Auf der Suche nach einer französischen Philosophin, die nicht zu den bekannten medialen Dinosauriern zählt und mit uns ihre Sicht auf den Wahlkampf teilt, kamen wir auf Corine Pelluchon, eine Vordenkerin sozialer, ethischer und ökologischer Fragen. Zurzeit ist sie Fellow am Hamburger „The New Institute“, das sich mit gesellschaftlicher Transformation beschäftigt. Pelluchon lehrt als Professorin in Paris und berät die Französische Nationalversammlung. Zuletzt erschien von ihr Das Zeitalter des Lebendigen. Eine neue Philosophie der Aufklärung (WBG).
der Freitag: Madame Pelluchon, es war ein etwas eigenartiger Wahlkampf, von rechtsextremen Hassreden geprägt und einem Präsidenten, der als Diplomat in Kriegszeiten unterwegs ist.
Corine Pelluchon: Ja, das stimmt, wie unter eine Glocke – wegen des Krieges. Aber ich bin froh, dass wir in diesen harten Zeiten einen Staatschef haben, der uns gut durch die Katastrophen führt. Erst die Pandemie, jetzt die Ukraine. Während der Pandemie hat der Staat viel Geld ausgegeben und den Menschen geholfen. Unser Land ist da wirtschaftlich gut rausgekommen. Emmanuel Macron spielt im Moment eine wichtige Rolle als Außenpolitiker im Krieg. Als Europäer.
Als starker Mann, der sein Land und dessen Bewohner durch die Krise bringt?
Unter diesen Umständen gibt es niemand Besseren.
Frankreich wollte immer der Leuchtturm Europas sein, mit der besonderen Kultur, Prestige, dem intellektuellen Glanz, Schönheit. Seine Herausforderin Marine Le Pen kultiviert diese rückwärtsgewandte Nostalgie.
Es gibt diese gewisse Arroganz der Franzosen. Sie sind unfähig, selbstkritisch auf ihre Geschichte zu schauen, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten, die Kolonisierung. Marine Le Pen verstärkt solche Ressentiments, indem sie die Karte der Identität spielt: auf der einen Seite die arroganten Technokraten, auf der anderen jene, die vom französischen Stolz träumen, von der Tradition. So wie Trump in den USA. Im Moment kommt das an.
Wo ist die moderate Linke? Die Parti socialiste liegt im Koma, warum konnte sich da niemand etablieren, der mithalten kann?
Es ist ein großes Problem, dass es keine Parti socialiste mehr gibt. Sie hat sich selbst zerstört. Es gab schon unter Präsident Hollande zu viele feindliche Schlachten und persönliche Rivalitäten. Die Franzosen schaffen es nicht, sich zu einigen, Kompromisse zu finden, so wie ihr Deutschen. Sie suchen die Extreme. Es fehlt eine Koalition zwischen Sozialisten und Grünen. Ich fände das ideal.
Sind die Probleme der Linken also hausgemacht?
Sie arbeiten sich zu sehr an den Mängeln der anderen ab, Macron, den Rechten. Aber es fehlen eigene Alternativen – und Geschlossenheit.
Anne Hidalgo, die Kandidatin der Sozialisten, ist abgeschlagen. Weil sie kaum Charisma hat?
Sie ist eine anständige Frau. Ich habe sie öfter getroffen und teile ihre sozialen und ökologischen Vorhaben. Aber sie kommt bei den Leuten nicht an, sogar in ihrer eigenen Partei sind viele gegen sie. Manche dieser Linken wählen eher Macron, als für die eigene Kandidatin zu stimmen.
Warum gibt es in Frankreich keine junge grüne Bewegung?
