Der Versuch über Skype ging schief, alles verzerrt, Felix Kramer schlägt „eine grüne Bank“ am Kollwitzplatz vor. Alle Bänke sind hier grün, so leer, so frei, es erinnert an die Neunziger. Kramer trägt Sonnenbrille und hat Strandtücher mitgebracht, diese gestreiften marokkanischen Badetücher – wie aus einer verschwundenen Welt. Wir halten, natürlich, Abstand auf der Bank.
Kramer redet von Corona, er sieht es als Chance. „Leute verbringen Zeit mit ihren Kindern, die sie vielleicht nie hatten, es gibt Paare, die sich wiederfinden oder trennen, weil sie merken: Ich hab’s schon immer geahnt. Ist vielleicht so’n Prinzip Hoffnung, dass die Menschen daraus lernen.“ Er muss sich keine Sorgen machen, er hat gut gearbeitet in letzter Zeit. Seine neue Serie Warten auf’n Bus läuft im Fernsehen (siehe Kasten). Jeder kann sie sehen.
Kramer weiß, dass er Glück hat. Die beiden, die an einer Busendhaltestelle in Brandenburg sitzen – sie hatten Pech. Dieser Haltestelle, die mal „dit Tor zur Welt, die verdammte Schnittstelle zwischen Pampa und intelljentet Leben war“, als sie noch zur Arbeit fuhren, in die Stadt, oder sogar in den Urlaub. Inzwischen sind Hannes und Ralle frühinvalide, langzeitarbeitslos. Schon klar, denkt man: Zurückgelassene Ostmänner auf dem Land, solche, die Soziologen „abgehängt“ nennen. Und dann merkt man: Ist gar nichts klar. Es geht tiefer. Es ist eine Geschichte über zwei Endvierziger mit einer ostdeutschen Vergangenheit. Aufgrund ihres Alters gehören sie zur Wendekinder-Generation, oder wie man sie nennen will. Irgendwo in der Serie heißt es: „Wir haben die Kraft der zwei Herzen, wir können aus Scheiße Gold machen.“
„In Kung-Fu-Filmen würde man sagen, wir haben beide Techniken gelernt, den Kranich, das Ostding – zusammenhalten, soziale Kompetenz entwickeln –, und dann, in so einem entscheidenden Alter mit 17, 18, den Gibbon – dieses nach vorne gehen, reinwerfen, Erster werden“, sagt Kramer. Die Kumpels in der Serie haben eine gute Kiste mit Werkzeug. Warum können sie das nicht anwenden? Die beiden Freunde hocken da auch, weil sie auf jemanden warten, auf Kathrin, die Busfahrerin, die „oberste Liga“ ist, „nüscht für Sterbliche“. Beide werfen ein Auge auf sie. Hannes will Ralle ermutigen, ihn „verhökern“. Warum machst du das?, will Ralle wissen. „Weil ick ma will, dass eener von uns zwee beede Glück hat.“
Es geht um verlorene Träume in Warten auf’n Bus, ums Nicht-Ankommen, Gar-nicht-wissen-wohin. Sie kämpfen, probieren was, werfen Bierbüchsen ins Gras, sie waren mal kreativ, es war zu früh – oder zu spät. Ralle, einst harter Trinker, ist ramponiert, aber nicht apathisch, nicht zynisch. Der Typ Mensch, bei dem man nicht weiß, wann es kippt.
„Der kann doch was, denkt man. Wie bitte: Schon wieder gefeuert? Jeder kennt so ’ne Person in seinem Umfeld. Und dann hört man irgendwann: Der is nicht mehr, der hat Schluss gemacht, ist von der Brücke gesprungen“, sagt Kramer. Und erzählt von einem Berlinale-Empfang, auf dem er Anfang des Jahres war. „Da saß einer, den ich kannte, und haut so’n Satz raus: ‚Bin froh dass ich noch da bin.‘“ Es habe ihn nicht losgelassen, am nächsten Tag habe er ihm geschrieben: „Es beschäftigt mich. Wenn Du Hilfe brauchst, dann melde Dich.“ Es soll nicht heldenhaft klingen, sagt Kramer.
