Warum Lothar Matthäus mein Mann war

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Jeff Bridges ließ die Dachterrasse des SoHo sperren, als er hier vor kurzem in kleiner Runde die Premiere von True Grit feierte, des Films, den er auf der Berlinale vorgestellt hatte.

Diesmal feierte der Sender Sky in der "derzeit angesagtesten Berliner Location" eine "TV- Revolution".

Auf der Gästeliste standen Minu Barati, immer noch Ehefrau von Joschka Fischer, Markus Babbel, Bettina Zimmermann, Sarah & Otto Kern, einige von Hohenlohe-Damen, Hannes Jaenicke, der Retter des Klimas und der Tiere.

Und er. Der Weltstar.

Mit schwarzem Bändchen am Arm durfte man nach oben, und dann über einen Teppich, der nicht rot, sondern schwarz war, aber dafür schauten Fotografen zu - und der Champagner war herb.

In dem amerikanisch anmutenden Loft mit großzügigen Glasfronten, einem historischen Ort, an dem schon jüdische Organisationen, Nazis und DDR-Funktionäre ihre Büros hatten, plauderte snun Szene-Volk wie Benjamin-von-Stuckrad-Barre, auch er trug wie die anderen Hemd und Turnschuhe (aber rote) und schaute auf überdimensionale Bildschirme.

Es wurde immer voller in dem Loft, aber das Gesicht von Sarah Kern, der Tochter des Designers Otto, wie auch die Blicke der anderen blonden Frauen, blieb leer und etwas kalt. Mein Begleiter starrte sowieso eher auf deren hochhackige Glitzerschuhe, und fragte mich beängstigt, ob ich so etwas jemals tragen würde.

Vorn auf der Bühne kündigte der Sky-Chief Executive Officer (auf Deutsch: Vorstandsvorsitzender) Brian Sullivan die Weltpremiere des neuen Formats an, und präsentierte den Sky Go - Spot als Weltpremiere: Hauptrolle: Karl Lagerfeld. Omnipräsent. Er war irgendwie immer überall und immer dünn, und saß nun also mit Unterwegs-Fernsehen im Taxi. Bon. Wen interessierte eigentlich Karl Lagerfeld?

Denn ER stand plötzlich neben mir. Lothar Matthäus!

Er war umringt vom alternden Designer und seiner Tochter, die ihn überragte, und auf die braun gebrannten Wangen küsste.

Es gab ihn also noch. Wo kam er gerade her? Bulgarien? Rumänien? Zypern?

Matthäus wirkte gut gelaunt, erholt, er grinste, schaute ein bisschen herum, so lala, rief einem Bekannten zu: "Willkommen im Club". Was meinte er? Sky? Scheidung? Bild-Kolumnen?

"Oh Gott, ist das peinlich", reagierte so ein Schnösel in Anzug und mit Dreitagebart, der hinter Matthäus stand und bestimmt irgendwie auch in den Medien ganz oben war, "dieser Typ, der Loddarrr". Matthäus tat so als habe er nichts gehört und ließ sich von Otto Kern erstmal die dünne schwarze Lederkrawatte abnehmen. So etwas trägt man doch nicht mehr, nicht in dieser Welt. Lothar nickte, rollte die Krawatte zusammen und steckte sie lässig in seine Hemdtasche.

Es wirkte ein bisschen hilflos. Aber sympathischer als der Gel-Roboter neben ihm.

Ein Fotograf eilte auf ihn zu: "Hey Lothar, wie gehts Dir?"

"Danke", antwortete Matthäus leicht irritiert, "Du bist aber auch überall, oder?"

"Na, Du doch auch", schnappte der Fotograf, knipste und verschwand.

Da stand er nun. "Sag mal, die Moderatorin, die habe ich doch neulich in irgendeiner Castingshow gesehen", wandte sich Lothar wieder der Tochter des Designers zu. Es klang wie eine Frage, oder war es eine Aufforderung? Er war ja jetzt wieder solo. Jedenfalls neulich noch.

