Paolo Giordano ist ein 38-jähriger promovierter Physiker, und er ist Schriftsteller, einer der bekanntesten Italiens. Sein Buch Die Einsamkeit der Primzahlen von 2008 verkaufte sich mehr als eine Million mal. Was soll jemand wie er in diesen Corona-Zeiten anderes tun als schreiben? Also schreibt er. Über das Virus und wie es unser Leben verändert.
Sein auch in Deutschland extrem schnell veröffentlichtes Werk In Zeiten der Ansteckung ist ein kurzer Band, mit knapp 80 Seiten, die in schmale Kapitel aufgeteilt sind, es ist halb Analyse, halb Tagebuch. Die Buchführung beginnt am 29. Februar, da hat die Zahl der Ansteckungen weltweit 85.000 überschritten, und endet am 4. März. Es scheint schon irre weit weg.
In Italien fing es damals an, bedrohlich zu werden, das Land stand kurz vor der Quarantäne. Paolo Giordano vertraut, seit er Gymnasiast war, der Mathematik. Früher hat er sich morgens nach dem Aufwachen mathematische Gleichungen ausgedacht, manche sahen in ihm einen Nerd. „Noch bevor Epidemien medizinische Notfälle werden, sind sie mathematische Notfälle“, schreibt er jetzt, er nähert sich dem Virus Sars-Cov-2 ganz rational, versucht, dessen Wirkungsweise zu verstehen.
Auf nüchterne und uneitle Weise erklärt Giordano, wie sich in den Augen des Virus die gesamte menschliche Spezies in drei Kategorien teilt: Anfällige, die es noch infizieren kann, die Infizierten und die, die es schon hatten, die es nicht mehr treffen kann. Susceptible, infected, recovered: SIR.
Menschen beschreibt Giordano als Kugeln, die suszeptibel und reglos sind, bis der Patient null gegen sie knallt und noch zwei weitere Kugeln anstößt. Diese wiederum rollen davon und stoßen pro Kopf je zwei weitere Kugeln an. Wieder und wieder.
Wie schnell, das hängt von der Basisreproduktionszahl R0 ab, erklärt Giordano. Man weiß inzwischen, dass die Dinge nur wirklich gut laufen, wenn diese Zahl unter Eins liegt, wenn also jeder Infizierte weniger als einen anderen Menschen ansteckt. Wenn R0 im Gegenteil über Eins liegt, auch nur geringfügig, tritt eine Epidemie ein.
Die Eindämmung der Epidemie ist also gleichbedeutend mit einer Absenkung des Werts R0. Dann kommt die Einschränkung: „Sobald man die Hand von der unter Druck stehenden Leitung nimmt, kommt das Wasser genauso stark heraus wie vorher.“ Hier spricht der Mathematiker als Schriftsteller.
Paolo Giordano ist nicht der erste italienische Autor, der eine Epidemie zum Thema seines Werks gemacht hat. Alessandro Manzoni, dessen Roman Die Brautleute jeder Italiener kennt, berichtet in der Storia della colonna infame (1840) von einem grausigen Justizirrtum aus dem 17. Jahrhundert. Manzoni rekonstruiert die Vorgänge, die dazu führten, dass Unschuldige, die verdächtigt wurden, die Pest verbreitet zu haben, von Mailänder Richtern verurteilt und mit dem Tode bestraft wurden. Vor ihren zerstörten Häusern wurden Schandsäulen errichtet.
Wut auf die Japanerin
Im Jahr 2020 berichtet Giordano von einer befreundeten Japanerin, die mit ihrer fünfjährigen Tochter in einem Mailänder Supermarkt war und beschimpft wurde, das sei alles ihre Schuld, sie sollten nach Hause gehen, nach China.
„Angst führt zu seltsamen Reaktionen.“ Der 38-Jährige sinniert über die Einsamkeit in Zeiten von Corona, „eine der geschlossenen Münder hinter den Atemmasken, der misstrauischen Blicke“ – und über Gemeinschaft, unter der er die Gesamtheit aller menschlichen Lebewesen versteht. Was würde passieren, sollte sich das Virus in Afrika ausbreiten? Was, wenn es zu Mutationen kommt?
Einmal, 2010, hat Giordano eine Station von Ärzte ohne Grenzen in Kinshasa besucht, wo man sich um die Prävention von HIV und die Behandlung von HIV-Positiven kümmerte, insbesondere von Prostituierten und ihren Kindern. Die Halle, in der sie behandelt wurden, diente als riesiges Bordell, „wo die Familien durch schmutzige Vorhänge voneinander getrennt lebten und die Frauen sich vor ihren behinderten Kindern prostituierten“. In Zeiten der Ansteckung erhält das eine neue, dunkle Bedeutung.
Wie wird es weitergehen, wenn die Corona-Krise durchgestanden ist? Das übersteige seine Vorstellungskraft, schreibt Paolo Giordano. Wir leben in einer vernetzten globalen Welt, und diese Welt ist das „Transportsystem des Virus“. Es werde in Zukunft weitere Ausbrüche geben, die unserer Aggressivität gegenüber der Umwelt geschuldet seien, die immer raschere Auslöschung vieler Tierarten zwinge zum Beispiel die Bakterien, die in den Eingeweiden dieser Tiere nisten, sich eine andere Bleibe zu suchen. Nicht die neuen Mikroben würden uns suchen, sondern wir seien es, die sie aufstöberten.
Seine Urlaube verbringt Paolo Giordano in Salento, Apulien, da konnte er im letzten Jahrzehnt mit ansehen, wie ein Parasit die Olivenbäume befallen und schließlich zerstört hat. Keiner glaubte anfangs, dass dieser Erreger namens Xylella fastidiosa wirklich existierte, bis nur noch verdorrte Gerippe übrig waren.
Aber wie soll sie nun aussehen, die neue Mathematik unseres Lebens? Psalm 90 komme ihm immer wieder in den Sinn, schreibt Giordano: „Unsere Tage zu zählen lehre uns Demut. Dann gewinnen wir ein weises Herz.“ Was würden wir in diesen Zeiten anderes tun als zählen. Paolo Giordanos klare Gedanken sind hilfreich, in solchen unklaren Zeiten.
Info
In Zeiten der Ansteckung. Wie die Corona-Pandemie unser Leben verändert Paolo Giordano Rowohlt 2020, 69 S., 8 €
Kommentare 45
Schön, dass Paolo Giordano so unaufgeregt zum Thema schreibt. Sie, Frau Leinkauf, könnten ja noch etwas zur Übersetzung sagen. - Gelungen oder nicht? War "extrem schnell" schon eine geschickte Andeutung der Kritik?
Tatsächlich kann es keinen absoluten Schutz vor Viren und Bakterien geben. Jederzeit droht die Wiederholung.
Zum Glück heißt Epidemie odr Pandemie nicht einfach nur naturgesetzlicher Ablauf. Wir Sapiens sapiens gaben der Sache einen Namen. Damit ist sie prinzipiell in unserer Hand.
Die uralte, fast schon steinzeitliche Methode der Abtrennung und Distanz, noch relativ rechtzeitig angewandt, zumindest unter uns Wohlhabenden, daher gesteuert, durch den Eingriff des menschlichen Säugetieres, sie half. - Erste Erfolge, bei den kriegerischen Nationen, erste "Siege", konnten verzeichnet werden.
Es gibt einfach zu viele molekulare Verwandtschaftsverhältnisse der Viren und Bakterien, mit uns Wirten. Wären die Linnéschen Reiche tatsächlich aus unterschiedlichen Erbsubstanzen aufgebaut, wir kennten keine Pandemien.
Die stillen Erreger sind oftmals noch tödlicher, als die furchterregenden Viren, in den großen Wellen.
Wie lange plagt die Menschheit schon das Mycobacterium tuberculosis, das jedes Jahr immer noch 1,5 Millionen Menschen wegrafft und ca. 10 Millionen neu infiziert? Es lebt in Milliarden Menschen stumm und wartet auf seine Chance. Dagegen gibt es Medikamente, von denen man allerdings mindestens einen gut gefüllten Wanderrucksack braucht, um die oftmals resistenten Keime loszuwerden.
