Zum Saisonschluss noch ein Debüt: Im letzten Fall vor der Sommerpause am Sonntagabend tritt die neue Brandenburger Polizeiruf-Kommissarin Olga Lenski aka Maria Simon ihren Dienst an. Was soll man sagen? Es hat schon aufregendere Auftakte gegeben, ein Defätist würde sagen, dafür hätte Johanna Heart nicht in Ruhestand gehen müssen.
Dabei machen die Credits zu Beginn auf dicke Hose: Nora von Waldstetten, Burghart Klaußner, Minh-Khai Phan Thi, Tom Schilling und der große Rüdiger Vogler in einer Folge, dazu Big Thomas Plenert hinter der Kamera (was einem die Enge des Fernsehformats nur um so deutlicher vor Augen führt). Regie und Buch (das gemeinsam mit Annette Hess): Bernd Böhlich, der schon in der "ehemaligen DDR", also noch zu Zeiten von olle Olt. Fuchs inszeniert hat. Hilft aber auch nicht viel. "Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne", heißt es bei dem beliebten Dichter Hermann Hesse, nur schlägt der Zauber hier schon nach einer halben Stunde in gefühlte 16 Jahre Olga Lenski zurück.
Maria Simon hat gewisse Momente in ihrer tendenziell unprätentiösen Art, die in allen anderen Momenten von Lieblosigkeit schwer zu unterscheiden ist: Der Einstandsrede vorm Kollegenkreis in der Kantine, in der Köchin noch selber kocht (take that, Systemgastronomiecateringwesen!), kommt doch reichlich unmotiviert daher, zumal Kollege Neumann (Fritz Roth) dauernd kumpelhaft dazwischen quatschen muss. Lobenswert ist, dass die Neue anders, als es im richtigen Leben Standard ist, und trotz leichten Zugs ins Schnepfige mit offenen Armen empfangen wird.
Das überrascht um so mehr, wenn man die Charakterisierung im schauen Jubiläumsheft zu 40 Jahre Polizeiruf (das ist ja auch noch) der ARD liest:
"Kriminalhauptkommissarin Olga Lenski liebt ihren Beruf – aber nicht um jeden Preis. Sie hat eine höhere Beamtenlaufbahn beim BKA in Wiesbaden ausgeschlagen, um als Kommissarin in ihrer alten Heimat zu ermitteln. Für sie waren die bürokratische Enge, der erdrückende Verwaltungsapparat und die mangelnde Eigenverantwortung nicht mehr tragbar. Außerdem hatte sie Heimweh nach Brandenburg. Ihr Erscheinen löst Misstrauen und Fragen bei den neuen Kollegen aus: Wieso gibt eine so junge Frau einen so attraktiven Job auf, um ausgerechnet nach Brandenburg zu kommen? Die pragmatische Olga und der bedächtige Krause – hier treffen zwei völlig unterschiedliche Generationen aufeinander. Olga, die gern mal in ihrem Van übernachtet, lebte in New York und kennt viele Menschen an fremden Orten. Krause hat es gerade mal bis an die Ostsee geschafft und findet es überflüssig, durch die Weltgeschichte zu gondeln. Es dauert eine Weile, bis sich die beiden sehr unterschiedlichen Menschen näher kommen und Olga erkennt, dass Krauses hervorragende Orts- und Menschenkenntnisse extrem hilfreich sind."
Sind Sie noch wach? Angesichts von Die verlorene Tochter hätte man fast Lust, sich mit diesem Pressetext auseinanderzusetzen. Missverständnisse und Fragen löst der Umstand aus, dass Olga – auch etwas unmotiviert – Krause schon am Ende der ersten Folge knuddelt und der nicht so erdrückende Verwaltungsapparat in Brandenburg in Form des Reviers, wie gesagt, recht freundlich ist. Sollte Böhlich aus diesem Profil den Unsinn rausgelassen haben und gleich zur Arbeit übergegangen sein, es wäre kein geringes Verdienst – dann bliebe dem Zuschauer vermutlich nerviges Mit-New-York-auf-Du-und-Du-Gepose erspart. Wird wohl ein frommer Wunsch bleiben.