Seit der deutschen Netflix-Produktion Dogs of Berlin (Ende 2018) ist Felix Kramer erste Reihe. Plakate mit seinem Gesicht klebten an Bussen und Straßenbahnen, er wird auf der Straße angesprochen. Kramer muss lächeln. „Ich habe vor vier Jahren auf Netflix Fargo gesehen und zu meiner damaligen Freundin gesagt: Stell dir doch mal vor, einmal in so einem Original mitspielen! Ich musste selber drüber lachen. Ein halbes Jahr später bin ich in so einem Ding drin!“
Begnadeter Küchenrealismus
Die Ermittler kämpfen mit der Unterwelt, große Action, Jagd im Olympiastadion. Aber das eigentliche Drama handelt von einem Mann zwischen zwei Frauen. Der Cop hat eine Affäre mit einer alleinerziehenden Mutter in Marzahn (Anna Maria Mühe). Er kann diese schwache Frau lieben, gleichzeitig der anderen gegenüber loyal sein. „Biene, jetzt werd mal erwachsen. Mach mal die Augen uff, was draußen los ist“, sagt der Polizist zu ihr, es ist echt. Wie er redet, wie er guckt, dieses Beschützenwollen und es nicht können.
Die gestrandeten Brandenburger, die prekäre Mutter in der Trabantensiedlung – reiner Zufall, dass er in solche Geschichten gerät? „Nein“, sagt Kramer ernst, „das sind keine Klischees, das ist ein begnadeter Küchenrealismus. Das ist wirklich bei den Leuten zu Hause. Da sehe ich mich, da will ich als Schauspieler hin .... Wir haben ja gar keinen Plan mehr, was wirklich existenziell ist, sondern denken ans Intervallfasten: Mache ich jetzt lieber die 16/8h- oder die 14/12h-Variante?“ Er redet auch von sich selbst. „Ich bin ja auch verführbar, aber ich gebe mir Mühe, mich immer wieder rauszuholen, mit anderen Leuten zu reden. „Ich hab auf dem Bau gearbeitet, das justiert mich. Einer meiner ältesten Freunde hat gar nichts mit Schauspielerei zu tun.“
Mit Ronald Zehrfeld, der seinen Buddy Hannes spielt, ist Kramer seit den 1990er Jahren befreundet. „Ich hab ihm letzten Sommer beim Umzug mitgeholfen, Auto ausleihen, Kisten hochschleppen, noch mal in‘ Baumarkt fahren. Aber der hat mir glaube ich sechsmal beim Umzug geholfen. Es war an der Zeit!“ Praktische Sachen, für jemanden da sein: Ein Kumpel kann seine Miete nicht zahlen? Kein Thema! Darin bestehe Freundschaft. Und auch darin, dass jemand einem Kontra gibt, „einen aus der Komfortzone holt. In Warten auf’n Bus tun wir das“.
In der Serie hören Ralle und Hannes gar nicht auf zu reden. In Endlosschleife. Direkt, schonungslos, zärtlich. Manchmal labern sie einfach nur. Manchmal tut das weh. Sich nicht in Ruhe lassen als Alleinstellungsmerkmal für eine Beziehung. Hannes und Ralle arbeiten sich aneinander ab, halten sich aus, halten einander aus.
