Der Russ Meyer von Daundda

Im Gespräch Gary Vanisian über den argentinischen Filmemacher Armando Bó, die Arbeit eines Filmkurators und und die Vorteile des Digitalen bei der Projektion
Ausgabe 33/2017

Vom 18. bis 20. August veranstaltet das Filmkollektiv Frankfurt unter dem Titel Tropische Sinnlichkeit eine Hommage an den argentinischen Regisseur Armando Bó und seine Muse und Hauptdarstellerin Isabel Sarli. Es dürfte die erste Schau dieser Art in Deutschland sein. Kurator Gary Vanisian erzählt im Interview, was ihn an Bó fasziniert und warum dieser so oft mit Russ Meyer verglichen wird.

Der Freitag: Wie kommt man auf einen argentinischen Filmemacher, den keiner kennt?

Gary Vanisian: Christoph Draxtra vom Hofbauer-Kommando hatte mir einst von Armando Bó und seinem Werk erzählt. Als ich dann vor zwei Jahren im Werkstattkino München eingeladen war, das Filmkollektiv Frankfurt vorzustellen mit einem Film meiner Wahl aus dem Archiv des Werkstattkinos, habe ich mir einen von Bó gewünscht. Das Werkstattkino ist das einzige mir bekannte hierzulande, das überhaupt Filme von Armando Bó besitzt: zwei, die damals in Deutschland rauskamen, einen in US-amerikanischer Fassung. Das war meine erste Begegnung, eine völlige Offenbarung: Wie verrückt und verwegen, wie sinnlich und dramatisch Kino sein kann, ohne dass man das Gefühl hätte, man schaue einer Parodie zu.

Welcher Film war das?

La tentación desnuda (1966), also: Die nackte Versuchung. Verliehen wurde er hierzulande in den 1960er Jahren unter dem Titel Naked. Eine Frau strandet auf einer Insel, die nur von Plantagenarbeitern bewohnt ist, und wird vom Chef aufgenommen. Gespielt wird sie von Isabel Sarli, der Chef von Bó selbst, der als Schauspieler angefangen hatte. Er verliebt sich in sie, die anderen Arbeiter begehren sie aber auch, so entsteht eine Mischung aus Film noir und Kolportage. Bó wird ja auch als argentinischer Russ Meyer bezeichnet.

Zu Recht?

Russ Meyer ist für Filme mit vollbusigen Darstellerinnen bekannt, das trifft bei Bó zu, aber bei ihm ist es immer Isabel Sarli. Russ Meyer pflegte einen opernhaften Exzess, was die weibliche Brust betrifft, es ging um Parodien und Überzeichnungen US-amerikanischer Hillbilly-Welten. Bei Armando Bó ist alles ernst gemeint. Der Vergleich wurde popularisiert durch eine Liebeserklärung von John Waters an Bó.

Brauchen Sie solche Vergleiche nicht laufend, weil Sie das Publikum für Leute begeistern wollen, die man erklären muss?

Griffige Vergleiche sind möglich, aber so marktschreierisch wie die deutschen Verleiher in den Sechzigern wollen wir nicht sein. Da hielten die Filme oft nicht, was die Werbung versprochen hatte.

Zur Person

Gary Vanisian, Jg. 1987, hat Jura studiert. Er macht Filme und kuratiert Reihen wie die über Armando Bó. 2013 hat er das Filmkollektiv Frankfurt mitgegründet, einen Verein, der sich dem „unterrepräsentierten“ Kino widmet und zu einem Netz von cinephilen Idealisten in Deutschland gehört

Wie erklärt man Bó dann?

Wie Wagner-Musik, die auf unvoreingenommene Ohren trifft: überwältigend und pathetisch auf eine Weise, die heute in den Bereich von Kitsch und Geschmacklosigkeit geriete. Der Kritiker Hans Schifferle hat mal über Fuego (1968) geschrieben: „Bürgerliche Geschmacksvorstellungen muss man vergessen und auch den Selbstschutz ablegen, Gefühlsdarstellungen nur ironisch zu betrachten.“ Bós Filme sind sinnlich, erotisch, nicht plakativ. Es geht darum, dass Menschen Begehren haben, die über das hinausgehen, was die Gesellschaft an Möglichkeiten bietet. Fiebre (1972) wurde von der Zensur gekürzt, Fuego war zehn Jahre verboten. Dann lief er in Uruguay, und die Leute aus Buenos Aires sind dahin gepilgert. Bó war zumeist kommerziell erfolgreich, Isabel ein Sexidol.

Wie organisiert man die Werkschau eines argentinischen Filmemachers, den keiner kennt?

Beim Festival in Bologna habe ich letztes Jahr Fernando Peña kennengelernt, einen argentinischen Kurator, der ein Privatarchiv hat. Ein schillernder Typ, ihm verdanken wir die kürzlich gefundenen 20 Minuten von Metropolis. Er hat leider irgendwann die Kooperation eingestellt und das Projekt stand auf der Kippe, aber er hat den Anstoß gegeben. Ich habe dann das argentinische Pendant zum Bundesarchiv angefragt, das INCAA, das Instituto Nacional Cine y Artes Audiovisuales. Ich hatte vermutet, die könnten wie das Bundesarchiv sein. Ich bin da aber auf Maria Nuñez gestoßen, die herzlich, aufgeschlossen und begeistert davon war, dass sich jemand in Übersee für Bó interessiert. Das INCAA hat knapp ein Dutzend Filme von ihm, sechs davon waren in projizierbarem Zustand. Unsere Auswahl besteht also darin, zu zeigen, was verfügbar ist. Zufällig hat sich eine ziemliche Bandbreite ergeben: ein Fußballfilm, zwei Komödien, zwei erotische Filme, der Abenteuerfilm von 1958 mit der ersten Nacktszene des argentinischen Kinos. Das INCAA hat dann das Außenministerium eingeschaltet, das kurzfristig den Transport übernommen hat. In der Filmoteca de Catalunya in Barcelona haben wir dann überdies noch eine Unikatskopie von Fiebre gefunden.

Wie viele Filme hat Bó gemacht?

30. Wir zeigen 10. Und einen Dokumentarfilm über ihn und Sarli.

Auf Spanisch?

Fünf musste ich selbst untertiteln mit argentinischen und spanischen Freunden. Das war eine Heidenarbeit.

Wie sieht die aus?

Wir schauen den Film, jemand, der Spanisch kann, transkribiert. Auf Basis dessen übersetze ich dann ins Deutsche und Englische. Das ist alles sehr artisanal, handgemacht. Aber es fehlt das Geld für professionelle Übersetzer.

Und dann?

Wir projizieren die 35-mm-Kopie, stellen parallel dazu einen Beamer auf, kleben das Objektiv ab und richten ihn so ein, dass er auf den unteren Teil der Leinwand zeigt. Darüber läuft dann mit einem Freeware-Programm die Live-Untertitelung via Timecoding. Die Kopie bleibt unangetastet. Das ist für mich der größte Vorteil des Digitalen: Filme, die man früher nur im Original hätte zeigen können, heute so untertiteln zu können.

Sonst ist alles analog.

Idealistische Cinephilie: dass man eine Idee hat, von einem Programm aus einem für uns exotischen Land träumt und tatsächlich irgendwann sechs 35-mm-Kopien aus Argentinien nach Deutschland kriegt, die vielleicht zum letzten Mal projiziert werden. Eine Art Wunscherfüllung, an die man sich in Dankbarkeit erinnern wird.

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