Sie habe nach dem Mauerfall in der Redaktion der Zeitung Wochenpost einen verunsicherten Westmann erlebt, der sich nicht traute, ihr in den Mantel zu helfen, erzählt die Journalistin aus dem Osten. „Wie bitte? Du kannst mir immer in den Mantel helfen!“, rief sie verwundert.
Eine Westfrau, die häufiger in Ostberlin unterwegs war, fand es seltsam, dass ihr die Männer auf der Straße hinterherpfeifen, Bauarbeiter oder Bohemiens. Sie fand es auch irgendwie cool.
In unserem Wohnzimmerregal in der Wohnung in Berlin-Lichtenberg stand eine Platte von Manfred Krug. Auf dem Cover trägt er eine schwarze Lederjacke, sein Blick ist wild, arrogant, irgendwie melancholisch, er wirkt wie der junge Celentano, leichter Haarausfall, nur ohne Pferdegebiss. Krug war sexy, cool, rebellisch, anarchistischer Egoist. Er war sehr körperlich. Als Proletarier in seiner Rolle als Zimmermann und Brigadeleiter Hannes Balla im DEFA-Film Spur der Steine (1966) wirkte er echt (Krug hatte in der DDR eine Lehre als Stahlschmelzer gemacht, auch Celentano war stolz auf seine proletarische Herkunft). Andererseits war da der einfühlsame Sänger, der in weißem Hemd und Sakko auftrat, mit leichten Jazznummern. Krug redete in einem Interview mal über seine mehr als ein halbes Jahrhundert währende Ehe, da war er 75: „Bei mir überwiegt das Gefühl von Dankbarkeit für meine Frau. Sie hat den ganzen Mist all die Jahre mit mir durchgestanden. Eine Ehe geht gut, weil man sie lebt. Schauen Sie sich doch um: wenn man sich scheiden lässt, kommt auch nichts Besseres. Zu Hause hat es immer geschmeckt, das Essen war gut und es war immer aufgeräumt.“
Es klang irgendwie altmodisch, bisschen machohaft, andererseits: Was soll das sein?
Leute wie Krug stünden für ein bestimmte Art „unverschämter Männlichkeit, also einer Männlichkeit ohne falsche Scham“, sagt Olaf Georg Klein, der Philosoph und Psychologe ist, beim Neuen Forum mitmachte und sich heute als Coach und Autor mit Ost-West-Unterschieden beschäftigt. „Genauso konnten Frauen ihre Weiblichkeit zelebrieren. Das eine bedeutete in der DDR nicht automatisch Dominanz, das andere nicht automatisch Unterordnung.“
Mann und Frau, das waren in der DDR zwei Pole auf einer Ebene, auch die Vorstellung von oben und unten gab es nicht so wie im Westen. Ostmänner haben auch weniger Angst vor weiblichen Chefinnen, stellte Klein in zahlreichen Beratungssituationen fest. Sie hatten in ihrer Kindheit ja auch keine dominanten und zugleich depressiven Mütter erlebt, die zu Hause saßen, sondern Mütter, die morgens arbeiten gingen, manche wurden sogar Leiterinnen. Männer konnten sich im Osten auch keine Hausfrau oder Prostituierte kaufen: „Wenn sie Sex wollten, dann mussten sie sich auf Frauen einlassen, ihnen zuhören, sich auf weibliche Bedürfnisse einstellen.“
Wenn Frauen ihre Männer nicht mehr liebten, konnten sie jederzeit gehen und taten das auch, weil sie finanziell unabhängig waren. So konnten Männer und Frauen unverkrampfter flirten. „Es war gesellschaftlicher Konsens, dass du einer Frau als Mann erst mal ein kleines Kompliment machst, wenn du sie triffst. Das war eine Art Höflichkeit“, erzählt Klein.
Der Parteisekretär, der Macho
Als er nach dem Mauerfall Frauen aus dem Westen Komplimente machte, da sagten die zum Beispiel: „Was soll denn das jetzt? Wir wollten uns doch über meine Dissertation unterhalten!“ Heute müsse man so tun, als würde man einem Neutrum gegenübersitzen, sagt Klein, sonst stehe man gleich unter Generalverdacht.
Inzwischen lebt er seit Jahren mit einer Westfrau zusammen, die ihn hin und wieder warnt, dass bestimmte Sätze in den Ohren von Westfrauen schon sehr machohaft klingen. So ein Satz wie: „Da fallen ja die Männer in Ohnmacht, wenn sie dich so sehen“, gehe zum Beispiel gar nicht, das werde nicht mehr als Kompliment gehört, sondern komme schon voll sexistisch rüber.
Männer mit Geltungsdrang, die Sprüche machten, natürlich gab es sie in der DDR auch, sagt Klein, in allen möglichen individuellen Ausprägungen, mit Hofstaat und Geliebter. Da war der Elektromonteur, der im Haushalt nur mitmachte, wenn es ihm gerade passte. Der war viel auf Montage, sah Frau, Kinder, Küche nicht so als sein Thema. Seine Geliebte schon eher.
