Champagner gibt's immer!

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Die französische Botschaft in Berlin hatte zum Soirée electorale eingeladen.

Vom Salon aus kann man aufs Brandenburger Tor schauen, es waren ein paar Fernseher aufgebaut, ein Buffet mit Champagner und Wein. Die meisten Herren, graumelierte Diplomaten in schwarzen Anzügen, mit ihren Begleiterinnen, hoch gewachsene blonde jüngere Frauen mit Gesine-Schwan-Frisur (hoch gesteckt, Büschel) entschieden sich für die schäumende Variante.

Gesine Schwan, in leuchtend rotem Kleid, umringt von Männern, beachtete diese Frauen gar nicht, sie machte ernsthafte Konversation.

Thierry, der Koch der Ambassade, fuhr dann Delikatessen auf, simpel, aber deliziös: Rillette, Entenleber, Lachs mit eigens gemachtem Merrettich, Baguette, Wildsalami, Schinken.

Man gruppierte sich um kleine runde Stehtische herum, möglichst nahe an einem der Fernseher. Dort wurde es immer dichter. Die erste Hochrechnung: Huh, Juhu, rief die kleine linke Fraktion dieses Abends, ein Fotograf, ein Kulturattachée, in Berlin lebende Franzosen, die in der Botschaft gerade ein Praktikum machen. Wer etwas hören wollte an diesem Abend, Sarkozys Abschiedsrede beispielsweise, diese eigentümliche "Der Wolf hat Kreide gefressen" - Liebeserklärung an seine Concitoyens, hatte Pech. Der Monitore liefen praktisch ohne Ton. Also blieb nur das Dessert: Tarte au pommes, aber man kam nicht ran. Der Weg musste frei sein: Westerwelle kam.

Neben dem Botschafter, der nicht gerade euphorisch wirkte (er wurde von Sarkozy ernannt), zeigt sich der Außenminister als kultivierter Mann von Welt. "Wussten Sie, dass dies mein Lieblingstisch von Yves Klein ist", rief er, "und den gibt es nur hier in der Botschaft". Westerwelle fing einen kleinen Diskurs an, über die blaue Phase... aber draußen warteten die Kameras.

Auf die Frage, ob es nun, da sich vielleicht das Personal ändern wird, bald keine Champagnerabende mehr geben wird, schüttelte ein anderer Diplomat vehement den Kopf: "Champagner gabs schon unter Mitterand", und wenn eines sicher sei, dann das.

Er ist der Kulturattachée des Botschafters, und ein Linker. Es ist sein Abend, endlich sei dieser prinzipienlose Sarkozy verscheucht. "Kommen Sie mit ins Willy Brandt Haus, zur Party der Sozialisten?" Auf ins Taxi, zu den Siegern.

Vor dem Büro der Parti Socialiste brannte die Luft. Der Kulturattachée nahm seine seine rosafarbene Krawatte ab, steckte sie in die Jacketttasche. Matthieu Rigal und Gabriel Richard-Molard, die die Berliner Sektion der Parti Socialiste führen, monatelang von Tür zu Tür gingen um für Hollande zu werben, wurden umringt, hochgehoben. Um sie herum schrien, sangen, tanzten alle. Junge Typen mit Dreitagebärten, aus Friedrichshain und Kreuzberg, strahlende Französinnen in die Trikolore gehüllt: "On a gagné! On a gagné" brüllten sie immer wieder. Es gab Bordeaux für 2 Euro, und Salzstangen.

Auf der riesigen Leinwand im Büro konnte man den Wagen von Hollande sehen, der sich gerade zu seinen Anhängern in Tulle bewegte, seinem Wahlkreis. Auftritt Hollande, die große Geste, "er kopiert Mitterand", flüsterte jemand. Immer dann, wenn er gerade anhob, im Namen der Republik zu reden, stoppte der Beamer, das Bild blieb stecken, das hatte etwas Clowneskes. La France? Das ist "égalité, fraternité, liberté...". Stopp. Ruhe. "Et l'Amour!", rief ein blonder bärtiger Typ aus dem Publikum. Als Hollande ansetzte, seinen engen Mitstreitern zu danken, forderten die Franzosen in Berlin: Ségolène, Ségolène! Seine Exfrau, seine Unterstützerin. Die Verliererin.

Dann gab es noch eine Live-Schaltung ins 12. Arrondissement in Paris, das dortige Partner-Wahlbüro.

Zeit für die Party, französischer Pop. Voyage Voyage. Télephone. Mano Negra. Die Achtziger! Die meisten der jungen Sozialisten sind gerade geboren worden als die Stücke herauskamen. Aber sie kennen sie auswendig. Stromaes elektrisierendes "Alors on danse" wird umgewandelt in "Francois Hollande". Als sei er der französische Obama. Ein Messias.

De Bläck Fööss singen "Frankreisch, Frankreisch...", dieses Schwelgen in der eigenen Größe, im passé, es wird hier zur Karikatur!

Sascha Vogt, Bundesvorsitzender der Jusos, stand unauffällig am Rand und beobachtete die Fete mehr als dass er sie mitfeierte. Deutsche Zurückhaltung? Er kann sich nicht vorstellen, dass seine Sozis so exzessiv feiern würden, sollte 2013 Sigmar Gabriel gewinnen. Oder Steinbrück. Oder Hannelore Kraft. Vogt verschwindet dann auch bald.

In einer Ecke stand noch ein alter Sozialdemokrat mit Jeansjacke und Bier in der Hand. Auf die Frage, wer es schaffen könnte, seine Genossen in solche Ekstase, in Aufbruchstimmung zu versetzen, entfuhr es ihm sofort: Lafontaine. "Aber der iss ja nich mehr bei uns".

Dem DJ gingen die französischen Hits aus (es kam ja nicht mehr soviel nach France Gall und Desireless) - aber das "changement", das dieser Abend gebracht hat, ließ sich auch mit den Black eyed peas zelebrieren. Im Kreis. Tous ensemble.

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Geschrieben von

Maxi Leinkauf

Redakteurin „Kultur“

Maxi Leinkauf studierte Politikwissenschaften in Berlin und Paris. Sie absolvierte ein Volontariat beim Tagesspiegel. Anschließend schrieb sie als freie Autorin u.a. für Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel und Das Magazin. 2010 kam sie als Redakteurin zum Freitag und war dort im Gesellschaftsressort Alltag tätig. Sie hat dort regelmäßig Persönlichkeiten aus Kultur und Zeitgeschichte interviewt und porträtiert. Seit 2020 ist sie Redakteurin in der Kultur. Sie beschäftigt sich mit ostdeutschen Biografien sowie mit italienischer Kultur und Gesellschaft.

Maxi Leinkauf