"PRIDE" spielt die Melodie der MosaikLinken

Filmkritik,die fehlt Der wichtigste Film über Widerstände bei der Zusammenarbeit der Mosaik-Linken wurde bisher weder in der TAZ, noch im ND noch im FREITAG besprochen? Typisch?

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Die Solidaritäts-Hymne: Respect! Impower! Include!

Ich war im Kino.

Ich war aufgewühlt. Mehrfach kamen mir die Tränen.

Ich fühlte mich stark. Ich fühlte mich glücklich.

Lange konnte ich nicht einschlafen.

Am Vormittag noch hatte ich auf Facebook gepostet, dass es heute rückwärtsgewandt sei, den Begriff der "Arbeiterklasse" als Betäubungsmittel gegen alle Niederlagen wie einen Popanz vor sich her zu tragen. Dies auch deshalb weil das, was zu Karl Marx Zeiten die "Arbeiterklasse" genannt wurde, heute ein pluralistisches Sammelsurium aus ArbeitnehmerInnen, FreelancerInnen, Startup-UnternehmerInnen, prekär bezahlten Informations-ArbeiterInnen, Schein-Selbstständigen, Leiharbeiterinnen, wie Stammbelegschaften und vieles andere mehr sei.

Dass es deshalb auf die Gewinnung der 99 % ankäme, dass das, was heute Prekariat genannt werde, nicht "automatisch" für seine eigenen Rechte einen langfristigen Kampf aufnehme, solange es nicht von starken kreativen Kräften der Mittelschichten unterstützt werde.

Und dann dieser Film.

"Pride" heißt auf deutsch: STOLZ.

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In einem winzigen Kaff am Arsch der Welt erwartet die Einheimischen der Knaller ihres Lebens
Die Geschichte des Films basiert auf einer wahren Begebenheit, die zur Gründung der "Lesbian und Gay Support the Miners" führte. Es ist die Zeit der Margret Thatcher. Die Zeit der Zechenschließungen und des Abbaus von Gewerkschaftsrechten. Für drei Bergarbeiterdörfer sammelten die Homosexuellen ungefähr 20.000 £ an Spenden, obwohl sie ebenso wie die Minenarbeiter von Rupert Murdoch Boulevardblatt THE SUN heftig angegriffen und diskriminiert wurden. Im Gegenzug setzten sich viele Bergarbeitergruppen späterhin für die Rechte von Homosexuellen ein.

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Schon vor dem Kinobesuch musste ich an den anderen wunderbaren Film aus der britischen Gewerkschaftsbewegung denken, der uns im Jahre 2012 so beglückt hat und der den in deutschen Kinos so völlig missverständlichen Titel trägt "WeWant sex!". Dabei ging es um den erfolgreichen Kampf der Ford-Arbeiterinnen für gleichen Lohn für gleiche Arbeit, der den Grundstein legte für Gleichstellungsgesetze in vielen Ländern (West-) Europas.

Aber während es in jenem Film vor allem um den Gegensatz zwischen Frauenpower und patriarchalische Gewerkschaftsführern und dem Management des Ford-Konzerns geht, behandelt "Pride" den Gegensatz zwischen homophoben Arbeitern einerseits und Schwulen und Lesben andererseits.

Es geht um ein bisher völlig unterbelichtete Thema, die Gegensätze innerhalb der sozialen Bewegungen und zwischen ihnen.

Dabei ist doch so einfach nachvollziehbar, was der Vertreter der Waliser Minenarbeiter im Londoner Schwulen Club sagt, als er die erste Spende entgegennimmt: "Wenn du erfährst, dass du da draußen einen Freund hast, von dem du gar nicht wusstest, dass es ihn gibt... Tja, das ist das beste Gefühl der Welt."

Der Film reißt einen mit, vermittelt Kraft und strahlt Authentizität aus, weil beiden Gruppen, Bergarbeiter wie Schwule und Lesben differenziert dargestellt werden: so formuliert diewww.cult-Zeitung.de treffend: "unter den Walisern finden sich die skurrile aufgeschlossene alte Dame, der zurückhaltende, heimliche Schwule, die biedere Witwe. Und unter den jungen Londonern die Diva, der Schüchterne, der Che-Guevara-Typ, die Ökolesben und viele mehr."

