In Philip Grönings prätentiösem Drei-Stunden-Film Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot, der auf der Berlinale seine Premiere feierte und von den Vorbereitungen eines Geschwisterpärchens auf die Abiturprüfung im Philosophie-LK handelt, kommt es zu Sex. Die Schwester vom Geschwisterpärchen will welchen haben und zwingt dafür einen Mann in eine Tankstellentoilette. Danach verlässt sie den Lokus – der Mann allerdings dürfte darin bis heute sitzen, denn Grönings Film befreit ihn daraus nicht.
Eine Merkwürdigkeit, oder auch: Nachlässigkeit, denn als Zuschauerin kann einen das fuchsen, den armen Mann endlos im Tankstellenklo eingesperrt zu wissen. Und vor allem etwas, das einem so umsichtigen Regisseur wie Christian Petzold nie passieren würde. Wer bei Petzold irgendwo reingeht, kommt auch wieder raus; die Geschichten werden zu Ende erzählt.
Ironische Besetzung
Das zeigt sich in Transit, dem Film, der ebenfalls auf der Berlinale lief und nun ins Kino kommt, noch an den Miniaturen wie der Frau (Barbara Auer) und dem Dirigenten (ironisch besetzt mit einem Dirigentensohn: Justus von Dohnányi). Auf die beiden trifft Protagonist Georg (Franz Rogowski) im Warteraum des mexikanischen Konsulats von Marseille, in dem die Leute auf ihr „Transit“ hoffen – einen Zettel, der ihnen die Ausreise aus dem zu Beginn der 1940er Jahre von Nazi-Deutschland immer weiter okkupierten Frankreich gestattet. Beiden Nebenfiguren wird das nicht gelingen, aber darüber informiert der Film einmal nebenher (im Fall des Dirigenten) und einmal in einer ziemlich überraschenden Szene gegen Schluss (im Fall der Frau).
Mit Transit hat Petzold den Roman von Anna Seghers verfilmt. Relativ freihändig oder eben so, wie Christian Petzold sich Stoffe anverwandelt: als eine immerfort wiedererkennbare filmische Landschaft, die durch die klare Kamera von Hans Fromm etabliert, durch den Schnitt von Bettina Böhler rhythmisiert, durch Petzolds akkurate Inszenierung belebt wird.
Die schönste Schönheit dieser Synthese ist Georgs Zugfahrt von Paris in den Süden: Die Kamera registriert die vor dem Fenster vorbeiziehende Landschaft (die Georg, wie im Breitwandkino, durch einen Schlitz betrachtet), der Wechsel von Wiesen und Flüssen durchs Bergige ins Hafenhafte der Stadt am Meer vollzieht sich langsam und bleibt durch das Spiel der Linien, das einmal auch am Lauf der Gleise vorgeführt wird, doch miteinander verbunden. Zugleich wird durch die allmähliche Veränderung der Welt vor dem Fenster das Vergehen von Zeit komprimiert.
Zum unverkennbaren Stil des Filmemachers, dem das Pariser Centre Pompidou jüngst eine Retrospektive widmete, gehören überdies kleine, zumeist kunstdiskursive Abschweifungen im Dialog. Das hat Petzold den Vorwurf des Strebertums eingebracht (so klug und anekdotenklar wie der Regisseur können andererseits nicht viele ihre Filme in Kultur und Kino verorten), und wenn man am Ende Barbara Auers Figur ein Referat über den Architekten Rudy Ricciotti loswerden muss, dem Marseille sein tolles MuCEM-Ausstellungshaus verdankt, dann geht die Mitteilsamkeit des Regisseurs vielleicht ein wenig zu weit.
Aber diese auktoriale Kommentierung der eigenen filmischen Erzählung kommt in Transit zumeist leichtfüßiger und wirkungsvoller daher. Das liegt zum einen daran, dass die Vorlage die Position eines Ich-Erzählers schon vorsieht: Der Film löst die Rolle allerdings von seinem Protagonisten Georg ab, hält sie eine gewisse Zeit im Vagen, ehe man die markante Stimme von Matthias Brandt dem Mann hinter dem Tresen einer Pizzeria zuordnen kann, in die Georg immer wieder geht.
In der Mehrstimmigkeit des Films entfalten die Petzoldismen kalkuliert Wirkung. In einer ausdauernden Szene repariert Georg dem Sohn eines verstorbenen Bekannten das Radio (aus dem dann die Melodie von Hanns Dieter Hüschs putzig-lustigem Abendlied ertönt, das Blumfeld später gecovert hat) und weist sich später als Experte aus: „Ich habe Radio- und Fernsehtechnik gelernt.“ Der Hinweis aufs Handwerkliche an der Kunstproduktion, der sich auf Petzold beziehen lässt, wird in einem Gespräch Georgs auf dem US-Konsulat wieder aufgenommen. Dort erklärt der unter der Identität des verstorbenen Schriftstellers Franz Weidel aufs Transit hoffende Georg seine Abneigung gegen die Übersetzung des Erfahrenen in Literatur; er insistiert auf (Radio- und Fernseh)Technik.
Die Mall der Untoten
Oder wenn das Konsumstreben der Menschen durch eine Anspielung auf George A. Romeros Dawn of the Dead von 1978 garniert wird, wo im Horrorfilm, also auf der Nachtseite des Kinos, ausgerechnet eine Mall von Untoten bevölkert wird – dann schafft dieser vorausgreifende Anachronismus eine Irritation in der Handlung, die Anfang der 1940er Jahre spielt.
Eine Irritation, die durch die entschiedenste Setzung des Films permanent Effekte macht. Transit spart sich nämlich das historische Dekor. Der Film spielt in der Gegenwart, aus der Georg anfangs nur durch sein historisches Kostüm fällt. Zugleich produziert diese Setzung, die den Geschichtsfilm umstandslos ans Heute anbindet, eine seiner Schwächen: Man kommt nicht umhin, aktuelle französische Polizeigewalt in eins zu setzen mit der Nazi-Okkupation. Trotz aller Markierungen eines Klimas von Entsolidarisierung in Zeiten von Migration bleibt diese Universalisierung von Repression unscharf; reine „Radio- und Fernsehtechnik“.
Die andere Schwäche von Transit besteht in der blassen Frauenfigur (Paula Beer), die Seghers’ Roman hier eigentlich melodramatisch pointieren soll. Georg und Marie können nicht zusammenkommen als Liebende, weil er, gerade dadurch, dass er sich als Maries Mann, Franz Weidel, ausgibt, ihr die nicht zu zerstörende Illusion nährt, der wahre Geliebte lebe noch. Der Stoff fürs Melodram – die Aufwallung des Gefühls bei der gleichzeitigen Unmöglichkeit, das stark empfundene Innen mit der Außenwelt zusammenzubringen – ist also da. Nur gestattet die kontrollierte Inszenierung des Films die große, womöglich kitschige Emotion nicht. Das Melodram aber lässt nicht rationalisieren oder abstrahieren. Das gibt es nur mit ganz großem Gefühl.
Transit Christian Petzold D/F 2018 101 Minuten
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