Die hießen im Osten Chauvinisten. Macho sagte keiner, das ist eher die gesellschaftlich akzeptierte Form im Westen, die Lust an der Übertreibung. Der Macho spielt ja den Macho mehr oder weniger, so wie bei Ekel Alfred.
Spieler wollten sie auch im Osten sein, rauchen wie Delon, lässig in eine Bar schlendern wie Sinatra, Whiskey trinken wie Bogart. Aber wer sie kannte, der wusste, sie sind harmloser. Sie sahen Frauen auf Augenhöhe, das war eingespeichert wie auf einer Festplatte. Sollten sie ihre kleine Show haben.
„Mama, warum wäscht Papa eigentlich nie ab?“, habe ich meine Mutter gefragt, da war ich vielleicht zwölf Jahre alt. „Dafür macht er andere Sachen“, antwortete sie cool. „Welche?“ – „Na, er hat die Kohlen aus dem Keller geschleppt, repariert das Auto oder den Kühlschrank.“ Er brachte uns morgens zum Kindergarten, meine Mutter holte uns am Nachmittag ab. Beide arbeiteten Vollzeit. Manchmal nahm mein Vater die Gitarre, während wir Teller spülten. „Ich unterhalte euch ein bisschen.“
Wo kommt eigentlich der Macho her?
Der Macho, spanisch für Männchen oder männliches Tier, ist eine aus Mexiko stammende Bezeichnung für den sich betont männlich Gebärdenden. Schon in Mexiko rang der Macho lange Zeit um sein täglich Brot, nämlich weibliche und männliche Anerkennung. Vom Ehrenmann, der für seine Familie sorgt, wurde er schnell zu einem, der sich damit brüstet, Frauen oder Männer körperlich zu dominieren – meist durch arrogantes und aggressives Auftreten. Die physische Gewalt, die dem häufig zugrunde lag, ging so weit, dass Frauen den „macho mexicano“ als rechtlich anerkannten Scheidungsgrund in Mexiko vorführen konnten.
Anfang des 20. Jahrhunderts kam das Wort dann zuerst in den anglo-amerikanischen und von da aus in den deutschen Sprachgebrauch.
Während in Mexiko die Frage, was dieses „betont männliche Gebärden“ beinhaltet, lange Zeit umstritten war, wurde der Macho im Deutschen recht schnell auf einen arroganten Aufschneider und plumpen Verführer reduziert.
Der österreichische Sänger Reinhard Fendrich belächelte diesen Typ Mann – der sich im vollen Bewusstsein der eigenen Männlichkeit als weibliches Lustobjekt inszeniert: In „einem Hintern wie Apollo“ erkannte Fendrich eines der wichtigsten Attribute des europäischen Machos. Obgleich die Bezeichnung „Macho“ die Überfahrt nach Europa erst im 20. Jahrhundert geschafft hat, ist das in Europa mit dem Begriff verbundene Männerbild kein importiertes Phänomen. Sondern es lebt – sich von der Sonne des Südens und bewundernden Blicken nährend – seit Jahrhunderten als selbstverständlicher Teil unserer europäischen Gesellschaft.
Es gab in der DDR keine Machokultur, auch weil Deutsche sich nicht zum Macho eignen, sie sind eher verklemmt, Duckmäuser, Untertanen, Mitläufer, was nicht heißt, dass sie in der Nachkriegszeit nicht ihre Frauen und Kinder verprügelt haben.
Andererseits gab es in der DDR keine starke Individualisierung wie im Westen. Diese Megamachos, wie in den 68ern in der Kommune I, dieser Befreiungsbewegung, die das gesellschaftliche Ich, Ich, Ich propagierte. Leute wie Dieter Kunzelmann, den sie in der Kommune wegen seines gebieterischen Auftretens Patriarch nannten. In der DDR konnte Freiheit im Privaten ausgelebt werden, aber sie wurde nicht gesellschaftlich postuliert.
Der Macho war die Arbeiterklasse mit ihrer führenden Rolle, der Proletkult, zumindest in der frühen Zeit, also die kollektive Form des Machismus. Der Macho war der Parteisekretär, dem hatten sich alle unterzuordnen, auch Männer wie Krug als Brigadier in Spur der Steine. Und die höheren Positionen waren in der DDR von Männern besetzt. Es gab mitunter Machtmachismus: der mächtige, zynische Kulturminister, der eine Affäre mit der Schauspielerin und Frau des Dramatikers unterhält, der seine Macht missbraucht, wie ihn Thomas Thieme im Film Das Leben der Anderen verkörpert. Aber es war nicht verbreitet, keine allgemeine Kultur. Die DDR war politisch so organisiert, dass die Gesellschaft nicht patriarchalisch war, aber diese jahrtausendealte Kultur, sie steckte manchen Männern in den Knochen, wie auch nicht?
Gerade bei der Nachkriegsgeneration, den Großvätern. Durch den Krieg waren die Frauen stark, weil sie zu Hause alles gemanagt hatten, während die Männer körperlich stark sein mussten oder als Helden starben. Sie kamen als seelisch Gebrochene zurück, waren innerlich verkrampft, suchten ihre Rolle, fanden sie in der Arbeit. Es gab diese überkommenen Rollenmodelle aus der Frühzeit: Papa arbeitet, Mama wäscht ab.