Doch, die gibt es überall im Land. Sie hat nur noch kein richtiges politisches Programm. Klimafragen werden seit diesem Wahlkampf in allen politischen Lagern gehört. Zum ersten Mal spielt Tierschutz eine Rolle. Ich habe schon 2017 ein Manifest für die Tiere geschrieben, um die Kandidaten dazu zu bringen, sich zu positionieren. Jetzt ist das Thema in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Sogar Macron, der die Jagd liebt, hat eine Umweltministerin. Sie verabschiedete 2021 ein Gesetz, das die Käfige dauerhaft verbietet ebenso wie wilde Tiere im Zirkus und Delfinarien.
Jean-Luc Mélenchon, radikaler Linker, ist sehr populär. Womit erklären Sie sich das?
Er verspricht uns die Rente mit 60. Franzosen sind verwöhnte Kinder, sie wollen immer mehr. Mélenchon ist ein sehr intelligenter Mann, der aber einer Tyrannei des Guten folgt, die nur er verwirklichen kann: „Die Republik bin ich.“ So jemand hätte in Deutschland keine Chance. Bei euch hört man anderen zu und führt zivilisierte Debatten. Das hat mit der großen Tragödie der Nazizeit zu tun. Man hat Angst vor einem „Leader“ und schließt sich zusammen.
Franzosen mögen Chefs und gleichzeitig hassen sie sie.
Ja, Macron war erst Jupiter, dann kamen die Gelbwesten. Am Anfang war er arrogant, aber dann hat er dieses Milieu wahrgenommen, er ist bescheidener geworden. Er kann zuhören und hat während der Pandemie bewiesen, dass Unternehmen gerettet werden und Menschen ihre Arbeitsplätze behalten können. Die Schulen haben Computer bekommen, die Hilfen wurden verlängert. Macron hat linke Politik gemacht.
Wie finden Sie Olaf Scholz?
Olaf Scholz hat weniger Charisma, er ist pragmatisch, und ich finde seine Koalition sehr interessant. Das Programm ist wichtiger als die Person. Man hat das bei den Grünen Habeck und Baerbock gesehen: Das gemeinsame Projekt zählt mehr als das Ego. Bei Franzosen ist es umgekehrt.
La France profonde, das ländliche Frankreich, ist vom Niedergang bedroht. Der Staat hat sich aus vielen Regionen zurückgezogen, es gibt weniger Schulen, weniger Krankenhäuser. Und die extreme Rechte wird als Stimme der Benachteiligten gesehen.
Natürlich haben wir Probleme, aber nicht erst seit Macron, sie existieren seit 30 Jahren. Es gibt kaum noch Cafés in den kleinen Dörfern. Hunderte französische Bauern begehen jedes Jahr Selbstmord, vor allen Dingen bei ärmeren ist die Suizidrate sehr hoch. Das ist ein Drama. Immerhin gibt es Hilfen, die zum Beispiel Ärzten angeboten werden, die sich in den Dörfern niederlassen. Aber um die Provinz vor einem Wüstendasein zu bewahren, müsste man jungen Menschen viel mehr helfen, dahin zu gehen – oder zurückzukehren, sich niederzulassen.
Und wie?
Sie sollten die Möglichkeit und Hilfen bekommen, ein Stück Land zu bewirtschaften. Das würde der Umwelt helfen, wäre gut für die soziale Gemeinschaft und den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Sie wird rasant zunehmen, wenn künstliche Intelligenz und Roboter unsere Jobs vernichten. Linke wie rechte Politik ist zu sehr auf die Städte, auf das Urbane ausgerichtet. Dabei wollen viele da gar nicht mehr leben, weil es zu stressig ist.
Für Marx lag der Fortschritt in den Städten.
Ja, und heute ist es umgekehrt, die Pioniere einer neuen Epoche sind die Bauern. Die Zukunft liegt in den mittelgroßen Städten und auf dem Land. Wir brauchen lokale Einheiten, wo Menschen Landwirtschaft ohne Pestizide betreiben. Solche Modelle gibt es in der Schweiz schon. Wir sollten nicht nur an Digitalisierung und Start-ups denken.
Sie stammen selber aus einem bescheidenen ländlichen Milieu – und sind weggegangen.
