Ein Rentner aus Spandau

Tatort Play it leise: Die Berliner Folge "Machtlos" dimmt für ihren originellen Entführungsfall persönliche Gefühle runter, um nach globaler Verteilungsgerechtigkeit zu fragen

Berlin, da war doch was, auf das noch mal zurückgekommen werden muss: das Ende der letzten Folge Dinge, die noch zu tun sind, und die Frage nach der Verantwortung der Kommissare Tilli (Dominic Raacke) und Soffy Stark (Boris Aljinovic), die eine Mörderin überführt haben und sie trotzdem in den Urlaub entlassen, damit sie die letzten Tage on earth (Krebs) nicht in U-Haft, sondern auf U-sedom oder zumindest an der Ostsee verbringen kann mit den Kidz.

Hotte Diskussion seinerzeit hier, und nun also der nächste Berliner Streich, Machtlos – und wie vermutet behandelt der Tatort das kapitale Problem mit Rechtsstaat und so radikal inkonsequent. Es wird nämlich mit keiner Silbe darauf eingegangen, der Tatort ist eben, seufz, eine Reihe und keine Serie, er fängt mit jedem Film wieder bei einer Art Null an. Und für diesen Reihencharakter spricht nichts besser als der Umstand, dass Machtlos auf Dinge, die noch zu tun sind gar keinen Bezug nehmen kann (oder nur, wenn es ein allerweitsichtiges Supervising aka Koordinieren gäbe), weil Machtlos nämlich vor Dinge gedreht wurde, Dinge aber, weil doch ARD-Themenwoche "Death" war, ratzfatz vom Schneidetisch weg gesendet wurde, während Machtlos eben erst jetzt kommt. So viel dazu. Man lernt nie aus.

Machtlos ist nun aber auch ein schönes Beispiel für den Vorteil der Vielfalt, die die Produktionsbedingungen des Tatort bieten. Lange nicht so gutes Berlin gesehen (und Dinge war ja durchaus ansprechend), der UEFA-Cup ist sicher, die Qualifikation für die Champions League möglich, nur mit der Meisterschaft wird's wohl nix, die läuft in dieser Saison über die Bayern aus München aka das Hinrichs-Abenteuer.

Nach den Satiren

Klaus Krämer (Buch und Regie) hatte sich bereits mit dem nicht unintelligenten Hitchcock-Referenz-Fall Hitchcock und Frau Wernicke empfohlen als Autorenfilmer der beliebten ARD-Sendereihe, der mit einem eigenen Style für sich einzunehmen weiß. Man muss ihn sich wohl als großen Melancholiker vorstellen, "nach den Satiren", wie der Dichter dichten würde. Wie 2010 ist der Grundton auch diesmal von unvergleichlicher Ruhe, die Beamten sind müde und flüstern fast die ganze Zeit und fahren früh am Morgen die leere Bismarckstraße entlang nach Hause, um eine sogenannte Mütze Schlaf zu nehmen, wobei man natürlich sofort an Tarkowskis – was it? – Solaris denken muss, in dem die Welt der Zukunft, also Tokio, ganz menschenleer aufgenommen wurde am frühesten Morgen. Hübsch an der Szene in Tillis Universaleinzimmerwohnung (Kochen, Essen, Wohnen, Schlafen – all in one) ist zum einen die fast liebevolle Einleitung von Soffy Stark (Boris Aljinovic): "Kann ich bei dir pennen?". Und zum anderen die letztlich doch grobe oder vielmehr unpraktische Männlichkeit von Tilli – ein einfühlsamerer Charakter hätte dem sogleich weggepoften Kollegen doch wenigsten die Schuhe ausgezogen.

Die auf erschöpftes Pflichtbewusstsein runtergedimmte Anlage von Machtlos ist um so erstaunlicher, insofern jeder herkömmliche Tatort angesichts des Themas kalkulierte Hysterie gekriegt hätte: Das Kind eines Bankdirektors ist entführt worden aus der Wohnung von Ludwig II. (Sabin Tambrea), der hier als Musiklehrer Neuschwanstein eher ideell in kostbaren Reichensprössen zu errichten versucht. Der Entführer, Uwe Braun, ist ein komischer Vogel, der durch sein aufreizendes Verhalten (die erste Tranche Lösegeld wird umgehend auf dem Alex verteilt) die dienstvernagelten Beamten an krasseste Pathologien denken lässt, weil die sich einfach nicht vorstellen können, dass jemand neither aus Rache nor aus Habgier handelt. Edgar Selge, und das zeigt die Reflektiertheit von Krämers Inszenierung, spielt ganz low und ohne jene mühsame Schauspielereitelkeit, die selbst beziehungsweise gerade im Kammerspiel dem Zuschauer und den Kollegen etwas von der eigenen unendlichen Kunstfertigkeit beweisen müsste.

