Moralische Anstalt Daily Soap

Dschungelcamp Wie jedes gute Theaterstück braucht auch die Daily Soap böses Personal, das die Handlung in Gang bringt. Gedanken zur RTL-Serie "Ich bin ein Star, holt mich hier raus"

Die als Dschungelcamp bekannte RTL-Sendung Ich bin ein Star – Holt mich hier raus ist am uninteressantesten, wenn sie zu Ende geht. Kulturpessimisten alter Prägung werden das Gegenteil behaupten, aber tatsächlich ist die Kür des "Dschungelkönigs" oder der "Dschungelkönigin" nach über zwei Wochen täglicher Soap relativ unbedeutend. Sie ist vergleichbar mit dem MacGuffin bei Hitchcock – eine Mittel, um die Handlung voranzutreiben.

Denn das Dschungelcamp ist ein Theaterstück, das nicht etwa zu dem Zweck aufgeführt wird, einen "König" oder eine Königin" zu wählen, sondern die Rollen zu verteilen zwischen zehn Menschen, die man – in den meisten Fällen zumindest – kennt. Wie in jedem Theaterstück gibt es Gute (Ingrid van Bergen, Lorielle London, Gundis Zambo, Nico Schwanz) und Böse (Giulia Siegel, Peter Bond), und wie in jedem Theaterstück gewinnen am Ende die Guten.

Diese – Schiller hätte gesagt – moralische Wirkung der Schaubühne ist nicht zu unterschätzen: Letztlich verständigt sich eine Zuschauerschaft – über deren Zahl und Zusammensetzung RTL leider keine Angaben macht – darüber, was sie für richtig und für falsch hält. Und der von Zuschauern, Moderatoren und Sender erzwungene Auszug Giulia Siegels, einer missgünstigen Brunnenvergifterin, wie sie im Buche steht, bedeutet vor diesem Hintergrund Bekräftigung und Erlösung zugleich: So kann man nicht davon kommen.

Schlechtes Privatfernsehen und gutes Theater

Dabei konkurrieren im Falle Giulia Siegels zwei Prinzipien: das schlechte Privatfernsehen und das gute Theater. Das schlechte Privatfernsehen verdirbt den Geschmack, verhilft denen zu einem Podium, die anderswo keine Chance hätten, bedient niederste Instinkte. Wäre das Dschungelcamp dieses Privatfernsehen, denn hätte die Siegerin Giulia Siegel heißen müssen, weil nur sie für den Krawall garantiert, den der angeblich zynische Zuschauer sehen will. Anders gesagt: Ohne Giulia Siegel, so unerträglich sie ist, wäre es ja langweilig.

Das wiederum gilt auch für das gute Theater: Hier braucht es Konflikte und Personal wie den Sekretär Wurm, der in "Kabale und Liebe" die Intrige in Gang setzt. Anders als bei den – vielleicht auch falschen - Vorstellungen vom Privatfernsehen, dient das Böse im Theater nur dazu, das Gute strahlender sichtbar zu machen (siehe Goethe: Faust 1, Vorspiel auf dem Theater).

Nichts anderes ist auf RTL in den letzten beiden Wochen geschehen. Der Auszug Giulia Siegels am Donnerstag war das Ende des vierten Akts, der Beginn der karthatischen Zeit der Harmonie. Nur darum ging es bei dem Dschungelcamp, dem großen Theater unserer Tage. Der Rest, die Interviews mit den einstigen Insassen, die Krönung usw., ist Privatfernsehen. Banal, redundant, unerfreulich intim.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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