Ja, ich bin in einem Dorf geboren, 7oo Einwohner, in der Nähe von Cognac. Ich habe meinen Aufstieg durch Bildung geschafft, ich habe einfach sehr viel gearbeitet.
Aufstieg durch Bildung, soziale Klassen, davon hört man gerade wenig. Sind diese Themen nicht mehr relevant? Didier Eribon hat sie zuletzt analysiert.
Frankreich ist ein Land, in dem der soziale Fahrstuhl blockiert ist. Wir sind eine Klassengesellschaft. Das soziale Kapital ist sehr ungleich verteilt, nirgends sieht man das deutlicher als in großen Städten wie Paris. Das ist keine gemischte Stadt mehr, weil sie zu teuer ist. Mit Kindern kann man da nicht wohnen. In London ist es noch schlimmer. Ich habe Kollegen, die Kommunisten wählen und gleichzeitig in Paris eine 150-Quadratmeter-Wohnung besitzen. Es gibt so eine Scheinheiligkeit.
... auch unter Linken. Wie haben die Gelbwesten mit dem Blick von heute Ihr Land verändert?
Das war eine Antwort auf eine sehr atomistische Politik. Die CO2-Steuer auf Benzin ist eine charmante Idee, aber nicht, wenn man vom Land kommt. Ohne Auto ist man aufgeschmissen, kann nicht einkaufen fahren. Diese Steuer ist vielleicht in Paris sinnvoll, aber in anderen sozialen Bereichen vollkommen unsinnig. Macron hat verstanden, dass man hinschauen muss, dass diese Realitäten eben existieren.
Sie kritisieren in Ihrem Buch „Zeitalter des Lebendigen“ die extreme Rechte, die „Anti-Aufklärer“, aber auch die postmodernen Linken. Was stört Sie an denen?
Diese Leute, die den Universalismus der Aufklärung über Bord werfen wollen, die sich gewisse kleine Gemeinschaften wünschen und damit wieder eine Trennung einführen, finde ich gefährlich. Für solche Identitätspolitik wird die Linke auch von vielen anderen kritisiert. Das sollte man ernst nehmen.
Wir leben in einer Welt der Klimakrise, der Kriege, einer konfusen und unplanbaren Welt. Welche Rolle kann Philosophie, Aufklärung da spielen?
Krieg und die Klimakrise treffen sich an einem Punkt – und das ist die Herrschaft. Genauer: das „Herrschaftsschema“. Der Mensch bemächtigt sich seiner Umwelt, der Natur, er unterjocht sie. Das bestimmt sein gesamtes soziales Handeln. Wissen Sie, was Jean Jaurès gesagt hat?
Der große Sozialist?
Ja. Wenn es Ungleichheit gibt, Klassenkampf, dann ist sogar in Friedenszeiten Krieg. In einer neoliberalen Gesellschaft, in der Reichtum so verteilt ist, in dieser Ellenbogengesellschaft, da ist jeden Tag Kriegszustand. Und das verwandelt alle unsere Beziehungen, zur Natur, zur Arbeit, zu anderen Lebewesen, zur Politik, zu uns selbst.
Dieses Herrschaftsschema muss durchbrochen werden?
Ja, wir müssen unseren Platz in der Welt verändern. Wir sind eine weltweite Schicksalsgemeinschaft, das hat die Pandemie gezeigt.
Wie kann die Philosophie helfen?
Ich mag die Idee des französischen Philosophen Paul Ricœur, für den es eine „praktische Weisheit“ gibt, die von der „tragischen Weisheit“ lernen muss. Wie in Sophokles’ Antigone. Das Drama ist: Alle beide haben recht.
Inwiefern?
Antigone kümmert sich um ihren Bruder, Kreon um die Gesellschaft. Beide haben recht – und unrecht, weil sie dogmatisch sind. Sie können den Widerspruch nicht auflösen. Wenn jeder an seiner Sicht festhält, führt das zur Zerstörung. Wir brauchen Lösungen, die in heiklen Situationen helfen, ohne unsere Prinzipien zu verraten.
