„Ich bin nur dem Nein begegnet“

Interview Autor und Psychologe Red Haircrow über sein Filmprojekt „Forget Winnetou“, Karl Mays Begeisterung für Native Americans und Stereotype als Schutzschild gegen zu viel Nähe
Ausgabe 12/2017

Bis Anfang April läuft die Crowdfunding-Kampagne für Forget Winnetou, ein Filmprojekt von Red Haircrow und Timo Kiesel, das gleichermaßen dokumentarisch wie informativ gedacht ist und sich mit der Kehrseite von Stereotypen über Native Americans beschäftigen will. Gerade in Deutschland, wo Karl-May-Bücher und -Verfilmungen eine eindimensionale Vorstellung von autochthonen Amerikanern populär gemacht haben, zuletzt in dem RTL-Dreiteiler von Philipp Stölzl nach den Weihnachtsfeiertagen.

der Freitag: Worum geht es Ihnen mit „Forget Winnetou“?

Red Haircrow: Wenn die Leute Forget Winnetou hören, denken sie an eine Kritik Karl Mays. Das ist es nicht. Wir sehen Winnetou als Symbol, um eine Diskussion zu beginnen. Ich habe über Karl May gelesen; seine Intention war nicht, verletzend gegenüber Native Americans zu sein. Er war begeistert und hat damit Interesse an Natives geweckt. Was gut ist.

Was soll man dann vergessen?

Ich glaube nicht, dass Karl May gewollt hätte, eine Form der kulturellen Aneignung über Jahrhunderte zu konservieren. In den späten Jahren, als er nach Amerika gereist war, hatte sich sein Bild geändert. Heute, 100 Jahre danach, gibt es ein anderes Wissen, neue Bücher, die Leute können hinfahren, sich besser informieren über die Natives. Sie müssen also nicht an Stereotypen festhalten, die überholt sind. Dabei bestand bei dem Winnetou-Film ja Hoffnung, dass er was Neues macht. Aber dann blieb das Bild der Natives wieder reduziert auf Stereotype. Das war enttäuschend. Nicht nur für mich – vor einiger Zeit habe ich mit Dr. Peter Bolz darüber gesprochen.

Wer ist das?

Bolz war Kurator der Nordamerika-Sammlungen im Ethnologischen Museum in Berlin und ist wissenschaftlicher Beirat am Karl-May-Museum in Radebeul.

Was hat Sie denn gestört?

Winnetou soll ein Apache-Charakter sein, aber im Film spricht er Lakota. Eine komplett andere Sprache. Das wäre, als wenn jemand, der Deutscher sein soll, in einem Film Finnisch oder Russisch spricht. Und ein komplett anderer Hintergrund: Im Film leben die Apaches in Tipis, was Apaches weder tun noch getan haben. Wenn der Film 1910 gemacht worden wäre mit diesem Bild von den Apaches, könnte man das verstehen. Aber 2016? Das ist inakzeptabel.

Dabei warb RTL doch mit Echtheit und einem Native als Berater.

Einem Sioux. Das ist Teil des Problems, dass Natives andere Natives erklären. Kann man auch verstehen, wenn jemand einen Job braucht. Aber das ist dann eben so, als würde ein Finne oder Russe als Berater für die Darstellung von Deutschen engagiert werden.

Zur Person

Red Haircrow, Jahrgang 1972, ist Schriftsteller, verfasst Artikel und Aufsätze. In Kaiserslautern geboren als Sohn eines dort stationierten Soldaten, wuchs er in den USA auf. 2003 kehrte er erstmals wieder hierher zurück, seit ein paar Jahren lebt er in Berlin. Nach einem Psychologie-Studium forscht er zu den Traumata der Native Americans

Foto: Red Haircrow

Dennoch trifft Ihr Projekt vermutlich nicht nur auf Begeisterung. Wie gehen Sie damit um?

Daran bin ich gewöhnt. Als Psychologe erscheint mir die Ablehnung als eine universelle Reaktion auf Kritik, auch wenn es nur eine vermeintliche Kritik ist wie bei unserem Projekt. Die Leute fühlen sich angegriffen. Also muss man die Emotionen abkühlen, ihnen Gelegenheit geben, sich zu erklären und versuchen, dann rationaler zu sprechen. Das hilft häufig. Vieles ist auch mangelnder Information geschuldet.

Ist das nicht absurd: Sie werden beleidigt durch Klischees, müssen aber dafür sorgen, dass die anderen nicht beleidigt sind, wenn Sie das bemerken?

Ein kurioses Phänomen, in der Tat. Für mich ein Erbe des kolonialen Verhaltens. Wenn Leute so sehr daran gewöhnt sind, alles haben zu können, was sie haben wollen, dann denken sie, dass wir ihnen was wegnehmen wollen. Ich war dagegen gewohnt, dem Nein zu begegnen – seit meiner Kindheit in den USA als Junge mit dunklerer Haut. Nein zu allem, was ich wollte. Keiner hört auf dich. Ich habe manchmal gar nicht mehr gefragt.

Mit welchen Folgen?

Entweder verletzt dich das und du wirst unfähig, etwas zu tun. Oder du machst weiter. Das ist bei unserem Team wahrzunehmen, wie frustrierend es für manchen war, immer nur auf Ablehnung, Kritik zu treffen. Aber du musst einfach weitermachen. Manchmal fühle ich mich wie ein Personal Trainer.

