Verscheuern wir unsern Tag, gehn zum Flohmarkt, spielen Cowboys, ganz egal, wohin das führt. Keiner kann dieses „Immer nur suchen, niemals bleiben“, das Unstete, so besingen wie er, bloß nicht entscheiden, immer so ’ne Sehnsucht.
Gisbert zu Knyphausen live, für manche ist das Glück, er macht was mit den Leuten, beim kleinen Festival in Königs Wusterhausen, im Kesselhaus in Berlin, im Wohnzimmer. Vordergründig ist es die Instrumentierung, seine raue Stimme. Danach kommen die Worte, seine zarte Poesie. Der 41-Jährige gehört zu einer jüngeren Generation von Singer-Songwritern, die deutschsprachigen Chanson-Rock machen, andere sind Max Prosa, Felix Meyer oder Olli Schulz. Das Magazin Rolling Stone lud Gisbert zu Knyphausen und Reinhard Mey zum „Gipfeltreffen“ ein, er ist einer der begabtesten Songschreiber in dieser Szene – in der Liedermacher-Ecke sieht sich Gisbert zu Knyphausen jedoch eher nicht. Er ist nicht so explizit politisch. Seit seinen Auftritten bei TV NOIR eilt ihm der Ruf des Neo-Schmerzensmanns voraus, nachdenklicher Typ mit Gitarre, der den Orientierungslosen in einer rasanteren Welt eine Stimme gibt. Der Blick nach innen kann radikal sein.
Schubert, beladen mit Schmerz
Gisbert zu Knyphausen steht am Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof, er trägt ein blaues Hemd und Bart. Er hat seinen Proberaum als Ort für ein Treffen vorgeschlagen, er führt durch den ausrangierten Hangar, leere Backsteingebäude, verschlossene Fenster, 2015 ist hier ein Flüchtlingsheim gewesen, sagt Gisbert zu Knyphausen.
Neuerdings singt er Schubert. Wieder diese Schwermut. „Ja, alle diese Lieder sind so beladen mit Weltschmerz, das Dichterische, das Romantische, alle so gefühlsschwanger, voller Drama und Leid. Ich habe mich eingehört in dieses Universum und immer mehr in diese Schwere verliebt, die ich in meinen Songs ja auch viel hab. Man kann sich da so reinfallen lassen.“ Er bleibe eben bei den Dramen hängen, „weil man das Gefühl hat, dass man seinem eigenen Drama so einen Platz geben kann. Das macht man ja im Alltag nicht so viel. Und durch die Musik kann man das stellvertretend ausleben.“
Gisbert zu Knyphausen stoppt vor einer zerkratzten Eisentür, könnte auch eine Garage sein. Innen klebt ein Bild von Vermeer. Der Raum wirkt mehr wie ein Neuköllner Wohnzimmer, mit Cordsessel, Vintage-Schirmlampe, gedämpftem Licht. Ein Schlagzeug ist postiert, Verstärker, mehrere Gitarrenkoffer, ein Holzregal mit Kisten, E-Gitarre, Klavier. An vergilbten Wänden hängen verträumte Bilder in Mini-Goldrahmen. Die meisten Proberäume, die man mieten kann, sind steriler. „So einen habe ich auch noch, da trifft sich die Band, oder wer gerade zu ihr gehört“, sagt Gisbert zu Knyphausen leise. Der Flügel seiner Freundin, der in der Wohnung steht, sei sicher schuld, dass er mit dem Klavierspielen wieder angefangen hat. Auf dem Pult stehen die Noten zur Litanei auf das Fest Allerseelen, vertont von Franz Schubert. Er will diese Lieder nicht so knödelig singen wie die klassischen Opernsänger, er stellt sie neben seine eigenen. Beides verbindet eine tiefe Melancholie, eine Schönheit, die aus dem Schmerz kommt. Und Lust auf Leben.
Jugendliche sind melancholisch, und man kennt einen Weltschmerz auch von Adligen, ennui kann zu Schwermut führen. Ist Melancholie Luxus? „Ja, absolut, in unserer Gesellschaft ist sie das. Wenn ich in einer anderen Welt, in einem anderen Land aufgewachsen wäre, hätte ich gar nicht so viel Zeit, mich der Musik zu widmen, der Schwermut zu frönen, hätte gucken müssen, dass ich meinen Lebensunterhalt verdiene.“ Er ist privilegiert groß geworden – „mit diesem Gefühl, dass ich eigentlich überallhin kann, zumindest standen mir viele Türen offen“.
