"Die Väter des Grundgesetzes waren da eindeutig: Weder Medien machen Bundespräsidenten. Noch werden sie in Meinungsumfragen oder durch öffentliches Schaulaufen bestimmt. Bundespräsidenten werden von der Bundesversammlung gewählt und die besten Chancen haben Kandidaten, die von Parteien nominiert werden, die dort die Mehrheit haben.“
So kommentierte Bernd Hilder als Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung im Juni letzten Jahres die Lage im Land. Hilders Rekurs auf die Regeln der Horst-Köhler-Nachfolge ist interessant, weil er sich in allem, was man seinerzeit gegen Gauck vorbringen konnte, für eine politische Fantasie blind zeigte, die mehr im Blick hat als das richtige Parteibuch. Der „Bürgerpräsident Gauck“ hatte sichtbar gemacht, dass Christian Wulff der „beste“ Kandidat nicht aus Sicht des Amtes, sondern aus Sicht von Angela Merkels Regierungsgeschäften war. Dieses Geschacher zu verteidigen, bedurfte einer ausgeprägten Linientreue.
Eben diese Linientreue war es, die Hilder nach allem, was man weiß, für die Nachfolge des Ende Oktober scheidenden MDR-Intendanten Udo Reiter prädestinieren sollte. Reiter und der in Medienfragen umtriebige Chef der CDU-geführten Dresdner Staatskanzlei, Johannes Beermann, hatten sich im Frühjahr auf Hilder festgelegt. „Für den Fall einer öffentlichen Ausschreibung der Stelle wäre Hilder mit seinen 13 Jahren Hörfunkerfahrung davon zumeist als Korrespondent in den USA und Mexiko kaum erste Wahl gewesen“, heißt es in der Thüringer Allgemeine.
Zwei-Drittel-Ablehnung
Auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben jene Kandidaten die besten Chancen, die von den Parteien nominiert werden, die in den Gremien über Einfluss und Mehrheiten verfügen. Am Montag aber hat der MDR-Rundfunkrat mit 12:29 Stimmen gegen Hilder entschieden. Der siebenköpfige MDR-Verwaltungsrat hatte vor einem Monat noch vier Mal wählen müssen, ehe die fünf CDU- oder zumindest CDU-nahen Vertreter taten, was von ihnen erwartet wurde und den „Strohmann“ (taz) zum Kandidaten auserkoren. Trotz der Zweifel an dessen Eignung.
Die Zwei-Drittel-Ablehnung Hilders nun ist bemerkenswert, wenn nicht sensationell – ein Wort, das einem deshalb so schwer über die Lippen kommt, weil das Votum gegen Hilder die Einhaltung der Regeln bedeutet. Anders gesagt: Es spricht nicht für den Zustand der Demokratie in diesem Land, dass man erst bangen muss und dann in Jubel ausbrechen soll, wenn sie ein Heimspiel gewinnt. Der MDR-Rundfunkrat hat sich, zumindest dieses Mal, einer Praxis verweigert, die durch ein Bonmot Walter Ulbrichts treffend beschrieben ist: „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“ Das hat in gewisser Weise für Wulffs Wahl funktioniert und noch mehr für die von Roland Koch (CDU) betriebene Nicht-Verlängerung des ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender 2009 gegolten.
Ob das Beispiel des MDR-Rundfunkrats Schule macht, wird sich zeigen. Der Einfluss Johannes Beermanns auf die Suche nach einem neuen Kandidaten dürfte zumindest geringer sein als bei Hilders Kandidatur. Und Hilder selbst? Wird er Chefredakteur der LVZ bleiben? Oder ereilt ihn das Schicksal, das er in seinem Kommentar vergangenen Jahr für Ursula von der Leyen vorgesehen hatte.
Fußnote des Geschichtsbuchs
„Und eine Binsenweisheit ist auch, dass absichtsvoll früh in die Öffentlichkeit lancierte Favoriten überdurchschnittlich oft stolpern. Passiert ist das diesmal Ursula von der Leyen, die als die Vier-Tage-Präsidentin als Fußnote in die bundesrepublikanischen Geschichtsbücher eingehen wird. Am Ende steht sie beschädigt da, ohne etwas dazu zu können.“
P.S. Der Freitag hat Johannes Beermann um eine Stellungnahme zu der Nicht-Wahl Hilders gebeten. Neben einem Kommentar zu dem Vorgang wurde dabei auch gefragt, ob die Beschreibung, Hilder sei der Kandidat Beermanns gewesen, stimme. Die Antwort aus der Dresdner Staatskanzlei:
"1. Wir sind staatsfern. Daran gibt es keinen Zweifel. Da unterscheiden sich auch Theorie und Praxis nicht.