Er hatte so etwas Jungenhaftes, Burschikoses. irgendwie Blödes. Ich fand das ok.

Vorn auf dem Sky-Bildschirm nuschelte Lagerfeld irgendwas vom ständigen unterwegs sein und der Freiheit, seine Lieblingsfilme auch im Flieger sehen zu könenn, wann und wo er will. Auch Lothar Matthäus, in Partylaune, ließ sich nach seinem Lieblingsfilm fragen. "Dirty Dancing", schoss es aus ihm heraus und er grinste etwas anzüglich.

Lothar! Warst Du eigentlich Johnny? Er rückte immer näher an mich heran, uns trennte jetzt nur noch die Frage, wie oft er seinen, und ich meinen Lieblingsfilm gesehen hatte. "Das waren so bestimmt an die 10 Mal", verkündete er beiläufig, und fehlerlos und wippte ein bisschen auf und ab, so als könne er hier jeden Moment aus dem Strand einen Mambo hinlegen. Und je länger ich mir das vorstellte , umso südländischer wurde er für mich.

Latino Lothar.

Er war mein Mann. Ich hatte Dirty Dancing 17 Mal gesehen und hätte ihn gern gefragt, ob er das auch kenne, das was Johnny so umtrieb, immer diese Frauen, die einen nur ausnutzen, heimtückisch, so ein einfaches Opfer wie ihn.

Nur, weil er ihnen vertraute.

Aber so etwas fragt man nicht, und außerdem hing Lothar immer noch an der Seite der Designertochter, die drängelte, weil ihr Champagnerglas schon wieder leer war. Matthäus fasste sanft der jungen Kellnerin am Arm, die gerade vorbei kam, und da war das Glas schon wieder voll.

Irgendwann gingen wir, mein Begleieter hatte wohl genug von Lothar und mir und Baby und Johnny und überhaupt. Aber wir kamen nicht an ihm vorbei. Lothar stand ebenfalls draußen, kurz vor der Garderobe, aber einen wie ihn, Welt & Europameister, ließ man ja nicht einfach gehen. Er war umringt von Kameras und Mikros.

"Haben Sie denn noch Freunde in Deutschland?", wollte eine Journalistin wissen.

"Ja, ich würde auch gerne mal wieder mit denen im Biergarten sitzen, aber mein Reisepensum lässt das einfach nicht zu", antwortete Matthäus in reinstem Fränkisch. Es klang ehrlich. Er war eben er. Er glaubte sich, was er da säuselte.

Und ich war froh, dass es unter diesen IPad, Laptop, Blackberry, Iphone, Dreitagebart, Schleimmännern einen gab, der so unverstellt wirkte, irgendwie menschlich, nahbar. Ich bin nunmal euer Loddarr, darin war er einzigartig.

"Lothar wer?", fragte eine Kollegin aus San Salvador vorhin beim Mittagessen, als ich von meiner Begegnung schwärmte. Von wegen Weltstar.

Sie kannte nur einen deutschen Fußballer. Daniel Brühl.

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Geschrieben von

Maxi Leinkauf

Redakteurin „Kultur“

Maxi Leinkauf studierte Politikwissenschaften in Berlin und Paris. Sie absolvierte ein Volontariat beim Tagesspiegel. Anschließend schrieb sie als freie Autorin u.a. für Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel und Das Magazin. 2010 kam sie als Redakteurin zum Freitag und war dort im Gesellschaftsressort Alltag tätig. Sie hat dort regelmäßig Persönlichkeiten aus Kultur und Zeitgeschichte interviewt und porträtiert. Seit 2020 ist sie Redakteurin in der Kultur. Sie beschäftigt sich mit ostdeutschen Biografien sowie mit italienischer Kultur und Gesellschaft.

Maxi Leinkauf