Wirklichen Schutz, bietet ein altehrwürdiger, lebender Impfstoff aus dem abgeschwächten Erreger Mycobacterium bovis, BCG, sofern ihn die Menschenkinder rechtzeitig verabreicht bekommen. - Hier gilt wirklich wörtlich, dass die Menschheit Schwein gehabt hat, dass sie mit diesem Rüsseltier verwandt ist.
Wir schaffen das, mit der effektiven Basisreproduktionszahl unter 1: heute, morgen und übermorgen jedenfalls.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Dass die Buchverlage in ihrer Not derzeit alles zum Thema Nummer eins verhaften, was bei Drei nicht auf den Bäumen ist, war zu erwarten. Dass Rowohlt in der Beziehung nicht besser ist: ebenda. Das Bändlein mit 80 kleinformatigen Seiten mit Großschrift-Text ist nicht nur finanziell Beutelschneiderei. Auch inhaltlich scheint es – geht man von der Leseprobe aus – hauptsächlich Banalitäten und Plattitüden zu enthalten.
Drittens gibt es noch einen dritten Grund gegen derlei Unausgegorenes: Den meisten kommt das derzeitige »Thema Nummer eins« zwischenzeitlich zu den Ohren raus. Spricht nicht grundsätzlich gegen Bücher zum Thema. Allerdings: In einem halben Jahr steht die Welt voraussichtlich auch noch. Allein schon von der Zeit, die Autor(inn)en für Substanzielles brauchen, dürfte der Herbst ergiebiger sein – allein schon aus Mathematikgründen.
Falls Mathematik dann hilft – wegen mir. Quarantänegeplagte Normalmenschen – explizit sei das auch den Macherinnen und Machern des »Freitag« ans Herz gelegt – dürften derzeit eher nach Ablenkung Ausschau halten. Wem Camus’ »Die Pest« derzeit too much ist: Ein guter Krimi, etwa von Don Winslow oder einer Newcomerin wie Liz Moore, hilft wahrscheinlich mehr »gegen Corona« als ein elaborierter Philosoph mit klugen, aber wahrscheinlich ziemlich weltfremden Gedanken.
Zietz, Zietz. Kaum was gelesen, alles irgendwo aus Web-Kommentaren und -Beurteilungen zusammengestöpselt. Immer die größte Klappe (Meinungsstärke, egal wo und wie man ist, am Mittelrhein oder anderswo). Mich wundert, dass Ihnen das nicht langweilig wird.
Die Einleitung, die Sie dort lesen konnten, spricht aber eher nicht gegen das Buch und das Inhaltsverzeichnis klingt sehr interessant.
Don Winslow und besonders Liz Moore, haben Sie doch auch nicht gelesen, um es anderen zu empfehlen, sondern bloß wieder Google und Amazon angeworfen?
"Den meisten kommt das derzeitige »Thema Nummer eins« zwischenzeitlich zu den Ohren raus." - Bleiben Sie doch einmal bei sich, statt immer über Empfindungen zu sprechen, die Sie anderen nur unterstellen.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Ist das denn nicht auch eine Begleiterscheinung in einem Forum wie dem Freitag, wo man leicht der Faszination der Themen erliegen kann? Hier wäre es wohl eine Frage des Aufwands der betrieben wird, um sich in einzelnen Themen profunder einbringen zu können.
Und das werter Columbus, betreiben Sie offensichtlich mit größerem Aufwand, als es wahrscheinlich dem Durchschnitt entspricht. Jetzt bleibt also nur noch (für mich) die Frage zu beantworten, wie man es selbst damit hält und wo man sich besser zurückhalten sollte, falls man eben in dem Thema nicht drin steckt. Und dann ließe sich ja immer noch derjenige befragen, den man in der Sache für kompetenter hält.
Gelesen heißt übrigens noch lange nicht (völlig) verstanden. Jedenfalls dann nicht, wenn man sich dessen nicht kritisch mit anderen austauscht (vergewissert). Das wiederum kann man hier (immer) noch, auch wenn sich manches wiederholt. Aber wer wundert sich nicht selbst schon mal darüber, wenn man liest, was man vor etlichen Jahren geschrieben hatte.
Eines noch: i.d.R. findet sich immer jemand anderes, der sich zu einer Sache überlegter ausdrücken konnte. Und diese "Funde" ermöglicht das Netz, wenn man es sinnvoll verwendet.
Grüße
"Don Winslow und besonders Liz Moore, haben Sie doch auch nicht gelesen, um es anderen zu empfehlen, sondern bloß wieder Google und Amazon angeworfen?"
Woher nehmen Sie eigentlich die Chuzpe, sich im Falle einer Falschannahme zu Herrn Zietz' Leseverhalten dann doch ziemlich danebenbenommen zu haben?
Gegen den Aufwand, überhaupt einen Aufwand, ist nichts zu sagen, Pleifel.
Aber wenn man eine Rezension kritisiert, nein, das Buch das rezensiert wird, sollte man es gelesen haben, finde ich. Das ist sonst unfair, gegenüber den Schreibenden und gegenüber den Vorstellenden.
Dagegen, dass man eine Rezension für überflüssig hält oder vom aktuellen Thema genervt ist, habe ich auch nichts einzuwenden. Aber zu sagen, was "wir" denken und fühlen, was eine "Mehrheit" denkt und fühlt, gibt der "Meinungsstärke" einen Anstrich, den sie sich nicht verdient hat.
Ob man verstanden hat, was man liest? Das stellt sich heraus, wenn man anwenden muss, was man verstanden zu haben glaubt. Nicht nur praktisch, sondern eben auch in Texten.
Sie können ja einmal die zur Verfügung gestellten Seiten des "Büchleins" anschauen (Link, siehe Zietz). Wenn die kreativen Überschriften ("In dieser verrückten nichtlinearen Welt", "Hand-Fuß-Mund", "Die Mathematik der Vorsicht") des Inhaltsverzeichnisses im Italienischen genauso gut sind und es hinter den Kapitelüberschriften so kreativ weitergeht, stelle ich mir diesen "Schnellschuss" schön, humorvoll und lehrreich vor.
Beste Grüße
Christoph Leusch
nun, der gebrauch des frage-zeichens ist in diesem forum so selten,
daß es auch leicht übersehen werden kann.
"Aber wenn man eine Rezension kritisiert, nein, das Buch das rezensiert wird, sollte man es gelesen haben, finde ich."
Ja, das erscheint mir auch dem Rezensenten gegenüber für fair.
auch hier wird niemand gezwungen, einer schwatz-sucht zu erliegen.
wenn etwas fasziniert, dabei aber zum begreifen etwas fehlt,
empfehle ich die frage-form.
schämen Sie sich denn garnicht, herrn zietz die rolle des volks-tribuns
streitig zu machen?
er hat sich den exquisiten, privilegierten zugang zu den "meisten":
durch un-zählige kommentare zur popular-kultur erkämpft!
da wäre es schäbig, ihn mit ver-einzelnen (fehl-)urteilen zu belästigen.
Das ist Amazon- Mathematik, von Link zu Link, Stiller.
Wie Sie zu Recht anmerken, eine Annahme, ein Best guess und daher mit Fragezeichen, sehr wohl mit Chuzpe hingeschrieben.
Herr Zietz könnte ja einmal eine Rezension beider oder diverser anderer Krimis in einem eigenen Artikel beisteuern, statt mir, Ihnen und uns zu erzählen, was wir lesen wollen und sollen, als große Mehrheit.
So aber, finde ich, ist sein Kommentar einfach nur ein mutwilliges Störmanöver. Erkennen Sie das nicht?
Erholsame Nacht
Christoph Leusch
PS: Wie Störmanöver gehen, erleben Sie ja auch unter den dF/dFC-Beiträgen, die sich mit "Corona" explizit beschäftigen. Da haben mittlerweile einige Verschwörungstheoretiker die Gunst der Stunde genutzt, sich zu erleichtern.
und einem volks-tribun geziemt es nicht,
in ich-botschaften zu kommunizieren:
er hat sich ja ganz zurück-genommen
im interesse der sache der vielen!
auch Ihnen: eine gute nacht,
die Ihnen möglicherweise "welt-fremde" gedanken nimmt,
die zietz als renommierter pop-versteher
von tief-empfundener, solidaritäts-gestählter wahrheit zu scheiden weiß.
