Bekannt wurde Kroske mit der Dokumentation Leipzig im Herbst (1989), es folgten Trilogien über Leipziger Straßenreiniger und Hamburger Kiezgrößen. Mit den Filmen Autobahn Ost (2004) und Schranken (2009) erkundete der gebürtige Dessauer die Mechanismen hinter Transitstrecken und Sperranlagen. Zwei aktuelle Filme, die von den Folgen einer ost-west-deutschen Kunstaktion und Überresten der Mauer erzählen, treffen nun in den USA einen Nerv.
der Freitag: Herr Kroske, Sie waren in diesem Jahr zweimal an US-Universitäten, um Ihre Filme zu zeigen. Wie war das?
Gerd Kroske: Unglaublich spannend. Im Februar war ich auf eine Konferenz im Clark Art Institute in Williamstown in der Nähe von Boston eingeladen, um meinen Film Striche ziehen (der Freitag 18/2015)
tute in Williamstown in der Nähe von Boston eingeladen, um meinen Film Striche ziehen (der Freitag 18/2015) zu zeigen und den Kurzfilm Grenzpunkt Beton, eine Art Mauerexpedition von 2014. Und darauf gab es Blicke in einer Weite, die ich bei dem Thema selbst nicht wahrgenommen hatte.Wie zeigte sich das?Ich war da plötzlich in so einer komischen Erklärerrolle: mit Mauererfahrung von der Ostseite her. Da habe ich gemerkt, was ich so noch nie bedacht hatte, dass man denen einen Untergang voraus hat mit dem Mauerfall 1989. Man weiß auf einmal mehr und deshalb kommen konkrete Fragen: Wie lebt man mit einer Mauer? Ist die nachts offen? Ich wusste immer, dass das eine spezielle Erfahrung ist. Aber dass das jetzt, nachdem man selber nicht mehr dran dachte, so eine Aktualität kriegt, das hat mich völlig überrascht.Wie ist denn die Stimmung?Es gibt eine wahnsinnige Irritation. Da war eine Kunsthistorikerin, weit über 60. Die erzählte mir, sie habe nach der Wahl zwei Tage geheult. Am dritten Tag ist sie wieder ins College und die Studenten haben gefragt, was sie jetzt machen sollen. Sie konnte es auch nicht sagen. Die begriff mit Mitte 60, dass sie sich politisieren muss, weil ihr gelebtes schönes Leben vorbei ist.Erinnert ein wenig an 1990, das Sinnvakuum, vor allem bei Älteren. Triggern die Fragen etwas?Gehen oder bleiben, das steht sofort im Raum, wenn die nach dem Leben mit der Mauer fragen. Das war für mich in den 1980er Jahren eine fast tägliche Frage.Sie sind geblieben. Warum?Das klingt heute total undankbar, aber mich hat Westdeutschland zu der Zeit überhaupt nicht interessiert. Außerdem wollte ich nicht, dass meine Familie in Schwierigkeiten gerät.Placeholder infobox-1Die Perspektive ist jetzt doch aber verdreht. Die fragen doch nicht aus der Sicht Mexikos.Das ist total verdreht. Aber da stehen Werte auf dem Spiel. Die USA sind ein Einwanderungsland. Diese Tradition zu kappen mit den merkwürdigen Gedanken, die Trump formuliert, das greift viel an. Die Graduierten haben mir beim Mittagessen sofort erzählt, wo sie sich hinbeworben haben, der Run auf Auslandsstipendien ist groß. Im April war ich an der Wesleyan University in Middletown, auch an der Ostküste. Die Germanistikprofessorin meinte, dass sie mehr Einschreibungen für Deutsch hat.Fremdsprache als Auswegweiser?Die Neugier ist größer geworden. Dass die etwas entdecken wollen, was ihnen unerschlossen ist, das habe ich schon bei dem La-Villette-Film von 1990 erlebt, als der in den USA 2011 auf DVD erschien. Der hat ja so eine merkwürdige Entstehungsgeschichte.Kroskes Film „La Villette“ dokumentiert die Ausstellung „Das andere Deutschland – außerhalb der Mauern“, die Christoph Tannert im Januar 1990 mit 200 Künstlern aus der subversiven Gegenkultur der DDR in Paris organisierte. Ausgangspunkt der folgenden Anekdote sind die Dreharbeiten zu dem Film „Die Mauer“ (1990) des Malers und Regisseurs Jürgen Böttcher.Gerd Kroske: Ich war Dramaturg bei Böttchers Mauerfilm, und Thomas Plenert, der Kameramann, meinte, wir bräuchten Kodak-Material, um nachts drehen zu können. Die Farbfilme von Orwo waren zu körnig, nicht lichtempfindlich genug. Also Kodak, 400 DM pro Rolle. Darüber sollten wir mit der Studioleitung in Berlin reden im November 1989, Böttcher und ich. Eine aufgeräumte Runde um den Studioleiter Rüsch, Jürgen war an dem Tag sehr gut drauf. Die Verabredung mit Plenert lautete: zwei Rollen braucht er, drei bis vier wären optimal. Und dann sitzen wir da, Böttcher mir gegenüber, und der sagt: zwölf. Ich habe gedacht, jetzt ist er verrückt geworden. Totales Stöhnen von den Direktoren, das war fast der Jahresetat an devisenträchtigem Material. Ich habe Böttcher unterm Tisch angestoßen, aber der hat gar nicht reagiert, redete immer weiter, was man alles machen müsste. Die haben gestöhnt, aber irgendwann war’s dann so: zwölf Rollen. Böttcher brillierte, er hat denen vieles heimgezahlt in der Stunde. Sie wollten dann das Versprechen von ihm, dass der Mauerfilm auf der Berlinale als Rohschnitt gezeigt werden kann. Kann er nicht, sagt Böttcher, wir fahren doch nach Paris zu der Ausstellung. Da guckten die, fragten, und es kam raus, dass Böttcher, Plenert und ich eine Einladung hatten. Der Studiodirektor: Da müssen wir doch ein Film drüber machen! Und dann war die Frage: Wer dreht den? Da wurde sofort ein Name genannt, bei dem Böttcher und ich dachten, das kann man jetzt nicht zulassen. Böttcher deshalb: Wenn wir schon da sind, können wir doch. Der Direktor: Müssen wir erst mal Plenert fragen, ob er überhaupt arbeiten will, wenn er eingeladen ist. Können wir, habe ich gesagt, der sitzt in der Kantine und wartet aufs Ergebnis. Her mit dem! Ich also raus, Plenert beim zehnten Kaffee, der zitterte am ganzen Körper, was da nun rauskommt. Ich: Tommy, bleib mal sitzen – zwölf Rollen. Er: Was? Ich: Darum geht’s jetzt aber nicht mehr, das ist schon durch. Du wirst gleich gefragt, ob du in Paris drehen willst. Er: Du verscheißerst mich! Ich: Nein, nur redlich beantworten. Er: Na, ich dreh doch immer gerne. Ich: Dann fahren wir nach Paris. Und weil Böttcher im Januar Bilder malen musste, hab ich die Regie gemacht.Placeholder authorbio-1
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