„Ich bin so gepolt, dass ich Fernweh habe“

Interview Charly Hübner sieht in „Asterix“-Filmen auch seine Mecklenburger Heimat, die er längst verlassen hat. Aber seine Herkunft beeinflusst auch sein Schauspiel
Ausgabe 13/2019
Charly Hübner ist unter Bauern und Handwerkern in Mecklenburg groß geworden, das prägt auch seine Art zu spielen. An der Elbe kann er stundenlang stehen
Charly Hübner ist unter Bauern und Handwerkern in Mecklenburg groß geworden, das prägt auch seine Art zu spielen. An der Elbe kann er stundenlang stehen

Foto: Henning Kretschmer für der Freitag

Ein Hotel in Hamburg, ein leerer Raum, in den ein Sofa gestellt wurde und ein Tisch. Charly Hübner füllt den Raum sofort aus, er trägt schwarzen Pullover, Silberkette, etwas lichtes Haar. Den Freitag lese er seit den 1990ern, sagt er, nimmt sich das Exemplar mit dem Titel „Lebensleistung Ost“, das ich mitgebracht habe: „Das ist ein entscheidendes Thema gerade“, sagt Charly Hübner und wirkt sofort sehr nahbar.

Er redet weiter von seiner Prägung im Osten, von Heimat, seinem Umfeld. „Innerhalb von drei Wochen hat sich das aufgebröselt, dann fiel die Mauer und ein Jahr später war die D-Mark da.“ Das sei auf der äußeren Ebene abenteuerlich gewesen, gepaart mit dem Trauma des Heimatverlustes. Man habe plötzlich vor sich selbst und vielen aus den alten Bundesländern rechtfertigen müssen, wie man gelebt hat. Bei der Neufindung fehlte es an Langsamkeit, es wurden übereilte politische Entscheidungen getroffen, die Menschen kamen nicht hinterher. In Neustrelitz am Theater, da hätten die Dramaturgen sie damals gewarnt: Ohne Reflexion „holt euch das in 30 Jahren ein“.

der Freitag: Herr Hübner, wie erleben Sie das heute, wenn Sie wieder in Mecklenburg-Vorpommern sind?

Charly Hübner: Vielfältig. Zu Hause ist es wie immer, sehr vertraut und heimisch. In Rostock ist es Arbeit und das Meer, was für mich ein Grundbedürfnis zu sein scheint. An manchen Orten begegnen einem Menschen mit viel Sorge, Angst vor weiteren krassen Veränderungen. An anderen Orten treffe ich Menschen, die sehr viel Neues aus den Städten mitbringen an Strukturen, Ideen, in einer Art Gründermentalität

Patrioten und Kosmopoliten.

Wenn Sie es so nennen wollen. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass es Menschen gibt, die sich völkisch verankern. Selbst wenn ich das nicht verstehe, scheint es so eine Sehnsucht zu geben. Solange sie nicht antihumanistisch auftreten und andere Lebensentwürfe als nicht lebenswert erachten und mit Mitteln der Gewalt einschüchtern oder gar bekämpfen und liquidieren, ist das der Deal unseres vielstimmigen Demokratieorchesters, einander zu respektieren. Das findet aber nun nicht allerorten statt, wie wir wissen.

Der Versuch, zu verstehen, dass sie sich ans Vertraute klammern?

Auch das nicht! Respekt hat sicher etwas mit verstehen zu tun! Doch ich frage mich nach all den Jahrzehnten, ob ein gründlicher Versuch oder tiefer Prozess von gegenseitigem Verstehen schon stattfand. Eher ein ambitioniertes Drüberhinweghuschen in Form von Vorurteilen und Rechthaberei, um den Maximalzielen einer erfolgsorientierten Kapitalgesellschaft irgendwie schnell gerecht zu werden.

Im neuen „Asterix“-Film leihen Sie Obelix Ihre Stimme. Es sind Comicfiguren mit patriotischem französischen Herzen.

Ja. Kosmopolitische Patrioten.

Wie die Punkband Feine Sahne Fischfilet aus Mecklenburg-Vorpommern, die Sie im Film „Wildes Herz“ porträtieren.

Im Grunde ja! Feine Sahne Fischfilet sind die nördlichsten Gallier! Der Sänger der Band, Jan „Monchi“ Gorkow, hat ganz klar gesagt: Er geht da nicht weg. Die Feine-Sahne-Jungs wollen ihre Scholle gegen Nazis verteidigen, sie wollen auf der Scholle leben und alt werden. Ich fahre gerne raus in die Welt und dann viermal im Jahr nach Hause. Wenn ich in Mecklenburg bin, dann suche ich die Ruhe. In unserem Dorf hat sich manches verändert, ein neuer Gehweg, eine neue Rollstuhltreppe. Viele Nachbarn leben noch, alte Schulfreunde kehren zurück aus Berlin und sonst wo weit.

Aber Ihnen ist das zu eng, Sie müssen weiterziehen.

Ja, mein Wesen scheint so gepolt, dass es Fern- und Fremdweh hat. Ich werde bestimmt irgendwann auch nicht mehr in Hamburg leben. Mal sehen, was da kommt!