»Zietz, Zietz. Kaum was gelesen, alles irgendwo aus Web-Kommentaren und -Beurteilungen zusammengestöpselt. Immer die größte Klappe (…) (…)«
Okay – um das Bild rund zu machen: Der Volkstribun steht vor dem Tribunal. Eine Toga – vielleicht die des Gracchus? – hätte ich mir gern noch ausgeliehen, aber nun muß es eben so gehen.
Erst mal: Der armen Frau Leinkauf dürfte die kritische Stimme zu ihrer Rezension wohl eher den Tag erhellen – hat sie ihr doch ein Kommentarvolumen beschert, dass Kulturschreiber(inne)n in dF und dFC gemeinhin nur vom fernen Hörensagen kennen. Um sicher zu gehen, habe ich gern nochmal nachrecherchiert. Allerdings: Kommentare seitens der hier versammelten Freunde des guten Buchs konnte ich unter dieser und dieser Rezension keine entdecken.
Darüber hinaus ist offensichtlich auch einem belesenen Kopf wie Ihnen der grundsätzliche Unterschied der Formate nicht klar. Eine REZENSION sollte bestimmte Grundanforderungen erfüllen: Textkenntnis, Abwägung von Pro und Contra, Geschmacksurteil. Auch Infos zu den Basics – die Leserinnen und Leser in spe dürften sie schließlich eher nicht kennen – sind dabei ganz hilfreich. KOMMENTARE hingegen brauchen all dies NICHT. Sie sind im Zweifelsfall MEINUNG – pur, subjektiv, im Zweifelsfall ungerecht. Bezüglich ihrer Aussagen dürfen sie im Zweifelsfall sogar unbelegt sein (Näheres regelt – im Zweifelsfall – die Nachfrage anderer Kommentator(inn)en).
Im anskizzierten Rahmen, scheint mir, habe ich sogar äußerst korrekt und angemessen geurteilt. Zitat: »Auch inhaltlich scheint es – geht man von der Leseprobe aus – hauptsächlich Banalitäten und Plattitüden zu enthalten.« Wichtig in dem Zusammenhang: das unscheinbare Wörtchen »scheint« – das auch in der Kommentarform deutlich macht, dass das Urteil sich auf die zugängliche Leseprobe bezieht und nicht auf den Gesamttext.
Womit wir bei der Gretchenfrage angelangt wären, oder besser – dem schon bei früheren Gelegenheiten ins Spiel gebrachten »Lex Columbus«: Muss man jeden Schrott, zu dem man eine Meinung abgibt, auch gelegen haben? Ich persönlich gebe gern zu, dass ich es in der Beziehung mit Hemingway halte: Der erste Satz muß sitzen. Einen gefangen nehmen, ins Buch hineinziehen; sonst ist es nichts. Darüber hinaus sagt mir umfangreich getätigte Lebenserfahrung, dass es ohne den ersten Satz (naja, sagen wir: die erste Seite), eine nachvollziehbare Aufgliederung und eine interessante Vermittlung meistens nichts wird. Wo das steht? Erste Lektion, Grundkurs »kreatives/professionelles Schreiben«.
Zu Winslow und Moore: Der Columbus »weiß« also, dass ich die beiden Titel nicht gelesen habe. Hochinteressant – ich habe anscheinend eine echte Geheimpolizei an den Hacken :-). Doch trotz erheiternder Sottisen ist es nun an der Zeit, zum Ende zu kommen: Die Frau Leinkauf möchte bestimmt noch ein paar Kommentare mehr. Und denen möchte ich den Platz nicht wegnehmen.
"Wie lange plagt die Menschheit schon das Mycobacterium tuberculosis, das jedes Jahr immer noch 1,5 Millionen Menschen wegrafft und ca. 10 Millionen neu infiziert?"
Über die Zahl habe ich mir nie Gedanken gemacht, ist schon erheblich.
Vatta hatte die Dinger noch zu einer Zeit, als es erste Antibiotika gab (PAS = Paraaminosalicylsäure, die bei ihm aber nicht anschlug) als junger, dünner Mann in der Nachkriegszeit. Er wurde dann mit anderen in die "Mottenburg" eingesperrt, in Gruppen (er zu dritt, andere bis zu 8), Fenster und Türen hatten von innen keine Klinken.
Aufmunternde Worte, wie die, dass man hier nicht wieder lebend rauskommt, gab's hingegen gratis.
Therapie war damals u.a. einen Pneumothroax zu setzen, zur Erholung ging es in den Schwarzwald, dort mit Liegekuren in der kalten Luft, so, wie man es aus dem 'Zauberberg' kennt.
"Womit wir bei der Gretchenfrage angelangt wären, oder besser – dem schon bei früheren Gelegenheiten ins Spiel gebrachten »Lex Columbus«: Muss man jeden Schrott, zu dem man eine Meinung abgibt, auch gelegen haben?"
Ja!
Lieber Christoph Leusch, interessanter nächtlicher Kommentar ... freue mich immer von Ihnen zu lesen. Sehe, dass Sie sich auch eingehender mit dem Thema befasst haben. Hoffe es geht Ihnen gut! Herzliche Grüße, Maxi Leinkauf
Lieber Richard Zietz, ich finde es grundsätzlich gut, wenn sich Intellektuelle / Schriftsteller in so einer Situation nicht in den Elfenbeintrum zurückziehen, sondern sich mit gesellschaftlicher Realität beschäftigen, auch öffentlich. In diesem konkreten Fall von Paolo Giordano ist es eine erhellende Kombination, da der Mann einfach weiß wovon er erzählt und es dann so aufschrieben kann, dass es jeder versteht und gut lesen kann. Ein unaufgeregter klüger machender Beitrag zur Zeit. Ich finde, man sollte sein Urteil an dem ausrichten, was er geschrieben hat. Schon gelesen? Herzliche Grüße, Maxi Leinkauf
„"Don Winslow und besonders Liz Moore, haben Sie doch auch nicht gelesen, um es anderen zu empfehlen, sondern bloß wieder Google und Amazon angeworfen?"
Woher nehmen Sie eigentlich die Chuzpe, sich im Falle einer Falschannahme zu Herrn Zietz' Leseverhalten dann doch ziemlich danebenbenommen zu haben?“
Man kann über den Stil von jedem reden, aber immerhin steht da ein Fragezeichen, das dem Gefragten die Möglichkeit gibt, zu sagen, dass er es doch gelesen hat. Da ist dann aber herum laviert worden, wenn ich das richtig sehe.
Man muss doch nicht ernsthaft darüber diskutieren, ob man ein Buch, was man kritisiert auch gelesen haben muss, wie blöd ist das denn?
Klar, kann man auch eine Kritik kritisieren, aber Columbus kritisiert hier ja eher den Gestus des Abwatschens im Vorbeigehen.
Generell sollte man von dem, worüber man schreibt, wenigstens eine Grundahnung haben oder eben kenntlich machen, dass es sich um eine reine Meinung handelt. Aber meinungsstark und ahnungslos, das beeindruckt mich generell nicht.
(@ Maxi Leinkauf, @Moorleiche:)
Nee – auf die Tour zum Lesen eines Buches nötigen lasse ich mich sicher nicht.
At first: Die en passant hier eingeführte Regel, man müsse alles, worüber man sich äußert, auch gelesen haben, ist hiermit offiziell abgelehnt. Abgesehen davon ist sie auch großer Stuss. Ich werde künftig jedem Wasser-Prediger-und-Wein-Trinker (nebst weiblichen Äquivalenten) vorhalten, was er oder sie nicht gelesen hat, ungeachtet dessen jedoch mit Geschmacksurteilen überzieht. Ich würde sagen, wir fangen mal mit Marx und dem Marxismus an (»Kapital« gelesen?) und setzen die Reise fort bei diversen popkulturellen Interpret(inn)en, wo bei mir ab sofort stetiglich die Frage »Rammstein gehört, Sido gehört?« usw. auf dem Fuße folgen wird – mit getreulichem Verweis auf die Kollegen Columbus und Moorleiche, die die Regel höchstselbst hier eingeführt haben.