Gisbert zu Knyphausen ist als Spross einer alten Adelsfamilie im Rheingau aufgewachsen. Seine Familie besitzt ein Weingut in Eltville-Erbach. Sein Onkel, Bruder des Vaters, war der Älteste, erbte ein Schloss in der Nähe von Dortmund, in dem die Großeltern gelebt hatten. Als Kinder tobten sie im Wassergraben des Schlosses herum. Obwohl sie nicht strikt adlig sind, bekamen sie immer Einladungen zu Festen, wo nur Adlige hinkönnen. „So ’ne Welt existiert ja noch – von der ich mich dann ferngehalten habe.“
Unfähigkeit zu Konflikten
Einerseits war es eine offene, fröhliche Kindheit. „Und dann gab es auch in unserer Familie Sachen, die mich belastet haben“, sagt er, welche Dinge das waren, das ist ihm zu privat. Da war eine Unfähigkeit, Konflikte auszutragen, in der Familie sei vieles unterm Scheffel gehalten worden. „Manchmal kam so ’ne Schwermut. Ich hab mich viel damit beschäftigt, vieles ist mir auch ein bisschen unklar, wo mein Hang nach Löchern so herkommt zum Beispiel.“
Es gab familiäre Erwartungen, die er nicht erfüllt habe. „Meine Mutter fand das interessant, dass ich so einen eigenen Kopf hatte. Und so einen komischen Weg einschlage. Mein Vater hat das anfangs eher nicht verstanden.“ In seiner Tradition ging man in schlagende Verbindungen, die Bonner Preußen, mit 1.000 Ritualen. „Es herrschte gesellschaftlicher Druck, dass man was Vernünftiges macht. Und vielleicht ist es bei Adligen noch wichtiger, wie man nach außen wirkt, wie man seine Rolle erfüllt.“ Gisbert zu Knyphausen dreht sich eine Zigarette, raucht vor der Tür.
Heimspiel und Reeperbahn
Auf dem Draiser Hof zwischen Eltville und Erbach im Rheingau findet seit 2009 das Heimspiel-Festivalstatt, das Gisbert zu Knyphausen auf dem Weingut seiner Familie, „Baron Knyphausen“, organisiert. Dort sind bisher Künstler wie Element of Crime, Sophie Hunger, The Notwist und AnnenMayKantereit aufgetreten. Auf Wunsch des Vaters wird nur Wein, kein Bier ausgeschenkt. In diesem Juli konnte das Open Air coronabedingt nur als Stream stattfinden.
Gisbert zu Knyphausen ist in der deutschen Underground-Indie-Szene mittlerweile eine feste Größe, er hat drei Soloalben veröffentlicht, schreibt zudem Kinderlieder und Songs fürs Kino. 2013 hat er sich an dem Märchen-Projekt Es war einmal und wenn sie nicht beteiligt und las Der Froschkönig oder Der eiserne Heinrich für diese Doppel-CD ein. 2014 hat er als Bassist die Tournee von Olli Schulz begleitet und ist bei ihm regelmäßig Gastmusiker. Außerdem war zu Knyphausen Teil der Band Kid Kopphausen. Aktuell tritt er mit Liedern von Franz Schubert auf, dem Singer-Songwriter des 19. Jahrhunderts. Tatsächlich könnte man die Themen seiner späten Liederzyklen auch auf die heutige Zeit übertragen: die Angst vor dem Unbehausten, die Sehnsucht nach Menschlichkeit, der Widerstand gegen die Normen des Establishments.
Gemeinsam mit dem Duisburger Pianisten Kai Schumacher hat Gisbert zu Knyphausen die Lieder neu arrangiert und interpretiert. Das Programm enthält Lieder von Schuberts 1827 fertiggestellter Winterreise bis hin zur Liedersammlung Schwanengesang. Am 17. und 18. September treten sie beim diesjährigen Hamburger Reeperbahn Festival in der St.-Michaelis-Kirche auf.
Zur Musik kam er durch seine Mutter, alle Kinder sollten Instrumente lernen. Zum Adventssingen sollten sie vorspielen, das waren so Sachen, die man „macht“, aber nicht genießt. Der Vater hat immer nur sonntags klassische Musik gehört, beim späten Frühstück, zündete Kerzen an. „Das hat eine weihevolle Atmosphäre kreiert.“ Die Tochter seiner Freundin renne immer aus dem Zimmer, wenn sie klassische Musik anmachen.