Sind wir Menschen lernfähig?
Der Mensch ist wie krummes Holz, sagte Kant. Allein wächst er nicht gerade. Die Menschen müssen also ihr Urteilsvermögen schulen, indem sie lernen, anderen zuzuhören, ihre Meinung zu korrigieren und sich zu beraten. Das ist der Kern der Demokratie.
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Kommentare 7
Und zum Schluß Kant. Cool! Was man zuletzt wahrnimmt behält man am besten. Kant, mit Verlaub, ist einer der ÜberUrväter der Herrenrasse. Krummes Holz bringt die Natur hervor, die Schöpfung und es ist schön, so krumm wie es ist. Kapiert hat das Herr Hundertwasser. Frankreich hat ein gigantisches Elitenproblem! Allons enfants 2.0
„Auf der Suche nach einer französischen Philosophin“ finden Sie die Bioethikerin Corine Pelluche. Vielleicht wäre ein Interview mit Barabra Stiegler weniger „Temps perdu“ gewesen. Auch sie ist Bioethikerin, zudem eine profunde Kritikerin des Neoliberalismus, allerdings – horribile dictu“ - Unterstützerin der „Union populaire“. Nun gut, zunächst hat mich Ihre Wahl etwas irritiert, jetzt sehe ich es eher „dialektisch“. Wann erfahren deutschsprachige Leser schon einmal, welche Gedanken zu denken sind, in der Komfortzone sich „links“ verstehender rechter Sozialdemokraten, Ecologisten und anderer Macronisten. Nennen wir sie den "Bloc bourgeois vert". Der ist übrigens mal wieder in seiner antifaschistischen Phase (bis zur Wahl Macrons am 24. April). Aber zum Interview und einem leider etwas langen Kommentar.
"Ich bin froh", sagt Pelluchon, "dass wir in diesen harten Zeiten einen Staatschef haben, der uns gut durch die Katastrophen führt. Während der Pandemie hat der Staat viel Geld ausgegeben und den Menschen geholfen..."
Da bin ich zunächst baff. Dann fällt mir der Philosoph Frédéric Lordon ein. Der hat kürzlich einen scharfsinnigen Aufsatz mit dem Titel „La critique de la raison garofique“veröffentlicht. „Gorafi“ ist ein beliebtes satirisches Online-Magazin, dem deutschen „Postillon" vergleichbar. Sein Markenzeichen sind Titel wie „Die Direktion von Fessenheim sucht Sozialwohnungen für Nuklear-Mutanten“. Bei Gorafititeln weiß man oft nicht, ob sie ernst gemeint sind. Sie könnten es wirklich sein. So wie die oben zitierten Sätze Pellluchons.
Zumindest teilt die Mehrheit der Franzosen das „Frohsein“ Pelluchons nicht. Für viele von ihnen ist dieser Staatschef selber die Katastrophe (80% der eingeschriebenen Wähler haben ihn trotz des präsidialen Ukraine-Bonus nicht gewählt). Vom „vielen Geld“ haben wenige sehr viel profitiert. Dass der Staat den Menschen „geholfen“ hat, ist ja sehr nett, nur, hat er es wirklich? Das Management der Pandemie verschlimmerte diese noch: Corona traf die Regierenden völlig unvorbereitet, kein Vorrat an Masken (Macrons Sprecherin gab lachend bekannt, sie wisse gar nicht, wie man eine solche anlege, die Gesundheitsexperten hielten sie für unnütz, am Anfang gab es ein Verbot für Apotheken, Masken zu verkaufen), kein adäquates Schulmanagement (gute Ratschläge zuhauf, z.B. Fenster regelmäßig zu öffnen, die nicht zu öffnen waren), ein strikter Lockdown mit pingeligen Vorschriften, aber fast vollem Métro- und Arbeitsbetrieb, wegen jahrelangem Abbau von Krankenhausbetten eine dramatische Überbelegung, eine im Vergleich zur BRD hohe Sterbequote, vor allem ein elendes Sterben in den Altenheimen, ein zum Überwachungsinstrument mutierter elektronischer Impfpass, das „Piesacken“ (Macron dixit) der Ungeimpften etc. etc... Ich höre hier auf, um die Textsorte Kommentar nicht zu überdehnen. Nur noch diese Frage: Wer wird nach der Wahl wohl die Pandemie-Schulden des „großzügigen“ Staates bezahlen?
