Reden wir über das Reden in den Filmen der diesjährigen Berlinale. Über das Reden nicht nur als Dialog, der über Handlung informiert (das auch), sondern über das Reden, das Diskurs ausmacht, gesellschaftliche Kommunikation performt und damit etwas darüber sagt, wonach die Berlinale angeblich immer fragt (Politik).
Wenn es allein um dieses Reden ginge, dann wäre The Dinner (Wettbewerb) von Oren Moverman der unumstrittene Favorit – ein Film, in dem viel zu viel geredet wird, in dem durch Kommunikation nichts mehr eingefangen oder gar „gelöst“ werden kann, sondern alles nur weiter eskaliert. Zwei Brüder, Paul (Steve Coogan) und Stan Lohman (Richard Gere), der eine sarkastischer Geschichtslehrer, der andere abgelenkter Politiker, kommen mit ihren Frauen zu einem Abendessen in einem exquisiten Restaurant zusammen.
Der Grund ist eine Familienangelegenheit; die Söhne der beiden Paare haben nach einer Party eine obdachlose Frau angezündet, ein rich kid crime, das Pauls Frau Claire (Laura Linney) abmildert zu Unfall und einer Art Notwehr, als wäre sie die Politikerin, während ausgerechnet Stan, der den ganzen Abend nebenher Stimmen organisiert für einen Gesetzesentwurf und als Gouverneur kandidieren will, moralisch absolut für Eingeständnis der Tat plädiert – die Strafe als notwendige Voraussetzung für die Zukunft der Kinder versteht.
Moverman leistet sich hübsche Abschweifungen ins Off des Subjektiven und inszeniert die Geschichte als permanenten Zusammenprall verschiedener kommunikativer Register; das für die High-End-Gastronomie so wichtige Kommentieren der Speisen wird dem Kellner (Michael Chernus) irgendwann untersagt. Die Verhandlung darüber, wie mit der Tat der Kinder umzugehen ist, wird einerseits sabotiert vom gestörten Verhältnis der beiden Brüder, andererseits durch die angespannte Beziehung von Stan und seiner Frau Katelyn (Rebecca Hall), die kommunikativ immer wieder unterbrochen, isoliert wird, weil ihr Mann via Handy mit jemand physisch Abwesendem spricht. Keiner verlässt den Tisch, schwört Stan die anderen ein, als die Diskussion am Höhepunkt zu zerfallen droht, um kurz danach von seiner Assistentin im Interesse ein wichtigeren Telefonats aus der Runde gerissen zu werden.
„Gute Nachrichten“
Es ist kein Zufall, dass Pauls und Stans Unverbundenheit sich ausgerechnet an einem – in die Anordung des Essens hineinerinnerten – Ausflug nach Gettysburg erweist, dem Ort einer epischen Schlacht aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg. Wenn davon die Rede ist, wie gespalten die USA derzeit sind (eine Spaltung, die in The Dinner durch die Tat der Kinder markiert wird und den Umstand, wie sich das legitimieren lässt), dann ist Gettysburg historischer Grund und Metapher dafür. Und der Name der berühmten Rede von Abraham Lincoln, der „Gettysburg Address“, die am Ausgang der kriegerischen Auseinandersetzung die Demokratie beschwor.
Wozu die Erfahrungen aus der Historie in der – ja auch, wenn nicht zuerst geschichtspolitisch – umtosten Gegenwart heute taugen können, ist die Frage, die am Ende von Agnieszka Hollands auf interessante Weise nicht gelungenem Film Pokot (Wettbewerb)steht. Und zwar ziemlich unverhohlen identifizierbar als Selbstzweifel der Filmemacherin, die als 1948 Geborene einer Generation angehört, die nach 1945 die ihr Engagement bei der Überwindung ideologischer Ismen als Befreiung, nicht Restauration verstanden hat, als Öffnung, nicht als Ausschluss. Agnieszka Mandat-Grabka spielt Duszejko, eine alte Frau im Wald, die sich für die Tiere und damit gegen die korrupten Honoratioren des Ortes einsetzt. Unterstützung findet sie von einer Gruppe Außenseiter, zu der eine missbrauchte junge Frau (Patrycja Volny), die „Gute Nachrichten“ genannt wird, und ein Harry-Potter-hafter Programmierer (Jakub Gierszal) gehören, der für das deutsche Fördergeld einen bildlich skurrilen Ausflug zum Berliner Hauptbahnhof macht.
Pokot ist, auch ästhetisch, eine Bilanz aus Hollands Arbeitsbiografie, besteht also aus einem Kommentar zu Polen (verdichtet im besten Witz des Filmes über das Pilzesammeln als Gegenteil einer Idee von Gesellschaftlich) genauso wie dem weltläufigen Durchlüften des verhandelten Nationalen (in der Figur des Programmierers, der Englisch-Übersetzerin Duszejko) und dem Inszenieren mit großer Geste (die Musik steigt in die Bässe des Bedeutungsvollen hinab, die Autos wehen das Laub am Straßenrand dramatisch auf) – Holland hatte nach ihren Kinofilmen in den USA zuletzt als reine Handwerkerin bei Episoden für House of Cards oder Treme angeheuert.
Ähnlich wie Pokot ist Jochen Hicks Dokumentarfilm Mein wunderbares West-Berlin (Panorama) ein Resümee. Der materialreiche Film erzählt vom schwulen Berliner Leben seit den 1950er Jahren, kommt aber weniger anekdotenhaft daher, als das Possessivpronomen vermuten lässt. Vielmehr drückt der Emanzipationsbericht vom klandestinen und pönalisierten Leben als Homosexueller immer wieder auf Aktualisieren, wenn diskutiert wird, was die politische Schwulenbewegung seit den 1970er Jahren erreicht hat, wie die Randerzählung Eingang in die Generalgeschichte finden kann, zu der sie dann gehört, statt in jeder Welle neu beginnen zu müssen.
Teppich und Kosmos
Eine Tat wie der Anschlag von Orlando im letzten Sommer, bei dem 49 Menschen starben und der kurz die Erinnerung an vergessene Anti-Gay-Club-Attentate in New Orleans 1973 und New York 1980 ermöglicht, verweigert Hicks Film das Herbstlicht der Versöhnung, in dem Lebensleistungen sich sonst sonnen sollen.
Romuald Karmakars Dokumentarfilm Denk ich an Deutschland in der Nacht (Panorama), eine kraftvoll-präzise Arbeitsplatzbeschreibung von fünf DJs, touchiert den Club als Schauplatz des Terrors ebenfalls: Roman Flügel, der in der Nacht der Anschläge aufs Bataclan in Paris auflegte, tastet sich am Ende des Films vorsichtig an die Frage von Gewöhnung und Ablenkung heran. Überhaupt ist neben den tollen Bildern aus der Perspektive der Auflegenden (den Blicklogiken der ersten Reihe, die zwischen Bewunderung, Verliebtheit und Kommunikationsbedarf schwanken, könnte man stundenlang zuschauen) das Aufregende an dem Film, wie skrupulös die Agenten des elektronischen Zeitalters (neben Flügel: Ricardo Villalobos, Sonja Moonear, Ata und David Moufang) reden, wie präzise die Metaphern sind (Ata: der unübschaubare Teppich, der House heute ist), wie weit das Auge reicht: David Moufang setzt neben einem Apfelbaum in Heidelberg die Musik mal eben in Beziehung zu allem. Kubrick, Kosmologie und Schöpfungsgeschichte.
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