Die Kneipen waren immer voller Männer, vor allem in den 50er, 60er Jahren, das hatte was mit Kultur zu tun, mit einer Arbeiterkultur. Die Frauen waren zu Hause, machten Kinder und Haushalt.
Auch bei fortschrittlichen, aufgeklärten Menschen war das Zusammenleben so organisiert. Im Schriftstellerhaushalt Schlesinger/Wegner ging es zum Beispiel zu wie bei den Manns oder Brechts. Die ostdeutsche Liedermacherin Bettina Wegner (Sind so kleine Hände) erzählte mir einmal bei einem Besuch in ihrem Garten in Frohnau von ihrer Ehe mit Klaus Schlesinger und dem Leben, das sie mit ihm und den beiden Söhnen in den 1970ern führte: „Ich ordnete den Beruf dem meines Mannes unter. Wenn mein Mann Klaus Schlesinger geschrieben hat, machte ich Idiotin zu den Kindern: Pst, Papa schreibt.“ Diese Intellektuellen sind zwar aufgeklärt, aber beanspruchen für ihr eigenes kreatives Schaffen unendlich viel Raum. „Ich konnte jedes meiner Konzerte wahrnehmen, dafür hat Klaus gesorgt. Bloß wenn ich nach vier Tagen wiederkam: Chaos! Es wurde gekocht, aber nicht abgewaschen, ich musste alles nacharbeiten. Die Ehe war die einzige Front, wo ich nicht hätte schweigen sollen, sondern sagen: Diese Rolle passt mir nicht.“ Seltsamerweise nahm sie diese Rolle an. Jedenfalls stellte sie sie nicht grundsätzlich infrage. „Klaus verdiente das Geld. Es reichte für eine Fahrprüfung. Klaus hat gar nicht gefragt: Kann ich sie machen? Das war klar.“
Es waren verschiedene Vorstellungen, wo man sich verwirklichen will, im Schreiben, in der Familie, im besten Fall beidem? Es waren individuelle Paarabmachungen. Manche Männer waren nicht bereit, konsequent während der Kindererziehungsphase mitzumachen, in der Familie zu „arbeiten“ – letztlich haben sie getan, was für sie selbst am wichtigsten war, sich aus ihrer Sicht „nicht geopfert“ für etwas. Männer mit Geltungsdrang à la Krug, Biermann, selbstbewusste und durchaus selbstverliebte Stars, das waren sicher keine Machos im Sinne von: Frau muss sich unterordnen, ich entscheide alles allein. Andererseits trugen sie Züge einer Machokultur, Ansager, Macker, Fraueneroberer, Fremdgeher. Gleichzeitig sah man diese Männer, Kinderwagen durch die Gegend schieben, zumindest in den größeren Städten.
Nur keine Emanze
In kleineren, wie Wittenburg, da tanzten sie in der Disco mit freiem Oberkörper und trugen Oberlippenbart, das war normal. Bei Mopedrennen mit Frauen waren Männer sauer, wenn sie hinten lagen, „aber nicht weil es Frauen waren“, sagt ein Bekannter, der in der Gegend groß geworden ist. „Die Frau war gleichberechtigt, aber wenn ein Fremder sie in der Disco anquatschte, da musste man sie beschützen. Da bildete sich sofort ein Rudel.“ Das ist womöglich typisch Dorf, in Mecklenburg- Vorpommern oder der Toskana.
In der sogenannten künstlerischen/kulturellen „Boheme“ von Erfurt, Leipzig oder Berlin konnte man anders sein, seine Sehnsucht nach einem individuelleren Leben ausleben, Männer und Frauen. „Aber es wurde ein männlich definiertes Künstlerideal aus dem 19. Jahrhundert weitergelebt“, sagt Angelika Richter, Kulturhistorikerin, die zu Männer- und Frauenrollen in der Subkultur des Ostens forscht.
Maler, Dichter, Bildhauer hätten ihre Wirkung in den (Aktions-)Räumen der „zweiten Öffentlichkeit“ und im Privaten gesucht, die sie in der großen Öffentlichkeit nicht hatten. Viele Künstlerinnen hätten das unterstützt und zu Geschlechterhierarchien beigetragen, aus unterschiedlichen Gründen.
„Als Emanze oder Feministin wollte im Osten keine verschrien werden“, es passte auch nicht zur gesellschaftlichen Lebenssituation der Frauen, die sich als selbstbestimmt und ökonomisch unabhängig empfunden haben – und es meist waren. „Im Staat sahen sie ihren Feind, nicht im Mann“, sagt Richter.
Manfred Krug verführte mit dem Charme des Aufmüpfigen, des sanften Raubeins, dafür liebten sie ihn. Wäre schön, wenn die gesellschaftlichen Bedingungen sich so verändern, dass Männer und Frauen damit wieder unverkrampfter spielen können.
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