Es kann nicht sein, dass Pelluchon dies nicht weiß. Und trotzdem ist sie dankbar:
"Unter diesen Umständen gibt es niemand Besseren".
Gorafi lächelt fein, weiß es doch, was folgen wird, nämlich diese Umschreibung des Macronschen Syntagmas der „refraktären Gallier“:
"Die Franzosen schaffen es nicht, sich zu einigen, Kompromisse zu finden, so wie die Deutschen. Sie suchen Extreme."
Neuer G-Titel: „Neueste Erkenntnisse: De Gaulle, Pompidou, Giscard, Mitterand, Chirac, Sarkozy, Hollande, Macron: alles Extremisten!“
Und vor allem einer: Mèlenchon (der in den 2. Wahögang gerutscht wäre, wenn nicht...)
"Er verspricht uns die Rente mit 60. Franzosen sind verwöhnte Kinder, sie wollen immer mehr. Mélenchon ist ein sehr intelligenter Mann, der aber einer Tyrannei des Guten folgt..."
G-Titel: „Französische Altenheiminsassen sind wie verwöhnte Kinder. Sie wollen immer mehr.“ Ernsthafter: auch professorale Intelligenz schützt nicht vor ganz ordinärem reaktionären Denken. Die Kindermetapher darf nicht fehlen, ebenso wie der Topos von der „Tyrannei des Guten“. Der so einen jahrhundertealten Bart!
Doch dann überrascht dien Interviewte doch: Auch wenn Pelluchon nicht „extrem“ ist, so ist sie doch „links“:
"Es fehlt eine Koalition zwischen Sozialisten und Grünen."
Zur Erinnerung. Es ist ja auch schon lange her: Der Ex-Kandidat Jadot (vom pragmatischen Europe-Ecologie-Flügel der Partei) hat im ersten Wahlgang 4,8% und die Sozialistin Hidalgo sagenhafte 1,8% erreicht. Der PS scheint tot, und die Ecologistes müssen sich komplett neu organisieren. Aber Koalition heißt nicht Präsidentenamt. Erstens ist man so „links“ nun auch wieder nicht, und – vor allem - ist das Staatsruder ja in den besten aller möglichen Hände:
"Er ist bescheidener geworden. Er kann zuhören und hat während der Pandemie bewiesen, dass Unternehmen gerettet werden und Menschen ihre Arbeitsplätze behalten können.Die Schulen haben Computer bekommen, die Hilfen wurden verlängert. Macron hat linke Politik gemacht."
Ich verzichte auf den G-Titel: „Computer gegen Corona!“ und stelle einfach fest: „Links“ ist, was Macron macht: Unternehmen stützen, Menschen bei der oft elenden schlecht bezahlten Arbeit halten und den Schulen Computer geben. Singapur ist ein „linker“ Staat, fast schon „extrem“. Keine kritische Zwischenfrage, Frau Leinkauf? Legitimiert Emmanuel der „Zuhörer“ („Ich piesacke die Franzosen bis zum Ende“) also nicht die brutale Polizeigewalt gegen die Gelbwesten und demonstrierenden Gewerkschaftler? Sieht und hört er zu, wenn die CRS mal wieder ein Flüchtlingscamp auflösen und die Minizelte der Geflüchteten zerschneiden?. Wenn sie demonstrierenden jungen Menschen Gas ins Gesicht sprühen, Rollstuhlfahrer umkippen, Augen ausschießen, Schulkinder demütigen? Wie nennt Frau Pelluchon dies? G-Vorschlag: „“Macroniser“ als „polizeiaktives Zuhören“.