Warum ist es so schwer für weiße Deutsche, ein Projekt wie „Forget Winnetou“ an sich ranzulassen?

Die beiden Weltkriege, die Nazi-Zeit – Winnetou war immer etwas Positives. Dahin konnten die Leute entfliehen, das sind die guten Erinnerungen. Deshalb gibt es die Angst, dass das entwertet werden könnte. Aber wir wollen nur helfen zu verstehen, dass eine Aufwertung des Selbst nicht auf Kosten von anderen geschehen kann. Ein anderer Punkt ist, dass unser Projekt nicht zur Vorstellung passt, wie Natives sind, wie Natives reagieren sollten. Das erlebe ich, weil ich in dieser Logik etwas tue, was Natives nicht machen sollten.

Ist die Erfahrung als Native hier anders als in den USA?

Im November feiern Natives auf der ganzen Welt den „Rock your Mocs“-Tag, wir tragen Mokassins als Zeichen der Solidarität. Da wollen viele Leute hier ein Foto machen, weil sie sehen, dass ich Native American bin. An jedem anderen Tag wollen sie in der Tram nicht neben mir sitzen. Da merkt man, welche Kraft die Karl-May-Folklore hat. Wenn die Leute dich als Native erkennen, bewundern sie dich dafür. Das ist ein Unterschied zu den USA, wo es keine Aufmerksamkeit gibt. Hier wollen die Leute nett zu dir sein, manche Natives werden wie Rockstars behandelt, was verführerisch ist. Wenn du länger hier bist, siehst du aber die Probleme im Umgang mit den Minderheiten: die Diskussionen um Reparationen für Afrika, Rückgabe von Raubkunst. Und die Bewunderung gilt nur dem eigenen Bild von einer Gruppe, nicht mir als Person. Wenn ich sage, ich bin Autor und Psychologe, hört das Interesse auf, weil ich nicht die Erwartung erfülle, in einer Westernshow aufzutreten oder so.

Dann wären Stereotype Schutzschilde, um anderen nicht zu nahe zu kommen, um Leute, die nicht aussehen wie man selbst, aus Angst auf Distanz zu halten.

Vor Jahren habe ich in Frankfurt/Oder mit Neonazis über Rassismus diskutiert, über diese Angst vor Leuten, die anders aussehen. Ich habe denen gesagt, ich kann euch verstehen. Mein Vater ist Afroamerikaner, meine Mutter Native, und als ich als Kind nach Amerika kam und die Familie meines Vaters kennenlernte, war mir das unheimlich, weil ich in Deutschland nie so viele Schwarze gesehen hatte. Ich kann eure Gefühle verstehen, habe ich gesagt, aber wenn man mehr über andere Leute lernt, dann beruhigen die sich wie von selbst.

Sie hatten vorhin Dr. Peter Bolz erwähnt. Wie unruhig ist denn das Verhältnis zu ihm?

Dr. Bolz und ich haben eine, nun ja, einzigartige Geschichte. Das erste Mal gerieten wir vor 15 Jahren aneinander. Ich war in Dahlem im Museum, und in der Dauerausstellung zeigte eine Vitrine neben heiligen Gegenständen eine Bierdose und eine Whiskeyflasche: „Das größte Problem, das Native Americans haben, ist Alkoholismus.“ Das ist zum einen unglaublich respektlos. Und zum anderen: Das größte Problem der Natives ist die europäische Invasion, der Kolonialismus. Ich habe Bolz geschrieben und gefragt: „Wie kann jemand, der dazu Experte sein will, das nicht begreifen? Sie verdienen es nicht, diesen Posten zu bekleiden!“ Da war erst mal Funkstille.

Haben Sie das Gefühl, dass Bolz sich im Laufe der Zeit bewegt hat?

Wie er selbst sagt: „Der Beirat des Karl-May-Museums ist ein Gruppe von alten, weißen Männern, die ihre eigenen Vorstellungen von Native Americans haben und die auch nicht ändern werden.“ Wir sind in vielen Punkten nicht einer Meinung, aber es gibt Sachen, über die wir reden können, manchmal sogar genauso sehen. Viele Experten können nicht anerkennen, dass der Kolonialismus die Wurzel allen Übels ist – das ist die Krankheit, alles andere sind Symptome. Die haben auch noch nie von Residential Schools gehört. Sie?

Nein.

Viele Leute in den USA auch nicht. Die Schulen öffneten Ende des 19. Jahrhunderts, als man Natives nicht mehr massakrieren, sondern assimilieren wollte. Kinder wurden massenhaft den Eltern weggenommen und in Schulen weit entfernt von den Communitys erzogen. Bei einem Großteil kam sexueller und physischer Missbrauch dazu, mentaler sowieso. Über Jahrzehnte, das hinterließ tiefe Narben. Die Letzte dieser Schulen schloss in den 1980er Jahren, in Kanada 1996. Ich war in einer Schulklasse bei Bielefeld und habe davon erzählt: Könnt ihr euch vorstellen, wie deprimierend das ist? Wie hilflos die Leute sich fühlten?

Wie wurde reagiert?

Ein Junge war total irritiert: Warum lernen wir das nicht? Der wurde richtig wütend auf seine Lehrerin. Insofern ist unser Projekt ein Service für Deutsche. Für alle.

Info

Die Crowdfunding-Kampagne auf indiegogo.com: bit.ly/2mCNpE2

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