Der entfleischte Mann

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Da war er wieder.

Jakob Hein steht eigentlich nur sonntags auf der Lesebühne des Kaffee Burger. Gestern aber war Mittwoch und er hatte dort Buchpremiere.

Die Schlange in der Torstraße ist an diesem Abend etwas länger als sonntags. Eine Frau ist gekommen, die sich sonst bei Arte-Lounge-Kultur-Soirées herum treibt, wie sie sagt. Jakob Hein solo - mit Überraschungsgästen - das wollte sie sich nicht entgehen lassen.

Alle Holzbänke sind besetzt, auch Fotografen sind da. Hein steht auf der Bühne. Er trägt ein Jackett, das länger aussieht als gewöhnlich, aber kürzer ist als ein Gehrock. Im Scheinwerferlicht wirkt er noch hagerer als sonst.

Nach seiner Lesung könne man noch was essen: "Die Falavel sind schon da, das Met kommt noch", kündigt er an. Klar, es geht an diesem Abend um Vegetarier. Um Wurst und Wahn, so heißt das neue Buch, das Hein lieber eine "Groteske" nennt.

Der erste Lacher, auf den Holzbänken im Kaffee Burger sitzen vor allem junge Frauen, die wohl gerade mit dem Gedanken spielen, ein- oder auszusteigen, mitzumachen oder sich zu verweigern, diesem Trend gegen das Tiere-Essen.

Hein geht mit, auch literarisch. Eigentlich wollte er gar kein Vegetarier werden, sagt er, "Arier", da denke man doch gleich an Hitler, widerlich- er wollte nur "einfach mal ne Weile kein Fleisch essen". Machen gerade viele. Vor allem Schriftsteller.

Hein liest, von seiner Vorliebe für Karotten - und Röhrenjeanstrips in seiner Jugend, und jetzt eben der Vegetarier-Tick. Es wird ein Horrortrip, bei dem er nicht nur Bratwurst, saure Nierchen und Salami verliert, und die Röhrenjeans zugunsten von lila Latzhosen. Seine Ehefrau verlässt ihn, sein Testosteron und schließlich seine Libido. Der entfleischte Mann.

Das ist heavy.

Eine befreundete Veganerin hat eine einfache Erklärung: Männer definieren sich über ihren Fleischkonsum. Sie brauchen das Arachaische, das Jägerhafte, "kein Steak auf dem Teller, kein richtiger Mann".

Warum hat Jonathan Safran Foer das beiseite gelassen in seinem Bestseller Tiere essen? Der hat ja, nach Schriftstellerin Karen Duve, nun auch Hein inspiriert, locker einfach mal damit aufzuhören.

Wieso hat niemand vor den brutalen Entzugserscheinungen gewarnt? Heins Held wird schon nach zwei Tagen irre, sieht nur noch Wurstschorlen und schwimmende Hot Dogs in Hundefellen.

Zeit für den Special-Guest: Sänger und Gaukler Toni Mahoni schlurft on stage - dessen Buch Gebratene Störche liegt vorn am Eingang, direkt neben den Hein-Stapeln. Mahoni kündigt sein Lied Fleisch an, kann es aber erstmal nicht singen, weil der Gitarrist noch üben muss. Bringt er also mit Tom Waits-Stimme erstmal einen Song über die Sonne und das schöne Leben, indem man sich nicht festlegen muss.

Die Lesebühnen-Veteranen Spider und Heiko Werning dürfen (obwohl nicht Sonntag ist) ebenfalls auftreten und tragen ihre Storys to go vor, sie hängen an dem Abend natürlich alle mit Tieren zusammen -meist toten- und mit Männern, die keine mehr essen. Die andere Seite läuft Sturm und behauptet: Vegetarier brauchen beim Sex länger, Fleischesser sind "auf den Punkt". Sie hören sich alle gleich an, lesen in einem monotonen Sound, antrainiert in den vielen Jahren Lesebühne. Bei Hein spürt man sie auch, doch er wirkt weniger getrieben, distanzierter.

Pause. Nach zehn Minuten sind die Falafel schon weg. Hein hockt am Bühnenrand, scheint in sein Buch vertieft. Ihm ist gerade nicht nach Kichererbsen.

In der zweiten Hälfte begegnet sein Held dem Blogger bruehwuerfel69, von dem er gruslige Anekdoten hört, die in der korrupten Soja-Tofu-Welt spielen, so gruselig, dass er nicht nur selbst wieder "Carnivore" - wie Hein es ausspricht klingt es nach italienischer Oper - wird, sondern auch alle auf Abwege Geratenen bekehren will.

Toni Mahoni muss nicht umdrehen. "Wie soll dit denn gehen, so janz ohne Fleisch", fragt er und bringt doch noch den Hit des Abends. "Deswegen kommt Fleisch heut uffn Tisch". Jubeln. "Der stiehlt mir ja die Show", ruft Hein, und man solle bitte nicht ohne sein Buch nachhause gehen. Es soll ironisch klingen, doch so gänzlich unernst wirkt er nicht dabei.

Sein Held ist ein kastrierter vegetarischer Mann, der rechtzeitig die Kurve kriegt.

Hein selber geht gar nicht erst so weit, er nennt sich nur einen Mode-Vegetarier.

Als Schriftsteller weiß er, dass nach den haufenweise nervtötenden Bekenntnissen der Neu-Fructarier ein Buch gut ankommt, das diese vorführt und aufräumt mit der Ich-will-ein-guter-Mensch-werden-Körner-Bio-Fallobst-Masche.

Der Geist unserer Zeit hat ihm die Vorlage geliefert, Hein füllt ihn mit Pointen. Aber er ist kein Possenreißer, und er erhebt sich nicht.

So verführt er nicht nur seine Fans im Kaffee Burger, sondern auch seinen Verleger.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Maxi Leinkauf

Redakteurin „Kultur“

Maxi Leinkauf studierte Politikwissenschaften in Berlin und Paris. Sie absolvierte ein Volontariat beim Tagesspiegel. Anschließend schrieb sie als freie Autorin u.a. für Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel und Das Magazin. 2010 kam sie als Redakteurin zum Freitag und war dort im Gesellschaftsressort Alltag tätig. Sie hat dort regelmäßig Persönlichkeiten aus Kultur und Zeitgeschichte interviewt und porträtiert. Seit 2020 ist sie Redakteurin in der Kultur. Sie beschäftigt sich mit ostdeutschen Biografien sowie mit italienischer Kultur und Gesellschaft.

Maxi Leinkauf