Der heißt eigentlich Frank!

Tatort Wenig Spannung, komischer Nebenstrang, aber man hat was zu schauen: Der Berliner Tatort "Die Unmöglichkeit, sich den Tod vorzustellen" operiert im Kunstbetrieb

In der Tatort-Folge mit dem – zur Abwechslung – schönen Titel Die Unmöglichkeit, sich den Tod vorzustellen treffen wir auf zwei Parallelgesellschaften, die wiederum Abwechslung bieten von den Milieus, mit denen man es am Sonntagabend normalerweise zu tun hat: das deviante Kunstbiz und den Wissenschaftsbetrieb. Das ist schon einmal herrlich. Und geht auch gleich so los: Max von Thun spielt den Maler Hanns Helge. Das zwar nicht lang, weil er bald tot ist, dafür aber recht intensiv. Helge – der und dessen Kunst erinnern an eine Mischung aus Christoph Schlingensief und Jonathan Meese – ist ein großes Kind, das in einer Galerie seine Entourage ordentlich auf Trab hält. Den Assistenten Markus Kuhn (Joram Voelklein), die Muse Patty (Josefine Preuß), die Galeristin Oona von Wilm (Karoline Eichhorn mit crazy Locken einmal nicht als Nachtschattengewächs an der Seite eines Mannes beziehungsweise des so harten Lebens), den Sammler Urs Büchner (der große Bernhard Schütz, der leider nur sehr wenige Auftritte hat). Mordsgaudi vor der Ausstellungseröffnung: die Muse hängt ab, der Assistent räumt hinterher, der Sammler darf mal kurz rein und die Galeristin freut sich. Wer schon immer der Ansicht war, dass Künstler nicht alle Tassen im Schrank haben, wird hier keines Besseren belehrt. Hanns Helge ist anstrengend, lässt sich von allen aber aushalten durch den Wohlstand, den er verbreitet.

Dann ist der Künstler tot, und die Entourage wird mit einem Schlag zum verdächtig – eben wegen des anstregenden und Wohlstand verbreitenden Künstlers. Die Ermittlungen ziehen sich, was auch daran liegt, dass Kommissar Ritter (Dominic Raacke) abgelenkt wird durch den Selbstmord seines Onkels (Thilo Prückner). Die Verzahnung der beiden Geschichten ist nicht unoriginell: Ritter wird, nachdem er am Tatort Galerie (der Künstler liegt begraben unter dem eigenem Werk) eingetroffen ist, von einem Streifenpolizisten herausgebeten und über das Ableben des Onkels informiert.

Auch wenn der Seitenstrang zur Privatisierung Ritters nicht sonderlich originell oder gar unnütz ist, auch wenn die Ermittlungen lange Zeit nicht vom Fleck kommen und das Ende überhastet kommt und unbefriedigend wirkt sowie die von uns geschätzte Spannung nicht unbedingt Schmiermittel dieses Tatorts ist: Man schaut Die Unmöglichkeit, sich den Tod vorzustellen doch gern, weil einen die Dissidenz vom normalen Leben entzückt. Immer sympathischer wird uns der eh schon unglaublich sympathische Kommissar Stark (Boris Aljinovic), der sich – im Kontrast zu Ritter und Ernst-Georg Schwills Weber – als gebildeter, kunstsinniger Mensch zu erkennen gibt und außerdem ein wenig mit der Galeristin flirten darf. Das Drehbuch (Beate Langmaack) hält ein paar schöne Dialoge bereit ("Anna Linde, der Pförtner meint/dass ich sie hier finde") und gelungene Wortspiele (die Galerie heißt "Wilmart"; an der Klingel von Büchner steht "Dantons Tod"), kurz man ist beschäftigt mit der ewigen Extravaganz des Kunstbetriebs, der der Stulligkeit des eigenen Lebens erklärt, dass man ja doch keine Ahnung hat ("Ihre Leute zerpflücken ein Kunstwerk!").

Hoher Schnepfigkeitsfaktor

Der, sagen wir einmal, Schnepfigkeitsfaktor ist in solchem Umfeld fast so hoch wie im schnepfigsten aller Filme aller Zeiten – Marlene Dietrich von Maximilian Schell. Nicht wegen der Dietrich, sondern dieser unglaublich herablassenden Cutterin, die gleich am Anfang einer alten Frau, die wohl so was wie das normale Leben sein soll, erklärt, dass sie den Film nicht "zerschneidet", sondern "schneidet": "Sie zerschneiden ja den Film!" – "Ichzerschneideihnnicht, ichschneideihn, ichbinCutterin!"

Solche Höhen der Arroganz werden hier erklommen von der Galeristin, der Mutter des Toten – die zugleich, wie bei Schell die alte Frau, das so genannte normale Leben repräsentiert, dem der räudige Kunstbetrieb den Sohn genommen hat ("Der heißt eigentlich Frank") –, vor allem aber von der über Helge promovierenden Kunsthistorikerin Anna Linde (Brigitte Hobmeier), die dauernd mit ihrem Theoriequatsch angeben muss und für unsere Begriffe vom universitären Mittelbau einen sonnigen Lebensstil pflegt.

Die Pointe der Aufklärung ist zudem eine, die künftige Doktoranden der Moralphilosophie beschäftigen sollte: Die vom realitätsfeindlichen Künstler geschwängerte Kunsthistorikerin tötet den Vater ihres Sohnes, damit sie dem später nichts von nicht existierender Liebe erzählen muss. Und die Rechnung geht auf, weil der durch die Tat für eine Zeit mutterlose Sohn zwangsläufig als Enkel von Helges Mutter angenommen wird, der hinterlassene Wohlstand außerdem ein sorgenfreies Leben nach dem Gefängnisaufenthalt garantiert. Eine für alle Romantiker des Kunstbetriebs zugegeben wenig tröstliche Lesart, weil sich eben keine Sau für das Leiden des Künstlers oder seine Arbeit interessiert, sondern allein der Erfolg zählt, den er hat.

Aber wie sagte schon der Genosse Lenin: "Das Leben ist konkret."

Dieser Tipp kommt vermutlich zu spät: Man sollte unmittelbar vor dem Tatort eigentlich Didi, der Doppelgänger geguckt haben. Nicht nur weil der auch in (West)Berlin – 30 Jahre zuvor – spielt, ebenfalls zwei sich fremde Milieus miteinander konfrontiert werden und Thilo Prückner dort auch eine Rolle hat, sondern weil der ganze Irrsinn dann noch strahlendere Blüten treibt.

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Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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