Was die „linke Koalition“ angeht, gibt es momentan tatsächlich Gerüchte, die Pelluchon erfreuen dürften: Macron, der wahlstrategisch in linken Tümpeln, Teichen und Seen fischen muss, um Le Pen zu schlagen, beabsichtigt angeblich, sich für einen „linken“ Regierungschef zu entscheiden. Ob Jadot, der Ex-Kandidat der Ecologistes interessiert ist? Dann wären Macronie, Ecolos und rechte Sozis wieder vereint (mit den Sarkozy-Rechten). Wenn das keine linke Politik ist!
Immerhin. Als Frau Leinkauf stellt schließlich mutig die Klassenfrage (warum nennen die Deutschen diesbezüglich immer nur Eribon?). und bekommt diese Antwort:
"Frankreich ist ein Land, in dem der soziale Fahrstuhl (l'ascenseur social) blockiert ist."
Damit outet sich Pellzuchon natürlich nicht als Kryptomarxistin, schließlich ist das „Fahrstuhl“-Bild Neoliberalismus-kompatibel, geht es doch um die optimale Abschöpfung der Arbeitskraft. Mit Marxisten hat sie nämlich nicht gerade gute Erfahrungen gemacht. Sie hat zum,Beispiel Kollegen,
"die Kommunisten wählen (nein! Das gibt’s doch nicht! Sorbonne-Professoren!) und gleichzeitig (was noch? Hilfe!) in Paris eine 150-Quadratmeter-Wohnung haben. Es gibt so eine Scheinhelligkeit."
Das ist die Logik, nach der Friedrich Engels kein Kommunist und Fürst Kropotkin kein Anarchist sein darf. Das ist die Logik, nach der ein Präsident, der als „Banker“ über Millionen verdient hat, die in den Steuererklärungen nicht auftauchen und der von den Milliardären des Landes ins Amt gepuscht wurde, seinerseits niemals „scheinheilig“sein kann. Sondern "links". Das ist – désolé, Madame – Klassenlogik.
Aber ich bin ungerecht.Die Realität ist zu stark, so dass selbst Pelluchon die „neoliberale Gesellschaft“ kritisieren und von "Ellbogengesellschaft" sprechen muss. Das schafft übrigens auch der große „Zuhörer“. Auch dieser zitiert, wenn es ihm nützlich scheint, den großen Sozialisten und Kriegsgegner Jaurès. Ihm würde auch gefallen, dass Pelluchon Antigone und Kreon recht und unrecht gibt („weil sie dogmatisch sind“. Antigone auch?). Und zufrieden konstatieren, dass plötzlich alle sozioökonomischen Widersprüche (und die eigenen) verschwunden sind, klassisch-griechisch glatt gebürstet. Die Menschheit geht doch noch einem guten Ende zu und folgt, jenem guten alten Managerwort: „Wir brauchen Lösungen“ Und dafür brauchen wir ihn, den „Besten“, den „Zuhörer“, den „Leader“!
Und am Ende des Menus Gorafi: "Krummes Holz 'a la Kant". Hat nicht so geschmeckt.
Zitat: "... kamen wir auf Corine Pelluchon, eine Vordenkerin sozialer, ethischer und ökologischer Fragen."
Da bin ich aber heilfroh, dass es keine Querdenkerin ist. Heutzutage muss man höllisch aufpassen, in welche Richtung man denkt. Geradeaus wie die Längsdenker von Tagesschau, heute-journal, RTL News usw. und vorwärts ist in Ordnung, aber "querdenken" ist seit Corona ein gesellschaftliches Tabu. Da wird jemand schneller gesellschaftlich geächtet als er bis drei zählen kann.
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Zitat: "Es gibt diese gewisse Arroganz der Franzosen. Sie sind unfähig, selbstkritisch auf ihre Geschichte zu schauen, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten, die Kolonisierung."