Die Äußerungen ob meines Leseverhaltens – gleichwohl mit Fragezeichen am Ende verziert – waren natürlich, eigentlich, eine tonale Vollentgleisung. Da sie, trotz inhaltlicher Ärmlichkeit, zwischenzeitlich zu einer echten Rechtfertigungscausa avanciert sind, will ich – obwohl eine Notlüge leicht und in Anbetracht der Situation zu 100 Prozent gerechtfertigt wäre – ehrlich Rede und Antwort stehen. Winslow und Moore sind versandtechnisch gerade zu mir unterwegs (NICHT via amazon, bevor mir auch das noch via Fragezeichensatz unterstellt wird). Die beiden Empfehlungen begründen sich allerdings auf durchaus als repräsentativ zu wertende Leseproben. Hinzu kommen Vita sowie weitere Infoquellen wie zum Beispiel »Perlentaucher«.
Zu Giordano beziehungsweise seinem Buch habe ich eine Meinung. Letztere habe ich mir aufgrund verfügbarer Informationsquellen gebildet (unter anderem der verlinkten und urteilsbildungstechnisch sicher nicht schlechten Leseprobe). Die Gründe, die meines Erachtens gegen den Text sprechen, habe ich aufgeführt. Eine Beurteilung der sonstigen Vita des Autors wurde weder implizit noch explizit von mir getätigt. Meine Meinung, dass mit heißer Nadel gestrickte Kurztexte in der Regel verzichtbar sind, halte ich aufrecht – a) aus sachlichen Gründen und b) weil sonst die Kritik an Werken pe se korrumpiert würden.
Letzteres ist mit mir nicht zu machen. Ende der Ansage.
die kommentar-häufigkeit unter leinkaufs beitrag
ist dem tribun zumindest: erwähnenswert-auffällig.
für aufmerksamkeits-verteilung ist er ja zuständig.
alles was von der knappen ressource A. verläppert,
schwächt seine klientel:
die A-spanne des volks ist bekanntlich: schnell über-dehnt.
auch dem gilt die pflegende sorge des tribuns.
auch die liste der dem volk zu empfehlenden lektüren ist zu pflegen.
da geht aus-jäten vor zeit-raubender be-urteilung.
die A-spanne der "meisten" ist ja erschreckend-schnell erschöpft.
- huch! sitz ich nicht im gleichen glas-haus?
halten zu gnaden: ich enthalte mich einer -->wurfscheiben-maschine.
In drei Tagen fühlst Du Dich nicht mehr angegriffen. Bis dahin würde ich schon mal gerne feststellen, dass Du ja dieselben Kriterien anlegst. Klar sollte, wer den Marxismus oder Rammstein kritisiert, etwas darüber wissen, also am Besten im Original gelesen oder gehört haben, bei Texten vielleicht noch hier und da eine Einführung (aber es gibt gute Gründe das nicht zu übertreiben). Wie soll es denn sonst gehen? Was würdest Du denn sagen, wenn sich eine Netflix-Serie kritisiere, von der ich außer dem 2 Minuten Trailer nichts kenne? Siehste.
Das ist ja immer graduell. Wer behauptet über alles Bescheid zu wissen, kann nur einen an der Waffel haben, weil das einfach nicht geht. Ansonsten kann man vielleicht hier und da Leute beeindrucken, wenn man meint, es zu brauchen, aber mit gezielten Fragen kann man Blender immer erkennen, freilich nur, sofern man selbst etwas von einem Thema versteht.
Ansonsten ist es doch nicht schlimm, wenn man etwas nicht kennt und ich lasse mir auch nicht unbedingt erzählen, wen oder was ich gesehen, gehört, getrunken, gegessen oder gelesen haben muss. Ist doch mein Leben. Dann kann man ja sagen, dass einen das einfach nicht interessiert, geht mir mit vielen Bereichen des Lebens so. Da habe ich dann aber auch überwiegend keine Meinung zu. Mir ist es übrigens auch gleichgültig, ob jemand ein Buch liest, was ich lese. Es ist schön, sich hier und da austauschen zu können, aber ich kann ja niemanden zwingen und wenn mich was sehr interessiert, den anderen aber nicht, kommt nur Gekrampfe dabei heraus, darum lasse ich solche Diskussionen inzwischen völlig bleiben.
Ich habe auch nie so richtig verstanden, warum man überhaupt zu allem eine Meinung haben muss und wie man die überhaupt haben kann. >98% aller Themen kenne ich überhaupt nicht. Ich kann nicht sagen, welche Schlagbohrmaschine die beste ist, aber auch nicht welcher Kammersänger oder welcher Streichkäse. Das betrübt mich aber auch nicht, ich habe da einfach keine Meinung zu.
Dann kann ich aber auch nicht mehr drüber schreiben, als dass mich das nicht interessiert, die Welt wartet ja auch nicht auf meine Meinung zu Streichkäse oder Bohrmaschinen.
das wort "streich-käse"
hab ich sofort in die liste meiner lieblings-worte übernommen!
Primzahlen sind die Elementarteilchen der Arithmetik, vollkommen beziehungslos zu allen anderen. Die Nichtprimzahlen sind zusammengesetzt, haben also innere Beziehungen zu anderen Zahlen, Prim- oder Nichtprimzahlen. „Die Einsamkeit der Primzahlen“ ist daher ein treffender Titel. Und auch die Leseprobe der aktuellen Veröffentlichung von Giordano ist durchaus bekömmlich, angenehm zu lesen. Aber kann man der Mathematisierung des Lebens und der Krankheit, hier einer Pandemie, eine neue Erkenntnis abgewinnen (abgesehen von der Tatsache, daß die Mathematik selbstverständlich die Universalsprache der Wissenschaften ist)?
„Noch bevor Epidemien medizinische Notfälle werden, sind sie mathematische Notfälle“ - diese Aussage ist wohl so zu verstehen, daß die mathematische Beschreibung eines epidemieartigen Krankheitsausbruchs einen Möglichkeitsraum der Entwicklung eröffnet, der Notwendigkeiten von Gegenmaßnahmen aufscheinen läßt. Ist I(t) die Zahl von Infizierten, gibt es eine Ausbreitungsgeschwindigkeit durch eine erste Modellierung I(t) = I(0) · f(t), und in Gestalt der Exponentialfunktion f, die ein naheliegender Ansatz ist, den „mathematischen Notfall“ der Singularität. Tatsächlich bietet der Blick auf das momentane Geschehen nur den Schluß auf f‘(t) in einem engen Intervall ∆t, ist f‘ eine Exponentialfunktion, könnte nur auf den unbegrenzten Verlauf geschlossen werden, wenn die Anzahl I unendlich ist. Da die menschliche Population beschränkt ist, ist eine Überlagerung mit einer Funktion g(t) notwendig, wobei g(t) im groben Verlauf monoton fallend ist, irgendwann unter Null fällt, I(t) = I(0) · f(g(t)), das exponentielle Wachstum wird zur exponentiellen Schrumpfung. g(t*) = 0, eº = 1 markiert den Sieg über die Pandemie. Die Angst vor der Exponentialität ist so verständlich wie übertrieben, auch übrigens in dem anderen Beispiel, das uns vorher bedrängt hat und bald wieder bedrängen wird, der „pandemischen“ Klimakatastrophe. Nur bei einer zu hohen Mortilitätsrate hat die Schrumpfung der Weltbevölkerung dramatische Folgen, im schlimmsten Fall ist sie so hoch, daß die Bevölkerungszahl unter den Minimalwert fällt, bei dem sich unsere Art erhalten kann. Das wäre das Ende.
Die mathematische Modellierung müßte fortgesetzt werden, indem die Infektionsdauer und Ansteckungsphase eingearbeitet wird, das Bild der Kugeln wäre besser durch das der (Brownschen) Molekularbewegung in einem geschlossenen Raum zu ersetzen, wo Dichte und Bewegungsenergie eine Rolle spielen. Der Sicherheitsabstand der menschlichen „Moleküle“ ist von entscheidender Bedeutung. Vielleicht meint das hier erwähnte Ro einen Dichtewert ρ.
Unabhängig davon, ob solche Überlegungen ins alltägliche Denken Eingang finden werden, die Wissenschaft wird die mathematische Modellierung zu unser aller Nutzen weitertreiben.
Wir sind verständlicherweise derzeit sehr konkret mit Gefahrenerkennung und -abwehr beschäftigt, es ist aber gut, wenn sich auch mal jemand (Giordano) grundsätzlicher über das Epidemiologische Gedanken macht. Nichts dagegen, daß Sie diesen Ball aufgreifen. Freilich kann man fragen, ob die allgemeinen Überlegungen nicht besser in eine (sozial)philosophische Richtung gehen sollten.