Mit am ergreifenden von den vielen Einzelschicksalen ist die Darstellung des Coming-out des jungen Joe. Wer als Hetero, oder weil er ein vergleichbares Coming-out nicht aus anderen Gründen hinter sich hat, so etwas noch nicht erlebt hat, bleibt aufgewühlt im Kinosessel zurück, wie sehr an diesem Punkt individuelle Lebenshaltung, persönliche Glückserwartung zusammenknallt mit politischen oder ethischen Vorurteilen im engsten Familienkreis.

Gleichzeitig lebt der Film von der Sinnlichkeit und Lust dieser diffamierten Minderheiten, die weil das Thema ihrer Stigmatisierung der Sex ist, gerade auf diesem Gebiet freimütiger, lebensfreudiger und tabuloser agieren als ihre heterosexuellen Brüder und Schwestern.

Überhaupt das Sexuelle.

Wäre das Thema des Films gewesen, die Unterstützung zum Beispiel der Bewegung für ein bedingungsloses Grundeinkommen gegenüber der Bewegung gegen Neo-Nazis, so wäre nicht zwangsläufig das Thema Sexualität, Lust und Sinnlichkeit so intensiv berührt, wie beim Bündnis der Homosexuellen mit den Minenarbeitern.

So stellt einer der vielen Höhepunkte des Films zu den Klängen von "Shame, Shame, Shame" ein energetischer Discotanz auf Bretterboden und Tischen des schwulen Jonathan dar, der heterosexuelle Frauen wie Männer gleichermaßen in ihren Bann zieht.

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Und als die Boulevardpresse diffamierend betitelt: "Perverse für die Gruben!" veranstalten die Londoner Aktivisten ein Benefiz-Rock-konzert für "Perverse und Gruben".

Selbst der Streit innerhalb der Schwulen-und Lesben-Bewegung, ob Politik einen Platz Demonstrationsmärschen haben dürfe, findet sich 30 Jahre vor der Gegenwart bereits in der Film-Handlung wieder.

Die zwei schüttelnden Hände, die in der 100 Jahre alten Traditionsfahne der Minenarbeiter abgebildet sind, verkörpern ursprünglich die unterschiedlichen Strömungen der Arbeiterbewegung, die christlichen, die sozialdemokratischen und sozialistischen Arbeiterorganisationen. In der brutalen Verfolgung aufrechter Sozialdemokraten, die manchmal unter Zwang, häufig aber auch freiwillig die Vereinigung mit ihren kommunistischen Genossinnen und Genossen in der SED vollzogen, aber ihren sozialdemokratischen Prinzipien treu bleiben wollten wurde dieses Symbol, wie es auf jedem SED Parteiabzeichen eingebrannt war, pervertiert und diskreditiert.

In diesem Film bekommt es neuen positiven Symbolgehalt.

Ebenso wie uralte Gewerkschaftslieder wie "Solidarity for Ever", oder ein anderer Film-Höhepunkt, als die Frauen nach dem Ende der Streikversammlung das Lied: "Bread and Roses" singen

Für meine Filmauswahl für das kommunale Kino Löwenmovies in Wandlitz lese ich viel Filmkritiken, gebe aber selten etwas darauf.

Ich habe gelernt, dass die Einstellung zu jedem Film die intimste "Welt-Anschauung" berührt. Und jeder Filmkritiker andere Schwerpunkte, Kriterien und Maßstäbe für sein Urteil anlegt.

Deshalb freute mich und fand ich erstaunlich, dass ich zu diesem Film keine einzige kritische Rezension gelesen habe, und (fast) nirgends den Vorwurf des Kitsches, der schnell bei der Hand ist wenn Filme mit Happy-End, mit Ermutigung enden. Leider sind linke Filmkritiker auf diesem Sektor Weltmeister.

Nicht so bei diesem Film.