Die verlorene Tochter ist ein Fall von unterdurchschnittlicher Güte. Die zahlreichen Geschichten bleiben merkwürdig angefangen (Oppmanns zerrüttetes Familienleben, die Affäre mit der Assistentin, die Kindergeschichte, die Diest-Schwester), und der gesellschaftliche Entwurf führt den Ball recht eng: Dass jemand "den wichtigsten Preis aller Zeiten" für eine Erfindung zur Supernova-Beobachtung bekommt, die in Wirklichkeit ein Mechaniker und eine treue Seele im Plattenbau gemacht haben, steht zumindest quer zu den komplexen Forschungszusammenhängen im 21. Jahrhundert, die wir vom "Wissenschaftsstandort" (Angela Merkel) Deutschland haben. Tote gibt's auch erst am Ende, wir haben es im Grunde mit einem dieser grassierenden Plagiatsfälle zu tun.
Der Dilettantism feiert auch hier fröhlich Urständ: Wer einmal einen Krimi gesehen hat, wird beim schmallippigen Linsing (der große Rüdiger Vogler – gefiel in Stuttgart zuletzt aber besser) an der im spitzesten Winkel geöffneten Wohnungstür nichts anderes vermuten, als dass er vom flüchtigen-psychotischen Diest (Schilling) hinter eben dieser Tür bedroht wird. Dass die Kommissarin die Stockwerke zu Linsings Wohnung hernach schneller raufjoggt, als Krause mit dem Fahrstuhl fährt, ist ebenso wahrscheinlich wie ein Kommissars-Duo, das gerade selbst noch den lebendigen Linsing gesehen hat, nach dessen abruptem Ableben nicht darauf schließen wird, dass der Täter nicht weit sein könne. Aber mit Logik kann man dem Fall eh nicht kommen.
Sei's drum. Wir geben in die Sommerpause. Am 14. August geht's weiter. Wieder mit einem Debüt: Cassandras Warnung wird der erste Fall sein des neuen Münchner Polizeiruf-Kommissars Hanns von Meuffels aka Matthias Brandt, dessen praxisferner Figurenname nichts Gutes verheißt, Regie führt allerdings Dominik Graf.
Für den Hausschatz (1): "Aus Bescheidenheit wurde Größenwahn"
Für den Haussschatz (2): "Jetzt reicht's, verdammte Scheiße"
Kommentare 15
Immer öfter geht es mir so, dass ich beim Anschauen einer Tatort/Polizeiruf-Szene denke, na, mal sehen, was M. Dell dazu schreibt. Diesmal war das bei der Einstandsrede von Simon/Lenski der Fall. - Ich wurde nicht enttäuscht, obwohl ich die Szene etwas anders sah, nämlich mehr als sogar recht gelungene Parodie auf solches Verlegenheitsgerede in Floskeln mit beigemengtem Bemühen um etwas Witz.
Schönamdnoch!
Ich bin ja parteiisch, weil die ganze Maria Simon-Bernd-Michael-Lade Familie bei mir um die Ecke wohnt. So, das dazu.
Mir hat sie gefallen, die Frau Simon, sie hat auch ein sehr schönes, interessantes Gesicht aber die Handwerklichkeiten waren unter aller Sau.
Der Böhlich trägt ohnehin immer zu dick auf mit seinen Inszenierungen und "ostet" fürchterlich herum. Die Schwester von diesem Diest war eine Schießbudenrolle. Der große Rüdiger Vogler spielte "vom Blatt", mehr war nicht drin.
Aber die Brandenburgischen Dinger waren nie anders. Immer Krause-Geschichten, kein Krupp.
@ goedzak - geht mir auch so. Auch SChönambd...:-))
Ich mach es kurz: FURCHTBAR
Vollkommen unlogisch, aber nicht von der guten unlogischen Seite. Motivationen, die ich nicht verstanden habe. Blöde vorhersehbare Witze, wie zum Beispiel das Motorrad und der Hund (aber wenn es um Hunde geht versteh ich auch kein Spaß;)) oder der Praktikant.
Tom Schilling spielt immer den Irren und reißt dabei die Augen auf, als ob er der Urenkel von Bela Lugosi wäre. Bei der Figur der Schwester hae ich mich die ganze Zeit gefragt, ob die geistig behindert ist und das was mit dem Fall zu tun hat. Dass Michelle nun Maria ist, das war so schnell klar, das es noch langweiliger wurde. Und dann haben sie noch sechs Minuten üer den Punkt erzählt. GÄHN.
