkindlicher Krippenunterbringung? Stehst Du Links; in der Mitte oder rechts?
Gehst Du wählen?
All das blieb außen vor, was zählte war die Tat, dass sich öffnende Herz.
Das führte mitunter zu solchen Merkwürdigkeiten, dass als unsere tschetschenische Familie Timirbulatov nach Polen abgeschoben wurde, eine ehrenamtliche Deutschlehrerin bemerkte, das sei ganz in Ordnung, weil Magomed im Unterricht immer so frech gewesen sei.
Auch meine Bemerkung, dass nach diesem Muster alle meine drei Söhne längst hätten nach Polen ausgewiesen werden müssen, hat sie nicht unbedingt von ihrem Standpunkt abgebracht. Aber wir konnten das stehen lassen.
Wenn wir die Chancen dieser großen Helferinnen- und Helferbewegung in Deutschland, wie sie aus meiner Sicht einzigartig nicht nur in der deutschen Geschichte sondern vor allem auch einzigartig in der Welt sich zur Zeit entwickelt, wirklich politisch konstruktiv nutzen wollen, dann sollten wir lernen andere Standpunkte derer, die links oder rechts neben uns mithelfen Deutschunterricht zu erteilen, Spenden zu sammeln, gemeinsame Ausflüge zu machen oder auch einen Flüchtling in ihrer Wohnung aufnehmen, stehen zu lassen.
Dabei gäbe es ja eine Lehre, die wir aus dieser schmerzhaften und oft als erfolglos angesehenen Dauerdebatte zwischen Ossis und Wessis lernen könnten, weil sie unmittelbar auch im Kontakt mit den Flüchtlingen Bedeutung hat: eines der klügsten Sätze, die der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker nach der Wiedervereinigung formulierte war der: „wir müssen uns unsere Biografien erzählen!“.
Eben das ist auch die Zauberformel, um Angst vor den geflüchteten in Empathie zu verwandeln. Ich kann mir (fast) niemanden vorstellen, der nach einem Gespräch mit einem Syrer wie es in seiner Heimatstadt ausschaut und was er auf dem Weg über die Balkanroute in unser Land erlebt hat, noch fordert; Ausländer raus!
Das muss sogar der engagierte Neonazi Sven Krüger aus einem Neonazidorf in Mecklenburg-Vorpommern zu geben, der auf die Fragen eines NDR-Reporters (Panorama am 8.10.15 - siehe mediathek) : was würdest Du denn machen, wenn bei Euch im Dorf ein Flüchtlingscontainer aufgestellt wurde, Du würdest doch auch ein paar Schuhe rüber bringen, antworte: “Das ist ja das Problem, Menschen die man kennt, kann man nicht hassen!"
Eben.
Mit herzlichen Grüßen
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

MathisOberhof

Autor des Buches : REFUGEES WELCOME - Geschichte einer gelungenen Integration - So können Sie Flüchtlingen helfen - Ein Mutmachbuch", verh., 3 Söhne,

MathisOberhof

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