„Tatsächlich kann es keinen absoluten Schutz vor Viren und Bakterien geben. Jederzeit droht die Wiederholung.“ Ich möchte das etwas verdeutlichen, denn so richtig der Satz ist, so wenig wird er ernst genommen. Freilich könnte man sich absolut vor Viren- und Bakterienbefall schützen durch eine technische Schutzhülle, die nur bekannte reine Stoffe durchläßt, ansonsten das Vordringen des natürlichen Lebensraums bis zum Organismus verhindert, und das vom Tag der Geburt an, denn sonst haben wir die Ingredienzien potentieller Übel längst schon in uns. Das Leben kann nur vollkommen geschützt werden, indem der Kontakt mit dem Leben vollkommen vermieden wird. Das ist kein Leben.
Es liegt tatsächlich in der Logik des Lebens, daß alles miteinander verwandt ist und gleichzeitig alles sich voneinander abgrenzen muß. Das Aufnehmen von Fremdem und sich Anverwandeln ist so lebenserhaltend wie -bedrohend. Als zu den komplexesten Lebensformen gehörend führen wir einen sehr asymmetrischen Kampf gegen das sehr Kleine (und nutzen es an anderer Stelle).
„Wir schaffen das, mit der effektiven Basisreproduktionszahl unter 1: heute, morgen und übermorgen jedenfalls.“ Immer wieder. Und immer wieder schwappt eine epidemische Welle über uns. Fortschritte in der Lebenssicherung, Gesundheitsvorsorge sind möglich, aber nur relativ. Selten wird eine Gefahr endgültig gebannt. Und es ist (rhetorisch) zu fragen, ob heute nicht der Mensch selbst des Menschen größter Feind ist, ob nicht die größte Gefahr von der falschen Selbstorganisation der Gesellschaft ausgeht.
"Wer behauptet über alles Bescheid zu wissen, kann nur einen an der Waffel haben, weil das einfach nicht geht."
Ach, darüber wissen Sie also Bescheid?
Um über eine Angelegenheit wahrlich Bescheid zu wissen, ist es notwendig, auch darüber bescheid zu wissen, was diese Angelegenheit eben nicht ist!
Wer nur induktiv sich einer Sache annimmt, irrt stets und immer.
Machen Sie sich also immer auch Gedanken , was die Sache, die Sie behandeln, nicht ist? Zur ganzen Wahrheit gehört das jedoch untrennbar dazu.
Wenn Sie etwa von A nach B gehen, können Sie nicht einfach angeben, daß Sie deshalb bei B angekommen seien, weil Sie das so gewollt hätten und entsprechend Ihr Wollen planerisch-strategisch umgesetzt hätten. Sie müssen gleichwohl auch erklären, warum Sie auf Ihrem Weg von A nach B von der Welt der Möglichkeiten verschont geblieben sind; etwa daß Ihnen unterwegs kein Unfall ect. oder eine Begegnung irgendwelcher Art sonst passiert ist.
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»Auch inhaltlich scheint es – geht man von der Leseprobe aus – hauptsächlich Banalitäten und Plattitüden zu enthalten.«
Als ich diese Rezension gelesen habe, dachte ich, interessantes Thema, allerdings zu wenig Information zur Beurteilung seiner Ausführung, und blieb unschlüssig, den Beitrag zu kommentieren. Es war Columbus‘ Reaktion, die mich veranlaßt hat, trotz der dünnen Diskursgrundlage einzusteigen und das Angerissene fortzuspinnen.
Die Leseprobe sehe ich sehr viel positiver, auch wenn sie nicht beweisen kann, daß man sich mit dem Thema auf diese Weise beschäftigen sollte. Grund, den Autor links liegen zu lassen, sehe ich aber noch weniger.
Was soll ich dazu schreiben – außer dass »Expertentum« allgemein grob überschätzt wird? Du, ich, die Autorin, andere bilden sich ihre Meinung gemeinhin via verfügbare Info-Snippets – ein Ausschnitt der verfügbaren Information, manchmal nur ein geringer Teil. Das geht naturgemäß auch nicht anders. Aus dem Grund haben wir – unter anderem – arbeitsteilige Gesellschaften, inklusive Koryphäen für Bohrmaschinen und Streichkäse.
Will sagen: Die Demut ist gemeinhin mein ständiger Begleiter. Ich kann/will dem Streichkäse-Hersteller nicht in sein Rezept reinfunken; das Ergebnis wäre vermutlich desaströs. Entsprechend tolerös bin ich gemeinhin auch mit Meinungsäußerungen. In der Regel versuche ich zu ergründen, woher ein bestimmtes Vorurteil kommt (etwa bezüglich marxistisch grundierter Handlungsmaximen). Entsprechend situativ gehe ich damit auch um.
Zu Giordano: Sicher beziehe ich Vita und Gesamtwerk (was ich nicht zur Gänze kennen muß) in Meinungsäußerungen mit ein. Von der Vita her scheint er eher einer von den »Guten« zu sein. Allerdings habe ich mir meine Meinung zur verlagskohlebringenden Kurzessay-Form sowie dem Werk im konkreten fest gebildet. Ich denke, das Urteil steht so auf einer soliden Grundlage. Why? Zum einen ist mir nicht ersichtlich, auf welche Weise ein derart mit heißer Nadel gestrickter Tagebuch-Rapport nützlich sein sollte zum besseren Verstehen der aktuellen Pandemiekrise. Ich behaupte mal: du, ich oder Frau Leinkauf hätten binnen drei Tagen einen ähnlichen Text verfassen können mit ähnlicher Betroffenheitsprosa. Damit zusammenhängend ist die Überlegung nicht verkehrt, dass – den für Buchschreiben und Buchproduktion mit einzukalkulierenden Vorlauf mit eingerechnet – in diesem Zeitfenster ein vernünftiger Text zur Krise schlechterdings nicht möglich ist. (Bei der aktuellen Berichterstattung mit ihren Thesenpapieren, Pamphleten und so weiter mag das anders aussehen. 20 Seiten Sachtext ist allerdings eine andere Liga als ein zum Buch aufgeblähter Prosatext.)
Zusätzlich gestört hat mich die extrem kurzabschnittstechnische Form. Nun kann man sagen, ich kenne ja nicht den ganzen Text (den ich – ebenwo wie übrigens Till Lindemanns Gedichtband – nicht in Gänze lesen WÜRDE, weil mich Betroffenheitsprosa nun mal wenig interessiert). Via Inhaltsverzeichnis und Ankündigung erhalte ich jedoch aufschlussreiche Zusatzinformationen: etwa die, dass in der Hauptsache weitere Assoziationsblaster-artige Gedankensnippets mit teils hoher theoretischer Fallhöhe zu erwarten sind. Wäre dieses Werk nunmehr geschenkt, würde ich über Ansatz, Sinnfälligkeit und so weiter vielleicht hinwegsehen. Da Rowohlt für die 80 Seiten Großdruckimpressionen zweifelhaften Nutzens acht Euronen kassieren möchte, sehe ich mich schon etwas in der Pflicht, die Sichtweise des kritischen Lesers etwas einzubringen, anstatt kulturbeflissen mit dem Palmwedel der Huldigung zu wedeln.
Was natürlich NICHT heißen will, das du oder die Autorin oder der Kollege Leusch das Werk nicht goutieren solltet. Wie man im Rheinland so schön sagt: Jedem Tierchen sein Plaisierchen. Mit dieser Toleranzhaltung wären wir manchmal im Leben ein schönes Stück weiter.
Zur Veranschaulichung des Überteuerungsvorwurfs der Faktencheck:
Giordano: 1250 Zeichen / Seite mal 65 Druckseiten = ca. 80.000 Zeichen. 8 Euro (= Preis) geteilt durch 80.000 ergibt einen Endpreis von einem Cent pro 100 Zeichen.
Moore, Long Bright River (ebenfalls Neuerscheinung, Hardcover): 1800 Zeichen / Seite mal 400 Druckseiten = ca. 720.000 Zeichen. 24 Euro (= Preis) geteilt durch 720.000 ergibt einen Endpreis von einem Cent für 300 Zeichen.