Vom evangelischer Pressedienst ("ein schillernde Schauspielerensemble löst große Themen wie Freundschaft, Toleranz und Solidarität in eine Fülle intimer, wahrhafter Momente auf) über die Zeit, den Tagesspiegel, den Focus (" britische Kohlenpott-Komödie... Verliert ihr Thema dennoch nicht aus den Augen: Solidarität. Zusammen kann man etwas erreichen."), den WienerStandard ("Der Film, hat definitiv das Zeug zum Publikumshit. Nicht zuletzt, weil er es schafft, seine unbestreitbaren Feel-Good-Qualitäten mit seiner kämpferischen Haltung zu verbinden.") Bis zum WDR "Selten kam ein Film über Solidarität unter Außenseitern so lebensfroh daher."

Und so reibt man sich denn auch verwundert die Augen, wenn man in Springers Welt diese Sätze zum Abschluss der Filmkritik liest: "So sehr "Pride" in seiner achtziger Jahre-Nostalgie schwelgt, hat er doch erstaunlich viel über heutige soziale Debatten und Konflikte zu sagen, von der Gleichstellung homosexueller Partnerschaften bis zur Flüchtlingspolitik. Im Vergleich erweist sich die tatsächlich so stattgefundene Geschichte um die erst holprige, dann umso herzlicher Freundschaft zweier ungleicher Gruppierungen als historische Ausnahme oder zumindest als hoffnungsmachende Utopie.

Denn mit der Solidarität unter denen, die derzeit gegen ihre jeweiligen Verhältnisse aufbegehren, ist es nicht allzu weit her. Dabei Verbände sie wie damals der Stolz, sich mit Courage für das Recht auf selbstbestimmtes Leben und Arbeiten einzusetzen, das eigene und das der anderen."

Von vielen Journalisten ist der Film mit jenen von Ken Loach verglichen worden. Ich mag das nicht teilen. Jener hochbetagte britische Filmregisseur und bekennender Trotzkist macht in meinen Augen glänzende Filme, die die Ungerechtigkeit des Kapitalismus seine menschenfeindliche seine Verachtung an den unterschiedlichsten Themen deutlich macht. Immer aber entlässt er die Zahl die Zuschauer ratlos, bestenfalls wütend, aber ohne jeden Hinweis, wie ein Ausweg aus der desolaten Situation zu suchen sei. Bei Ken Loach gibt es kein Happy End, weil der Kapitalismus nun mal bitter böse ist. So auch in seinem letzten großartigen Film "The Hall"

Aber natürlich ist die Frage berechtigt: Wie kann ein Happy End aussehen, wenn doch jeder oder fast jeder weiß, dass Maggies Thatchers Angriff auf die Schlagkraft der britischen Gewerkschaften, im Großen und Ganzen erfolgreich war?

Der wunderbare Schluss des Films darf nicht verraten werden, nur ganz allgemein: natürlich gibt es kein Happy End durch definitive Veränderung der Machtverhältnisse, und dennoch geht die Zuschauerin ermutigt und beglückt nach Hause, weil sie ein umwerfendes Erlebnis unbekannter Solidarität gesehen haben.

Der Regisseur Matthew Warchus verbittet sich für seinen Film "Pride" das Wort "FeelGood".

Im Gegensatz dazu steht der Löwen Movie Verein in Wandlitz zu seinen Schwerpunkt auf FeelGoodMovies. Wir versprechen sogar, "dass der Zuschauer die Zuschauerin glücklich nach Hause geht, ohne dass es Kitsch ist."

Zugegeben, es gibt sie, die FeelGood Movies, die der Verdummung dienen sollen, der Betäubung, die dazu dienen sollen, Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Diskriminierung nicht mehr so klar zu erkennen wie sie in der Wirklichkeit vorkommen.

Dieser Film gehört definitiv nicht zu dieser Sorte.

Für mich ist er der schönste politische Film, den ich in den letzten Jahren gesehen habe.

Der Film "Pride" spielt die Melodie der pluralen Mosaik-Linken.

Der Text erschien zu nächst bei: www.oberhof.blog.de

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Geschrieben von

MathisOberhof

Autor des Buches : REFUGEES WELCOME - Geschichte einer gelungenen Integration - So können Sie Flüchtlingen helfen - Ein Mutmachbuch", verh., 3 Söhne,

MathisOberhof

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