Asterix und Obelix waren keine ostdeutschen Kindheitshelden, wie kamen sie zu Ihnen?

Einmal lag bei einem Schulfreund, der Westverwandte hatte, so ein Comic herum. Das war schräges Zeug, es sah so ähnlich aus wie die Abrafaxe, ein ostdeutsches Comic. Es waren Helden, die auf Reisen gehen. Und diese Helden waren lustig: der große Dicke und der kleine Schlaue. Obelix ist ja eher wie der Weißclown in der französischen Clownerie, er ist der Pierrot.

Das große Kind.

So richtig entdeckt habe ich diese ganzen alten Comics erst mit Ende 20, als ich in Frankfurt am Main lebte. Da habe ich mich irgendwie festgebissen. Je älter man wird, desto interessanter ist ja diese Aufstellung: Du hast den Imperialisten, der sein Weltbild auf alle Welt übertragen sehen will.

Im neuesten Film ist der Adler so groß.

Ja, um die Gallier zu verstehen, musst du dir noch mal Julius Caesar angucken und wofür der steht: Für mich ist das Amerika. Julius Caesar will immer noch dieses Dorf – der Amerikaner kann es nicht lassen, sich in Europa einzumischen. Und da sagen die Gallier: „Mach du doch dein Ding, wir machen unseres. Wir sind Bretonen!“

Die Grünen luden Sie Anfang des Jahres zur Klausurtagung nach Frankfurt (Oder) ein. Warum?

Ja, das war Robert Habeck, den ich über private Kontakte in Hamburg kenne. Der ist ja viel in der Stadt, man trifft sich, man redet, irgendwann auch mal über Politik. Und dann hatten sie die Idee, mich und ein paar andere ostdeutsche Kulturleute einzuladen. Aber es war ein Missverständnis. Ich kann das gar nicht bedienen, weil ich ewig schon nicht mehr im Osten lebe: Ich bin seit 24 Jahren im Westen.

Aber Ihre Heimat treibt Sie um.

Weniger die Heimat als die Risse, die jetzt echt zu sehen und zu spüren sind. Der Estrich der D-Mark ist ausgetrocknet und jetzt gibt es eine große Wut auf vieles, was nach der deutschen Einheit zum Status quo erklärt wurde, gefühlt ohne Absprache, was auch nur eine halbe Wahrheit ist. Aber diese Wut ist wirkliche Emotionalität, wie bei den Gelbwesten in Frankreich. Sie wird natürlich auch instrumentalisiert, geht ja heut gar nicht mehr anders – aber zu versuchen, im Wurzelmoment so eines Kollektivgefühls vor Ort zu sein, in den Dörfern, in den strukturschwachen Regionen, das gelingt rechter Politik seit Längerem besser als linker Politik. Und da setzen die Grünen unter Annalena Baerbock und Robert Habeck an.

Hausmann, Serienmörder, Kommisar

Ursprünglich wollte Charly Hübner, Jahrgang 1972, Leichtathlet oder Handballer werden, aber das hätte sein Herz nicht ausgehalten. Aufgewachsen in Feldberg (Neustrelitz), spielte er während der Schulzeit am Laientheater und kam nach dem Abitur als Schauspieleleve ans Landestheater Neustrelitz. 1993 ginger dann an die Hochschule Ernst Busch. Er spielteam Maxim-Gorki-Theater, an der Schaubühne in Berlin sowie in Zürich, Köln und Hamburg. Beim Theater am Turm in Frankfurt am Main hatte er 35 Stücke in fünf Jahren. Zuletzt wurde Hübner für seine Rolle als Serienmörder Honkaam Schauspielhaus Hamburg gefeiert (2017, Regie: Studio Braun), woer zum Ensemble gehört.

2003 kam er zum Film: Das Leben der Anderen (2006) verschaffte ihm Aufmerksamkeit, in Eltern (2015)spielt er einen Mann, der zu Hause bleibt und sich um die Kinder kümmert. Im selben Jahr ist er in Bornholmer Straße als DDR-Oberstleutnant zu sehen. Hübner spielte in Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt (2017, Drehbuch: Sven Regener) und im Romy-Schneider-Drama 3 Tage in Quiberon (2018).

Mit der Dokumentation Wildes Herz über die Punkband Feine Sahne Fischfilet führte Hübner 2016 erstmals Regie. Im Fernsehen wurde er 2010 als verschrobener Kommissar Alexander Bukow beim Polizeiruf 110 aus Rostock bekannt.

Beim neuen Kinofilm Asterix und das Geheimnis des Zaubertranks ist er Obelix’ Synchronstimme.

Der Zaubertrank ist das, was die Gallier stark macht.

Er macht sie besonders, er ist ihre astreine Spezialität. So wie es in unserem Ländle eine mecklenburgische, eine hessische, eine sächsische, eine rheinische oder diese liberale hanseatische Spezialität gibt. Vermutlich hab ich deswegen hier schon recht lange Zwischenstopp eingelegt. Mit den Kaufleuten hab ich wenig am Hut, aber diese Weltläufigkeit, die entspricht wiederum einer Sehnsucht in mir: Man guckt hier nach Westen und da fällt die Sonne ins Wasser und da fahren die Schiffe hin. Wenn man Lust hat, dann steigt man auf.