Den Essay kann man natürlich trotzdem goutieren. Allerdings sollte man sich im Fall der Anschaffung bewusst sein, dass man sich damit einen Kunstgegenstand im eher hochpreisigen Segment zulegt.
„Was soll ich dazu schreiben – außer dass »Expertentum« allgemein grob überschätzt wird?“
Da bin ich deutlich anderer Meinung. Es gibt massenweise graduelle Abstufungen von Wissen und Fähigkeiten, in allen Lebensbereichen. Wann kann denn jemand Klavier spielen? Man erkennt, wenn es einer nicht kann, aber zwischen „Alle meine Entchen“, „Flohwalzer“ und „h-moll Sonate“ ist doch einiger Platz.
Wann kann man Kochen? Philosophie? Klettern? Rad fahren?
Ich hab' mal gut Squash gespielt, aber gerade wenn man gut ist, erkennt man erst die Feinheiten. So ist das überall. Das relativiert sind am Ende in der Weise, weil niemand sagen kann, ob es Bereiche gibt die generell besser als andere sind. Für mich ist das die große Pointe der Mystik, das vermeintlich Niederste ebenso zu umarmen, die das vermeintlich Höchste.
Die Idee, dann doch von vorn herein auf jede Differenzierung zu verzichten ist etwas, was m.E. aber nicht klappt, aus dem Grund, dass wir ja nicht alle Mystiker sind. Und sich stimmige Sätze zu borgen, ohne den Weg selbst gegangen zu sein, ist eben ein Spiel, was nicht funktioniert, nicht erst in der Mystik.
Du spielst gerne damit, dass das was Dir vielleicht überflüssig bis abgehoben vorkommt, in Wahrheit doch auch nichts Besonderes sein und ich denke, in dem Punkt irrst Du Dich und das fällt Dir immer wieder mal vor die Füße.
Ja, ein paar Kommentare mehr, von Ihnen, Herr Zietz, die nicht in einem Aufwasch die Buch- Vorstellung der Autorin (Solle lieber für die "Mehrheit" in der Krise die das verlange, Krimis rezensieren oder meinetwegen nur empfehlen) und das Buch des Autors (Einleitung gelesen, langweilig für alle, weil ich, Richard Zietz, das feststellte) erlegen wollen. - Wobei ich mir noch nicht einmal sicher bin, ob Sie das wirklich so meinen oder es einfach nur ihre Art ist.- Zur populären Kultur gehört doch auch, "Let it blossom, let it grow, let it flow".
Also bitte, Entspannung. Ich schätze doch ihre Beiträge, wenn sie ganz ersichtlich Ausdruck einer Liebe und intensiven Beschäftigung mit den Sachen, Personen oder auch anderen Meinungen sind. Aber ein wenig musste ich sie pieken, wegen der imaginierten Mehrheit. - Die "arme Frau Leinkauf"? Nun, ich denke, das war auch wieder unnötig und falsch.
So könnten wir doch mit dem Mathematiker und Schriftsteller Giordano über die Macht sehr kleiner Zahlenverhältnisse nachdenken. Die effektiven Basisreproduktionszahlen, z.B. für Epidemien, sind verhältnismäßig unscheinbare und im Wert eher kleine Zahlen. Selbst bei den perfidesten Erregern, geht es nicht über 15- 18 hinaus. Aber schon mit >1 beginnt eine Epidemie, schleichend, und unter 1 endet sie.
Übrigens kann man Giordano, den Frau Leinkauf referiert, auch behutsam kritisieren, denn seine These, der Mensch leide deshalb so sehr unter Infektionskrankheiten, die sich als Epidemien verbreiten, weil er in die "wilde" Natur eindringt, sie nutzt, sie vernutzt, sie dabei sogar zwingt, in einer Art Synanthropie (Kulturfolge), dem Menschen in das Dickicht der Städte zu folgen, ist umstritten. - Es gibt ja auch den Spruch, die Erde habe Mensch, das sei Krankheit genug, den ich gar nicht mag. Und selbst in der aufgeklärtesten Community wird ernsthaft über das Ende der Spezies und ihre diversen optimalen Populationsgrößen oder Altersquerschnitte diskutiert.
In meiner Antwort habe ich versucht, darauf zu reagieren und kurz zu schildern, wie eng alles "Million year old carbon" zusammenhängt. Zur Krankheit, zur Gesundheit oder Salutogenese. - Giordano schreibt es selbst, in seiner Einleitung.
Die Olivenbäume, diese Kulturpflanzen des Mittelmeerraumes, diese Netze der Oliven in der Landschaft, die sogar der Politik in Italien einen Namen gaben, werden plötzlich krank, weil sich ein aus anderen Weltgegenden stammendes Bakterium, Xylella fastidiosa, eine Art Pflanzentuberkulose, übertragen von Insekten, die an den Wasseradern der Bäume (Xylem) schmarotzen, nun dort breitmacht.
Seltsamerweise so vermuten Forscher, sterben die Pflanzen an einer Art überschießender Reaktion ihres Immunsystems, auf den Befall des Wassertransport- Systems. Da zeigen sich Parallelen zur menschlichen Covid-19 Erkrankung, die sehr oft dann tödlich endet, wenn befallene Menschen eine starke Immunantwort entwickeln.
Durchgreifende Hilfe ist erst einmal nicht in Sicht, weder aus der Natur, noch aus der Retorte. Ob der menschengemachte Temperaturanstieg mitverantwortlich ist, bleibt noch ungeklärt. Aber der Wassermangel, aus welchen Gründen auch immer und einige trockene Jahre in Folge, schwächte besonders die alten Oliven- Kulturen.
Menschliche Bekämpfungsstrategien, die schon in Übersee, bei anderen Kulturpflanzen, die von Stämmen dieser Bakterien befallen werden, erfolgreich waren, erzeugen übrigens selbst eine Epidemie unter den Überträger- Vektoren, den Insekten.
Mein Fazit: Halten Sie sich an den Rat ihrer eigenen Subjektivität, dann sprechen Sie für sich. Aber sie müssen nicht mit der Flinte und ´nem Doppelkorn zum Kilimanjaro, nur weil Sie so extrem meinungsstark sind.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Zwangsläufig beschäftigen, denn das Virus frisst an der Selbstständigkeit, auch wenn man es nicht hat und bisher nicht überstehen musste. Die Kunden sitzen zuhause und sind mit digitalen Lehr- und Lernerfolgen ausgelastet.
Die Kapitel- Überschriften, bei einem solchen Gedankenbuch von Tag zu Tag, sind doch besonders wichtig und Teil des Konzepts. Die fand ich so kreativ und verlockend, mir das Buch bei meiner Buchhändlerin des Vertrauens zu bestellen. Die macht sogar Haustürbesuche zur Auslieferung, geschuldet dem epidemischen Notfall.
Nur weiter
Christoph Leusch
PS: Ich wollte immer einmal eine Tbc- Geschichte schreiben, mit Margarete Steffin, John Keats und der derzeit vom Oberboss unserer westlichen Welt- und Wertegemeinschaft bedrohten WHO, als heldisches Personal.
"kannst du klavierspielen?"
- "weiß ich nicht! habs noch nicht probiert!"
Der Mensch des Menschen größter Feind. Ja. Aber eben auch sein größter Freund, neben Katze (Hat es derzeit auch schwer, weil überträgerverdächtig und grundsätzlich vogelmörderisch) und Hund (Beißt, und an jeder dritten Hoftüre in der rheinhessischen Kulturstepppe, steht auf gelbem Grund, "Cave canem", seit die antiken Italiener den Rhein entlang zogen).
Mediterran angestoßen und nun "öko", dürften auch Bienen und Ameisen mittlerweile "Freunde" sein. Und was sagen wir zu unseren Hefe- und Joghurt- Kulturen? Was zu unseren gut genährten Insulin- Produzenten, in den Tanks beim Boehringer in Ingelheim?
Sogar die Menschenfeindschaft wollte man mit den Kleinsten steigern: Milzbrand (Anthrax) und Coxiella burnetii, das "Query"- Fieber für alle Feinde.
