So viele Träume

Nachruf Helmut Dziubas bekannteste Filme lassen sich von heute aus betrachtet als Vorboten vom Ende der DDR lesen. Vor allem aber hat er in diesen Filmen ihre Träume aufbewahrt

Am Ende der Berlinale-Pressekonferenz zu seinem Film Barbara wurde der Filmemacher Christian Petzold im Februar gefragt, ob der Rollenname der von Nina Hoss gespielten Protagonistin, Barbara Wolff, als Reminiszenz an die im Dezember verstorbene Christa Wolf gemeint sei. Die Frage war einerseits naiv – Barbara war bei Wolfs Tod lange abgedreht. Andererseits zeigte sie aber, wie das Kino die Fantasie anregt, Verbindungen auch zu späterem Wissen stiftet, die erst der Zuschauer herstellt.

Petzold, der ein großer Geschichtenerzähler ist, antwortete knapp. Für ihn verbinde sich mit dem Namen eine Vorstellung von DDR-Bürgertum, die offenbar vor allem sinnlich funktioniert: „Barbara Wolff, Ärztin“, das legte Petzolds ruderndes Erläutern nahe, habe für ihn eine ähnlich selbsterklärende Wirkung wie „Sabine Kleist, 7 Jahre“. Und für alle Journalisten, die damit nichts anfangen konnten, schob er hinterher, das sei ein „genialer Name“, ein „wunderschöner“ Defa-Kinderfilm – Sabine Kleist, 7 Jahre.

Es war vermutlich die letzte Würdigung, die der Regisseur Helmut Dziuba für seinen vielleicht besten Film so erfahren hat; in jedem Fall eine sehr schöne. Denn das was Petzold bedeutete, war eine Dringlichkeit des Erzählens, die notwendigerweise bis in die Titel reichte. Dziuba, 1933 in Dresden geboren, studierte in Moskau Film, assistierte Frank Beyer bei Karbid und Sauerampfer und debütierte 1969 mit der Kinderbuchverfilmung Mohr und die Raben von London über das Leben von Karl Marx.

Die Autorität steht in Frage

Bekannt gemacht haben ihn die Filme aus dem letzten Jahrzehnt seines Schaffens, eben Sabine Kleist, 7 Jahre (1982), Erscheinen Pflicht (1984), Verbotene Liebe (1990), Jan und Jana (1992). Filme über Kinder und Jugendliche, die sich von heute aus betrachtet als Vorboten vom Ende der DDR lesen lassen. Die Autorität, wie sie (fehlende) Eltern, selbstkritische Lehrerinnen (Gudrun Ritter in Verbotene Liebe), Parteifunktionäre verkörpern, steht in Frage. Die education sentimentale der Kinder und Jugendlichen vollzieht sich als Suche nach einer Zukunft, von der zu träumen in der DDR der achtziger Jahre Ernüchterung verhieß. Jan und Jana, Dziubas letzter Film, handelt über die Schwierigkeiten der Liebe im rauen Alltag eines Jugendwerkhofs und ist damit weniger Abrechnung mit einer unmenschlichen DDR denn Ausdruck einer anhaltenden Desillusionierung in der neuen Zeit.

Auf eine andere Frage in der Berlinale-Pressekonferenz hat Christian Petzold gesagt, dass er die DDR nicht rekonstruieren wolle als Raum, sondern höchstens ihre Träume. Diese Träume sind aufbewahrt in Dziubas Filmen. Wenn Sabine Kleist ausbüxt aus dem Heim und sich die Gesellschaft anschaut, in der sie leben soll. Wenn Elisabeth in Erscheinen Pflicht nach dem Tod des Kreissekretärvaters ihr Selbstverständnis entdeckt. Wenn die 13-jährige Barbara ihrem 18-jährigen Georg in Verbotene Liebe poetische Ernst-Thälmann-Zeilen zitiert, um die Romeo-und-Julia-Liebe beider gegen eine Umwelt zu verteidigen, die auf ein Gesetz pocht, für dessen Legitimation sie sich nicht interessiert.

Berührender als Verbotene Liebe kann ein Liebesfilm für Pubertierende kaum sein, aber was sich mit dem Titel verbindet, ist die Instant-Emotionalität einer ARD-Seifenoper. Diese Differenz bezeichnet einen Mangel an Fantasie, den erst die Erinnerung spürbar macht und der mehr ist als Nostalgie: Welches Teenager-Pärchen denkt seine Liebe heute in den Bildern eines Arbeiterführers?

Am 19. April ist Helmut Dziuba im Alter von 79 Jahren gestorben.

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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