Friedliche Zeiten

Kino Zum dritten ist Friedliche Zeiten von Neele Leana Vollmar ein weiterer Film, der mit Axel Prahl nichts anzufangen weiß. Prahl ist der Schauspieler, ...

Zum dritten ist Friedliche Zeiten von Neele Leana Vollmar ein weiterer Film, der mit Axel Prahl nichts anzufangen weiß. Prahl ist der Schauspieler, durch den wir gelernt haben, das Kino von Andreas Dresen zu lieben. Was nicht heißen soll, dass Dresens Filme nicht auch ohne Prahl liebenswert wären: Er ist nur zum Inbild ihrer komischen Wahrhaftigkeit geworden. Bei Dresen hat Prahl den Kleinbürger mit Herz und großer Schnauze gespielt, nicht selten in seiner Reinform als subalterner Gesetzeshüter mit menschlichem Antlitz. Die meisten Versuche, die Attraktivität dieser Rolle in andere Filme zu retten, sind gescheitert, weil entweder nur auf die große Schnauze (Tatort) oder nur auf das Herz gesetzt wurde (Du bist nicht allein). Das war dann zumeist nur komisch beziehungsweise zu kitschig. In Friedliche Zeiten ist Prahl nun nicht mal mehr komisch, sondern in seiner dusseligen Montur mit Kinnbart, Brille und Anzug allenfalls eine Ahnung davon.

Zum ersten ist Vollmars zweiter Film nach ihrem viel gelobten Debüt Urlaub vom Leben eine misslungene Literaturverfilmung. Die Geschichte der Familie Striesow, die Anfang der sechziger Jahre in den Westen geflüchtet ist, basiert auf einem Buch von Birgit Vanderbeeke. Während Papa Dieter (Oliver Stokowski) sich freudetrunken an die veränderte Umgebung heranschmeißt, verkümmert Mama Irene (Katharina Schubert) in Depression und Ängsten, die sich wechselweise speisen aus der Furcht von einem Dritten Weltkrieg und der Affäre des Mannes. Erzählt wird im Buch aus der Perspektive eines der drei Striesow-Kinder Ute (Nina Monka), Wasa (Leonie Brill) und Flori (Tamino Wecker). Diesen Kunstgriff hat Ruth Toma bei der Drehbuchgestaltung beibehalten, was sich als Problem herausstellt: Ausgesprochen bekommen die Sätze, die der kindlichen Verwirrung von großer Politik und persönlicher Idiosynkrasie Ausdruck verleihen, etwas Altkluges oder Banales. "Wenn sie Nusskuchen mit Schokolasur macht, ist es besonders schlimm." Die erwachsene Mutter, die immer die Wohnungstür mit einer Kette gegen Einbrecher sichert und sich auch sonst nicht in Gesellschaft traut, ist das Kind, und die Kinder sind unglaublich erwachsen, trotz der Demütigungen, die auch sie in der neuen, ostzonefeindlichen Welt erleben. Für die Rettung der Familie beschließen sie, kommt nur die Scheidung der Eltern in Frage, und gegen die Weltkriegsangst schreiben sie einen Brief an Breshnew.

Zum zweiten ist Friedliche Zeiten schon deshalb ein missglückter Film, weil er nicht weiß, was er von seinem Stoff halten soll und solange, wie er sich das überlegt, die Kamera laufen lässt. Das produziert Wiederholung und Langeweile des lustvoll ausgestatteten Kleinbürgerlebens. Weder der psychologische Konflikt (die Isolation der Mutter versus die Freiheitssuche des Vaters ) wird ausgearbeitet, noch der politische: Die frühe Form der Ostalgie, wie sie die nicht angekommene Mutter verspürt, versus Übernahme des westlichen Lebensstils, wie ihn der Vater versucht.

In Friedliche Zeiten findet der Kalte Krieg innerhalb einer Familie statt, und leider kommt er genauso daher: sehr kalt. Vollmars Inszenierung wirkt steril, ohne dass diese Sterilität als Konzept zu erkennen wäre. Denn die Verkleinerung der großen Politik in die private Lebenswelt hinein ist natürlich ein Witz, genauso wie der Kinderplan der Elternrettung durch Scheidung oder der Tod der Oma als Erlösung der Mutter von ihrer Sehnsucht zu sardonisch sind, um sie ernstnehmen zu können. Friedliche Zeiten tut aber genau das. Oder verkennt vielmehr, dass eine solche Geschichte eigentlich nur als Komödie zu erzählen ist. Dann wäre statt einer biederen Puppenstubenwelt, die so dröge ist, wie man sich die Wirtschaftswunderjahre immer vorgestellt hat, vielleicht ein unterhaltsamer Film entstanden. In dem Axel Prahl wenigstens komisch hätte sein können.

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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