Ohne die Kleinen und Allerkleinsten geht gar nichts, weder beim Menschen, noch in der, von uns gegenübergestellt gedachten, Natur, Umwelt, Mitwelt. Das wäre eine sozial- und naturphilosophische Lehre zugleich, die zu bedenken, der verordnete Rückzug vielleicht häufiger ermöglichte. Das hätte Konsequenzen, in der Tat. Erde untertan machen, ginge dann weniger freihändig, aber eben auch Menschen untertan machen dito.
Beste Grüße
Christoph Leusch
»(…) Da bin ich deutlich anderer Meinung. Es gibt massenweise graduelle Abstufungen von Wissen und Fähigkeiten, in allen Lebensbereichen.«
Da habe ich die message offenbar falsch verpackt; mea culpa. Gemeint habe ich die Ebene der (alltäglichen) Meinungsbildung – also die Bruchfetzen von Info, auf deren Basis wir uns die Dinge gemeinhin zurechtordnen. Dass das im ständigen Expertenmodus schlechterdings nicht möglich ist, leuchtet vermutlich ein. Ein Beispiel: Keine(r) von uns – die einen sicher weniger, die anderen mehr – ist Pandemieexperte. Jede(r) von uns schaufelt sich sein Info-Wissen so nach gutem, in Einzelfällen auch schlechtem Wissen drauf. Nichtsdestotrotz geben wir ständig Einschätzungen. Jakob Augstein beispielsweise sieht die Grundrechte in Gefahr und hat dies in einem unterschiedlich ankommenden Beitrag thematisiert.
Frage: Ist Augstein die Koryphäe in Sachen Grundrechte, die alleinige, hervorstechende eventuell sogar? Ist er Jurist, Verfassungsrichter? Nein? Hätte er folglich besser den Mund halten sollen? Natürlich nicht. Meinung lebt von Gegenmeinung. Die (demokratische) Grundidee dahinter: Nur via »Trial and Error« können die großen und kleinen Fragen der Menschheit angegangen werden. Manche nennen die Art Prozess übrigens Basisdemokratie – ein Begriff, dem ich grundsätzlich zwar sympathisierend gegenüberstehe, den ich manchmal allerdings ebenfalls für überbewertet halte.
Klaro gibt es auch »dumme« Meinungen. Sogar schlechte, gefährliche; Meinungen, die entschieden zu bekämpfen sind wie beispielsweise Rassismus, Faschismus oder Frauenfeindlichkeit. Der Rest spielt sich in einem weiten Bereich ab. Einem Bereich, in dem es durchaus richtig und manchmal sinnvoll ist, auch sogenannte Experten und Koryphäen kritisch zu hinterfragen. Alles andere wäre eine Meritokratie – die als gesellschaftliche Grundform mit Grund nicht zur Debatte steht.
Ja, auch von da leitet sich allerlei ab. Wann man z.B. etwas kann, was man auf verschiedenste Arten lernen kann und auch, ob es überhaupt darum geht, etwas zu lernen.
Da stimme ich Dir allen in allem zu.
„Ein Beispiel: Keine(r) von uns – die einen sicher weniger, die anderen mehr – ist Pandemieexperte. Jede(r) von uns schaufelt sich sein Info-Wissen so nach gutem, in Einzelfällen auch schlechtem Wissen drauf. Nichtsdestotrotz geben wir ständig Einschätzungen.“
Genau hier verläuft aber m.E. die Wasserscheide oder mindestens eine bedeutende. Mir reicht es nicht, zu sagen, dass wir ja alle irgendwie keine Ahnung haben, wenn wir keine Pandemieexperten sind, sondern für mich ist es gerade entscheidend, dennoch gute und schlechte Informationen erkennen und unterscheiden zu können und ich glaube, dass diese „irgendwie hat ja auf seine Art jeder recht“ Ansätze da vollkommen irreführend sind.
Es gibt einfach idiotischen Stuss, den man nicht schön zu reden braucht und auch nicht schön reden kann. Wenn sich nun einer ins Netz erbricht, wer hat da was von? Aber wir sind doch sehr unsicher geworden, weil wir oft nicht mehr wissen, wie wir das wirklich unterscheiden können und meine Beobachtung über die Jahre ist, dass viele aufgerüstet haben, was die Matchhärte angeht, aber oft wenig, was das Wissen angeht. Da zeigen sich dann Leute ungerührt, die ohne erkennbaren Erkenntnisfortschritt seit 15 Jahren mit der gleichen Platte (naja, Single) auf Tour sind, nun rhetorisch manchmal etwas besser, nicht mehr vom Nachweis ihrer eigenen Unwissenheit beeindruckbar, aber immer immer noch mit der einen Botschaft unterwegs.
Ehrlich gesagt, finde ich es inzwischen nicht mehr lohnend, mit Menschen zu diskutieren, die das überhaupt nicht wollen und m.E. kann man auch das erkennen.
Auf wen hören wir denn jetzt? Welcher Kontext ist denn nun der entscheidende? Gibt es ein übergeordnetes Kriterium der allgemeinen Vernunft und was zeichnet das aus? Gibt es übergeordnete Regeln und welche sind das? Logik? Rhetorik? Das Recht? Die Politik? Die Interessen Aller, Einiger, Bestimmter? Darum ringen wir ja immer wieder und es ist gut, dass wir das tun.
Es ist überhaupt nicht klar, ob die bildungsbürgerlichen Ideale des 19. Jahrhunderts heute noch relevant sind, aber wer entscheidet das? Einfach die Mehrheit? Aber gerade die – so heißt es doch immer – sei so entsetzlich dumm, manipuliert usw. Also kommt man doch nicht drum herum, diese Qualitätskriterien zu klären. Für naserümpfende Allüren der Überheblichkeit besteht kein Grund, allerdings ist auch nicht jede Meinung gleich beachtenswert. Gleichzeitig gibt es aber Sonderfälle, in denen sich jemand nicht gut ausdrücken kann, aber dennoch etwas zu sagen hat, was die Welt hören sollte. Nicht jeder ist telegen, spricht druckreif oder argumentiert erstklassig. Sein (implizites) Argument, ist vielleicht 'nur' sein erlittenes Leid. Und selbst wenn es kein Leid ist, sind es vielleicht einfach berechtigte Ansprüche. Aber auch all das muss man erkennen. Und manches erkennt man vermutlich erst als wertvoll, wenn man es verloren hat. Wenn's dumm läuft, ist es dann aber bereits zu spät.
Wie Recht Giordano hat, war jüngst zu erleben, als die mathematischen "Projektionen" der deutschen Gesellschaft für Epidemiologie, die Ansichten des RKI, das seit ewigen Zeiten sich mit Infektionsepidemiologie befasst, des US-CDC und die WHO, die das ebenfalls langjährig machen, als unexakt und unwissenschaftlich, gar dilettantisch abgemeiert wurden, W. Endemann.
In diese Kategorie gehört auch, dass viele Kritiker tatsächlich glauben, es gebe einen Königsweg, z.B. "testen, testen, testen" oder "laissez faire, laissez passer", usw..
Das Problem ist, dass einer Epidemie/einer Pandemie diesen Ausmaßes nicht mit exakten Berechnungen beizukommen ist, sondern die adäquate Reaktion eine Abschätzung (der Bedeutung) von Schätzwerten und nur einigermaßen repräsentativen Stichproben auf Staats- und Regionalebene verlangt. Jedes Land, das das überhaupt kann, hat eine eigene "Eichkurve".
Noch Jahre, gar Jahrzehnte später, werden sich Wissenschaftler und vor allem erregte Laien, die meinen es viel besser zu wissen, Gedanken über die verhinderten und verursachten Sterbefälle machen, trotz der erheblichen Erkenntnisfortschritte, die z.B. in Deutschland, zur Vorbereitungen auf eine Pandemie, seit 2017, beitrugen und nun zu einer vergleichsweise vorbildlichen Reaktion führten.
Ihr Bild von den Brownschen Molekularbewegungen trifft einen Teil. Die Betrachtung bliebe aber zu abstrakt, weil es sich um die Idealbetrachtung für ein geschlossenes System ("geschlossener Raum") handelt. Die Epidemie muss aber in vielerlei Hinsicht wie ein offenes System betrachtet werden.
Zu einem anderen Blog habe ich R-0 oder R-e(effektiv) folgendermaßen beschrieben:
>>Herdenimmunität, besser Herdenimmunitätsschwelle = 1- 1/ Basisreproduktionszahl (das ist die durchschnittliche Zahl jener Menschen, die durch einen Infizierten angesteckt werden können, 1,2,4,6,….).