Die Geschichte ist spannend, sie ist politisch und sie ist unkonventionell aufgelöst – die Szenen an der Weltzeituhr aufm Alexanderplatz scheinen den Mangel, den ganzen Platz nicht tagelang für Dreharbeiten sperren und ein Heer aus Komparsen beschäftigen zu können, fantasievoll zu bearbeiten: durch die Observation von oben. Das Ende der Szene, wenn der Zugriff erfolgt und tout à coup die Undercoverexistenzen eingreifen, erinnert den fernsehbildgeschichtlich geschulten Zuschauer an Aufnahmen von Demos um 1989, in denen immer so lederjackenbewehrte Stasifritzen feindliche Elemente aus der Masse herauszulösen versuchten, die von dieser Masse aber nicht mehr losgelöst werden wollten. (Im alten Polizeirufvorspann kann man die zivilisierte Variante davon beobachten, wenn ein westlich-dekadenter Rumlungerer – könnte ebenfalls auf dem Alex sein – von den Genossen Volkspolizisten kassiert wird).

Schlechte PR in eigener Sache

Das Politische in Machtlos ist die Umverteilungsgerechtigkeitsfrage, die Uwe Braun stellt. Dafür, dass der Tatort nicht dazu da ist, die Zweifel am System zu nähren, geht Machtlos ziemlich weit – Uwe Braun ist zwar erst politisiert worden durch die Erfahrung von persönlichem failure, bei dem ihm der heute erfolgreiche Bankdirektor (Horst-Günter Marx) übel mitgespielt hat, aber er adressiert seine Forderungen klugerweise eben gesellschaftlich.

Die Verbindung zwischen den Nahrungsmittelspekulationen und dem Bankerfolg von Papa Bankdirektor hätte zwar deutlicher herausgestellt werden können, um an Triftigkeit zu gewinnen – so wie die Achillesferse von Brauns "Zeichensetzen" die schlecht vorbereitete PR in eigener Sache ist: Um auf das Dilemma hinzuweisen, das ihm vor Augen steht, hätte die Forderung klarer formuliert werden müssen – und nicht erst in den Aufweichungsgesprächen mit Sohn (Selges richtiger Sohn Jakob Walser jr. mit dem unglücklichen, weil an einen bekannten Berliner Mitternachtsnotarkurzzeitsenatoren erinnernden Rollennamen Michael) und Anwalt (der große Ulrich Voß mit einem herrlichen Auftritt als altes Haus of Justice) ans Tageslicht kommen dürfen. Dann wäre die Verhandlung darüber, dass der Wert eines Menschenlebens davon abhängt, wo es sich ereignet, vielleicht über das – von Ritter und Stark – betriebene Schachern wie im Koalitionsausschuss (5 Jahre gegen 15 Jahre) hinausgegangen.

Der Ausgang der Beratungen folgt den Erfahrungen aus Tarifverhandlungen mit der IG Metall – man treibt den Preis hoch, um eine Minimalforderung durchzukriegen, die hier in der moralischen Verpflichtung der Bankdirektorgattin (Lena Stolze) besteht, 10 Millionen für – für unseren Geschmack auch zu diffus, lieber Uwe Braun – "gute Zwecke" zu spenden. Parlamentarisch gesehen hängt in Machtlos eine unversöhnt-nicht unoriginelle Radikallinke (Braun) mit konservativen Paragrafenreitern ab (Ritter, Stark), dazwischen siedelt die reformistische Sozialdemokratie, die sich an die Regeln hält (Voßens Anwalt) und ein nicht unsympathisches, aber irgendwie auch problematisches grün-modernes Besitzstandswahrertum (Bankdirektorengattin). Die Rolle des Staates, der durch seine Gesetze jeden Anflug von vermitteltem Stockholm-Syndrom zwischen Braun und Frau Bankdirektor unterbindet, erscheint in ungünstigem Licht.

Klaus Krämers Muten aller Gefühle und Helikoptergeräusche dagegen erzielt Wirkung. Man sieht die Polizei bei der Arbeit (wie Tilli und Stark da mit dem Laptop die Aussagen im Hause Bankdirektor aufnehmen, die gleichen Fragen stellen, deren Wiederholung Sinn macht), und es fällt alles raus, was billigst ans Gefühl appellieren könnte (das Jungenschicksal, die Medienkampagne – einzig Schwillis Weber als Volkes Stimme geht ein wenig auf die Nerven). Der Musikeinsatz sagt zu, und dass Tilli am Anfang so rasiert daherkommt wie selten before, dit passt – man schaut in das unverkleidet abgegessene Gesicht des arbeitenden Beamten.

Ein Oxymoron zum Schmunzeln: "Wir sind eine seriöse Bank"

Der erste Weg zur Besserung: "Ich war Unternehmensberaterin"

Ein guter Rat an beinahe jedes Umfeld: "Verlieren Sie nicht die Hoffnung"

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