Mit zwölf hat er die Gitarre für sich entdeckt. Ein Freund aus dem Gymnasium hat die gute Musik angeschleppt, The Doors, Can, Tom Waits, Element of Crime. Wie andere Leute sich gegen die Welt der Eltern auflehnen, hatte er keine Lust mehr auf diese Kleiderordnung. Rebellion hat ja nicht nur was mit Freischaufeln von Traditionen zu tun, sondern damit, seinen eigenen Raum zu erschaffen. Er konnte sich anfangs nicht vorstellen, einfach nur Musik zu machen. Er studierte in Nijmegen Musikwissenschaften, der feine Nieselregen traf seine Stimmung. Dann wechselte er zur Musiktherapie, er wollte was für die Gemeinschaft tun, Musik machen und anderen helfen. „Was sehr schön war: In der Gruppentherapie musste sich jemand ein Lied, das er gerne mag, aussuchen und in der Begleitung von mir und der Musiktherapeutin einem Teil der Gruppe durchs Mikrofon vorsingen. Eine unfassbare Mutprobe für die Leute, weil es das Intimste ist, was du zeigen kannst. Vor Leuten singen, und dann noch durch ein Mikrofon. Das fühlt sich ziemlich nackt an.“ Aber irgendwann habe er gedacht: „Was soll ich den Leuten erzählen? Ich habe eigentlich genug eigene Probleme. Was sage ich einem Mitte 50-Jährigen, der mit Alkoholsucht zu kämpfen hat?“ Er zog nach Hamburg, gründete eine Band, schrieb Songs. Kam nach Berlin. 2008 erschien sein Debütalbum, es wurde von Kritikern und Hörern gefeiert.
2012 starb überraschend sein Kollege und Freund Nils Koppruch. Da verlor er die Lust am Musikmachen, nahm sich eine Auszeit, ging auf Reisen, er war mit dem Goethe-Institut in Russland und Teheran. „Ich war gerührt, wie sie Fremde dort mit offenen Armen willkommen heißen.“ Er machte mit iranischen Musikern einen Trip in die Wüste, sie entwickelten Songs auf Farsi und Deutsch. „Da hat einer noch ’n traurigeren Song als der andere gesungen, das war irgendwie geil, weil es mich so ein bisschen versöhnt hat mit meiner Traurigkeit. Das war in dem Jahr, nachdem Nils gestorben war, und es war für mich ein ziemlich wichtiger Punkt. Es hat mich wieder ein bisschen zurück zur Musikliebe gebracht.“ Er hat ein Album aufgenommen, Das Licht dieser Welt (2017). Das Lied ist an ein Kind gerichtet.
Wie verändert sich die Perspektive mit Kindern? „Natürlich versuche ich, meine dunklen Seiten von der Kleinen fernzuhalten, um ihr nicht zu vermitteln, wie schwierig alles ist. Das entdecken die ja früh genug, dass es im Leben viel Schmerz gibt.“ Er ist nur Teilzeit-Papa und hat beides, er nimmt am Familienleben teil, hat aber auch Zeit für sich, seine eigenen Sachen. „Ist eigentlich perfekt.“ Seine Freundin ist auch Musikerin, sie haben sich bei einem Konzert von Sophie Hunger kennengelernt. Er konnte sich also auf einmal festlegen?
„Es war eine Entscheidung dafür, die ich auf einmal fällen konnte. Wahrscheinlich auch, weil es die richtige Person ist, da fällt das leichter.“ Sie hätten beide gemerkt, dass sie Konflikte miteinander lösen können, bereit dafür sind, das zuzulassen. „Das hatte ich von zu Hause nicht mitbekommen. Mein Vater ist, was emotionale Dinge angeht, ein sehr schweigsamer Mensch. Und das hat sich auch auf uns übertragen. Er war verschlossen, wie viele in dieser Generation. Die haben überhaupt nicht gelernt, über Gefühle zu reden. Als ich und meine Brüder Jugendliche waren, da wusste er gar nicht so genau, wie er sich uns gegenüber verhalten soll. Jetzt, im Alter, haben wir ein engeres Verhältnis.“
Einige Wochen später, Streifzug durch die Alte Nationalgalerie. Gisbert zu Knyphausen sucht solche Orte. Er sieht müde aus, schlafe gerade schlecht. Die vielen Bilder über den Tod sind ihm zu düster. Vor einem Gemälde bleibt er stehen, Rückkehr zur Heimat. Jemand wird im Totenwagen transportiert. Ihn fasziniert das Realistische daran, die Echtheit der Schattierungen, Falten im Gewand, in Gesichtern. „Die Pastellfarben, die machen das andere, das Dunkle, erträglicher.“ Er sucht Widersprüche, er kann sie aushalten. Die Stillleben mit Äpfeln, alte Schinken, hingen bei ihm zu Hause, seine Mutter hat manche gegen moderne französische Malerei getauscht. Monets Sommer, tanzende Blätter, ja, so stelle er sich einen Sommertag vor, sagt er.
„Manchmal glaube ich, dass ich zu langsam bin für all die Dinge, die um mich herum geschehen“, heißt es im Lied Sommertag bei Gisbert zu Knyphausen. Er hat sein Tempo gefunden.
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