Bus126s „Enemy Kids“: Eine Graffitilegende erzählt von ihrer Westberliner Jugend
Graffiti Die Graffiti-Legende Bus126 erzählt in „Enemy Kids“ keine coole Gangstergeschichte, sondern von einer Jugend im Schatten der Mauer, von Drogen, Gewalt und Alleinsein
Als es weder Handys noch Internet noch Videoüberwachung noch Grafitti-Stores gab: Cover des Buches, gestaltet von Bob Haderfield
Foto: Bob Haderfield
Bus126? Ein Sprühername, aber dieser Sprüher ist einer, der nicht nur taggen kann, sondern auch schreiben. Enemy Kids heißt der schmale Band, in dem der Autor durch jene Jahre reist, als er mit seiner gleichnamigen ersten Crew in der Stadt unterwegs war. Er erzählt von der Kindheit und Jugend in einem Westberliner Außenbezirk, tief im Süden, Marienfelde, Lichtenrade, wo Felder um das Haus wachsen, „in der Nähe ist die Mülldeponie, dahinter die Mauer“. Es sind die späten 1980er Jahre. Er versucht, vom Aussichtsturm Steine in den Osten zu werfen. Wenn man beim Bemalen der Mauer aus Versehen auf der anderen Seite herunterfällt, kann es tödlich sein. Wie in der Bronx. Es ist Kalter Krieg, jene Zeit ohne Handys und Internet, ohn
nternet, ohne Videoüberwachung und Graffiti-Stores. Es gibt die ersten toten S-Bahn-Surfer und einen Film aus New York.Ein Systemsprenger„Im Sommer flehe ich meine Mutter an, mir ,Beat Street‘ aus der Videothek zu leihen. Stattdessen bringt sie ,Wild Style‘ mit. Ich bin eine Stunde lang wütend auf sie, bevor ich mir den Film überhaupt ansehe. Am selben Wochenende male ich das ‚Wild Style‘-Logo in Übergröße mit Kreide auf den Bürgersteig vor unser Haus. Das bringt wieder Unruhe in die Nachbarschaft, wieder flüstert meine Mutter, wieder schlägt mich mein Stiefvater tagelang, wieder tauge ich zu nichts. Unsere Nachbarn vergiften meine Katze, meine Mutter grüßt sie weiterhin.“ Seltsam, wie distanziert, fast teilnahmslos der Autor davon erzählt.Er ist ein blasser dünner Teenager, der sich jetzt Bus126 nennt. Er fliegt von der Gesamtschule, weil er seinen Namen auf dem ganzen Gelände verteilt habe. „Der Junge, mit dem ich anfing zu taggen, verrät mich an den Direktor.“ Es wirkt als sei er die ganze Zeit auf der Flucht. Die Mutter ist machtlos, alle anderen auch. Er hat seine Crew, aber eigentlich ist er komplett allein. Ein Systemsprenger. Seine Sprache ist temporeich, lyrisch, assoziativ, wenn er etwa beschreibt, wie ein Busfahrer ausgeraubt und dann ohnmächtig geschlagen wird. Enemy Kids heroisiert aber die Sprayerszene nicht, es ist ein schonungsloses Buch über Drogen, Gewalt, Straftaten. Immer auf Messers Schneide, zwischen Täter und Opfer: Ist man jetzt Zeuge oder Mittäter? Dass Bus126 nicht versucht, jeden Scheiß, den er gemacht hat, als Heldentat umzudeuten, macht die Geschichte stark. Sowieso: Graffiti spielt nur eine Nebenrolle. Das Manuskript lag 20 Jahre lang in der Schublade, der Lektor Jo Preussler hat es rausgekramt, bearbeitet und beim Verlag Possible Books herausgebracht, gestaltet wurde es von Verleger Matthias Hübner, der unter anderem an der Kunsthochschule Weißensee lehrt.Jo Preussler und Matthias Hübner sitzen an einem Frühlingstag im Zentrum der Stadt, beim Vietnamesen in Prenzlauer Berg, beide sind Ostberliner um die vierzig. „Diese Erzählung hat etwas Exemplarisches“, sagt Preussler, Künstler, der sich seit 20 Jahren Lesarten des Graffiti widmet. „Wie ist so eine Jugend im Schatten der Mauer abgelaufen, das war für mich extrem interessant. Ich kannte die „Baseballschlägerjahre“. Aber diese Jahre im Westen? Die kenne ich nur über Videos, Gangs mit Gastarbeiterkindern, wie Vulkanlar oder 36Boys, die sich Kämpfe lieferten. Und Bus126 ist aber jemand, der aus der Peripherie kommt, und trotzdem hat man das Gefühl: Er kennt die ganze Stadt.“ In der DDR gab es vom Staat organisierte Sportvereine, jeder war eingebunden. So jemand wie der Westberliner Bus126 wurde alleingelassen. „Er konnte nirgends Halt finden. Er wollte Aufmerksamkeit. Die konnte er dann durch seine selbst gesetzten Zeichen erlangen“, erzählt Preussler.Die Urversion des Textes entstand 1997, als Reaktion auf ODEMs On the Run, das erste deutschsprachige Werk einer sogenannten Graffiti-Literatur, allerdings von einem Ghostwriter verfasst. Bus126 sind darin zwei Kapitel gewidmet, in denen er sich selbst nur schwer wiedergefunden habe, sagt sein Lektor. Er setzte also seine eigene Version dagegen, die er erst mal für sich behielt. Dann traf er Jo Preussler, die beiden kannten sich, redeten über Verletztheit, diese Mechanik der Gewalt, die sich über Generationen durch die Familie zieht. „Ich konnte erfahren, welche Energien in jugendlichen Körpern nach einem Ventil suchen, wie Wut und Angst ausgelebt werden, wie schnell Streit eskaliert, physischer Zerstörungsdrang ausgelöst wird und wie die Muster der Abstumpfung und Unterwerfung über Generationen weitergegeben werden“, diese Themen machen den Text für Jo Preussler allgemeingültig. Und die Sprache. „In diesen Tagen fällt mein Vater in den Teltow-Kanal. Er liegt ganze zwei Tage in der Brühe, bevor die Wasserpolizei ihn herausfischt. Beim Angeln hat er einen Schlaganfall erlitten und den Halt verloren. Die Wohnung meines Vaters ist voll merkwürdiger Dinge. Mehr als zwanzig Fahrradrahmen ohne Räder, riesige Eimer mit Senf und Ketchup, zehn Gitarren ohne Saiten ...“Graffiti-Legende zu LebzeitenVerleger Matthias Hübner, der vor allen Dingen Gestalter ist, widmet sich mit Jo Preussler und anderen Mitstreitern zeitgenössischem Graffiti. Er ist weltweit mit Forschern im Austausch, ihn interessieren Theorien von Baudrillard und Norman Mailer oder dem Kunstpädagogen Joachim Penzel, der Graffiti-Kultur als Training für den Raubtierkapitalismus sieht: höher, schneller, weiter. Die Plattform menetekel.org, die zum Verlag gehört, soll ein Anlaufpunkt für alle werden, die sich mit Graffiti beschäftigen. Es gebe gerade wieder größeres Interesse, sagt Hübner, verweist auf neue Sonderbände über Graffiti oder Post-Vandalismus, ein Begriff den der irische Künstler Stephen Burke auf Instagram prägte, legale und illegale Werke fallen darunter. Bus126 gilt als Pionier, als Graffiti-Legende. Er sei jetzt um die 50, noch unterwegs, meist in Abbruchgegenden und mit Pinsel.Placeholder infobox-1