2. Dr. Beermann ist weder Mitglied des Verwaltungsrates noch des Rundfunkrates des MDR. Er hatte keinen eignen Kandidaten.
3. Bernd Hilder als Intendant des MDR zu nominieren war die Idee von Prof. Dr. Udo Reiter, dem langjährigen Intendanten des MDR. Bernd Hilder ist vom Verwaltungsrat des MDR nominiert worden und von sonst niemandem."
Kommentare 11
"nach allem was man weiß" Soso! Was genau wissen Sie denn?
Als Leipziger, der das Geschehen mitverfolgte, bringt mich Ihr Artikel aus mehreren Gründen auf die Palme.
- Sie sprechen dem Hilder Kompetenz ab, das ärgert mich am meisten.
- Sie nennen Ihn CDU-linientreu. Spielen wir dieses Spielchen weiter, dann hieße das, dass z.B. Ihr Chef Augstein, weil er mal von einem in der Mitte oder noch schlimmer in irgendeiner Sache mal bestätigt wurde auch plötzlich nicht mehr links ist.
- Ich komme nicht umhin hier die Freitags-übliche Schadenfreude und Bosheit zu erkennen.
Ich schätze Hilder, weil er klug ist und die LVZ auch nicht das schlechteste Blatt. Anstatt danach zu fragen, ob denn die, die ihn nicht wählten ein Interesse, ein staatsnahes Interesse daran haben oder aus in diesem Milieu typischen Neid und Argwohn oder ehemaliger SED-Treue gegen Hilder zu stimmen (der übrigens sich öffentlich mehr SPD-mäßig als CDU-lastig äußerte) dies taten, zaubern Sie ein wiederum Freitags-typisches Fantastikum herbei. Nach dem merkwürdigen Artikel von Frau Baureithel über die angebliche Nötigung bei der Organspende nun wieder so ein fragwürdiges Ding. Die Frage lautet: Sollten Sie lieber bei Film- und Fernsehkolumnen bleiben oder was herrscht beim Freitag für eine paranoide Grundstimmung.
Nee, das ist noch nicht mal mehr lächerlich.
"Der MDR-Rundfunkrat hat sich, zumindest dieses Mal, einer Praxis verweigert, die durch ein Bonmot Walter Ulbrichts treffend beschrieben ist: „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“"
Komisch, mir kommt dieser Spruch auch öfter mal in den Sinn. Diese Hilder-Geschichte ist ein prima Anlass. :-))
@ memyselfandi - also Sie mit dem doofen Tripel-Nick - Einfach mal paar andere Medien lesen, die sich aber so ähnlich äußern. Dass das Ding mit Hilder ein Kungelgeschäft war, ist unumstritten.
www.sueddeutsche.de/medien/mdr-rundfunkrat-lehnt-bernd-hilder-ab-von-anfang-an-fragwuerdig-1.1149698
www.loomee-tv.de/2011/09/mdr-personalrat-begrust-scheitern-hilders-bei-intendantenwahl/
Und nun langsam rückwärts gesichert wieder runter vom Bäumchen, ne?
aus meiner sicht riecht die nicht-wahl hilders ganz schoen nach einem demokratischen aufruhr im rundfunkrat des mdr. an kartharsis glaube ich zwar nicht bei diesem verfilzten gebilde, aber es vergnuegt doch fuer den moment.
@memyselfandi
wenn sie leipziger sind, dann werden sie sich erinnern, wie in sachsen dt64 abgeschaltet wurde, wer dafuer und wer dagegen war, was als ersatz seitdem das volk sediert. sie koennten auch wissen, wie die grossen zeitungen, in leipzig eben die lvz, in chemnitz die freie presse, in dresden die dnn, an springer verschenkt wurden. und wie komfortabel es sich mit so einer konstellation regiert, das koennten sie sogar sehen, wenn sie erst vor zwei jahren zugezogen waeren. ob das demokratischen strukturen im freistaat zutraeglich war, koennte man diskutieren. skandale, die dagegen sprechen, gab es ja genug.