Trifft das nicht auch auf andere Nationen zu? Das mit den deutschen Kolonien ist zwar schon etwas länger her. Aber was haben die peniblen, akkuraten und ordentlichen aber zugleich ignoranten, dekadenten, opportunistischen und scheinheiligen Deutschen zum Beispiel aus dem schleichenden Niedergang der Weimarer Demokratie gelernt?
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Zitat: "... ist ein sehr intelligenter Mann, der aber einer Tyrannei des Guten folgt, die nur er verwirklichen kann: 'Die Republik bin ich.' So jemand hätte in Deutschland keine Chance. Bei euch hört man anderen zu und führt zivilisierte Debatten."
Wenn es einem am Ende nicht im Halse steckenbleiben würde, müsste man bei dieser Aussage lauthals lachen.
Es ist richtig, in Deutschland führt man "Debatten", nur sind es bei Lichte betrachtet Scheindebatten.
In Deutschland herrscht die Tyrannei der Längsdenker und Neoliberalen, die sich als konservativ, sozialdemokratisch, (links-)liberal, grün oder alternativ tarnen, den Markt anbeten und alle als "Querdenker" in die Pfanne hauen, die etwas gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung sagen. Der Markt ist in Deutschland heilig und unfehlbar. Ausnahmen bestätigen die Regel, Stichwort "notleidende Banken".
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Zitat: "Wie finden Sie Olaf Scholz? - Olaf Scholz hat weniger Charisma, er ist pragmatisch, und ich finde seine Koalition sehr interessant. Das Programm ist wichtiger als die Person."
Dass der Scholzomat weniger Charisma hat als ein Bäckermeister, das wird niemand bestreiten wollen. Aber von welchem "Programm" ist da die Rede?
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Zitat: "Der Mensch ist wie krummes Holz, sagte Kant. Allein wächst er nicht gerade. Die Menschen müssen also ihr Urteilsvermögen schulen, indem sie lernen, anderen zuzuhören, ihre Meinung zu korrigieren und sich zu beraten. Das ist der Kern der Demokratie."
Viel Glück! Das mit der "Aufklärung" haben schon andere versucht.
Leider sind die meisten Menschen bornierte Untertanen, vor allem die Deutschen, die anderen erst dann wirklich zuhören und ggf. ihre vorgefasste Meinung ändern, nachdem es ordentlich gekracht und gescheppert hat wie im Zweiten Weltkrieg oder wenn sie sich an der heißen Herdplatte die eigenen Finger verbrennen.
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Zitat: "Ja. Wenn es Ungleichheit gibt, Klassenkampf, dann ist sogar in Friedenszeiten Krieg. In einer neoliberalen Gesellschaft, in der Reichtum so verteilt ist, in dieser Ellenbogengesellschaft, da ist jeden Tag Kriegszustand."
Wie passt diese Aussage zu dem Satz: "Aber ich bin froh, dass wir in diesen harten Zeiten einen Staatschef haben, der uns gut durch die Katastrophen führt. Erst die Pandemie, jetzt die Ukraine."
Ist der seit 2017 amtierende Staatschef Emmanuel Macron nicht auch ein Neoliberaler, auch wenn er nicht ganz so borniert ist wie deutschen Neoliberalen?
Fazit: Die Gedankengänge der "Vordenkerin" sind leider nicht logisch konsequent und in sich widerspruchsfrei.
Vielen Dank für das Interview.
https://www.youtube.com/watch?v=ZxMpbEWg7z0
Vortrag: Ökologie, Universalismus und Emanzipation. Das Plädoyer für eine neue Aufklärung. (PELLUCHON)
Frau Pelluchon hat eine interessante Logik in ihrer Philosophie, die zeitgemäß mit brennenden Problemen der Gegenwart korrespondiert.
Sie bietet m.E. relevante Begründungen und Optionen an.
Sie wird wohl leicht und allzu schnell unterschätzt, auch deswegen, weil sie vorwiegend in Französisch arbeitet und publiziert, und damit international geringere Resonanz findet.
