Weder links noch rechts

Frankreich André Glucksmann wirkte etwas müde bei unserem Treffen vor fünf Jahren. Nun ist einer der großen engagierten Intellektuellen Frankreichs mit 78 Jahren in Paris gestorben
Einer der schärftsen Kritiker totalitaristischer Systeme: André Glucksmann
Einer der schärftsen Kritiker totalitaristischer Systeme: André Glucksmann

Foto: Jacques Demarthon/AFP/Getty Images

Er war ein politischer Philosoph, mit einer seltsamen Pilzfrisur – und einer der letzten klassischen intellectuels engagés. André Glucksmann, schillernde Figur im Pariser Intellektuellenzirkus, kam nie in den Klatschpalten vor, anders als sein Mitstreiter Bernard Henri-Lévy. Glucksmann entzog sich ideologischen Lagern. Als ich ihn 2010 zu einem Interview traf, hat er verkündet: Links oder Rechts, das gibt es nicht mehr. Damals trafen wir uns im diskreten Hotel Savoy, in Berlin-Charlottenburg. Glucksmann hatte gerade ein Buch veröffentlicht: Wie ich Nicolas Sarkozy den Mai '68 erkläre. Denn der wolle das Erbe der linken Rebellion liquidieren!

Glucksmann war in diesen Zeiten sozialisiert worden, er war Kommunist und Maoist, doch dann wurde er zum größten Kritiker der totalitaristischen Systeme. Die französische Linke wählen, das konnte André Glucksmann bei den Wahlen 2012 nicht mehr, denn die befinde sich „im mentalen Koma“. Dass er stattdessen für Sarkozy gestimmt hat, war am linken Seine-Ufer natürlich scandaleux!

Zwei Jahre zuvor wirkte Glucksmann müde bei unserem Treffen, schwermütig, abgekämpft. Er erzählte von „Jurgen“, seinem Freund Jürgen Fuchs, dem Dissidenten aus der DDR, der sich mit der Uran-Produktion im Osten beschäftigt hat, dem niemand glaubte und der später an Blutkrebs starb. Eher amüsiert berichtete er davon, wie er sich in den 80er Jahren mit Joschka Fischer und den Grünen anlegte, mit deren Pazifismus. Glucksmann wolle, dass Deutschland Zugang zu Atomwaffen hat. Er befürwortete die Interventionen in Afghanistan und Irak, und bereiste unermüdlich die Krisenherde der Erde, Tschetschenien zum Beispiel. Nur kein Genozid mehr. Glucksmann hatte selber einen jüdischen Vater, der von den Nazis umgebracht worden war. Er und seine Mutter waren knapp dem Vichy-Regime entkommen.

Das falsche Spiel

Und der engagierte Intellektuelle von heute? Er zeigt sich in Gestalt des strahlenden und medienwirksamen Philosophen Michel Onfray. Der wird eigentlich dem linksliberalen Lager zugeordnet, nun wird ihm vorgeworfen, Ressentiments zu schüren und Stimmung für den Front National zu machen. Er hatte in einem Interview mit der Zeitung Figaro kritisiert, Themen wie Immigration und nationale Identität würden von den etablierten Parteien gemieden, obwohl sie für „das Volk“ wichtig seien. Der Islam „bedrohe die jüdisch-christliche Gemeinschaft“. Weil die Leute unzufrieden seien, würden sie extreme Parteien wählen.

Er spiele das Spiel des FN mit, monierten Liberation und andere Zeitungen. Der Philosoph verteidigte sich Ende September in Le Monde, er sei ein "sozialer Atheist", gehöre noch immer zur „libertären Linken“ (Denken und Genießen gehört zusammen in Frankreich). Er wolle keine Stimmung für eine Partei machen, wende sich aber enttäuscht gegen eine „falsche Linke“, die „Bobos“, die liberale Politik betrieben und so die Prekären in die Arme der Rechtsextremen trieben. Je mehr man das verschwiege, desto stärker werde der Front National.

So ähnlich hatte es auch bereits Michel Houellebecq formuliert. Mon Dieu! Damit, dass sich Onfray gegen das so genannte „Einheitsdenken“ in Saint Germain des Près auflehnt, steht er in der Tradition von Glucksmann.

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Geschrieben von

Maxi Leinkauf

Redakteurin „Kultur“

Maxi Leinkauf studierte Politikwissenschaften in Berlin und Paris. Sie absolvierte ein Volontariat beim Tagesspiegel. Anschließend schrieb sie als freie Autorin u.a. für Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel und Das Magazin. 2010 kam sie als Redakteurin zum Freitag und war dort im Gesellschaftsressort Alltag tätig. Sie hat dort regelmäßig Persönlichkeiten aus Kultur und Zeitgeschichte interviewt und porträtiert. Seit 2020 ist sie Redakteurin in der Kultur. Sie beschäftigt sich mit ostdeutschen Biografien sowie mit italienischer Kultur und Gesellschaft.

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