Mal abgesehen von der allseits bekannten und immer wieder in den Kommentaren nachlesbaren beinhart CDU-treuen Haltung Hilders, ist es ja auch die (nach seiner Geradeso-Kandidatur herausgeholte) Begründung gewesen, warum er der richtige sei, die einen nur noch Kopfschütteln/Facepalm übrigließ: weil er angeblich über ein überzeugendes "trimediales Konzept" für den MDR verfügte.
Man muss sich doch bloß mal die Online-Aktivitäten der LVZ anschauen, um derlei für absoluten Quatsch zu halten. LVZ-online ist seit Jahr und Tag so etwas wie das Schlüsselkind der LVZ-Redaktionen, praktisch ausschließlich mit Freien und mit null redaktionellem Handlungsspielraum. Von der technischen Seite und den multimedialen Angeboten reden wir dabei noch gar nicht.
Nichtsdestotrotz wäre es mir natürlich trotzdem lieber gewesen, er wäre jetzt beim MDR. Dann wäre er nämlich nicht mehr bei der LVZ – und eine vernünftige Tageszeitung in der Stadt ist mir ehrlich gesagt wichtiger, so als Leipziger. (Aber vielleicht ist er ja jetzt verbrannt genug.)
„Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“" - Denke ich auch sehr oft, nicht nur bei der MDR-Intendanten Wahl...!
@memyselfandi
hilders kompetenz wurde vom verwaltungsrat ja nicht unbedingt euphorisch beschrieben:
"In seiner Präsentation hatte Herr Hilder dargestellt, dass er über langjährige Erfahrungen im Medienbereich sowohl in der ARD als auch im Bereich der Printmedien verfügt. Dies beinhaltet insbesondere seine journalistische Tätigkeit und seine Erfahrungen als Medienmanager. Konzeptionell stellte Herr Hilder seine Vorstellungen zur Weiterentwicklung der Programme und der Organisation im digitalen Zeitalter vor. Er betonte insbesondere die Notwendigkeit trimedialer Angebote."
und dass es in den zeiten des internet in einem sender, der fernsehen und radio macht, trimedialer konzepte bedarf, ist jetzt vielleicht auch nicht so originell.
was die linientreue betrifft: da verstehe ich ihren augstein-vergleich nicht ganz. und natürlich kann herr hilder die meinung haben, die er will - problematisch ist die cdu-nähe nur dann, wenn sie kriterium bei der besetzung von staatsfernen intendantenposten wird.
dass hilder eher der spd als der cdu nahestünde, kann ich aus den artikeln, die ich kenne, nicht ableiten: da ist ronald reagan der beste staatsmann aller zeiten, und philipp rösler macht bei der übernahme des fdp-vorsitzes alles richtig. hat jetzt mit spd nicht so viel zu tun, und auch wenn es nicht darum geht, den konservatismus von hilder zu bewerten - die faz war in der fdp-vorsitz-kommentierung kritischer, ich würde sagen realistischer.
dass die lvz nicht das schlechteste blatt ist, mag aus ihrer warte stimmen. ich kenne allerdings auch einige menschen, die da anderer meinung sind.
und dann ging es in dem text weder um paranoia noch schadenfreude noch bosheit: eigentlich sollte sich mitteilen, dass triumphgeheul doch eher eine traurige reaktion wäre auf einen vorgang, den man für normal halten sollte (die unterstellung, der rundfunkrat sei spd-dominiert und neidisch, finde ich etwas billig- worauf denn?)
und die scheinbare sed-treue kam doch eher gegen hilders konkurrentin karola wille zum einsatz, die 1985 unüblicherweise nicht die einzige ddr-doktorarbeit geschrieben hat, in der die ddr-führung nach allen regeln der kunst auseinandergenommen wurde.
interessant ist ja auch, dass man sich fragt, warum ulbricht eigentlich was demokratisch aussehen lassen will (der spruch stammt aus den early years). gerald götting, günther maleuda oder manfred gerlach standen für alles mögliche, aber doch nicht für so was wie demokratie
Zu der von Matthias zitierten Empfehlung meinte ein Rundfunkrat, mit so einer Begründung würde bei ihm niemand zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Allerdings hantiert mir der ZAPP Beitrag insgesamt ein bisschen zu viel mit Gerüchten und Spekulationen - aber das nur am Rande.
Die Kandidatur Hilders ("Strohmann", lt. taz) sah nicht demokratisch aus, drum fiel er durch.
Also wurde Walter Ulbricht nicht widerlegt, nü?
Der Spruch könnte auch von Konrad Adenauer stammen, oder vom Bankier Pferdmenges, der den Adenauer zu reiten wusste.