Es ist ein Geist, der diese Stadt seit Jahrhunderten umweht.

Ja, sie hat so eine eigene Art von Offenheit. Der Hamburger wirkt verschlossen, ist aber total offen – weil er Geschäftsmann ist. Wer gute Geschäfte machen will, muss offen sein.

Karin Beier, Ihre Leiterin am Schauspielhaus Hamburg, sagte über Sie: „Man spürt, dass er aus einer Welt kommt, die früher mal mit Arbeiterklasse zu tun hatte.“

In meinem Jahrgang an der Schauspielschule, da waren Ärztekinder, Anwaltskinder, nur drei oder vier Arbeiterkinder wie ich. Meine Eltern haben zwar ein Fachstudium für Gastronomie gemacht, aber es sind keine studierten Leute. Mein Großvater war Bauer.

Es war eine Welt der Arbeiter und Bauern?

Ja, ich wohnte in so einer DDR-Siedlung. Der eine war Fernfahrer, die anderen arbeiteten als Handwerker. Dann gab es Meliorationsbauern. Die haben Drainagen gebaut, damit das Wasser in den Äckern ordentlich fließt. Wenn du in den Sommerferien dein Geld verdienen wolltest, da hast du Korn geschaufelt oder die Kanäle frei gehalten. Nur so konnte ich mir einen Kassettenrekorder leisten und dann Heavy Metal hören. Da stand man bis zur Hüfte im Wasser und hat die Bisamratten, die sich unten angesiedelt haben, beiseitegeräumt. Einmal hatte ich eine Bisamratte an der Latzhose hängen, da hat der alte Bauer draufgehauen.

Wie war Ihr Großvater?

Er war noch selbstständiger Bauer. Er stand morgens vor sechs Uhr auf: Wenn die Sonne oben stand, ging es raus, und wenn sie anfing unterzugehen, wurde das Geschirr eingesammelt und es ging wieder rein. Dann wartete zu Hause der Stall. Mein Opa hat immer gesagt: „Urlaub habe ich im Kriege gemacht. Zu Hause wird gearbeitet.“

Das erschien mir so selbstverständlich. Aber ich selber war letzten Endes immer schon der Kasper. Auch wenn ich so groß und schwer wirke, bin ich trotzdem der vertüttelte Hanswurst. Meine Schulfreunde sind echte Handwerker, das sieht man den Körpern an.

Was war noch normal in dieser ländlichen Welt?

Ich habe noch Schlachten gelernt. Wenn du zu Ostern so ein Lamm packst und das wird geschlachtet, dann wohnst du einem Wechsel vom Lebewesen zum Gegenstand bei. Das ist bizarr. Aber ich kenne es nicht anders. Wenn ich Hunger habe, denke ich als Erstes an ein Stück Fleisch.

Sie waren aber mal Teilzeit-Veganer, oder?

Ja, aber das ist auch schon wieder vorbei. Unsere Theaterkantine ist einfach gar nicht für Veganer gemacht. Ich wollte nur kapieren, was das Interessante war beim Veganismus, und ich spürte, dass es mir mit dem ganzen Gemüse besser ging. Aber alles Ideologische daran ist mir fremd.

Zidane ist eines Ihrer Vorbilder: Was haben Sie von dem Fußballer über Schauspielerei gelernt?

In dem Buch Schlangenmaul von Jörg Fauser gibt es eine tolle Beschreibung: Die Königsboa liegt, manchmal ein Jahr lang, die Augen sind immer wach, der Körper ist immer bereit. Dann plötzlich erscheint eine andere Königsboa, die sie braucht, um zu überleben. Sie guckt, wie die sich bewegt, dann tötet sie sie und zieht sie ganz in sich rein. Danach legt sie sich wieder hin.

Ein martialisches Bild.

Wild Nature! Zidane hat letztlich so gespielt. Er guckt, bewegt sich kaum, geht Formationen durch. Dann kommt auf einmal der Ball, und er zieht ab.

Ich saß damals, während der WM 2006, in Hannover im Stadion. Da spielte Frankreich gegen Spanien. 80 Minuten lang passierte wenig, er hatte ein paar Trippelmomente. Und dann kam der Pass, und er geht und geht und geht. (Charly Hübner ist aufgesprungen und macht es vor.) Keiner rechnet damit, dass er selber verwandelt, das war der Trick. Er tat es doch und Frankreich hat gewonnen.

Diese Potenz kann man auch bei Schauspielern sehen?

Ja, bei Jens Harzer oder Lina Beckmann, meiner Frau. Sie arbeitet so ganz anders als ich, sie hat so eine krasse Intuition.

Sie machen Theater, Film, Regie: Wie kommen Sie runter?

Ich stehe hier manchmal am Strand an der Elbe und frage mich: Wann ist jetzt der Moment, in dem die Ebbe aufhört und die Flut beginnt? Kriegt man den überhaupt mit? Das ist wie ein Mantra.

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