Seine Jugend verbrachte Kramer in Berlin-Mahlsdorf, Kaulsdorf-Nord, Marzahn, Hohenschönhausen. Bushaltestellen seien wunderbar gewesen, „um heimlich rumzuknutschen und zu rauchen, am besten beides gleichzeitig“. Es gab jede Menge Cliquen zu der Zeit, man ging in diese Mehrzweckhallen, das waren keine Tanzsäle, die sahen aus wie Streichholzschachteln. „Und dennoch ist der erste Kuss da sogar noch viel schöner, wenn drumherum Platte ist.“
Er denke jetzt öfter an die Zeit nach dem Mauerfall, sagt Kramer. An die Neunziger. Sie seien noch immer Dreh- und Angelpunkt seines Lebens. Es habe ihn durchgerüttelt. Fixpunkte wurden unscharf, verschoben sich. Kramer hatte gerade in Adlershof mit dem Tischlerberuf angefangen, sechs Wochen später ging die Mauer auf. „Ich fragte meine Eltern: Wie geht’s jetzt weiter?“ Wussten sie nicht.
Der Lehrmeister war von heute auf morgen weg, es kam ein neuer, er hat den ganzen Beruf nochmals völlig neu gelehrt.
Es lagen viele Jahre zwischen Lehre und Schauspielschule, ist viel passiert in den Neunzigern, Kramer hat das Abitur nachgeholt, als DJ aufgelegt, Partys veranstaltet. In seiner Clique, die in Clubs ging, war er plötzlich der absolute Spinner mit diesem Traum, Schauspieler zu werden. „Die sagten: Schauspielschule – was is’n das? Da gab es so Meinungen, wie was auszusehen hat, wie was zu sein hat. Wenn du da ausbrechen willst, dann entfernst du dich doch auf eine Art.“
Es würde abgeschmackt klingen, zu sagen, es sei ihm in die Wiege gelegt worden. Berufswahl ist mehr als nur Sehen und Nachmachen. Aber: Kramer ist Sohn der Schauspielerin Petra Hinze und des Regisseurs Jurij Kramer, er war als Kind auf Theaterproben, es hat sich so entwickelt. „Ich habe natürlich Erwachsene erlebt, denen es nicht zu blöd war, bei einer Gartenfeier auf den Tisch zu steigen und volles Rohr ein Lied zu singen.“
In den Neunzigern, da stand nicht nur seine Welt kopf, auch die seiner Eltern. Sich neu erfinden, ständig neu beweisen – das kannte man im Osten nicht so. Als die Mauer fiel, waren seine Eltern so alt wie er jetzt. Sie waren wer in der DDR; als die verschwand, wurde es schwierig. Sie waren nicht die Einzigen mit diesem Problem. Kramer hat diese Brüche aus der Sicht seiner Mutter wahrgenommen, bei der er aufgewachsen ist. Sie reden bis heute über diese Erfahrungen. Das Talent ihres Sohnes haben die Eltern früh gesehen, freuen sich über seinen Erfolg. Kramer hat mitbekommen, wie fragil dieser Beruf sein kann, auch ohne ’89, ohne Corona. Es schützte ihn vor Illusionen. „Wenn du jemanden kennst aus dem Metier, lernst du die Kehrseiten kennen. Es ist harte Arbeit. Und dann noch die Erfahrung der Neunziger.“ Der Schauspieler Kurt Böwe sagte mal zu ihm: „Wenn du keine Rolle hast, dann ist der Beruf ’ne hohle Faust. Du kannst als Schauspieler für dich selber keinen Tisch bauen.“
Coen Brothers meet Brandenburg
Slapstick Dialoge zweier Alltagsphilosophen: Ralle: „Warum ist dit lächerlich, dass ’ne Frau vom Bus und icke? Warum is dit lächerlich?“ Hannes: „Wie jeht denn dieser Spruch: Jeder sucht sein Unglück und man soll ihn dabei nicht stören: Aristoteles.“ Ralle: „Wat willste mir nicht sagen? Dass ich zu geringfügig bin oder wat? Man, is ’ne Busfahrerin, Alter.“
Acht Folgen lang quatschen Hannes (Ronald Zehrfeld) und Ralle (Felix Kramer) im Hinterland von Brandenburg in einem Bushaltehäuschen über Gott und die Welt. Drehbuchautor Oliver Bukowski hat die Dialoge der ARD-Produktion Warten auf’n Bus (ab jetzt im RBB und in der ARD-Mediathek) geschrieben, es sind lustige, schräge, tiefgründige Gespräche. Regie führte Dirk Kummer, für das treffsichere Casting der Serie war Suse Marquardt zuständig. Jördis Triebel spielt die Busfahrerin. Felix Kramer, geboren 1973 in Berlin, stammt aus einer Schauspielerfamilie. Erste Theaterauftritte in Stuttgart, Hamburg, München und Berlin. Er spielte unter anderem in Der Geizige, Macbeth, Medea und Andorra. Seit 2008 ist er selbstständiger Schauspieler. 2003 gehörte er zur Besetzung von Anatomie 2, 2014 zu der von Feo Aladags Zwischen Welten, der u. a. bei der Berlinale gezeigt wurde. Seit 2016 ist Felix Kramer neben Christian Kohlund im Zürich-Krimi zu sehen.