Bei Masern steckt ein Infizierter, wenn kein Impfschutz besteht, ca. 15 andere Personen an. Bei Influenza, sofern kein Impfschutz besteht, geht man von durchschnittlich 1-2 Infizierten aus. Beim neuen SARS-CoV-2, von durchschnittlich 1-4 Angesteckten.
Wenn man also ganz ehrlich ist, dann gilt, dass sich mit den Angaben für das „Corona” Virus eine (Herden-) Immunisierungsschwelle irgendwo zwischen 30 und 74 % errechnen lässt.
Die mehr oder weniger große immune „Herde”, „Horde”, „Kohorte”, schützt die verbliebenen, nicht infizierten Mitglieder. Selbstverständlich können auch dann noch Neuinfekte auftreten. Das sind dann aber sog. sporadische Fälle.
Das Konzept und die grobe Zahl oder Proportion der „Herdenimmunität” hat mehrere Haken. 1. Die Formel muss angepasst werden, weil sie von der „idealen” Annahme ausgeht, alle Mitglieder einer Population seien prinzipiell ansteckbar. 2. Auch die zweite Annahme, dass im Prinzip jedes Mitglied einer Population Kontakt zu jedem anderen Mitglied aufnehmen kann, ist korrekturbedürftig.
Um dem Rechnung zu tragen, definiert man statt der Basisreprodutkionszahl, die sog. effektive Basisreproduktionszahl, zu bestimmten Zeitpunkten. Das ist die Basisreproduktionszahl multipliziert mit der Zahl der zu einem Zeitpunkt x noch infizierbaren Personen. Das Ende der Epidemie kommt, wenn dieser Wert unter 1 liegt.<<
Beste Grüße
Christoph Leusch
Die mathematische Beschreibung genau dieses Viruspotentials, seine charakteristische Kennkurve, wird sich empirisch ergeben – der Flug der Eule der Minerva beginnt, wenn alles geschehen ist. Aber wie ich schon sagte, öffnet die Mathematik den Beschreibungsraum, das ist die Basis für gezielte Eingriffe, und selbstverständlich gehört auch die Erfahrung mit einem unvermeidlich gebliebenen laissez-faire dazu, was alles möglichst genau evaluiert werden muß, also auch testen, testen, … <"testen, testen, testen" oder "laissez faire, laissez passer"> sind kein Königsweg, sondern Mittel, eine angepaßte Strategie zu finden. Und alle gesicherten Ergebnisse gelten nur für diese eine Variante des Virus, allerdings läßt sich aus dem Vergleich mit anderen Viren(varianten) viel lernen.
Ist R die Basisreproduktionszahl, beschreibt sie die Aggressivität des Virus, die ist von Virus zu Virus verschieden. Meine Metapher von der Brownschen Molekularbewegung sollte für den Bewegungszustand, also die wechselnden menschlichen Kontakte stehen, die gemäß dieses R Infektionen ermöglichen. Es handelt sich jedoch bei der Menschheit um ein geschlossenes System und im Unterschied zu einem Gas um eine inhomogene Verteilung der Menschen, so daß es halboffene Subsysteme gibt und R zusätzlich von Dichte und Mobilität abhängt; das hat ja zu den Maßnahmen der Bewegungs- und Kontakteinschränkung geführt. Diese Korrektur überschneidet sich etwas mit Ihren zwei Haken. Weil das System geschlossen ist, sinkt die Zahl der Neuinfizierbaren, ich hatte das in der monoton abnehmenden Funktion g(t) erfaßt, der zweite Korrekturpunkt ist die beschränkte Reichweite fast aller Menschen, die sich hauptsächlich in Nachbarschaftskreisen bewegen. Eine kluge mathematische Modellierung kann das in ein realistisches Abbild einarbeiten.
statt: "wir sind noch einmal davongekommen"
gibt es jetzt den "ritt auf dem tiger".
der wert 1 wird als erreicht angenommen und belastet.
statt eines endes mit schrecken gibts ein "schrecken ohne ende".
es gibt keine rückkehr zu einer phase 1, jetzt wird die kurve gebügelt,
nach einem jahr sollen nur wenige millionen es hinter sich haben,
ein immunitäts-erfolg dadurch: schlichtweg nur imaginiert.
- aber rück-fälle lawinen-artigen ausmaßes sollen durch steuerungs-arbeiten
der vor wirtschaftlichen bedrohungen einknickenden laschet-säusler
(mit magischem sensorium) gemeistert werden.
die schleusen für mäkler/pusher aller art sind geöffnet.
katastrophen-beschleuniger sind nicht als monster zu erkennen.
- slomka-infos entbehren der entschieden-heit,
helmholtz-professoren machen sich politische und wirtschaftliche
bedenken zu eigen statt bei ihren eigenen leisten zu bleiben,
dienen sie als steig-bügel.
( karriere-verzicht steht gegen das "gehört-werden durch die regierung").
un-erwartete anfangs-erfolge verleiten wie oft:
zu konsequenten niederlagen.
priorität muß die öffnung der kichlichen bet-häuser haben,
wenn die seuche, nicht nur im rheinland, das land bependelt.
die eule der minerva ist ein gott-verlassner vogel,
dessen flug-aufklärung gesellschaftliches/politischer versagen
in endloser geschichtlicher reihenfolge attestieren könnte.
und sie hindert keinen luftikus, daraus eine kauzige progression zu basteln.
Gar nicht so übel für den Beitrag und auch das Buch, wenn sich der Kommentarstrang so entfaltet, sei es auch nicht immer hart an der Sache, so doch unterhaltsam und aufschlussreich.
Was mir zugunsten des –noch nicht gelesenen- Buches auffiel: Während in den Kommentaren Berechnungen zur Basisreproduktionszahl angestellt werden, die mich an Schultafeln erinnern, auf die die große Mehrzahl von uns Schülern eher verständnislos starrten, entwickelt Giordano Bilder, wie das der Kugeln oder des Gartenschlauchs, die dem Begreifen einen sinnlicheren Zugangsweg bescheren können: „Hier spricht der Mathematiker als Schriftsteller.“
Sagt nicht der Autor, dann wäre er ein Angeber, sondern die Rezensentin.
So ist das, Herr Grothues.
Ein Aspekt, den Frau Leinkauf auch noch anführt, fand nun in den Artikel- Kommentaren noch gar keine (kritische) Würdigung.
Mit des Klassikers Alessandro Manzoni Mailänder Realgeschichte, Giordano vermittelt dazu noch seine aktuelle Alltagserfahrung, asiatische Gesichtszüge gelten als Hinweis für unbedingte Ansteckungsgefahr, kommt eine Leidenschaft zum Tragen, unbedingt einige persönlich Schuldige zu benennen.
Beste Grüße
Christoph Leusch
»Während in den Kommentaren Berechnungen zur Basisreproduktionszahl angestellt werden, die mich an Schultafeln erinnern, auf die die große Mehrzahl von uns Schülern eher verständnislos starrten, (…)«
Im Grunde ist die Berechnung ganz easy: Giordanos Brevier kostet – auf die Textmenge bezogen – dreimal so viel wie ein normales Buch.
So ist es. Mit einem dauerhaften zusätzlichen Grundrauschen an Toten, die dann, besser versteckt, geschickter administriert, weniger öffentlichkeitswirksam, frühversterben, darf es nicht getan sein.
Damit wäre der Zwang zu groß, jedem dauerhaft Beschränkungen aufzuerlegen und eine Gesellschaft weiter zu atomisieren, die sowieso und lange schon, eine Neigung dazu ausgebildet hat. Es wäre zudem ein Zwang, der nur aus der Furcht und Angst gespeist wird, nicht aus einer Notwendigkeit und nicht aus der Einsicht und dem Wunsch, nach einem besseren und damit sozialeren Leben, nicht aus einem Glauben an die Möglichkeit des ganz Anderen.
Es müssen auch näheerzeugende Lösungen her, für die Kultur und sei sie religiös.
Grüße
Christoph Leusch
PS: Die Eule der Athene, der kritische Glaubensmensch Horkheimer, im Bund mit dem Hegel vom Hegelplatz, aus dem Tübinger Stift. Hegel starb an Vibrio cholerae oder Helicobacter pylori.