das freut den autor, das "na, mal sehen" (obwohl ich bei magda jetzt nicht weiß, ob es sich auch darauf oder nur auf den dissens in der beurteilung bezog). ich sehe, was gemeint ist, und tatsächlich war das eine andere einstandsrede, als man gemeinhin gewohnt ist ("frischer wind"). aber irgendetwas stimmte für mich nicht, was auch in anderen maria-simon-szenen auffiel, obwohl maria simon eigentlich einen schönen ton in den polizeiruf einbringt - das kumpelhafte an neumann, dass vielleicht aber auch nur nicht überzeugend gespielt/inszeniert war und dadurch läppisch wirkte. vermutlich ist der kontext dieser absurden geschichte nicht der raum, in dem maria simon zu ihrer wirkung finden kann.
tom schilling erinnerte ein wenig an den zersausten hitler, den er in der tabori-verfilmung "mein kampf" unlängst gespielt hat, ebenfalls ein extrem absurder film
"(obwohl ich bei magda jetzt nicht weiß, ob es sich auch darauf oder nur auf den dissens in der beurteilung bezog)
es bezog sich auch, doch doch...:-))
"aber irgendetwas stimmte für mich nicht, was auch in anderen maria-simon-szenen auffiel, obwohl maria simon eigentlich einen schönen ton in den polizeiruf einbringt "
Was sollte Maria Simon auch machen? Es liegt m.E. am grottenschlechten Buch. Man stelle sich vor der Lindwurm hätte ermittelt, dann wäre das Körperverletzung gewesen.
Beim Ton der Simon stimme ich zu. Es fehlten eben nur die richtigen Sätze. Das Feingefühl im Dialog.
Oh Gott, Tabori. Die Verfilmung habe ich nicht gesehen. Tabori im Theaterr, dass ist auch ne halbe Ewigkeit her.
Ich finde der Schilling spielt fast immer so. Ich bin schon genervt, wenn ich den sehe
@magda
danke
@kalle wirsch
"der lindwurm" hat was. diese geschichte dagegen – man fasst es immer noch nicht, wie so was dann durchgeht
was auch schwer zu fassen ist: dass das dann allen ernstes gelobt wird
tinyurl.com/3nbys2t
"was auch schwer zu fassen ist: dass das dann allen ernstes gelobt wird
tinyurl.com/3nbys2t"
Der Artikel ist genauso mies, wie der Polizeiruf. Besonders der zweite Abschnitt erzeugt Brechreiz.
Und dann solche Blüten:
"Der jugendliche Elan der feingliedrigen fünfunddreißigjährigen Schauspielerin bietet einen wunderbaren Kontrast zur behäbigen Schwere von Horst Krause..."
"Die drei Herren, die ehedem ein gemeinsames Ziel verbunden hat, haben auf jeweils andere Weise ihre gegenseitige persönliche Enttäuschung verarbeitet, und das zeigt sich in der Anlage der drei Rollen durch jeweils hohe Schauspielkunst. Auf diesem Niveau mag der "Polizeiruf" gern noch weitere vierzig Jahre erleben."
Das sind Sätze einer erbaulichen Theaterkritik der 50er Jahre. Letzter Satz möge uns erspart bleiben.
Ich dachte der Autor wäre kurz vor der Rente. Aber weit gefehlt. Der ist 66 geboren.
Wenn jedesmal ein Mord oder eine Entführung begangen würde, wenn sich ein Professor unverdient Meriten einsackt, dann würde Deutschland im Kriminalitätsranking ganz oben mitmischen können.
Von daher war die Figur des Diest ähnlich doof wie die des Platzwarts letzte Woche.
Den Tukur find ich komplett grenzwertig - ohne Begründung - und ebenso die Tatsache, dass "Die Frau aus dem Meer" als präsentiert von elite.partner dargeboten wurde, und außerdem war's ne Wiederholung. Gut, über manches muss man hinwegsehen, auch wenn's bissel schmerzt.
Die Frau aus dem Meer gehört in die Schublade von Kommissarin Lund, also ganz weit weg von den behäbigen Tatort-Schnulzen, die mich an den letzten Sonntagen quälten, und siedelt in der Grauzone von Politik und Kriminalität. Ich sortier ihn in den Bereich Augenöffner und stell fest, dass wir häufig mit überflüssigen Tatort-Langweilern zugemüllt werden.
Tut mir leid, das bezieht sich jetzt nicht wirklich auf den Polizeiruf 110, und vielleicht sollte ich hinzufügen, dass der erwähnte Krimi heute, Montag, auf ZDF lief. Zeigt nur, dass ich mich über die Tatort-Folgen ziemlich geärgert habe, und in gewisser Weise passt es dann doch hierher.