Er war ein politischer Philosoph, mit einer seltsamen Pilzfrisur – und einer der letzten klassischen intellectuels engagés. André Glucksmann, schillernde Figur im Pariser Intellektuellenzirkus, kam nie in den Klatschpalten vor, anders als sein Mitstreiter Bernard Henri-Lévy. Glucksmann entzog sich ideologischen Lagern. Als ich ihn 2010 zu einem Interview traf, hat er verkündet: Links oder Rechts, das gibt es nicht mehr. Damals trafen wir uns im diskreten Hotel Savoy, in Berlin-Charlottenburg. Glucksmann hatte gerade ein Buch veröffentlicht: Wie ich Nicolas Sarkozy den Mai '68 erkläre. Denn der wolle das Erbe der linken Rebellion liquidieren!
Glucksmann war in diesen Zeiten sozialisiert worden, er war Kommunist und Maoist, doch dann wurde er zum größten Kritiker der totalitaristischen Systeme. Die französische Linke wählen, das konnte André Glucksmann bei den Wahlen 2012 nicht mehr, denn die befinde sich „im mentalen Koma“. Dass er stattdessen für Sarkozy gestimmt hat, war am linken Seine-Ufer natürlich scandaleux!
Zwei Jahre zuvor wirkte Glucksmann müde bei unserem Treffen, schwermütig, abgekämpft. Er erzählte von „Jurgen“, seinem Freund Jürgen Fuchs, dem Dissidenten aus der DDR, der sich mit der Uran-Produktion im Osten beschäftigt hat, dem niemand glaubte und der später an Blutkrebs starb. Eher amüsiert berichtete er davon, wie er sich in den 80er Jahren mit Joschka Fischer und den Grünen anlegte, mit deren Pazifismus. Glucksmann wolle, dass Deutschland Zugang zu Atomwaffen hat. Er befürwortete die Interventionen in Afghanistan und Irak, und bereiste unermüdlich die Krisenherde der Erde, Tschetschenien zum Beispiel. Nur kein Genozid mehr. Glucksmann hatte selber einen jüdischen Vater, der von den Nazis umgebracht worden war. Er und seine Mutter waren knapp dem Vichy-Regime entkommen.
Das falsche Spiel
Und der engagierte Intellektuelle von heute? Er zeigt sich in Gestalt des strahlenden und medienwirksamen Philosophen Michel Onfray. Der wird eigentlich dem linksliberalen Lager zugeordnet, nun wird ihm vorgeworfen, Ressentiments zu schüren und Stimmung für den Front National zu machen. Er hatte in einem Interview mit der Zeitung Figaro kritisiert, Themen wie Immigration und nationale Identität würden von den etablierten Parteien gemieden, obwohl sie für „das Volk“ wichtig seien. Der Islam „bedrohe die jüdisch-christliche Gemeinschaft“. Weil die Leute unzufrieden seien, würden sie extreme Parteien wählen.
Er spiele das Spiel des FN mit, monierten Liberation und andere Zeitungen. Der Philosoph verteidigte sich Ende September in Le Monde, er sei ein "sozialer Atheist", gehöre noch immer zur „libertären Linken“ (Denken und Genießen gehört zusammen in Frankreich). Er wolle keine Stimmung für eine Partei machen, wende sich aber enttäuscht gegen eine „falsche Linke“, die „Bobos“, die liberale Politik betrieben und so die Prekären in die Arme der Rechtsextremen trieben. Je mehr man das verschwiege, desto stärker werde der Front National.
So ähnlich hatte es auch bereits Michel Houellebecq formuliert. Mon Dieu! Damit, dass sich Onfray gegen das so genannte „Einheitsdenken“ in Saint Germain des Près auflehnt, steht er in der Tradition von Glucksmann.
Kommentare 5
Wahrlich, ein engagierter Intellektueller:
http://www.zeit.de/1999/16/199916.glucksman_.xml
"Beim Einsatz der Mittel darf es kein Zaudern geben."
Gar nicht schlecht, einmal einen, zum Renegatentum neigenden, trotzdem großen Intellektuellen zu ehren und auf einen zweiten hinzuweisen, der da auch verdächtigt wird, Frau Leinkauf.
Bezüglich Irak und Afghanistan könnte ich jetzt nicht aus dem Stand sagen, wie Glucksmanns endliches Fazit nach vielen Jahren des US- geführten Interventionismus, mit erschreckenden Opferzahlen in diesem Zeitraum, lautete. Ich habe ihn aus den Augen verloren, selbst zu müde und faul, auf seine Standpunkte noch zu achten. Jetzt ist er tot.
Was mir aber in Erinnerung ist und mir bei Intellektuellen gar nicht sonderlich gefällt, ist diese Entschiedenheit, die sich nach einigen Jahren in Luft auflöst und durch eine mehr oder weniger elegante Kehre, Wende, ohne allzu viel Selbstbespiegelung, ersetzt wird.
Das gilt zum Beispiel für die Pflege der Vorurteile gegenüber dem Islam, der derzeit von Radikalen in Knechtschaft genommen wird, die das so gut können, weil eben zwischen maroder Wirtschaft und viel Staub, bei einer meist armen Bevölkerung, die Flucht in eine angestammte religiöse Rigidität den letzten festen Halt bietet. - Dazu haben wir Westler aber so kräftig militärisch und politisch beigetragen, dass sich die Frage doch stellt, ob wir (unsere Regierungen) es nicht genauso wollten.
"Weil die Leute unzufrieden seien, würden sie extreme Parteien wählen." - Das ist völlig zutreffend. Es liegt aber auch daran, dass Sozialisten, Kommunisten und wenige Grüne die sozialen Sicherheiten, die immer zur französischen Republik gehörten, nicht mehr bieten wollen, auch wenn sie in der Verantwortung sind oder die Regierung tolerieren. Damit fehlt der linke Vertretungsanspruch, und nach dem greift Marine Le Pen. Sie will "kärchern".
Phönix-Sarkozy, mit vielen "Bobos" und "Bling-Blings" im Gepäck, ein Mann der fünf reichsten Familien Frankreichs, wird es schwer haben, ohne ähnliche Vorschläge nochmals eine Chance zu erhalten.
Es sieht düster aus, beim Nachbarn.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Ein engagierter Inellektueller gegen Fundamentalisten
Die Exil-Iranerinnen und Exil-Iraner im iranischen Widerstand trauern um den verstorbenen Glucksmann. Er hat sich mit Überzeugung für die Freiheitsbewegung im Iran und für iranische Dissidenten in Camp Liberty eingesetzt.
Javad Dabiran
glucksmann war ein selbst-denker, der sich damit das recht zum irrtum erworben hatte.....zu christoph: leider ist ein concours (wettbewerb) im gange: bei welchem nachbarn ist es düsterer? marianne ist gut von den blöcken abgekommen, michel war von hilfs-bereitschaft abgelenkt, hat aber enorme energien fürs dunkle... gut finde ich deinen hinweis auf das situationell bedingte der religiösen haltung. was aber mit blick auf die hinduisierung indiens, die radikal-islamisierung anderswo und die fundamentalismen in usa und israel nicht wirklich hoffnung weckt. gläubiger radikalismus ersetzt ent-täuschte polit-hoffnung. und davon gibts und wird noch viel kommen .oder?
zu islamismus-fragen kann ich den jesuitisch informierten p.scholl-latour: kampf dem terror-kampf dem islam? empfehlen, der auch das zutun der im schlepptau des hegemons usa befindlichen beleuchtet.
paris. the fire next time: is now ! das barbarische des feindes barbarisiert uns, schon in der bloßen abwehr.