Sie haben Recht. In Frankreich gibts aber noch ein Gesundheitssystem in dem alle drin sind (Carte Vitale). In der BRD wird exkludiert- zB nur Arme mit einem geringen Sehfehler erhalten Brillengestell und Gläser, Arme mit hohem Sehfehler erhalten nur einen Teil der Gläser, nur ältere Personen rrhalten bei dem vgl harmlosen grauen Star das OCT und jüngern Personen mit dem wesentlich gefährlicheren grünen Star wird das nicht finanziert- es ist halt eine Spar und Klientelpolitik. (Kürzlich sah ich einen Werbespot der BVG- ultrakorrekt kamen eine Farbige und ein Gebärdensprechender vor, moralisch einwandfreie Oberfläche; derweil wird realiter das Sozialsystem abgebaut.) In Frankreich wird med. Forschung finanziert- die BRD kann nicht mal an den EU finanzierten Fachforen teilnehmen, weil ein nationales Institut nicht finanziert werden kann (Bindegewebserkrankungen). Ich habe meine seltene Krankheit in Frankreich diagnostizieren lassen- in der BRD war niemand in der Lage (hat sich aktuell etwas gebessert). In Frankreich möchte niemand Deutscher sein. Verständlich!!!
Ja. Das Beispiel zeigt, wie wichtig bei dieser Wahl eine wirkliche Union populaire oder ein Front populaire gewesen wären. Trotzdem hat es für die France insoumise fast gereicht. Aber halt nur fast. Es bleibt diese fatale Alternative. Macron wird natürlich siegen (Ich tippe 54,6%), und die französische Bevölkerung wird noch mehr verlieren, auch ihr der Résistance zu verdankendes Gesundheitssystem.
Ein kleiner Hoffnungsschimmer: im Juni finden die Wahlen zur Nationalversammlung statt, wieder in 2 Wahlgängen. Eine Parlamentsmehrheit gegen Jupiter könnte ihn in wichtigen Punkten ausbremsen. Wenigstens das. Es gibt erste Annäherungen auf der Linken, aber es muss auch viel aufgearbeitet werden. Und Mélenchon hat noch im Alter von 71 Jahren Statur gewonnen. Man reibt sich die Augen und die Ohren. Ein für seine Verhältnisse besonnener, heiterer Politiker mit einem starken Programm und einem starken Team. Viel hängt natürlich wieder - schon wieder und immer wieder - von den Medien und den Umfrageinstituten ab.
Diese Corinne Pelluchon ist das typische Beispiel einer Vertreterin der elitären (neo)liberalen Elite, der auf den Widerstand gegen eine Erhöhung des Rentenalters, der von den linkssozialdemokraten Melanchon unterstützt wurde nur einfällt:
"Er verspricht uns die Rente mit 60. Franzosen sind verwöhnte Kinder, sie wollen immer mehr."
Dass sollte diese gutdotierte Philosphin einer Arbeiterin oder einem Arbeiter sagen, die dagegen kämpfen, noch länger schufen zu müssen
Pelliuchon verbreitet die Falschaussagen, dass Melanchon als Präsident eine klare Führerfunktion anstrebte. Dabei war es ihr Favorit Macron, der sich als Jupiter bezeichnete. Melanchon und seine Bewegung wollen vielmehr die Macht des Präsidentenamtes begrenzen und dem Parlament wieder mehr Befugnisse geben.
Zudem ergeht sich Pelluchon in einem Lob auf die Corona-Politik von Macron, obwohl alle wissen, dass sie ein einziges Desaster war. Wegen der Skandale bei den Maskenimport gab es sogar Rücktritte von verantwortlichen Personen und die Impfppflicht musste Macron wieder zurücknehmen, weil sie in der Bevölkerung schlicht nicht durchsetzbar war. Man sieht, auch die Liberalen pflegen ihre Mythen.
Peter Nowak