„Braucht’s das?“

Interview Hamze Bytyci über Roma und nervige Klischees – im TV-Film „Eine Braut kommt selten allein“
Ausgabe 48/2017

Am 6. Dezember läuft in der ARD die Komödie Eine Braut kommt selten allein (Regie: Buket Alakuş, Buch: Laila Stieler). Johnny (Paul „Sido“ Würdig), den die Frau und Mutter der gemeinsamen Tochter verlassen hat, wird erst mit Avram (Rauand Taleb), dann mit Sophia (Michelle Barthel) und schließlich deren ganzer Familie bei sich zu Hause konfrontiert. Einer Roma-Familie.

der Freitag: Herr Bytyci, wie fanden Sie den Film?

Unsere Minderheit wird ihn sich anschauen, wird mal schmunzeln, mal das Zynische sehen, mal positiv überrascht sein, dass man gewisse Sachen überhaupt erwähnt, und mal Momente des Fremdschämens erleben. Der Film hat mir gezeigt, dass es höchste Zeit ist, dass wir unsere Geschichten erzählen.

Immerhin haben bekannte Roma-Darsteller mitgewirkt.

Das ist der Gewinn des Films, dass Leute dabei waren, die von innen kommen. Nedjo Osman etwa, der den Vater gibt, war Schauspieler des Theaters Pralipe

Theater Pralipe?

Einer der ersten Roma-Theater in Europa. Gegründet von Rahim Burhan, den wir gerade zum Herbstsalon im Berliner Gorki-Theater eingeladen hatten. In Deutschland ist Pralipe bekannt geworden, weil Roberto Ciulli es damals ans Theater an der Ruhr nach Mülheim geholt hat. Oder Nebojša Marković, der den Bruder Florin im Film darstellt, der hat mit Volker Lösch gearbeitet, genauso wie sein Bruder Slaviša, der als Fachberater engagiert war.

Zur Person

Hamze Bytyci, Jahrgang 1982, ist Schauspieler, Filmemacher, Aktivist und Politiker (Die Linke). Er arbeitet als interkultureller Familienhelfer, 2012 gründete er RomaTrial e.V., im Oktober organisierte er das Filmfestival Ake Dikhea?. Aktuell spielt er im Gorki-Theater Berlin im Stück Roma Armee.

Was ist Ihre Kritik am Film?

Der Film will mehr als nur eine Geschichte erzählen. Wie beim Sterntaler: Man kann nicht alles auf einmal auffangen. Ich habe irgendwann den Überblick verloren: Geht es um Johnnys Verhältnis zu Tochter und Ex-Frau, was spannend wäre, weil Sido Sinto ist, aber keine Sinti-Klischees bedient? Dann kommt Avram, der bei ihm wohnt und auf den Strich geht, was auch spannend wäre – was ist der Preis dafür, hier bleiben zu dürfen? Dann kommt aber Avrams Schwester dazu, Sophia, die einfach da ist. Aschenputtel-Style.

Sophia sitzt bei Johnny vor der Tür – rotes Kleid, Schleier.

Sie ist wunderschön, süß, jung – und fett das Klischee aus Carmen. Nett gemeint, aber gefährlich.

Das Verlieben geht auch fix.

Das ist das Carmen-Klischee: Die sind willig, die machen’s mit jedem – so stellt man sich ein naives Mädchen mit dem Hintergrund vor. Immer willig, immer süß, immer positiv. Immer gleich, schon das ist langweilig. Und dann kommt die Familie mit rein, ätsch-bätsch. Dieses Bild ist allgegenwärtig: Wir sind die Wilden, Wollüstigen. Aufdringlichen. Puuuh.

Der Film ahnt, dass er mit Klischees arbeitet: Wenn die Familie das erste Mal aus dem Bus steigt, korrigiert er sich. Halt, so viele sind es nun auch nicht.

Aus der Sicht eines Filmemachers ist das witzig: Man kann bildlich etwas erzählen. Das gilt auch für die Szene danach, wenn Johnny quer durchs Bild läuft und die Familie ihm hinterher. Einer nach dem anderen, wie bei Enten. Aber was will man damit sagen?

Seiner Tochter erklärt er Sophia und ihre Familie als Märchen.

Die Prinzessin und ihr Hofstaat. Ich habe das auch wie ein modernes Märchen wahrgenommen. Aber dann gibt es darin fast schon protestantische Grundzüge – die Familie hat ein wahnsinniges Gewicht, du sollst nicht vor der Ehe die Jungfräulichkeit verlieren.

Wird damit auch was getroffen?

Es gibt bestimmt Gruppen, bei denen das so ist. Aber das ist nicht so allgegenwärtig, wie der Film tut. Deutschland ist ein Land mit einer Roma-Geschichte, die 600 Jahre alt ist. Erzählt wird sie, als wären es Außerirdische, die seit gerade 20 Jahren aus dem Balkan-Krieg herkommen.

Ein Film über Roma muss so aussehen aus Sicht der Mehrheit, sonst würde man nicht erkennen, dass es um Roma geht.

Eine Nicht-Romni sollte keine Roma-Filme machen. Das klingt total blöd, weil technisch alle Filme machen können. Aber wenn ich keinen Bezug habe zu Leuten, dann sind sie mir auch egal.

Oder man müsste von sich erzählen, nicht von den anderen. Sich fragen, warum können wir Nicht-Roma diese Gruppe nur in so krassen Bildern wahrnehmen.

Das ist doch krank. Kann man so mit einer Gruppe umgehen?

Es wird dauernd gemacht, diese Bilder sitzen sehr tief.

Aber mit welcher Begründung? Als Filmemacher hab ich doch auch ein ethisches Empfinden. Emir Kusturica hat uns Roma einen Bärendienst erwiesen mit Schwarze Katze, weißer Kater von 1998, davor mit Time of the Gypsies. Das hat sich eingebrannt bei der intellektuellen Klasse in Europa, die behauptet zu wissen, was richtig oder falsch ist. Wenn man diesen Film wiedergeben will, was ist dann die Essenz? Die Familie wird abgeschoben, aber Sophia nicht, die ist irgendwie befreit worden. Hä?

Davor gibt’s noch ein Konzert.

Warum muss eine Roma-Geschichte mit Musik enden? Und dann noch mit Djelem, Djelem. Für uns ist das witzig, ein Code.

Inwiefern?

Das ist unsere Hymne. Aber die wird durch den Kakao gezogen. Letztlich geht es da um die blonde Frau mit dem Akkordeon, sie solidarisiert sich, sie ist die Brücke.

Sie trifft den Ton bei der Familie.

Das ist wieder protestantisch: Den Bedürftigen muss geholfen werden, die Weißen bringen dem Zoo die Musik. Entschuldigung. Musikalisch müssen wir uns nicht verstecken. Und was bleibt von der Szene? Wir verkacken unsere eigene Hymne, uns ist nichts wichtig. Solche Momente muss man mal tiefenpsychologisch sehen. Und in dem Ende, das sage ich vorsichtig, spukt für mich auch Auschwitz mit rum. Von der Bühne rennt die Familie durch den Keller vom Musikclub, man fühlt eine Enge, es gibt Perspektiven, in denen die Kamera von oben, der Macht, nach unten schaut auf die Ohnmacht. Dann kommen sie raus, die Treppe hoch: Zäune, keine Ausgänge, Aufpasser in dunkler Kleidung. Da kommen viele unterschwellige Bilder hoch. Braucht’s das?

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