Außerdem spielt er in den beiden deutschen Netflix-Produktionen Dark (2017) und Dogs of Berlin (2018). Zuletzt war er als Kommissar im Kinofilm Freies Land zu sehen. Die Facebook-Gruppe „Mahlsdorf LIVE“ postete stolz Bilder von dem Schauspieler: „Aus Mahlsdorf hat es Kramer zu einem Schauspieler geschafft, der heute in der ganzen Welt zu sehen ist.“ Kramer lebt in Berlin-Prenzlauer Berg.
Mit 23 Jahren ging Kramer an die Schauspielschule Ernst Busch, nach dem Abschluss 2003 wurde er am Staatstheater Stuttgart engagiert. Er war dort willkommen. „Ich war Persona grata. Theater ist ja ein Mikrokosmos, da bist du wie ein Krimineller, du arbeitest, wenn du Geburtstag hast, wenn deine Mutter Geburtstag hat, das ist Freibeuterei. Das ist mir nicht fremd, gefällt mir sogar ein bisschen.“
Das Ostdeutsche war kein Hemmnis, es war sogar gefragt. Er werde immer wieder an diese Zeit erinnert, sagt Kramer. Zum Beispiel durch solche Rollen wie in Freies Land. Für den Film, der Anfang des Jahres im Kino lief, hatte er sich zwanzig Kilo angefressen, hatte sich reingekniet in diese Figur des abgehalfterten Kommissars in Rostock, mit ambivalenter Vergangenheit, im Jahr 1992. Keine Jubeljahre, sondern depressive Stimmung. Zusammen mit einem Westkollegen muss er da einen Fall lösen. „Der Versuch, diese Zeit so einzufangen, indem man sagt: DDR, Diktatur, Unrechtsstaat, der ist zum Scheitern verurteilt. Du kannst den Leuten nicht vorschreiben, auf welche Art sie sich zu erinnern haben. Es wird jemand aufspringen, der sagt: ,Ich war surfen.‘ Ein anderer saß in Bautzen: ,Erzähl du mir nicht, wie es war.‘“
Kramer will aber nicht auf seine Herkunft reduziert werden, er lebt in beiden Welten. „Ich definiere mich als Ostler, aber ich schmier mir nicht mein Brötchen als Ostler. Ich erinnere mich, weil ich ein Spielzeug habe, ein Lied höre, ich erinnere mich eher an meine Kindheit.“ Kramer hat einen guten Freund in Bremen, dem hat er ein Lied von Wladimir Wyssozki vorgespielt. „Der hat mich gefragt, ob das eine Kunstsprache ist. Nee, ist Russisch. Am selben Abend hat er noch herausgefunden, dass der Song Über sieben Brücken ursprünglich von Karat ist und nicht von Peter Maffay.“
Mit 47 Jahren sei er an einem Punkt, an dem er anders arbeiten kann, er werde jetzt in Stoffe und Projekte anders einbezogen. „Mich hat kürzlich ein Produzent gefragt: Was könnten wir dir denn schreiben? Da bin ich erst mal verstummt. Es gibt nichts Geileres.“ Manche Träume sind wahr geworden.
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