Der VfB Stuttgart etwa. Demütigt vor vier Wochen Werder Bremen mit 6:0, spielt dann, nach 3:0-Führung, unentschieden gegen den Aufsteiger Kaiserslautern, verliert in der Woche darauf gegen den Tabellenletzten Köln knapp und zuletzt gegen den Hamburger SV deutlich. Es geht hoch her in der Fußball-Bundesliga oder vielmehr ordentlich durcheinander. Kurz vor Ende der Hinrunde liegen noch immer Mannschaften an der Spitze der Tabelle, die man von deren Ende kennt.
Für den Fußball ist das schön – das Spiel lebt wie kaum ein anderer Sport von der Möglichkeit, dass der Schwächere, Ärmere, Schlechtere den Stärken, Reicheren, Besseren besiegen kann. Für die Fans ist das, auch wenn die Meinungen hier auseinander gehen werden, ebenfalls schön – in Dortmund und anderswo gibt es nach Jahren des Mittelmaßes oder der Abstiegsangst anhaltenden Grund zur Freude, während die Anhänger von erfolgsverwöhnten Klubs wieder einmal Gefühle haben, die das Fansein ausmachen.
Kurz: Es könnte alles in bester Ordnung sein mit dem Klubfußball in Deutschland. Wäre da nicht das Fernsehen, namentlich die ARD-Sportschau. Die ist von der durcheinandergewirbelten Hierarchie überfordert, was sich nicht allein daran zeigt, dass in der Sendungsdramaturgie jetzt Partien wie Frankfurt gegen Hoffenheim oder Hannover gegen Freiburg als Spitzenspiele firmieren – wozu den Moderatoren ungläubiges Staunen einfällt.
Schlechte Serien
Die Überforderung der Sportschau-Moderatoren zeigt sich vor allem an der Sprache. Das Gerede von „Krisen“, „Negativserien“, der so genannten Mini-Krise und den Ableitungen, die sich daraus noch bilden lassen („fast eine Mini-Krise“), ist natürlich nicht neu. Es ist eine Folge der Boulevardisierung des Sports, die in der ARD-Sportschau spätestens mit der Rückkehr der Übertragungsrechte im Jahr 2003 Einzug gehalten hat. Die mediale Aufmerksamkeit, die dem Fußball heute zuteil wird, verschärft eine Lesart, die sowohl der Ligabetrieb als auch die Natur des Fernsehens nahelegen: die serielle.
Die einfachste Geschichte, die sich über den Fernsehsport Fußball erzählen lässt, ist immer der Vergleich mit der Vorwoche (auch wenn damit die Schönheit und das Einzigartige am Fußball nicht erfasst wird). Wenn die Ordnung stimmt, die Guten also meistens gut spielen und die Schlechten meistens schlecht, dann lassen sich Serien kombinieren, die am Ende wie die Erfüllung einer immer schon gewussten Prophezeiung aussehen – jahrelang ging es etwa in der englischen Liga nur darum, in welcher Reihenfolge sich die vier besten Mannschaften auf den ersten vier Plätzen verteilen.
Weil in der Bundesligasaison bislang aber alles so durcheinander läuft, Stuttgart bei weitem nicht die einzige Mannschaft ist, die einmal haushoch triumphiert, um wenig später jämmerlich zu verlieren, geht der Glaube an den Seriengedanken fehl. Wenn ein Sieg doch wieder keinen „Lauf“ begründet, lauert nach jedem Unentschieden nur: die Mini-Krise. Die ARD-Moderatoren sind Ordnung gewohnt – und dass sich diese Ordnung momentan nicht herstellen will, macht das Lächerliche an ihrer Sprache umso deutlicher.
Heiner Müller
Dabei könnte gerade im Durcheinander Befreiung liegen: Der Moderator, der jede Niederlage als Krise apostrophiert, müsste, weil sich kaum eine epische Serie mehr ergibt, begreifen, wie schwachsinnig die Mini-Krisen-Rhetorik ist – und stattdessen von der Schönheit und dem Einzigartigen am Fußball reden.
Denn im Grunde gilt, was der große Sportreporter Heiner Müller vor längerer Zeit gesagt hat: „Fußball ist Krise.“
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