Die einfachste Antwort auf den Bierernst der Hochkultur ist Positionslosigkeit, ausgeführt mit einem Augenzwinkern, damit die Antihaltung nicht allzu bierernst rüberkommt. Postdramatisch, postironisch und identitätspolitisch nennt man das, was auf deutschen Bühnen seit gut 20 Jahren die breitbeinige Provokation, sprich den „Punk“, durch einen Safe-Space ersetzt. Richard Wagner wird liebevoll „Richy“ getauft, während alle im lustigen Fummel ihr Bestes geben. In diesem Geist fand kürzlich ein dreitägiges Festival namens Berlin is not Bayreuth statt.
Oper als Festival, als Utopie, E- und U-Musik sollten aufeinanderprallen, „Herzlichen Glückwunsch, du hast Mut bewiesen!“, gratulierte das Programmheft. Der gut fünfstündige Tannhäuser war in Wahrheit natürlich ein Hoax. Die Künstler hatten mutmaßlich eine Inhaltsangabe des Opernstoffs von 1845 gelesen, sie machten jeweils ihr Ding auf den verschiedenen Bühnen – man hatte diese dem Topos entsprechend „Grüner Hügel“ oder „Festplatz“ genannt. Das Gelände selbst ist ein ehemaliges Bahnbetriebswerk, halb verwildert mit Schlammboden und Gestrüpp, aber durchaus charmant. Im Ortsteil Rummelsburg gelegen, beherbergt das B.L.O. genannte Areal seit 2004 eine Ateliergemeinschaft von circa 100 Künstlern.
Berlin is not Bayreuth funktionierte nicht mal als Parodie einer Oper. Die Gruppe Glanz & Krawall – seit 2014 „zertrümmert“ diese laut Homepage die „Schutzmechanismen des Opern- und Theaterapparats“ – spann eine Erzählung über einen Campingplatz namens „Wartburg“. Irgendwie ging es diffus um Autorität. Eine Bläsergruppe begleitete gar nicht so schlecht komponierte Intellektuellenschlager. Mit strengem Stallgeruch der Berliner Schaubühne und der Schauspielschule Ernst Busch wurde harmloser Dada zelebriert, über Wortspiele gekichert. Motive wie der Lohengrin’sche Schwan wurden gezeigt (Plastikfigur) und waren deswegen abgehakt. Zur selben Zeit, ein paar Meter weiter, spielte das Duo Tanga Elektra von den gängigsten Wagner-Leitmotiven inspirierte Stücke mit Sprechgesang, Geige und Loopstation. Im „Venusberg“ gab es – Überraschung! – Vagina-Kunst zu sehen.
Bayreuth ist doch schon queer
Eine Auseinandersetzung mit den absurden Strukturen der modernen Bayreuther Festspiele, einem Event, das der bayerische Ministerpräsident Markus Söder beim diesjährigen Staatsempfang als „wichtigste Kulturveranstaltung Bayerns“ bezeichnete, versäumte man hingegen gänzlich. Man zwinkerte sich zu und gefiel sich bestens im harmlosen, oberflächlichen Nonsense. Dabei bieten die echten Festspiele mit ihrem lächerlichen Pomp, ihrer geltungsbedürftigen Leiterin, ihrem prominenten, stinkreichen Publikum und nicht zuletzt ihrer jährlichen Subventionierung von circa sieben Millionen Euro deutlich mehr Angriffsfläche als das ewige Bestehen darauf, dass der dort gespielte Opernstoff nichts anderes als muffig und deutschtümelnd sei. Man sollte mitbekommen haben, dass sich heutzutage in Bayreuth problemlos mit dem Adjektiv „queer“ geschmückt wird: Im Rahmen der diesjährigen Premiere des Tannhäusers (der Freitag, 31/2019)trällerte Le Gateau Chocolat, ein Drag-Künstler aus London, Karaokesongs.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.